Praktisch alle Berufsgruppen wandern nach rechts – werden aber ausländerfreundlicher

Die meisten Berufsgruppen verschoben sich seit 1995 auf der klassischen links-rechts Achse nach rechts. Überraschenderweise wanderten nicht nur die typischen Arbeiterberufe nach rechts, sondern praktisch alle Berufsgruppen. Erstaunlich ist zudem, dass die Berufsgruppen gleichzeitig bei Fragen der Rechte für Ausländer zwar ausländerfreundlicher, aber auch europakritischer geworden sind.

Seit 1995 gab es diverse Abstimmungen, welche sich mit Fragen zu den Themen Migration, Europa,  Zuwanderung und Rechte für Ausländer befassten. Nach dem Nein zum Beitritt in den Europäischen Wirtschaftsraum (1992) verfolgte die Schweiz den bilateralen Weg mit der EU. Folglich kam es oft zu heiss diskutierten Volksabstimmungen, welche die beschriebenen Fragen betrafen.

  • Bilaterale Abkommen 1 (2000), 67.2% Zustimmung
  • Volksinitiative „für eine Regelung der Zuwanderung“ (2000), 36.2% Zustimmung
  • Bilaterale Abkommen 2, Schengen Dublin (2005), 54.6% Zustimmung
  • Bilaterale Abkommen 2, Personenfreizügigkeit (2005), 56.0% Zustimmung

Bei diesen vier Volksabstimmungen wurde noch europa- und ausländerfreundlich abgestimmt. Die Vorlage zur Wiederaufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU (Ja zu Europa, 2001) wurde dagegen abgelehnt. Dies zeigt, dass die Bevölkerung den bilateralen Weg bevorzugt und den Beitritt zur EU ablehnt. Seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) am 9. Februar 2014 hat der Wind womöglich gedreht. Bei einer Mehrheit der Bevölkerung macht sich eine stärkere Europaskepsis sowie eine zuwanderungskritische Haltung bemerkbar und der bilaterale Weg wird immer öfters kritisiert und hinterfragt. Auswertungen des Stimmverhaltens in den Gemeinden zeigen ebenfalls eine Zunahme der Angst vor Europa seit dem Jahr 2005.

Der Euroskeptizismus breitet sich aus

Am 30. November 2014 wurde jedoch der bilaterale Weg der Schweiz vielleicht wieder etwas gestärkt. Die Ecopop Initiative wurde an der Urne wuchtig abgelehnt. Dennoch zeigt sich ein Trend der wachsenden Skepsis gegenüber Europa.

Diese Tendenz spiegelt sich teilweise auch in den Einstellungen der einzelnen Berufsgruppen wider. Die Internationale Arbeiterorganisation der Vereinten Nationen, welche sich für die Rechte der Arbeiter auf der ganzen Welt einsetzt, erfasst seit 1988 weltweit verschiedene Daten zu Berufsgruppen. Mit der ISCO88 Klassifikation teilt sie einzelne Berufsgattungen in zehn Hauptkategorien ein. Dazu gibt es zu jeder dieser Hauptkategorien noch vier Unterkategorien, welche die Berufsgruppe noch genauer unterscheidet. Diese Auswertung beschränkt sich zur Vereinfachung der Grafik auf die zehn Hauptkategorien, wobei die Kategorie der Streitkräfte wegen einer zu kleinen Fallzahl weglassen wird.

Berufsgruppen zeigen sich immer offener gegenüber der Gleichberechtigung der Ausländer – rutschen aber nach rechts

Eine überraschende Tendenz zeigt sich bei der spezifischen Frage der Gleichberechtigung von Ausländern und Schweizern. Die Auswertung der jeweiligen Positionierung der Berufsgruppen bezüglich dieser Frage zeigt eine klare Verschiebung der Position in Richtung Gleichberechtigung der Ausländer seit 1995. Bei praktisch allen Berufsgruppen, ausser bei den Handwerksberufen, änderte sich die durchschnittliche Einstellung in diese Richtung.

 


Am stärksten ist dies bei der Berufsbranche der Landwirtschaft zu beobachten. Seit 1995 stieg der Wert um 27.4%. Einzig bei den Handwerksberufen ist ein schwacher negativer Trend auszumachen.


Betrachtet man die einzelnen Legislaturperioden, erkennt man die extreme Änderung in Richtung Chancengleichheit für Ausländer zwischen 1999 und 2007. Seit 2007 ist der Trend wieder rückläufig. Dies ist ein mögliches Indiz für die Annahme der MEI im Jahr 2014 und deutet auf die steigende Angst vor einer möglichen Überfremdung hin.


 Berufsgruppen wandern zwar nach rechts – stehen der Chancengleichheit gegenüber Ausländer trotzdem offener gegenüber

Bei der links-rechts Selbstpositionierung sieht das Bild unerwartet aus. Praktisch alle Berufsgruppen wanderten nach rechts. Nur gerade die Wissenschaftler und die Dienstleistungsberufe rutschten in der Periode von 1995 bis 2011 nach links. 1995 waren die Berufsgruppen zudem noch geeinter. Der ideologische Abstand auf der links-rechts Achse hat sich um ca. 44% vergrössert. Es findet also eine gewisse Polarisierung statt.
Alle üblichen Berufsgruppen tendieren nach rechts. Dass also nur die Arbeiterklasse alleine neu rechts (SVP) wählt, stimmt nicht ganz. Es gab einen allgemeinen Rutsch der politischen Einstellung nach rechts.


Berufsgruppen zeigen sich immer europaskeptischer

Bei der Auswertung der jeweiligen Positionierung der Berufsgruppen bezüglich der Frage eines EU-Beitritts, zeigt sich jedoch eine erwartete Verschiebung der Position seit dem Jahr 1995. Anfangs stand nur die Berufsbranche Landwirtschaft abseits der restlichen Branchen. Der Abstand zwischen der europafreundlichsten Berufsgruppe im Jahr 1995 (Wissenschaftler) und der europaskeptischsten (Landwirtschaft) betrug noch 0.34 Punkte. Bis zum Jahr 2011 schrumpfte dieser Abstand um ca. 40%. Alle Branchen positionierten sich europakritischer im politischen Raum.

Neupositionierung der Berufsgruppen in der EU-Frage

 


Bei allen Berufsbranchen hat die Zustimmung zu einem EU-Beitritt extrem abgenommen. Wenn man die gesamte Zeitdauer zwischen 1995 und 2011 betrachtet, nahm sie in allen Branchen um über 40% ab. Am stärksten wendeten sich die Hilfsarbeitskräfte von der EU ab (-61.7%). Nur bei den Wissenschaftlern und der Landwirtschaft blieb die Änderung unter 50%.


Betrachtet man die einzelnen Legislaturperioden, erkennt man erstaunliches. Zwischen 1995 und 1999 stieg bei einigen Berufsgruppen die Zustimmung zur EU. Allerdings sank diese in den Legislaturperioden 1999-2003 und 2007-2011 wieder extrem. In den Jahren 2003-2007 gab es einen deutlich geringeren Rückgang. In diese Periode fallen auch die beiden Abstimmungen zu den Bilateralen Abkommen 2. Der deutlich geringere Ja-Stimmenanteil als noch bei den Bilateralen Abkommen 1 spiegelt sich also in dieser Grafik wider. Ein stark wachsender Euroskeptizismus führte zu einer kleineren Zustimmung bei europafreundlichen und somit öffnungspolitischen Fragen.


 Starke Abnahme der Zustimmung zu Europa in den Nullerjahren

Ein konzentrierter Blick auf die letzte Legislaturperiode (2007-2011) zeigt einen erneut starken Rückgang bei allen Berufsgruppen hinsichtlich eines Beitritts zur EU und somit auch öffnungspolitischen Fragen. Bei allen Branchen nahm die Zustimmung zur EU um mindestens 20% ab. Am stärksten ist dies erneut bei den Anlagen- und Maschinenbediener (-40.2%) zu beobachten. Die seit dem Jahr 2009 andauernde Eurokrise hatte sicherlich auch einen möglichen Einfluss auf die Abnahme der Zustimmung zur EU.
Die MEI vom 9. Februar 2014 lässt vermuten, dass die eindeutige Entwicklung eines wachsenden Euroskeptizismus der Berufsgruppen möglicherweise weiter fortgeschritten ist, was zu deren Annahme führte. Eine definitive Aussage lässt sich erst mit den Daten aus dem Jahr 2015 machen. Dann wird man sehen, ob sich die Entwicklung fortsetzt, der Trend stagniert oder eine Gegenentwicklung stattgefunden hat.


Autor: Philipp Möhr / philipp.moehr@uzh.ch / 10-711-158 / Abgabedatum 7.12.2014
Blog: Im Rahmen des Forschungsseminars Policy Analyse: Politischer Datenjournalismus
Dozenten: Dr. Sarah Bütikofer, Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann und Dr. des. Bruno Wüest
Daten: Selects Datensatz (aus der Vorlesung: Forschungsseminar Policy-Analyse: Politischer Datenjournalismus), isco88 Klassifizierung, International Labour Organization, Swissvotes, Bundesamt für Statistik
Wörter: 920

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