Der Mindestlohn: Beschäftigungskiller oder -treiber?

Bald kommt die nächste Vorlage vors Volk, welche eine hitzige Debatte über die wirtschaftlichen Konsequenzen einer Annahme entfachen wird: Die Mindestlohninitiative. Der Mindestlohn ist momentan in aller Munde. Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in den USA und Deutschland ist er auf der politischen Agenda. Obama möchte ihn flächendeckend erhöhen und in Deutschland will ihn die grosse Koalition bis 2015 einführen.

Wieviele Arbeitnehmer wären direkt betroffen (in%)?


Die Mindestlohndebatte

Neben normativen Argumenten (‚faire Löhne für alle‚) prägen vor allem Aussagen über die Konsequenzen von flächendeckenden Mindestlöhnen die Debatte. Es ist jedoch nach wie vor höchst umstritten, welche Auswirkungen Mindestlöhne haben. Nicht nur Politiker und Interessenverbände, sondern auch Ökonomen sind sich nicht einig. Anhänger der neoklassischen Schule argumentieren, der Mindestlohn halte diejenigen Personen vom Arbeitsmarkt fern, deren Arbeit für Arbeitgeber weniger Ertrag bringe als das die Kosten für ihren Arbeitsplatz betragen würden[1]. Diese Tradition hat auf die Schweizer Gegner des Mindestlohns abgefärbt:

„Es besteht die Gefahr, dass Arbeitsplätze verschwinden…“

Bundesrat Schneider-Amman[2]

Die Befürworter stützen sich hingegen auf die nachfrageorientierte Kaufkrafttheorie[3]. Da die Kaufkraft der Niedriglohn-Arbeitskräfte mit dem Mindestlohn ansteige, führe dies zur Erhöhung des Gesamtkonsums. Ergo seien Mindestlöhne gesamtwirtschaftlich sinnvoll.

„… Der Mindestlohn schafft Kaufkraft und Arbeitsplätze.“

SGB[4]

Es gibt natürlich noch eine Vielzahl weiterer Aspekte in der Debatte, jedoch möchte ich mich auf die zentrale Frage der Effekte auf die Beschäftigung beschränken.

Mindestlöhne im internationalen Vergleich

Um die Vorzüge und Nachteile des Mindestlohns aufzuzeigen wird in der Schweizer Debatte oftmals auf das Ausland verwiesen.  Befürworter verweisen zum Beispiel auf Seattle, wo seit 15 Jahren der höchste Mindestlohn in den USA festgeschrieben ist und in diesem Zeitraum proportional am meisten neue Stellen geschaffen wurden[5]. Gegner verweisen lieber auf andere Beispiele:

„Ein Blick ins Ausland genügt. Je regulierter der Arbeitsmarkt, desto tiefer die Beschäftigung. Zudem schützt ein Mindestlohn nicht vor Armut und sozialem Abstieg. Hier genügt ein Blick nach Frankreich oder auch Grossbritannien.“

Karin Keller-Sutter , FDP [6]

Um die Tücken solcher Vergleiche zu vergegenwärtigen lohnt sich ein Blick auf Europa. Eine Vielzahl europäischer Staaten verfügt über gesetzlich festgelegte Mindestlöhne, in unterschiedlicher Höhe. Auch was die Erwerbsquote der Geringqualifizierten angeht, bestehen wesentliche Unterschiede. Europe Minimumwage Die Besorgnis der Schweizer Gegner des Mindestlohns ist vor allem auf die geforderte Höhe zurückzuführen, sie setzen diese in Relation mit den negativen Auswirkungen. Sehr tiefe Mindestlöhne sehen sie als weniger problematisch an.

„… so ist in Anbetracht der ausserordentlichen Höhe des geforderten Mindestlohns und der hohen Anzahl betroffener Personen mit Sicherheit mit negativen Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation zu rechnen. Gerade den niedrig qualifizierten Personen und jungen Erwachsenen würde es zusätzlich erschwert eine Stelle zu finden…“

Economiesuisse [7]

In dem Sinne müsste ein hoher Mindestlohn denjenigen schaden welche nach Vorstellung der Initianten profitieren sollten. Mit ansteigendem Mindestlohn wären vermehrt negative Effekte auf die Erwerbquote der Geringqualifizierten zu erwarten. Doch –  zumindest im europäischen Vergleich – ist kein negativer Zusammenhang zu erkennen, der in diese Richtung geht. ML&ERWggIm Gegenteil, unter den Staaten die einen Mindestlohn kennen, weisen die mit höherem Mindestlohn tendenziell sogar höhere Erwerbsquoten der Geringqualifizierten auf. Der positive Einfluss kann in einer statistischen Regressionsanalyse durch die Berücksichtigung anderer theoretisch relevanter Faktoren auf seine Robustheit geprüft werden, er könnte schliesslich auch ‚zufällig‘ sein[8]. Das Ziel ist es zu eruieren, welche Faktoren die Variation der Erwerbsquote am besten erklären bzw. vorhersagen.

Resultate der Regressionsanalyse
Abhängige Variable:
Erwerbsquote der Geringqualifizierten
(Model 1) (Model 2) (Model 3)
GAV Abdeckung 0.336** 0.267**
(0.132) (0.101)
Mindestlohnhöhe 0.997* 0.128
(0.511) (0.563)
Konjunktur 0.353 0.110
(0.277) (0.221)
Aktivierungsmassnahmen -19.251 38.411
(60.196) (45.301)
Konstante -4.260 13.750 22.098***
(21.108) (20.601) (5.163)
Observations 21 20 28
R2 0.167 0.477 0.428
Adjusted R2 0.123 0.337 0.357
Residual Std. Error 12.331 (df = 19) 10.942 (df = 15) 10.560 (df = 24)
F Statistic 3.802* (df = 1; 19) 3.414** (df = 4; 15) 5.994*** (df = 3; 24)
Notes: *p<0.1; **p<0.05; ***p<0.01

Werden weitere Faktoren miteingeschlossen (Model 2) schwächt sich die Erklärungskraft der Mindestlohnhöhe ab. Die Höhe der Erwerbsquote scheint hingegen systematisch mit dem Abdeckungsgrad durch Kollektivverträge zusammenzuhängen, auch wenn Staaten ohne Mindestlohn mitberücksichtigt werden (Model 3). Interessant ist dies weil die Lohnstruktur in den meisten Ländern stärker durch Kollektivverträge bestimmt wird als durch einheitliche Mindestlöhne[9]. Folglich überrascht es wenig, dass dem Abdeckungsgrad solcher Verträge in der Schweizer Debatte viel Gewicht beigemessen wird:

„Wegen schlechter GAV-Abdeckung braucht es einen gesetzlichen Mindestlohn für alle“

Vania Alleva, Co-Präsidentin Gewerkschaft Unia [10]

Kollektivverträge

Natürlich beharren auch Mindestlohngegner auf den Vorzügen von Gesamtarbeitsverträgen, da diese zumindest die Unterschiede zwischen Regionen und Branchen berücksichtigen. Bisher zögerten sie jedoch deren Ausdehnung weiter zu forcieren[11].

Die Grenzen der Mindestlohnforschung

Was ist das Fazit dieses Beitrags?  Die statistische Analyse zeigt, dass im europäischen Ländervergleich zunehmende Reglementierung der Lohnstruktur durch Kollektivverträge systematisch mit leicht steigender Erwerbstätigkeit der Geringqualifizierten miteinhergeht. Offen ist, ob die zwei Faktoren auch kausal zusammenhängen. Zu unterschiedlich sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den jeweiligen Ländern um daraus Schlüsse ziehen zu können. Zusätzlich scheinen drastische Auswirkungen höherer flächendeckender Mindestlöhne auf die Erwerbstätigkeit der Niedrigqualifizierten, seien sie positiver oder negativer Natur, im europäischen Vergleich nicht identifizierbar zu sein. Dieser Befund weicht nicht von den Erkenntnissen der Mindestlohnforschung ab, da auch in methodisch sophistizierteren Studien die empirische Evidenz meist uneindeutig und manchmal sogar widersprüchlich ist[12]. Arbeitgeber und -nehmer reagieren an vielen Fronten auf Mindestlöhne. Sie folgen unterschiedlichen Pfaden welche von  einer Vielzahl kontextueller Faktoren abhängen, die mit einem stets ‚limitierten Datensatz‘ nicht vollständig erklärt werden können. Manche erhöhen die Preise, reduzieren Arbeitsstunden oder Mitarbeiterbenefits, andere senken Löhne der besserverdienenden Belegschaft oder verschlanken die Arbeitsprozesse. Möglicherweise können Mindestlöhne zu einer Verminderung kostenintensiver Fluktuation führen, was Kosteneinsparungen ermöglicht. Arbeitnehmer könnten durch die höheren Löhne zu höherer Produktivität angespornt werden. All diese Optionen genügen um einen ‚messbaren‘ Stellenrückgang zu unterbinden oder abzuschwächen[13]. Mindestlöhne haben also auf jeden Fall Konsequenzen die zu folgenreichen Veränderungen in den betroffenen Betrieben führen. Doch inwiefern diese zu einem messbaren Rückgang der Erwerbstätigkeit führen ist fraglich. Das es sich ab einer gewissen Mindestlohnhöhe nicht mehr rechnet gewisse Stellen zu besetzen ist natürlich plausibel, aber wo (für wen) die Schwelle genau liegt, ist unklar. Daher ist in der Schweizer Mindestlohndebatte sowohl gegenüber der Panikmache der Gegner, als auch gegenüber den überoptimistischen Versprechen der Befürworter, eine  gesunde Portion Skepsis gefragt.

Blogbeitrag von Thomas Lo Russo (s07732928) ,  Wörter: 1025

thomas.lorusso@uzh.ch

Daten

Mindestlohnhöhe: Eurostat, Mindestlöhne 2011 gemessen am durchschnittlichen  Monatsverdienst. Indikator : [earn_mw_avgr2]

Erwerbsquote der Geringqualifizierten: Eurostat, Erwerbsquote 2011 nach Bildungsniveau. Indikator: [lfsa_ergaed]

Konjunktur: BIP Wachstum 2008-2011, Eigene Berechnung auf Basis der Jahresdaten von Eurostat. Indikator: [nama_gdp_c]

Aktivierungsmassnahmen: Eigene Berechnung des nach BIP und Arbeitslosenquote gewichteten Niveaus der Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik (ALMP), auf Basis der Daten von Eurostat. Indikator [lmp_expsumm]. Berechnung nach Vorbild von Oesch (2010).

Abdeckung durch Kollektivverträge: Die Abdeckungsraten sind nicht alle von 2011, manche Werte sind von 2010 oder 2012. Da die Jahr-zu-Jahr Unterschiede jeweils minim sind ist dies jedoch relativ unproblematisch. Die Zahlen stammen von : Fulton (2013): Worker representation in Europe. Labour Research Department: ETUI.  http://www.worker-participation.eu/National-Industrial-Relations.

Anteil der betroffenen Arbeitnehmer:

CH  Schweizerischer Arbeitgeber Verband (2014):  Positionspapier Mindestlöhne.

DE  Institut für Wirtschaftsforschung Halle (2013): Mindestlohn von 8,50 Euro: Wie viele verdienen weniger, und in welchen Branchen arbeiten sie?

USA Economic Policy Institute (2013): Minimum wage.


[1] Siehe dazu:  Detzer, Daniel (2010): Mindestlöhne und Beschäftigung – Die theoretische Debatte und empirische Ergebnisse. WSI-Mitteilungen 8. 412-418. S. 412.  http://www.boeckler.de/wsimit_2010_08_detzer.pdf
[2] Tagesanzeiger (2014): Schneider-Ammann kämpft gegen den Mindestlohn. 25.02.2012. http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/SchneiderAmmann-kaempft-gegen-den-Mindestlohn/story/20819506
[3] Siehe dazu: Lurenweg, Maren (2009): Dogmengeschichtliche Entwicklung der Kaufkrafttheorie der Löhne. Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 96 (4). 511-547. S. 512.
[4] Schweizerischer Gewerkschaftsbung (2014): Ein starkes Land braucht faire Löhne: Medienmitteilung vom 27.02.2014. http://www.sgb.ch/themen/arbeit/artikel/details/ein-starkes-land-braucht-faire-loehne/
[5] Ohanian, Matthias (2014): Mindestlohn: Taugt Seattle als Vobild für die Schweiz? Handelszeitung, 06.03.2014. http://www.handelszeitung.ch/konjunktur/mindestlohn-taugt-seattle-als-vorbild-fuer-die-schweiz-577484
[6] Karin Keller-Sutter (2014): Starkes Land.Liberaler Arbeitsmarkt. NZZ Mindestlohnblog, 14.02.2014. http://mindestlohn.blog.nzz.ch/2014/02/14/starkes-land-liberaler-arbeitsmarkt/ 
[7] Economiesuisse (2013): Mindestlöhne auf dem Prüfstand. Dossierpolitik 15. S. 11. http://www.economiesuisse.ch/de/PDF%20Download%20Files/dp15_Mindestlohn_20132511.pdf
[8] Ausgaben für Aktivierungsmassnahmen, Abdeckungsgrad durch Kollektivverträge sowie Mindestlohnhöhe sind gängig für Analysen was die Erwerbsquote der Geringqualifizierten angeht. Siehe z.B.: Oesch, Daniel (2010): What explains high unemployment among low-skilled workers? Evidence from 21 OECD countries. European Journal of Industrial Relations 16 (1). 39-55.
[9] Siehe dazu: Oesch (2010:40).
[10]UNIA (2014): Wegen schlechter GAV Abdeckung braucht es einen gesetzlichen Mindestlohn für alle. Pressemitteilung vom 27.02.2014. http://www.unia.ch/fileadmin/user_upload/News/Pressemitteilungen/2014/20140226_pk_sgb_milo/20140227_PK_Milo_Beitrag__Alleva.pdf
[11] NZZ (2014): Hoch umstrittener Lohnschutz. 06.03.2014.
[12] Eine gute Aufarbeitung des Forschungsstandes bietet: Schmitt, John (2013): Why Does the Minimum Wage Have No Discernible Effect on Employment? CEPR Center For Economic Policy Research : Washington.
[13] Diese Ausführungen beruhen auf: Schmitt, John (2013: S. 22)

1 comment

  1. Ein sehr informativer Artikel mit ganz wichtigen Informationen. Das Thema Mindestlohn ist ja schon seit längerer Zeit großes Thema, dies aber anhand von einem Beispiel zu erklären, finde ich sehr gut. So kann man die einzelnen Schritte auch tatsächlich nachvollziehen.

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