Twitter: Politiker aus der Provinz bekämpften Durchsetzungsinitiative online am stärksten

Derart stark wurde sich lange nicht über Politik gestritten wie vor der Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative (DSI). Diese wollte die Abschiebung straffälliger Ausländer erleichtern. Stets sah es so aus, als behielte das Ja-Lager auch am 28.02.2016 die Oberhand, doch im letzten Drittel des Kampfes um jede Stimme machten die Gegner immer mehr Boden gut. Besonders im Fokus der Mobilisierung: Ihre starke Twitterpräsenz. Gerade außerhalb der Ballungszentren wurde das neue Medium von ihnen stark genutzt.

In der Schweiz ist das Phänomen, den Abstimmungskampf nicht nur auf der Strasse sondern auch in den sozialen Medien, insbesondere auf Twitter zu führen, noch relativ neu. Das Gezwitscher scheint unseren Politikern zu gefallen. Jüngst waren über 2000, vom Kommunalpolitiker bis zum Nationalrat, in dem immer beliebteren Netzwerk aktiv. Dort war in den letzten Monaten besonders die Durchsetzungsinitiative ein heiß diskutiertes Thema. Dabei ist es den Gegnern der Volksinitiative gelungen, die sozialen Medien ausdauernder und erfolgreicher für ihre Ziele zu nutzen. Während bis weit in den Winter hinein alles auf eine Annahme der Durchsetzungsinitiative hindeutete, drehte nach und nach der Wind. Das Nein-Lager konnte immer mehr zulegen und schließlich einen politischen Sieg für sich verbuchen. Die Bilder des feiernden Libero-Komitees und zahllose SVP-Satiren sprechen seit dem 28. Februar Bände.

Alle Möglichkeiten genutzt

Neben den absoluten Zahlen interessiert sich die Politikwissenschaft natürlich genauso für deren geografische Verteilung. Woher kamen die Stimmen? Taten sich Politiker aus einem speziellen Kanton ganz besonders engagiert hervor? Forscher der Universität Zürich wollten dieser Frage auf den Grund gehen. Dazu erarbeiteten sie eine alle auf Twitter aktiven schweizer Politiker umfassende Datenbank. Aus rund 1,2 Million Tweets wurden jene mit dem Hashtag #dsija (für die Durchsetzungsinitiative) und #dsinein (gegen die Initiative) herausgefiltert. Bereits in diesem ersten Schritt waren die Ergebnisse überraschend und zeugen von einem stärkeren Twitterengagement gegen die Initiative:

Diese Zahlen erlaubten es später ein für die Bevölkerungszahl der Kantone korrigiertes Bild der politischen Twitteraktivität zu zeichnen. So verschieden wie die politische Kultur der Kantone, so unterschiedlich war auch das Twitterengagement ihrer Politiker. Aus 20 der 26 Kantonen waren Nein-Stimmen zu hören. Besonders bemerkenswert: Nicht die Politiker aus den Metropolen führen dieses Classement an. Auf jeden Einwohner kommen die meisten Politikertweets gegen die DSI aus eher weniger dicht besiedelten Gegenden:

Während man sich in Zug und Appenzell-Außerrhoden mit der politischen Nutzung sozialer Medien sehr zurück hält, waren Politiker wie beispielsweise Marc Buergi (BDP) aus Basel-Landschaft der unangefochtene „Twitter-GTI“ gegen die DSI. Noch vor Basel-Stadt und Zürich komplettieren die Kantone Bern und das ebenfalls ländliche Solothurn das Spitzenfeld in puncto erfolgreicher Twittermobilisierung. Hier taten sich Ruedi Löffel (BE, EVP) und Heidi Lemmana (SO, FDP) als aktive Nein-Twitterer heraus. Bemerkenswert ist, dass trotz der Amtssprache Französisch auch zahlreiche ablehnende Tweets aus dem Kanton Waadt auf Deutsch gesendet wurden.

Die andere Seite der weißen Taube

Thurgau. Zürich. Sankt Gallen. Ausschließlich aus diesen drei Kantonen twitterten Politiker für die Initiative. Besonders aus dem Thurgau kamen mit den zahlreichen Tweets von Marco Rüegg (FDP) und von Werner Bechtel (SVP) aus Zürich die meisten Stimmen, die für eine Annahme der DSI an der Urne warben. Verglichen mit ihnen fallen die  wenigen Twitterstimmen der Ostschweizer Politiker kaum mehr ins Gewicht.

SVP-Hochburg Schwyz zwitschert gegen die DSI

Während das Tessin und katholische wie konservative SVP-Bastionen der Innerschweiz die Initiative annahmen, scheiterte sie in den restlichen Ständen bekanntermaßen knapp bis stark.

Amtliches Endergebnis der Volksabstimmung über die Durchsetzungsinitiative. Quelle: Tagesanzeiger.

Wie gut lassen sich aktuell die kantonalen Abstimmunsrgebnisse mit dem Twitterverhalten ihrer Politiker in Verbindung bringen? Auffällig: Der Kanton Zürich lehnte die DSI sowohl mit einem eher hohen Neinanteil ab als auch zeigten Zürcher Politiker eine starke Twitteraktivität gegen die DSI (zu erkennen an der dunkleren Rotfärbung in der vorhergehenden und folgenden Karte). Ganz offensichtlich bestand hier eine bemerkenswerte Einigkeit zwischen Stimmvolk und twitteraffinen Politikern. Für die im Folgenden weiß eingefärbten Kantone liegen keine oder nur unzureichende Daten von Twitter vor. Dies ist insbesondere für die meisten deutschschweizer Gegenden, welche die Initiative annehmen (AI, NW, OW, UR), der Fall. Eine erstaunliche Ausnahme bildet der Kanton Schwyz, wo ein interessanter Gegensatz zwischen Stimmausgang und Twitterverhalten einzelner Politiker besteht. Die dortige Bevölkerung votierte zwar klar für eine raschere Abschiebung straffälliger Ausländer, jedoch setzte sich mit Pietro Imhof (GLP) ein Politiker aus dem Kanton besonders stark ein und brachte Schwyz somit im Twitterranking gegen die DSI auf Platz neun.

Je dunkelroter der Kanton, desto stärker mobilisierten dortige Politiker auf Twitter gegen die DSI.

Wenn bei einer konfliktiven Vorlage wie dieser die Meinungen stark auseinander gehen, gibt es auch im Pro-Lager Erstaunliches zu beobachten. Aus der Twitterdatenbank der Universität Zürich konnten nur für Politiker aus drei deutschschweizer Kantonen Tweets unter dem Hashtag #dsija ausgelesen werden. Diese kamen bemerkenswerterweise aus drei Ständen, in denen die Initiative schlussendlich chancenlos blieb. Politiker aus dem Thurgau, einer der Stammregionen der SVP, setzten sich schweizweit als einzige verstärkt für die DSI ein. Trotz dieser vergleichsweise starken Mobilisierung wurde die Initiative im Thurgau abgelehnt. Der Kanton Zürich scheint aufgrund der dort geringeren Twitteraktivität der Befürworter wenig geeignet. Der Kanton Sankt Gallen ist für belastbare Aussagen zum Verhältnis von Ja-Tweets zum Abstimmungsergebnis gänzlich untauglich.

Aus dem Thurgau kamen absolut und relativ die meisten die Initiative befürwortenden Politikertweeds unter dem Hashtag #dsija.

Unter dem Strich wird deutlich, dass nirgendwo das Gezwitscher für ein Ja den Ausschlag geben und den Kanton für sich gewinnen konnte. Zwischen dem Nein-Lager in der Bevölkerung und der aus ihrem Kanton stammenden Politikern besteht hingegen oft eine hohe Kongruenz. Oft war es, wie zum Beispiel in Bern, Zürich und Basel-Stadt nicht möglich eine Mehrheit der Bevölkerung zu einem Ja zu bewegen. Zeitgleich finden sich die drei Kantone in den „Top 5“ der #dsinein – Twitterer. Leider ist es anhand vorliegender Daten nicht möglich eine robuste Kausalität auszuweisen. Die digitale weiße Taube scheint den einen oder anderen in seiner Entscheidung, die Initiative abzulehnen, bestärkt zu haben. Ob sie aber das Zünglein an der Waage war, ist nicht nachweisbar.

Was am Ende bleibt

Zuletzt bleiben nicht nur glückliche Sieger und enttäuschte Verlierer der Abstimmung. Unter dem Strich öffnet diese Auswertung den Weg zu einer spannenden Fallstudie im Forschungsfeld der Innerschweiz. Einzig im Kanton Schwyz findet sich ein krasser Gegensatz zwischen Volk und Politik. Wo ein konservatives Elektorat die Durchsetzungsinitiative annahm, stellten sich ihm liberale Politiker wie Pietro Imhof im Zeichen des Hashtags entschieden entgegen.

Quellen:

Grafik, Ergebnisse der Abstimmung zur DSI: Tagesanzeiger

Erstellte Grafiken zur Twitteraktivität in den Kantonen: Visualisierte geographische Karten

Einwohnerzahlen der Kantone: BFS

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .