Das Schweizer Stimmvolk: Sehr resolut oder eher zögerlich?

Um an Abstimmungen teilzunehmen, reicht es nicht, die Argumente zu kennen und sich eine Meinung zu bilden; man muss auch dazu stehen können. Doch gewisse Leute haben mehr Mühe damit als andere. Wer sind diese Leute, und welchen Effekt hat das auf die politische Landschaft der Schweiz?

„Was meinen Sie zum Argument xy? Stimmen Sie sehr zu, eher zu, eher nicht zu, oder überhaupt nicht zu?“
Ein beträchtlicher Teil der politologischen Erkenntnisse basiert auf ResoZego_pieMeinungsumfragen, die nicht nur Zustimmung oder Ablehnung erfassen, sondern auch die Stärke derselben zu messen versuchen. Allerdings sind die Befragten nicht ebenso standartisiert wie die Fragebögen; gewisse Leute werden, auch wenn sie sich ihrer Sache sehr sicher sind, vorsichtshalber mit „eher ja“ oder „eher nein“ antworten, während andere, selbst wenn sie nicht wirklich eine Ahnung haben, klar und deutlich mit Statements wie „Ja sicher“ aufwarten. Erstere, die notorischen „Zögerer“, machen 6.5% der Befragten aus, zweitere, die konstant „Resoluten“, rund einen Viertel.

Doch wer sind diese Leute? Und wirken sich diese Mentalitätsunterschiede nicht nur auf Umfrageergebnisse aus, sondern führt es gar zu einer „Regierung der Resoluten“?

Profil


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Wie vielleicht nicht ganz Unerwartet gibt es unter den Männern viel mehr „resolute“ Umfrageteilnehmer als bei den Frauen; Zögerer gibt es aber bei beiden Geschlechtern.

Ebenfalls eine gängige Vermutung bestätigt sich beim Alter: Je älter, desto überzeugter ist man von seiner Meinung.

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Während in ihren 20ern nur rund 10% konstant die „sehr“-Option ankreuzen, sind es bei den über 75-Jährigen ganze 17%. Zögerlich hingegen ist man eher im mittleren Alter zwischen 40 und 60; vielleicht, weil man sich in diesem Alter besonders diferenziert mit den Argumenten aus jedem Lager beschäftigt. Unbefangener ist hingegen das Verhalten der unter 20-Jährigen; sie sind mit ihren Antworten wenig zögerlich und so resolut wie erst nach 50 wieder.

Eine nächste wichtige Frage ist jene nach der Bildung; sind diejenigen, die sich nicht sicher sind, einfach nicht sehr gebildet und denken deshalb, nicht genug von der Sache zu verstehen? Bildung_barplot3

Augenscheinlich gilt nicht, dass man seiner Meinung sicherer ist, je besser man ausgebildet ist. Zwar sind Leute, deren höchster Bildungsabschluss die obligatorische Schule ist, weniger Resolut, doch das gilt ebenso für Maturanden und Akademiker. Absolventen der höheren Fachhochschule hingegen scheinen relativ resolut und wenig zögerlich.Sprachregion

Als letztes soziokönomisches Merkmal interessiert uns der Unterschied zwischen den Sprachregionen; lässt sich auch in diesem Thema ein Röstigraben ausmachen? Ein kurzer Blick auf die Daten zeigt, dass es hier tatsächlich Unterschiede gibt: Während es unter den Deutschschweizern besonders viele Resolute gibt, fallen die italienischsprachigen Regionen mit einem hohen Anteil an zögerlichen Mitbürgern auf.

Wie sieht also das Profil der „Zögerer“ und der „Resoluten“ aus?
Der typische Zögerer ist eine Person mittleren Alters aus dem Tessin und verfügt über eine sehr hohe oder sehr tiefe Bildung.
Der typische Resolute ist ein älterer Herr, der die höhere Fachhochschule abgeschlossen hat und in der Deutschschweiz wohnt.

Politik


Wir wissen nun also, welche Menschen zum zögerlichen oder resoluten Kundtun ihrer Meinung neigen. Aber lässt sich dieser Charakterzug auch anderweitig im politischen Verhalten feststellen?

Zögerer und Resolute sind etwa zu gleichen Teilen in allen Parteien zu finden (abgesehen von den Grünen, bei denen es besonders wenige Resolute gibt) und beide Typen verteilen sich erstaunlich gleichmässig von links nach rechts, wobei die Zögerer eher nach links neigen.
Vorlagenkenntnis_profileRichtig interessant wird es aber, wenn es um die Vorlagenkenntnis geht: Während sich bei den Resoluten zwar  knapp überdurchschnittlich viele halbwegs auskennen, gibt es vergleichsweise wenige mit guter Kenntnis. Bei den Zögerern hingegen gibt es viele, die die Vorlage gut kennen. Es stellt sich also die Frage, woher die Resoluten denn ihre überzeugte Meinung nehmen?

Parteiparole_finiEine Möglichkeit wäre die Parteiparole; tatsächlich kennen die resoluten Bürger die Abstimmungsparole ihrer bevorzugten Partei besser als ihre zögerlichen Pendants; zudem halten sie sie auch  um einiges besser ein.

Vertrauen_pieprof

Ein weiteres Charakteristikum der Zögerer ist ihr hohes Vertrauen in die Regierung: Im Vergleich mit dem Bevölkerungsschnitt sind sie 8% öfter überzeugt, dass die Regierung gut arbeitet, während sie rund 7% weniger oft denken, dass sie nicht mehr Bevölkerungsnah genug sei.

Stimmverhalten


Nun zur Königsdisziplin: Unterscheiden sich Resolute und Zögerer vom „normalen“ Stimmvolk in ihrer Wahlbeteiligung? Bei Befragungen gibt es dazu zwei verschiedene Angaben; die eine Frage lautet, ob man an der letzten Abstimmung teilgenommen hat (obere Reihe der Grafik), die andere, an wievielen von 10 Abstimmungen man teilnimmt (mittlere Reihe). Vergleicht man diese zwei Angaben jedoch, ergeben sich jeweils starke Diskrepanzen (unterste Reihe).Teilnahme_fini

Die Frage ist, ob sich die Leute unterschätzen, wenn sie die „pro Zehn“ Frage beantworten, oder ob sie oft fälschlich behaupten, sie seien diesmal abstimmen gegangen. Die durchschnittliche Stimmbeteiligung der letzten Jahre (45%) legt Zweiteres nahe. So unklar diese Daten auch sind, sie zeigen einen deutlichen Unterschied der Resoluten zu den anderen: Sie nehmen viel öfter an Abstimmungen teil – oder behaupten dies zumindest.

Fazit


Es gibt sie also wirklich, die Resoluten und die Zögerer.
Zu den Zögerern gehören vor allem Personen mittleren Alters, und viele von ihnen sind Tessiner. Auch ihr politisches Verhalten ist spezifisch: Sie sind tendenziell eher links, kennen sich mit den Vorlagen überdurchschnittlich gut aus und weichen oft von der Parole ihrer Partei ab; ihr Vertrauen in die Regierung ist relativ hoch.
Zu den Resoluten gehören besonders viele Männer und Personen über 75, Leute mit einem Abschluss der höheren Fachhochschule und aus der Deutschschweiz. Resolute kennen die Vorlage oft lediglich halbwegs, dafür ist ihnen ihre Parteiparole bekannt und sie richten sich relativ konsequent danach. Sie stimmen vermutlich öfter als andere Stimmbürger.

Die Stimmbeteiligung hängt also nicht nur von Kenntnissen und so weiter ab, sondern auch vom Charakter eines Bürgers; deshalb beteiligen sich Menschen, die zu einem resoluten Charakter neigen, öfter an Abstimmungen als zögerliche Geister. Es kann also passieren, dass Personengruppen, die sich ihrer Meinung unsicher sind, in unserer direkten Demokratie untervertreten sind.
Seid ihr also informiert, aber nicht sicher, gebt euch umso mehr einen Ruck; denn stimmt ihr nicht, überlasst ihr den Resoluten das Ruder – und die wissen es nicht wirklich besser. ♦


 

Daten: VoxIt von FORS
Autor: Tanja Eder (tanja.eder@uzh.ch)
Seminar: Policy Analyse – Politischer Datenjournalismus
bei
Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann und Dr. des. Bruno Wüest

 

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