Das Hooligan-Konkordat und dessen schwierig zu messende Früchte

Im Jahr 2007 traten alle 26 Kantone dem sogenannten Hooligan-Konkordat bei. Das Ziel: Die Fan-Gewalt an Sportanlässen einzudämmen. Im Jahr 2012 wurde das Konkordat weiter verschärft, um der Fan-Gewalt noch mehr Gegensteuer zu geben. Was haben alle diese Massnahmen gebracht? Hat sich die Situation seit dem Jahr 2007 verbessert? Schwierig einzuschätzen: Es fehlt an verlässlichen Daten.

Mit der Einführung des Hooligan-Konkordats im Jahr 2007 setzten alle Kantone gemeinsam ein Zeichen: Fan-Gewalt an Sportanlässen wird nicht mehr toleriert und muss bestraft werden. Das Konkordat beinhaltet diverse Mittel, um dieses Ziel zu erreichen: Rayonverbote, Meldeauflagen, Ausreisebeschränkungen, Polizeigewahrsam sowie die Schaffung der Hooligan-Datenbank „Hoogan“.

Die Mitglieder des Konkordats kamen in den Jahren darauf zum Schluss, dass die Fan-Gewalt nicht genügend eingedämmt werden konnte. Deshalb wurde das Hooligan-Konkordat zu Beginn des Jahres 2012 verschärft. Neu können die Behörden etwa den Einsatz privater Sicherheitskräfte verfügen, bei der Stadionordnung mitsprechen, den Alkoholverkauf regeln und die An- und Rückreise der Gästefans koordinieren. Diesem verschärften Hooligan Konkordat sind bisher 15 Kantone beigetreten.

Nun stellt sich die Frage: Wie kamen die Konkordats-Mitglieder zur Feststellung, dass die erste Form des Hooligan-Konkordats nicht genügte? Und wie kommen Politiker heute zum Schluss, dass das zweite Konkordat nochmals verschärft werden soll? Oder besser gefragt: Anhand welcher Indikatoren entscheiden Politiker über weitere Massnahmen zur Eindämmung der Fan-Gewalt im Schweizer Fussball? Denn: Nur anhand einer präzisen Evaluation, anhand von genauen Anhaltspunkten kann ein solch weitreichendes Problem seriös und pragmatisch angepackt werden.

Fussball-Saison 2014/15

In der Berichterstattung zum Fussball-Wochenende liest man zum einen Worte wie „Tor“, „Taktik“ und „Tabellenmittelfeld“. Aber auch: „Knallkörper“, „Krawalle“ und „hohe Kosten“. Und kaum ein Leser ist davon noch überrascht. Fan-Ausschreitungen gehören im Schweizer Fussball zum Spieltag. Deutlich wird das, in der folgenden Timeline. Darin werden alle Fan-Ausschreitungen in der Schweizer Super League (Saison 2014/15) gelistet, welche von mindestens zwei Schweizer Tageszeitungen aufgenommen wurden:

Die Auswertung dieser Timeline zeigt, dass bei 11 von den (bis jetzt) 30 gespielten Fussball-Runden, keine Fan-Zwischenfälle von den Zeitungen aufgegriffen wurden. Bei den übrigen 19 Spielrunden gab es immer mindestens einen grösseren Zwischenfall, bei dem Fan-Gewalt im Spiel war. Das Ausmass geht dabei von koordinierten Pyro-Choreografien in den Fussballstadien über Spielabbrüche wegen Knallpetarden bis hin zu Strassenkämpfen, wobei mehrere hundert Polizisten im Einsatz standen.

Unterscheidet man die Timeline nach den Fan-Gruppen, fällt auf: Die Fans des FC Zürich und des FC St. Gallen sorgen in der laufenden Fussball-Saison 2014/15 für die meisten Probleme.  Auf der anderen Seite fielen die Fans des FC Vaduz und des FC Sion in den Zeitungen nicht negativ auf.

Dieser erste Überblick zur Fan-Gewalt im Schweizer Fussball zeigt: Bei zwei von drei Fussball-Wochenenden gibt es Ausschreitungen, Fans von acht der zehn Super League Clubs wurden in dieser Saison wegen Ausschreitungen in den Zeitungen negativ erwähnt und das Ausmass der Zwischenfälle variiert vom Abbrennen illegaler Pyros bis hin zu Strassenkämpfen mit der Polizei.

Offizielle Fan-Gewalt

Natürlich ist diese Timeline nicht vollständig: Zwischenfälle mit Fan-Gewalt, welche abseits der Journalisten stattfanden, sind darin nicht enthalten. Und Zwischenfälle die vor den Augen der Medienschaffenden passieren, werden nicht immer zwingend aufgenommen. Das liegt im Ermessen des Journalisten. Trotzdem bietet die Timeline einen guten Gesamteindruck, wie weit Fan-Gewalt im Schweizer Fussball verbreitet ist.

Sie reicht jedoch nicht aus, um die Wirkung des Hooligan-Konkordats zu messen. Denn: Ein politischer Beschluss muss mit offiziellen Zahlen evaluiert werden. Deshalb betrachten wir nun die Daten des Bundesamts für Statistik (BFS). Dieses erhebt seit dem Jahr 2009 „Gewaltstraftaten in Sportanlagen“. Die Zahlen für das Jahr 2014 werden hier erstmals überhaupt gezeigt:

Bei der Grafik fällt auf, dass die totale Anzahl der Gewaltstraftaten in Sportanlagen von Jahr zu Jahr stark schwankt: Im Jahr 2011 waren es beispielsweise 379. Ein Jahr danach (2012) noch 228 Gewaltstraftaten in Sportanlagen. Wenn man hingegen die Hauptkategorien der Fan-Gewalt betrachtet („Einfache Körperverletzung“, „Tätlichkeiten“ und „Drohung/Gewalt gegen Beamte“), stellt man eine gewisse Stabilität respektive kleine Rückläufigkeit der Gewaltstraftaten fest.

Die starken Schwankungen werden durch andere, nicht dargestellte Kategorien verursacht: Im Jahr 2011 gab es beispielsweise 64 Fälle von „Raufhandel“ in der Statistik. Im Jahr 2012 waren es noch 5. Bei der Kategorie „Total Schwere Gewalt“ waren es im Jahr 2011 noch 13 Fälle, 2012 nur noch einer. Unter anderem dadurch, kommt die hohe Gesamtzahl von 379 Gewaltstraftaten im Jahr 2011 zustande. Trotzdem muss es in Tat und Wahrheit nicht sein, dass es im Jahr 2011 wirklich mehr Gewaltstraftaten gab als im Jahr 2012. Darauf macht das Bundesamt für Statistik, welches die Daten publiziert, aufmerksam.

Datenerhebung Gewaltstraftaten

Das Problem liegt in der Erhebungsmethode der Fälle von Gewaltstraftaten in Sportanlagen. Die Polizei muss nur bei besonders schweren Vergehen (Art. 111-113, 116, 122 und 140 StGB), die Örtlichkeit der Straftat aufnehmen. Bei kleineren Zwischenfällen (wie eben „Einfache Körperverletzung“, „Tätlichkeiten“ und „Drohung/Gewalt gegen Beamte“) ist sie dazu nicht verpflichtet.

Somit kann es sein, dass ein Polizist bei einer Zuwiderhandlung eines Fans, die Örtlichkeit (Stadion) nicht notiert. Damit ist der Fall nicht in der offiziellen Statistik drin. Oder es kann sein, dass ein Polizist eine Straftat in der Nähe eines Stadions notiert, diese aber keinen Zusammenhang mit dem Sportanlass hat. Ausserdem betont das Bundesamt für Statistik, dass die Erhebung der Örtlichkeit stark von den Weisungen in den einzelnen Polizeikorps abhängt: manche machen es zur Pflicht, manche lassen es ganz sein – oder etwas dazwischen.

Aus all diesen Gründen, sind diese Zahlen mit Vorsicht zu geniessen. Dazu kommt: In der Statistik „Gewaltstraftaten in Sportanlagen“ wird die Fan-Gewalt von Fussball- aber auch beispielsweise Eishockey-Fans erhoben. Es wird nicht zwischen den einzelnen Sportarten unterschieden. Klar: Die meisten Zwischenfälle mit Fan-Gewalt finden im Fussball statt. Trotzdem ist es offensichtlich problematisch, diese Zahlen für die Evaluation des Fussball-Hooligan-Konkordats zu verwenden.

Offizielle Hooligan-Gewalt

Bleibt also die Möglichkeit, das Konkordat anhand der Hooligan-Datenbank „Hoogan“ zu evaluieren. In dieser Datenbank werden alle Fussball Super League Hooligans registriert, welche beispielsweise mit einem Rayonverbot belegt wurden. Dabei werden wiederum Fussball- und Eishockey-Hooligans zusammen ausgewiesen. Die Anteile sind hier jedoch klar: In den vergangenen Jahren waren immer 70% bis 71% der registrierten Personen Fussball-Hooligans: 

Bei der Grafik fällt auf, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Hooligans in der Datenbank registriert wurden. Doch auch diese Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen. Nehmen wir beispielsweise das Jahr 2013. Ende Januar waren damals 1294 Hooligans (Fussball und Eishockey, 70% davon Fussball (919)) registriert.

Wenn man die Daten jedoch genau anschaut, sind zu diesem Zeitpunkt nur 519 Hooligans mit aktuellen Massnahmen belegt. Denn: Wenn ein Hooligan sein dreijähriges Stadionverbot in der Datenbank verbüsst hat, bleibt er automatisch weitere drei Jahre, also insgesamt sechs Jahre, in der Datenbank „Hoogan“ drin. Weil Hooligans also immer noch für drei weitere Jahre in der Datenbank registriert bleiben, ist die ausgewiesene Zahl in den Medienmitteilungen zu „Hoogan“ jeweils zu hoch.

Stadion-Besuche

Und wie sehen eigentlich die Fusball-Fans, die „normalen“ Fans, das Problem „Gewalt im Fussball“? Eigentlich sollte der Zuschaueraufmarsch in den Super-League-Stadien ein guter Indikator sein, ob sich die Leute von Fan-Gewalt abschrecken lassen – oder nicht:

Die Grafik zeigt: Aus den Zuschauerzahlen der Super League können keine direkten Schlüsse zum Thema „Gewalt im Fussball“ gezogen werden. Die Stadionbesuche sind in den vergangenen Jahren ziemlich konstant geblieben. Ausserdem spielen wohl Faktoren wie „Erfolg der Mannschaft“, „Eintritts-Preise“, „Wetter“, etc. eine grössere Rolle, ob ein Spiel gut besucht ist – oder nicht.

Erfolg des Hooligan-Konkordats

Die oben ausgeführten Zahlen und Gedanken lassen folgende Schlüsse zu:

1. Grundsätzlich ist das Ausmass der Fan-Gewalt in der Schweizer Fussball-Liga in den vergangenen Jahren wohl ziemlich konstant geblieben. Es gibt einige Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass die Fan-Gewalt leicht abgenommen hat.

2. Die Datenlage für diese Aussagen ist jedoch äusserst dürftig. Sowohl die BFS-Daten zu „Gewaltstraftaten in Sportanlagen“ wie auch die übrigen Zahlen lassen keine präzisen Schlüsse über das Ausmass und die Entwicklung der Fan-Gewalt in der Schweizer Fussball-Liga zu. Grund dafür ist beispielsweise die unkoordinierte, nicht systematische Erhebung der Fälle von Gewaltstraftaten durch die Polizei. Ausserdem fehlt in der Statistik zu den „Gewaltstraftaten in Sportanlagen“ die Aufschlüsselung zwischen Fussball- und beispielsweise Eishockey-Fans.

3. Falls die Evaluation des Hooligan-Konkordats durch die Behörden/Politiker auf den gleichen, frei verfügbaren Daten wie dieser Blogbeitrag basiert, ist eine seriöse Evaluation nicht möglich. Dafür ist die Datenqualität zu schwach. Möglich ist, dass die Behörden/Politiker über weitere, für die Öffentlichkeit nicht zugängliche Daten verfügen. Nur so wären die Früchte des Hooligan-Konkordats adäquat messbar.

 

 


Anmerkung des Autors: Dieser Blogbeitrag soll auf keinen Fall das Thema Fan-Gewalt im Schweizer Fussball verharmlosen. Jeder Zwischenfall mit Fan-Gewalt ist einer zu viel. Der Beitrag ist wenn schon ein Votum, bessere Daten zur Fan-Problematik im Schweizer Fussball zu erheben.


Kontakt:  fabio.nay@hispeed.ch


Daten: Alle verwendeten Daten sind öffentlich zugänglich oder auf Anfrage erhältlich („Gewaltstraftaten in Sportanlagen“, „Hoogan“, „Zuschauerstatistiken“). Zeitungs-Recherche zur Fan-Gewalt in der Fussball-Saison 2014/15 wurde mit der „Schweizerischen Mediendatenbank“ (SMD) durchgeführt.

1 comment

  1. Guter Beitrag – die Hooliganszene ist einfach ein Spiegelbild unserer Gesellschaft – es wird immer Jugendliche geben, welche ihre Energie zeigen, das ist doch auch positiv, und es wird immer aggressive Auswüchse davon geben – das sind auch die Grenzen der Statistik! Sep Nay

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