Parteien interessieren sich nicht für Sorgen der Bevölkerung

Vor Arbeitslosigkeit fürchten sich Schweizer seit eh und je. Die Parteien jedoch scheinen an den Sorgen der Bevölkerung vorbei zu politisieren.

Doch treffen die Parteien mit ihren Themen auch die Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer? Arbeitslosigkeit, Ausländerfragen und Flüchtlinge sind in den letzten sechs Jahren die grössten Sorgen der Schweizer Bevölkerung. Eine Textanalyse der Medienmitteilungen der vier grössten Schweizer Parteien ab dem Jahr 2012 zeigt im Vergleich mit dem Sorgenbarometer diffuse Ergebnisse. Die Analyse ermittelt die Erwähnung von Themen, die in der Bevölkerung laut Sorgenbarometer Anklang finden. Die Grafiken zeigen, wie häufig ein Wort zu einem bestimmten Thema in den Medienmitteilungen der Parteien pro Jahr vorkam.

SVP: «Ausländer» und «Flüchtlinge»

Wenig überraschend nennt die SVP Themen wie Migration und Asyl am häufigsten. Sie treffen damit genau den Nerv der Bevölkerung, denn in den letzten Jahren scheinen sich die Bürgerinnen und Bürger auch mit diesen Themen befasst zu haben.

Das Thema «Ausländer» erreichte im Jahr 2015 ihren Höhepunkt. Die SVP ist zwar die einzige Schweizer Partei, die sich in ihren Medienmitteilungen intensiv mit Ausländerfragen auseinandersetzt, jedoch geschieht das nicht immer konsistent mit den Sorgen der Bevölkerung. Die höchste Anzahl an Worten zu Migration enthielten die Medienmitteilungen in den Jahren 2014 und 2016. In diesen Jahren wurde über die Masseneinwanderungs- respektive die Durchsetzungsinitiative abgestimmt. Es scheint also eher, als würde die SVP in erster Linie ihre eigenen politischen Ziele mit ihren Mitteilungen stützen wollen und nicht unbedingt die Anliegen der Bevölkerung.

Ein ähnliches Prinzip ist auch bei den anderen Parteien erkennbar, auch wenn nur zu einem minimalen Ansatz im Vergleich zur SVP: Alle haben sich diesem Thema vor allem im Jahr der Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative angenommen. Interessanterweise sanken die Nennungen zu Ausländern dann bei allen Parteien extrem, auch wenn das Thema 2017 noch für 35 Prozent der Bevölkerung die wichtigste Sorge darstellte. Die SP und die Grünen haben erstaunlich wenig über Ausländerfragen geschrieben. Vor allem überraschend ist, dass die Medienmitteilungen der SP über Migrationsfragen im Jahr der Masseneinwanderungsinitiative keinen Höhepunkt erreicht haben.


Bei «Flüchtlingen» klaffen die Nennungen der SVP und die Sorgen der Bevölkerung auseinander

Auch wenn es um Wörter rund um das Thema «Flüchtlinge» geht, ist die SVP im Besitz des Themas. Sie nennen diese Wörter in den Medienmitteilungen mit einer Häufigkeit von über 30 Prozent. Doch auch hier klafft die Partei mit den Sorgen der Bevölkerung auseinander. Während sich die Bevölkerung im Jahr 2015 am meisten Sorgen über Flüchtlinge machte, nahm sich die SVP sowohl im Vorjahr als auch im Jahr danach dem Thema häufiger an. Auch hier spielt politisches Eigeninteresse eine Rolle, denn im Jahr 2016 stimmte das Volk über die Änderung des Asylgesetzes ab. Die SVP hat wahrscheinlich versucht, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Was überrascht: die SP hatte in Asylfragen nicht viel mitzuteilen. Es wäre zu erwarten, dass die SP als Gegenpol zur SVP mindestens gleich häufig Meldungen über dieses Anliegen rausschickt. Allerdings war die Nennung von Worten in der Kategorie «Flüchtlinge» bei der SP, neben den Grünen, am tiefsten. Die CVP und die FDP hingegen haben im Jahr der Abstimmung über das Asylgesetz vergleichsweise viel über dieses Anliegen geschrieben. Ab 2017 hat das Thema «Flüchtlinge» jedoch sowohl als Sorge in der Bevölkerung als auch als politisches Thema in den Medienmitteilungen der Parteien deutlich abgenommen.


Arbeitslosigkeit scheint kein glamouröses Thema zu sein

Auch wenn die Arbeitslosenquote in der Schweiz in den letzten Jahrzenten selten über vier Prozent lag (Seco), bleibt die Arbeitslosigkeit das am häufigsten genannte Problem. So antworten jedes Jahr über 40 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer, die Arbeitslosigkeit sei ihre grösste Sorge sowie das Problem, welches am dringendsten gelöst werden müsse. Ein Blick in die Medienmitteilungen der Parteien zeigt jedoch, dass dieses Thema dort keinen Anklang findet. Macht sich die Bevölkerung um etwas Sorgen, das gar nicht existiert? Liegen die Parteien richtig, diesem Thema keine grosse Aufmerksamkeit zu schenken? Die politische Linke setzt sich für einen Sozialstaat ein und dafür, dass der Staat mehr für die Arbeitslosenbekämpfung unternehmen soll. Umso mehr überrascht es daher, dass sich die SP in ihren Medienmitteilungen gar nicht damit auseinandersetzt. Bürger, die im ersten Sektor beschäftigt sind, wo die Arbeitslosigkeit am höchsten ist, gehören heutzutage zu den Wählern der SVP. Die SVP vermag die Bürgerinnen und Bürger durch andere Ängste als die Arbeitslosigkeit abzuholen, beispielsweise mit Themen wie Einwanderungszuwachs.


Wenn man die Sorgen der Schweizer Bevölkerung mit den Medienmitteilungen der Parteien vergleicht, scheinen die Parteien tatsächlich an den Sorgen der Bürgerinnen und Bürger vorbei zu politisieren. Themen wie «Ausländer» und «Flüchtlinge» finden zwar durchaus Anklang, schaut man sich den Zeitpunkt der häufigsten Nennungen an, wird jedoch klar, was das Ziel der Parteien ist: die eigenen politischen Ziele stützen. Sich um die Sorgen der Bevölkerung zu kümmern scheint eher zweitrangig.

 

Informationen zum Blogbeitrag

Autorin: Blerta Salihi,
Matrikelnummer: 12-736-758
Mail: blerta.salihi@uzh.ch
Abgabedatum: 27.05.2019
Anzahl Wörter: 823

Veranstaltung: Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus, Universität Zürich
Dozierende Personen: Dr. des. Bruno Wüest, Alexandra Kohler

Daten

Die Pressemitteilungen der Parteien wurden mittels Web Scraping gesammelt.

Die Sorgen der Bevölkerung wurden anhand vom Sorgenbarometer ermittelt. Das Sorgenbarometer der Credit Suisse wird seit 41 Jahren jährlich erhoben. Im Auftrag der CS führt das Forschungsinstitut gfs.bern eine repräsentative Umfrage unter 1000 Stimmberechtigten in allen Landesteilen der Schweiz durch und befragt die Bürgerinnen und Bürger unter anderem nach ihren Sorgen. Die Daten werden mittels persönlicher Interviews (so genannter Face-to-face-Interviews) erhoben.

Weitere Daten:
https://www.seco.admin.ch/

Anmerkung zur Textanalyse

Die Medienmitteilungen der Parteien wurden nach den Themen «Ausländer»,  «Flüchtlinge» und «Arbeitslosigkeit» durchgesucht. Dabei wurden alle Wörter, die zu diesen Themen gehören berücksichtigt.

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