Der Mythos des linken Staatsfernsehens

Der Vorwurf der „linksunterwanderten“ SRG hält sich unter Kritikern seit Jahren hartnäckig. Auf die Zuschauer färbt die vermeintliche politische Befangenheit aber nicht ab. 

Titelbild_TV_Abstimmungs

 

In der Schweiz gerät das öffentlich-rechtliche Rundfunk SRG chronisch ins Schussfeld von Kritikern, die dem gebührenfinanzierten Medienunternehmen und seinen Journalisten politische Befangenheit vorwerfen. So war für die Weltwoche die Wahl von Roger de Weck als SRG-Generaldirektor vor vier Jahren „eine Hinterzimmerwahl“, bei der Moritz Leuenberger als damals abtretender „Bundesrat bei einem Glas Wein die Fäden zog“. Dieses Jahr war die Aufregung gross als sich Verteidigungminister Ueli Maurer im Vorfeld der Gripen-Abstimmung während eines Fernsehinterviews über die  „tendenziöse“ Berichterstattung der SRG entrüstete. Diese Aussagen sind beispielhaft für die Argumente aus dem rechten Lager. Aber nicht nur Vertreter aus bürgerlichen Kreisen melden Kritik an der SRG an, auch die politische Linke und Mitte sehen sich selbst benachteiligt: Sie bemängeln, dass in Diskussionssendungen wie der „Arena“ Repräsentanten der SVP bevorzugt würden und der Themenfokus häufig mit der SVP-Agenda übereinstimme.

Medieninhaltsanalysen lieferten bisher keine deutlichen Resultate zu diesem Thema: 2010 wurde in einer Studie der Publicom herausgefunden, dass die politische Linke im öffentlich-rechtlichen Radioprogramm in der Romandie am häufigsten erwähnt wird, während es in den restlichen Sprachregionen die bürgerlichen Parteien waren. Im Fernsehprogramm der SRG fanden im gleichen Jahr die SP und die SVP am meisten Erwähnung. „Dies lässt sich dahingehend interpretieren, dass die politisch am stärksten profilierten Parteien stärkere mediale Aufmerksamkeit als die politische Mitte geniessen“, kommentierte damals Medienforscher Matthias Künzler.

 

SRF als politische Entscheidungsgrundlage

Auf Ebene der Inhalte konnten bisher also keine Beweise für eine linke Tendenz der Medien gefunden werden. Aber wie sieht es auf Seiten der Rezipienten aus? Färbt die vermeintlich politische Befangenheit des Medienunternehmens auf seine Zuschauer ab? Mit Daten aus den VOX-Analysen lässt sich feststellen, ob ein Zusammenhang zwischen dem Bezug politischer Informationen aus dem TV und der Parteiaffinität besteht. In den Befragungen wird erhoben, ob sich die Stimmenden im Fernsehen über Abstimmungsvorlagen informieren. Verschiedene medienanalytische Studien belegen, dass in der Schweiz nationale politische Themen fast ausschliesslich im SRF behandelt werden und sich kommerzielle Sender in ihrem redaktionellen Programm kaum mit nationaler Politik beschäftigen. Das SRF hat also auf dem Fernsehmarkt ein Monopol was nationale politische Themen angeht. Aus diesem Grund kann mit Berechtigung angenommen werden, dass die Befragten, welche Informationen aus dem TV als Entscheidungsgrundlage für Abstimmungen nutzen, diese aus dem Programm der SRG beziehen.

 

Grüne und Hochgebildete informieren sich seltener im TV

Ein Vergleich unter den fünf grössten Parteien zeigt, welche Wählerschaft das Fernsehen als politische Informationsgrundlage benutzt.

TV als Entscheidungsgrundlage nach Partei

Auf den ersten Blick wird ersichtlich, dass der Anteil der Sympathisanten, welche sich im Fernsehen informieren bei der SVP (78.9 %) grösser ist als bei der SP (71.0 %). Während sich die FDP und die CVP im ähnlichen Rahmen wie die SVP befinden, ist der tiefste Wert bei den Grünen mit nur 58.7% zu beobachten. Eine Analyse nach Selbstpositionierung ergibt ein ähnliches Bild: Je weiter rechts ein Bürger sich selbst einteilt, desto eher bezieht er seine politischen Informationen aus dem Fernsehen. Dass die Parteien links der Mitte so zurückfallen, ist durchaus erstaunlich wenn bedenkt wird, dass die Kritik an der SRG mehrheitlich aus dem rechten Lager stammt. Andererseits erscheinen darum die Befürchtungen konservativer Politiker glaubhafter, weil ihre Wählerschaft von einer potenziellen politischen Befangenheit am stärksten betroffen wäre.

Natürlich spielt nicht nur die Parteiidetifikation eine Rolle: Zwei weitere Faktoren sind das Interesse an Politik und die abgeschlossene Ausbildung, wie nachfolgende Grafiken veranschaulichen.TV als Entscheidungsgrundlage nach Politikinteresse und Bildung

Die Daten zeigen, dass mit steigendem Politikinteresse die Nutzung des Fernsehens als Informationsgrundlage steigt während sie mit steigender Bildung sinkt. Zudem können das Vertrauen in die Regierung und das Alter eine Rolle spielen.

 

Keine eindeutigen Effekte

Dass sich die TV Nutzung der verschiedenen Wählerschaften unterscheidet, ist keine sensationelle Entdeckung. Schliesslich weisen sie oft unterschiedliche soziodemografische Merkmale auf. Die interessante Frage bleibt: Wie stark ist der Effekt, wenn sich die Bürger bezüglich folgender Eigenschaften nicht unterscheiden würden?

  • Alter
  • Politikinteresse
  • Bildung
  • Einkommen
  • Erwerbstätigkeit
  • Vertrauen in die Regierung
  • andere Medien als Entscheidungsgrundlagen
  • Selbstpositionierung auf dem Links-Rechts-Spektrum

Würden sich die Vorwürfe der bürgerlichen Politiker erhärten und die politische Ausrichtung des SRG auf die Zuschauer abfärben, wäre es plausibel, selbst nach Kontrolle der zusätzlichen Variablen folgenden Zusammenhang zu erkennen: Bezieht ein Bürger seine politischen Informationen aus dem TV, besteht eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass er ein SVP-Sympathisant ist. Umgekehrt müssten Fernsehnutzer mit grösserer Wahrscheinlichkeit SP-Sympathisanten sein. Nachfolgende Darstellung zeigt, dass die Daten diese These zu widerlegen scheinen.

Schätzer für die Variable "TV Nutzung"Wird für andere Variablen kontrolliert, schrumpft der Effekt auf ein Minimum: Die Wahrscheinlichkeit, ein SVP-Sympathisant zu sein ist für TV-Nutzer 1.4% höher als für Nicht-TV-Nutzer. Zwischen den Sympathisanten der SVP und der SP gibt es aber keinen Unterschied: TV-Nutzer weisen auch 1.4% eher eine Affinität für die SP auf als Nicht-TV-Nutzer. Sollte das SRG in ihrem redaktionellen Programm linkslastig sein, färbt das jedenfalls nicht auf die Zuschauer ab. Die Ergebnisse sprechen gegen eine politische Befangenheit entlang des Links-Rechts-Spektrums.

Um die Validität des gewählten Modells beurteilen zu können, werden als Referenz die offiziellen Informationen des Bundes herbeigezogen. Da diese möglichst neutral sein sollten, wird erwartet, dass hier kaum Unterschiede zwischen den Parteien zu beobachten sein werden.Schätzer für die Variable "Offizielle Infos"

Abgesehen von einer Ausnahme sind keine signifikanten Ergebnisse festzustellen – und selbst bei der SP ist der Schätzer nur auf einem Signifikanzniveau von 10% signifikant. Es sind also zwischen den Parteien keine relevanten Unterschiede zu beobachten. Dies lässt darauf schliessen, dass das gewählte Modell durchaus valide ist und die Ergebnisse als Widerlegung des Vorwurfs der politischen Befangenheit der SRG gedeutet werden kann.

 

Fazit

Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass für einzelne Parteien ein Zusammenhang zwischen dem Bezug politischer Informationen aus dem Fernsehen und der Parteiaffinität beobachtet werden kann. Dieser Zusammenhang ist aber minimal und verläuft keinesfalls linear zum Links-Rechts-Spektrum. Deshalb liefert er keine empirische Evidenz für die Linkslastigkeit der SRG. Die Erkenntnis deckt sich wohl eher mit früheren Beobachtungen, wonach in der Schweiz die stärker profilierten Parteien mehr mediale Aufmerksamkeit generieren.

 



Autor: Pascal Burkhard
Blog im Rahmen des Forschungsseminars „Policy Analyse: Politischer Datenjournalismus“ (HS14)
Dozent: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann, Dr. des. Bruno Wüest, Dr. Sarah Bütikofer
Daten: VOX
Worte: 973

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