Frauen auf dem Arbeitsmarkt – die Schweiz als vermeintliches Vorzeigebeispiel

Spitzenplatz bei der Frauenerwerbsquote für die Schweiz – ist das leidige Thema somit vom Tisch? Wie steht’s um die Gleichberechtigung im Hinblick auf das Arbeitspensum – und wo geniessen die Frauen die meiste Unterstützung?

Der Bundesrat beschliesst in einer Vorlage eine Frauenquote von 30 Prozent in der Teppichetage grosser börsenkotierter Unternehmen in der Schweiz. Trotz breiter Kritik und geringer Chancen im Parlament ist der Entscheid symptomatisch für einen politischen Dauerbrenner: Die Gleichberechtigung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt.

Wie aktuell ist das klassische Rollenverhältnis immer noch bei der Schweizer Familie? Ein Blick auf aktuelle Zahlen zeigt zunächst Erfreuliches: immer mehr Frauen drängen auf den Arbeitsmarkt. Dies ist ein Trend, der sich in ganz Europa beobachten lässt und der auch vor der Schweiz nicht Halt macht. Die Schweizer Frauen nehmen mit einer Erwerbsquote von 76 Prozent europaweit sogar einen der Spitzenplätze ein. Das lässt aufhorchen, zumal die Schweiz nicht gerade den Ruf des egalitären Eldorados verkörpert.


Grafik 1: Europavergleich Frauenerwerbsquote (Alter 20-64)

Die Frauenerwerbsquote umfasst die prozentuale Anzahl weiblicher Erwerbspersonen – Frauen die Arbeit haben oder Arbeit suchen – im erwerbsfähigen Alter. Es handelt sich um ein sehr grobes Mass, da nicht zwischen Teilzeit- und Vollzeitarbeit unterschieden wird. Darum macht es Sinn, die Aufteilung der erwerbstätigen Schweizer Bevölkerung genauer unter die Lupe zu nehmen, was in untenstehender Grafik gemacht wird.


Grafik 2: Aufteilung der Erwerbstätigen in der Schweiz historisch

Schnell wird klar, dass noch immer grosse Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Erwerbstätigkeit bestehen, und dass sich diese nur langsam angleichen. Speziell ins Auge fällt auch ein steter Anstieg der Teilzeitarbeit bei Frauen, sogar eine Verdoppelung der Quote in den letzten knapp 30 Jahren war drin.

Grund zum Feiern?
Die rekordverdächtig hohe Teilzeitbeschäftigung der hiesigen Frauen brachte der Schweiz den oben erwähnten europaweiten Spitzenplatz bei der Frauenerwerbsquote ein. Die Niederlande sind das einzige OECD-Land, welches über eine noch höhere Teilzeitquote bei Frauen aufweist.



Grafik 3: Europavergleich Frauenerwerbsquote (Alter 20-64)

Bevor nun aber die Sektkorken knallen muss man sich im Klaren sein, dass die hohe Teilzeitarbeitsquote und die daraus folgende hohe Erwerbstätigkeitsquote der Schweizer Frauen darüber hinwegtäuscht, dass deren Arbeitsvolumen eines der Geringsten in ganz Europa ist.

Die hohe Quote ist beileibe kein Ruhmesblatt. Teilzeitarbeit bremst die Karriere aus und vermindert die Zufriedenheit der Betroffenen. Sie hat einen schlechten Ruf, es fehlt ihr die Anerkennung, seitens der Arbeitgeber aber auch seitens der Arbeitnehmer. Der Entscheid zur Teilzeitarbeit geschieht meistens auch nicht freiwillig, oft ist er Ausdruck mangelnder Alternativen für die Vereinbarung von Beruf und Familie. Im Fall von Frauen kommt noch dazu, dass sie in vielen Fällen überqualifiziert sind.

Wieso ist gerade in der Schweiz das Modell der Teilzeitarbeit bei Frauen so ausgeprägt? Verschiedene Begründungen sind denkbar. Eine oft genannte Ursache für die Teilzeitarbeit ist der sogenannte „Baby-Knick“: viele Frauen gehen nach der Geburt ihres ersten Kindes nur noch einer Teilzeitbeschäftigung nach, und bleiben oft ihr ganzes Leben lang darin hängen. Gibt es in der Schweiz zu wenige Möglichkeiten für die externe Kinderbetreuung, etwa in Form von Kinderkrippen oder Mittagstischen? Die Forschung (und der gesunde Menschenverstand) zeigen, dass solche Betreuungsangebote den Knick wirksam abfedern können.

Daten & Methoden

Die dem Beitrag zugrundeliegenden Daten stammen aus den VOX-Umfragen des Instituts gfs.bern.
Den Abstimmungsanalysen liegen drei Ordered Logit Regressionen zugrunde, mehr Informationen sowie den Regressionsoutput finden Sie hier.
Das Alter zwischen 20 und 64 wird in allen Analysen als das typische Erwerbsalter betrachtet.

Eine andere Erklärungsmöglichkeit setzt bei den Männern an. Vielleicht sind Schweizer Männer generell eher weniger bereit, Haushalts- und Betreuungsaufgaben zu übernehmen? Tatsächlich ist der teilzeitarbeitende Mann gesellschaftlich und vor allem unternehmerisch nicht akzeptiert, insbesondere hierzulande. Diese fehlende Akzeptanz drängt wiederum Frauen in die Teilzeit, da der Ehemann oft gar nicht erst zu einer Reduktion seines Pensums bereit ist. Eine Attraktivitätssteigerung der Teilzeitarbeit für Männer, und nicht nur Frauen, wäre ein möglicher Lösungsansatz.

Wo haben’s die Frauen am schwersten?

Schauen wir nun auf die Werte der Schweizer und Schweizerinnen. Die Einstellung gegenüber Fördermassahmen für die Frauen variiert von Kanton zu Kanton stark. Augenscheinlich ist vor allem eines: die französischsprachigen Kantone unterstützen Fördermassnahmen viel eher als die restliche Schweiz. Besonders die Kantone Tessin und Graubünden fallen durch eine starke Ablehnung gegenüber gezielten Fördermassnahmen auf.


Grafik 4: Einstellung gegenüber Frauenfördermassnahmen, Skala Pro (1) bis Contra (7), Jahre 1996-2014

Ob jemand Fördermassnahmen für Frauen befürwortet oder ablehnt, schlägt sich auch in Abstimmungen nieder. Um dies darzulegen, werden drei Abstimmungen der letzten drei Jahre exemplarisch untersucht.


Grafik 5: Verhältnis Frauenfördermassnahmen (Skala Pro=1 bis Contra=7) zu JA Familienartikel

Familienartikel (2013)

Die erste Initiative ist der Familienartikel, der 2013 trotz Volksmehr am Ständemehr Schiffbruch erlitt. Die Initiative wollte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit einem speziellen Förderartikel in der Bundesverfassung festhalten. Die Vorlage fiel durch eine äusserst starke Polarisierung auf. Ein Ja zur Initiative hätte sich klar positiv für Frauen mit Kindern ausgewirkt. Die Analyse zeigt, dass der Zusammenhang zwischen Zustimmung zu Frauenfördermassnahmen und der Initiative stark statistisch signifikant ist: Je eher die Bürgerinnen und Bürger Fördermassnahmen befürworteten, desto eher waren sie auch Unterstützer und Unterstützerinnen der Initiative.

 

Familieninitiative (2013)


Grafik 6: Verhältnis Frauenfördermassnahmen (Skala Pro=1 bis Contra=7) zu JA SVP-Familieninitiative

Die nächste Initiative im Fokus ist die von der SVP initiierte Familieninitiative, die 2013 an die Urne kam und mit 58.5 Prozent klar abgelehnt wurde.
Sie wollte einen höheren Steuerabzug für Eltern, die ihre Kinder selber betreuen. Im Gegensatz zur Kinderbetreuung durch Dritte ist hier nämlich von der Steuer nichts abziehbar. Die Vorlage unterstützte also denjenigen Teil der Frauen, die zuhause bleiben und keiner Arbeitstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt nachgehen. So wurde sie auch als Zementierung des klassischen Rollenbildes interpretiert. Die Ausgangslage aber war weniger klar als beim Familienartikel, da die Vorlage trotz ihrer Urheberschaft zum Teil auch bei Feministinnen auf offene Ohren stiess, da sie trotz allem einen Teil der Frauen unterstützte. Dies kann aber als Detail am Rande abgetan werden, da die Analyse trotzdem einen stark signifikanten Zusammenhang zeigt: Je eher man für Frauenfördermassnahmen war, desto eher war man gegen die Initiative.

 

Bundesgesetz über die Familienzulagen (2006)


Grafik 7: Verhältnis Frauenfördermassnahmen (Skala Pro=1 bis Contra=7) zu JA Bg Familienzulagen

Das letzte untersuchte Anliegen ist das Bundesgesetz über die Familienzulagen, das 2006 vors Volk kam und mit 68 Prozent Ja-Anteil klar angenommen wurde. Das Bundesgesetz hatte die Harmonisierung der Kinderzulagen und die Einführung von Minimalsätzen zum Ziel, was sich für viele Kantone de facto als Erhöhung der Kinderzulagen auswirkte. Die Argumente pro und kontra deckten ein breites Spektrum ab, es standen auch andere Faktoren zur Debatte, etwa die Diskussion über Föderalismus oder Zentralismus. Obwohl erhöhte Kinderzulagen indirekt sich als Fördermassnahmen für Frauen auswirken können, ist aufgrund der Vielschichtigkeit der Vorlage der Zusammenhang in diesem Fall nicht klar und auch nicht statistisch signifikant.

 

Frauen auf dem Arbeitsmarkt – wie weiter?

Die Datenlage zeigt auf, dass der vermeintliche Spitzenplatz der Schweiz bei der Frauenerwerbsquote in diesem Fall eher Ausdruck eines Problems ist: Grosse Ungleichheit bei Teilzeitstellen. Griffige Massnahmen und Anreize für eine Aufwertung der Teilzeitarbeit und deren Verbreitung bei Männern sind ein Lösungsansatz, der mit gleichzeitiger Stärkung externer Betreuungsangebote Erfolg verspricht. Auch ungerechtfertigte Lohnunterschiede, die nicht im Fokus dieser Untersuchung standen, sind Teil des Problems. Der letzte Teil der Analyse zeigte weiter auf, dass vor allem in der Deutschschweiz und im Tessin die Frauen immer noch auf wenig Unterstützung seitens des Staates zählen können. Hier gibt es noch Raum für Verbesserungen.

 

Titelinformationen: Frauen auf dem Arbeitsmarkt – die Schweiz als vermeintliches Vorzeigebeispiel

Autor: Julius Mattern, matternjulius@gmail.com, 12-723-920
Kurs: Politischer Datenjournalismus, HS 2016
Dozierende: Bruno Wüest, Michael Hermann, Fabrizio Gilardi
Anzahl Worte (exkl. Lead und Methodenbox): 1’161 / Abgabe 18. Dezember 2016
Datenquellen: VOX-Umfragen, BFS, Eurostat

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