Konservative Werte auf dem Vormarsch

Die Betrachtung der Werteeinstellungen der Schweizer Stimmbevölkerung zeigt: In der zeitlichen Entwicklung mehrerer Grundwerte lassen sich Trendwenden erkennen. Spannend wird es dann, wenn man die Stimmbevölkerung in zwei Gruppen teilt: Die Abstimmenden und die Nicht-Abstimmenden.

Konservatives Potential

Die Ergebnisse der eidgenössischen Parlamentswahlen dieses Herbstes zeigten, was hier bestätigt wird: Das Schweizerische Stimmvolk denkt in den polarisierenden, öffentlichen Themen zunehmend eher konservativer als noch vor einigen Jahren. Entscheidend ist, dass gesellschaftliche, politische oder wirtschaftliche Ereignisse der letzten Jahre dieses Werteverhalten beeinflusst haben. Themen wie die Wirtschaftskrise, Eurokrise und Migration prägen den öffentlichen Diskurs massgeblich. Dies resultiert in Werteveränderungen der Stimmbürgerinnen und der Stimmbürger. Dass diejenigen, die nicht abstimmen, diese Trendwende tendenziell unterstützen, zeigt das Potential gewisser politischer Gruppen. Dieses Potential könnte von der politischen konservativen Elite durch erfolgreiches Mobilisieren (noch besser) ausgeschöpft werden.

Wertewandel bei der Chancengleichheit

Die Schweizer Stimmbevölkerung wird innerhalb der VOX- Umfrage zu jedem eidgenössischen Abstimmungstermin zu seinen Grundwerten befragt. Die Grundwerte, welche systematisch seit 1993 erfasst werden, decken wirtschaftliche, soziale und politische Themen ab. Sie werden anhand von einer Skala von 1-6 und zwei gegenüberstehenden Antwortkategorien erfragt. Die Frage nach der Wertpräferenz der befragten Person bezüglich der Chancengleichheit lautet: „Bitte sagen Sie mir, was Sie sich für die Schweiz wünschen. Wenn Sie mit dem ersten Teil der Vorgabe übereinstimmen, wählen Sie die Zahl 1 oder eine Zahl nahe bei 1. Wenn Sie mit dem zweiten Teil der Vorlage übereinstimmen, wählen Sie die 6 oder eine Zahl nahe bei 6. Eine Schweiz mit gleichen Chancen für Ausländer und Ausländerinnen, oder eine Schweiz mit besseren Chancen für die Schweizer und Schweizerinnen?“

Chancengleichheit

Obwohl das Stimmvolk in den letzten zwanzig Jahren stets für eine Bevorzugung der Schweizerinnen und Schweizer war, und die Abstimmenden im letzten Jahrtausend noch zu einer offenen Haltung tendierten, lässt sich spätestens 2007 eine klare Trendwende beobachten. Da begann einen deutlicher Umschwung- hin zu einer grösseren Bevorzugung der Schweizerinnern und Schweizern. Die urnenabstinenten Personen wünschen sich eine Bevorzugung der Schweizerinnen und Schweizer gar noch mehr. In den letzten Jahren fand in der Schweiz eine ausgeprägt polarisierende Migrationsdebatte statt, welche diesen Wertewandel zu beeinflussen scheint. Die Annahmen der Minarett -, Ausschaffungs – und der Masseneinwanderungsinitiativen (2009, 2010 und 2014) bestätigen diese Trendwende. Die Deutlichkeit des Potentials des konservativen politischen Lagers in der Asylpolitik wird hier in aller Deutlichkeit sichtbar.

Andere Fragen – gleiches Muster

In weiteren Wertepaarungen zeigt sich, dass sich das Stimmvolk in einer Entwicklung in Richtung eher konservativen Wertvorstellungen bewegt im Vergleich zu vor 16 Jahren. So befürwortet eine Mehrheit der Abstimmenden und eine deutliche Mehrheit der Nicht-Abstimmenden die Unterstützung des Föderalismus. Sogar in einer Paarung wie „Umweltschutz vs. wirtschaftlicher Wohlstand“ wird der Trend bestätigt. Obwohl sowohl Abstimmende, wie auch Nicht- Abstimmende Umweltschutz eher über den wirtschaftlichen Wohlstand setzen, bestätigt ein sichtbarer Umschwung 2009/2010 den vermehrten Wunsch nach wirtschaftlichem Wohlstand. Diese Aufwärtsbewegung wurde auch nicht nachhaltend durch globale Umweltschocks, wie Fukushima (2011) unterbrochen. Auch hier fällt die restriktivere Einstellung (eher für Prosperität) der Nicht- Abstimmenden gegenüber den Abstimmenden
auf.

Wunsch nach mehr aussenpolitischer Abschottung

Aussenpolitik

Die Betrachtung der Grundwerte zur Schweizerischen Aussenpolitik zeigt, dass sich die Abstimmenden und die urnenabstinenten Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bis anfangs der 2000er Jahre relativ einig waren. Sie wollten eher eine Schweiz, die sich nach aussen hin öffnet. Die Schere zwischen den Abstimmenden und den Nichtabstimmenden vergrösserte sich jedoch bald, auch wenn sich die grundlegende offene Einstellung nicht änderte. Die globale Finanzkrise, die anschliessenden Eurokrise, welche in Banken – und Wirtschaftskrisen im europäischen Raum resultierte, legten anscheinend den Grundstein für eine zunehmend restriktive Haltung gegenüber einer Öffnung der Schweiz. Diese Entwicklung ist bei den urnenabstinenten Personen noch klarer zu beobachten. Spannend ist, dass die Schere zwischen den beiden Gruppen sich ab 2010 wieder zu schliessen scheint. Die Masseneinwanderungsinitiative, die im Februar 2014 angenommen wurde, unterstreicht den Abschottungstrend- trotz theoretisch durchschnittlich offener aussenpolitischer Einstellung des Schweizerischen Stimmvolkes.

Keine Dynamik in unpopulären Themenfeldern

Eine Einordnung zwischen konservativen und eher moderneren Einstellungen scheint in folgenden Themenfeldern eher schwierig. So wünscht sich das Schweizerische Stimmvolk seit jeher eine ordentliche und sichere Schweiz (Tendenz steigend). Auch in Sachen direkte Demokratie scheint langwährende Einigkeit zwischen dem aktiven und passiven Stimmvolk zu herrschen: Die Bürgerbeteiligung für wichtige politische Entscheidungen ist relevant und wird geschätzt. Über die Jahre gesehen sind keine nennenswerten Unterschiede feststellbar zwischen Abstimmenden und Nicht-Abstimmenden, sowie keine erheblichen Werteverschiebungen. Diese Aussage gilt auch für die Wertschätzung der Vollbeschäftigung, die einen grossen Stellenwert geniesst.

Staatseingriff versus wirtschaftlicher Wettbewerb

Eine grosse wirtschaftliche Frage, die sich nicht in das konservativ- modern- Schema einordnen lässt, ist die Gratwanderung zwischen einem möglichen Eingriff des Staates in die Wirtschaft und offener Wirtschaftspolitik, die den wirtschaftlichen Wettbewerb begrüsst. Bis zum Jahr 2008 verlief die Kurve konstant fallend Richtung Staatseingriff. Ab 2009 – nach dem staatlichen Rettungsschirm für die UBS im Oktober 2008 – scheint eine Wende zu beginnen. Das Stimmvolk entscheidet sich wieder vermehrt für liberale Werte und scheint Wirtschaftskonkurrenz als einen wichtigen Grundpfeiler des Schweizerischen Wirtschaftssystems zu halten. Die Nichtabstimmenden teilen das gleiche Werteverhalten wie ihre politischen Kollegen.

Dynamik in der Armeefrage

Armee

Die Armeefrage ist von einer hohen Dynamik geprägt. Das Stimmvolk zeigt sich über die Jahre gesehen unentschlossen, ob es eher für eine Schweiz mit starker Armee oder ohne Armee werten will. Die neuste Trendwende beginnt nach 2007: Armeefragen konnten beim Stimmvolk wieder an Relevanz dazugewinnen. Nichtabstimmende kennzeichnen diese Wende erneut stärker als die abstimmenden Bürgerinnen und Bürger. Fest steht, dass die Ablehnung der Gripen-Initiative 2014 inkonsistent mit der seit 2008 eher ablehnenden Haltung gegenüber der Armee steht. Eine Mobilisierung der Nicht- Abstimmenden würde gegenwärtig eher für eine offenere Armeepolitik führen und erneut eher konservative Werte unterstützen.

________________________________________
Methoden:

Diese Analyse basiert auf VOX- Umfragedaten, die vom GFS-Bern zu den Abstimmungen durchgeführt werden. Fragen zu den Werteinstellungen der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger werden seit 1993 erhoben Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich zwischen 1997 und 2014. Für die Analyse wurde der durchschnittliche absolute Wert der Umfrageteilnehmenden pro Frage und Abstimmungstermin verwendet. Die Aussagen der Analyse sind als Tendenzen zu verstehen. Die Validität des Messinstruments wird als gut angesehen. Die Wertefragen erfassen die Einstellung der Teilnehmenden umfassend auf allen relevanten Ebenen. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass die Fragen relativ offen gestellt werden, womit Interpretationsspielraum bleibt. In die Analyse wurden nur einige der erhobenen Wertefragen einbezogen. Die Vollständigkeit der Daten musste für die Durchführung der zeitlichen Analyse gewährleistet sein.
________________________________________
Quellen:

Hermann, Michael (2015): Lebensalter und die Einstellung zum Fremden. Eine Analyse im Auftrag der Integrationsförderung der Stadt Zürich.(http://sotomo.ch/wp/lebensalter-und-die-einstellung-zum-fremden/[29.11.2015]).

Longchamp, Claude, Imfeld, Martina, Tschöpe, Stephan, Müller, Meike, Rochat, Philippe, Schwab, Johanna  (2015): VOX- Trend- Jahresbericht 2014: Das neue Gesicht des Schweizer Modernismus- Studie zum Wertewandel in der Schweiz. Hohe Involvierung und Hohes Interesse an Politik in Jahr vor den Wahlen. (http://www.gfsbern.ch/de-ch/Detail/vox-trend-jahresbericht-2014 [29.11.2015]).

Grafiken:
1 -3: : Eigene Darstellungen; Quelle: http://www.gfsbern.ch/de-ch/Publikationen/VOX-Analysen

________________________________________

Autorin: Nicole Bosshard, nicole.bosshard@uzh.ch, s10714483
Veranstaltung:Forschungsseminar der Universität Zürich, Herbstsemester 2015,
Universität Zürich Dozierende: Prof. Dr. F. Gilardi, Dr. M. Hermann, Dr.des. B. Wüest
Wörter: 928 (exkl. Titel, Lead, Methoden, Quellen)
Abgabedatum: 06.12.2015  

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .