Quo vadis, Zürcher?

Quo vadis, Zürcher?

Anhand der Analyse der Wegzüge aus Zürich kann man die Attraktionskraft der anderen Gemeinden des Kantons für wegziehende Zürcher messen. Stimmt es, dass es die Reichen an die Sonne zieht?

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Wenn das Ändern der Handynummer eine Art Selektion der zwischenmenschlichen Beziehungen ist, dann kann man wohl den Wohnortswechsel als umfassende Re-Kalibrierung unserer sozialen Bindungen ansehen.  Der Entscheid, den Lebensmittelpunkt zu verlegen, könnte für die Einwohner von Zürich noch schwieriger als für andere Leute sein. Sie geniessen nämlich eine der gemütlichsten und inklusivsten Städte Europas, deren hohe Lebensqualität sowohl seitens der Medien als auch seitens des Bundesamtes für Statistik breit thematisiert wird. Zürich ist in diesem Sinne oft das polarisierende Objekt von Analysen, die sich auf die Entwicklungsdynamik der Stadt auf soziodemografischer Ebene fokussieren und die ausgesprochene Attraktivität dieser Stadt für junge und erfolgreiche Leute hervorheben.

Es gibt aber doch Leute, die entscheiden, aus Zürich wegzuziehen. Vielleicht handelt es sich um eine Flucht vor steigenden Mietzinsen, vielleicht ist es die Aussicht auf tiefere Steuerfüsse oder vielleicht sogar eine Hipster-Allergie: Die Gründe für einen «Zurich out»  sind vielfältig. Diese Motive konkretisieren sich in Zahlen, welche absolut betrachtet die Stärke des Phänomens verdeutlichen. In der Zeitspanne 1993-2017 wurden fast eine Million Wegzüge aus der Stadt Zürich registriert, wovon ein Drittel in andere Gemeinden des Kantons Zürich erfolgte. Die Tendenz, aus Zürich wegzuziehen, aber im Kanton zu bleiben, kann dazu führen, dieses weniger untersuchte Pendant zur Polarisierungskraft von Zürich begreifbar machen zu wollen. Dass Zürich attraktiv ist, gehört sozusagen zum Allgemeinwissen. Aber welches sind denn nun die attraktivsten Gemeinden für wegziehende Zürcher?

Die Attraktionskraft als Basis zum Attraktivitätsvergleich

Um diese Frage beantworten zu können, muss man zuerst die «Attraktivität» in diesem Kontext definieren, was eine eher knifflige Angelegenheit ist. Zur sinnvollen Auswertung der absoluten Wegzugszahlen und letztlich zur Bestimmung der relativen Attraktivität der einzelnen Gemeinden ist eine Gewichtung vorzunehmen, welche der Grösse der Gemeinden und der Grösse der Gruppe von Wegziehenden, welche man konkret untersuchen will, Rechnung trägt. Nur so wird die Attraktivität der Gemeinden des Kantons Zürich aus einer vergleichenden Perspektive zugänglich. Die Attraktivität wird hier als «Attraktionskraft» bezeichnet und als  (1) Zahl der Zuzüge aus Zürich in eine Gemeinde, (2) in einer gewissen Zeitspanne, (3) pro hundert Einwohner dieser Gemeinde und (4) pro hundert wegziehender Zürcher in der untersuchten Zeitperiode beziehungsweise in der analysierten Kategorie definiert.

Die zeitliche Perspektive


Diese methodologische Prämisse schafft die Verständnisbasis für die ersten Befunde unserer Untersuchung: Es gibt Gemeinden des Kantons Zürich, die für die Einwohner von Zürich attraktiver als andere sind, wenn vom Wegzug aus der Stadt die Rede ist. Aus der Attraktionskraft der verschiedenen Gemeinden kristallisiert sich ein wiederkehrendes Attraktionsmuster, welches einerseits die zentrale Bedeutung der geographischen Nähe zur Stadt Zürich unterstreicht, und andererseits das Stereotyp der anziehenden Kraft von den Gemeinden der Gold- und Pfnüselküste teilweise bestätigt.

Die Visualisierung der Attraktionskraft im Laufe der Zeit

Die zeitliche Komponente ermöglicht zudem Aussagen über die Entwicklung dieses Attraktionsmusters. Auch wenn sich das generelle Bild nicht in erheblichem Masse verändert hat, kann man wohl sehen, wie die starke Attraktionskraft von gewissen Gemeinden mit der Zeit ein bisschen verwässert wurde: Gemeinden wie Stallikon, Uitikon, Oberengstringen oder Birmensdorf ziehen absolut betrachtet noch viele wegziehende Zürcher an, aber  – proportional mit ihrer gewachsenen Einwohnerzahl – nicht mehr so viele wie noch in den neunziger Jahren. Man könnte plakativ behaupten, dass es ihnen nicht komplett gelungen ist, mit ihrem Erfolg und mit ihrer Attraktivität im Laufe der Zeit mitzuhalten. Auch die Goldküste scheint in diesem Sinne heute nicht mehr so attraktiv wie in der Vergangenheit zu sein. Andere Gemeinden hingegen halten ihre Attraktionskraft aufrecht oder werden sogar attraktiver. Als exemplarisches Beispiel kann hier Opfikon angeführt werden.

Die ökonomische Perspektive

 

Die Berücksichtigung der zeitlichen Perspektive hat mögliche Zweifel aus dem Weg geräumt: Es gibt ein Attraktionsmuster, das im Laufe der Zeit auf mehr oder weniger ähnliche Weise die Attraktivität der einzelnen Gemeinden des Kantons Zürich für wegziehende Zürcher verdeutlicht. Ist dieses Schema nicht nur zeitlich, aber auch für verschiedene Einkommensklassen wegziehender Zürcher tendenziell stabil? Da wir über das Äquivalenzeinkommendas Einkommen, das jedem Mitglied eines Haushalts, wenn es erwachsen wäre und alleine leben würde, den gleichen Lebensstandard ermöglichen würde, wie es ihn innerhalb der Haushaltsgemeinschaft hat – der Einwohner der Stadt Zürich im Jahr 2014 verfügen, können wir Aussagen darüber machen, wie sich die Angehörigen unterschiedlicher Äquivalenzeinkommensklassen in den nachfolgenden Jahren beim Wegzug in andere Gemeinden des Kantons verhalten haben. Die Analyse begrenzt sich hier somit auf die Jahre 2014-2017 und bringt letztlich die Attraktionskraft der Gemeinden des Kantons Zürich in diesem Zeitraum für drei verschiedene Klassen von aus der Stadt Zürich Wegziehenden zum Ausdruck.

Die Visualisierung der Attraktionskraft nach Einkommensklassen 

Die Visualisierung des Einflusses des ökonomischen Faktors auf die Attraktionskraft der Gemeinden, auch wenn stark von der geringen Zahl an Observationen beeinträchtigt, vermittelt das Bild eines vergleichbaren Attraktionsschema für die drei Einkommensklassen. Es gibt aber doch Unterschiede, die mit der Einkommensklasse der wegziehenden Zürcher verbunden zu sein scheinen. Abgesehen von einzelnen Gemeinden wie Stallikon, die sich durch eine ausgeprägte Attraktionskraft für Zürcher aller Einkommensklassen auszeichnen, scheint die Anziehungskraft der meisten Gemeinden mit dem  Einkommen der aus Zürich wegziehenden Personen zu korrelieren. «Fancy Gemeinden» wie Küsnacht, Zollikon oder Kilchberg bestätigen das Stereotyp einer ausgeprägten anziehenden Kraft für die wegziehenden Zürcher, die besser verdienen. Andere Gemeinden – zum Beispiel Opfikon, Schlieren und Dübendorf – sind vor allem für Zürcher mit einem nicht so hohen Äquivalenzeinkommen attraktiv.

Die mögliche Bedeutung des Steuerfusses

In diesem Zusammenhang könnte man auch Überlegungen zur Bedeutung des Steuerfusses und zur Differenz zwischen dem Steuerfuss von Zürich und demjenigen der anderen Gemeinden des Kantons in die Analyse einfliessen lassen: Man kann wohl sehen (bei der Visualisierung mit den Karten), wie fast alle Gemeinde, die für alle drei Einkommensklassen der wegziehenden Zürcher eine starke Attraktionskraft aufweisen,  tiefere Gesamtsteuerfüsse im Vergleich zu demjenigen der Stadt Zürich haben. Niedrige Steuerfüsse scheinen also – wenn sie mit einer geographischen Nähe zu Zürich verbunden sind – auch für Leute, die nicht so viel Geld verdienen, eine verlockende Perspektive zu sein.

Informationen zum Blogbeitrag

Autor: Rocco Leonardi (rocco.leonardi@uzh.ch) 
Matrikelnummer: 10-740-645
Seminar: Politischer Datenjournalismus, Herbstsemester 2018
Dozierende: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Bruno Wüest, Alexandra Kohler.
Abgabedatum: 6. Januar 2019
Wortzahl: 960

Daten und Validität

Im Rahmen des Seminars «Politischer Datenjournalismus» am IPZ hat die Statistik Stadt Zürich diverse Datensätze zur Verfügung gestellt. Dieser Blogbeitrag basiert einerseits auf drei Datensätzen (Wegzüge aus Zürich in der Zeitspanne 1993-2017, Finanzen für die Jahre 2013 und 2014 und Bevölkerung) und andererseits auf Daten des Kantons Zürich bezüglich Gesamtsteuerfüsse und Einwohnerzahlen der einzelnen Gemeinden. Auch die «Shapefiles» zur Herstellung der Karten stammen aus dem Portal des kantonalen statistischen Amtes.

Der zweite Teil des Blogbeitrags weist leider eine geringe Validität auf, weil die Analyse der Wegzüge nach Einkommensklassen sich nur auf eine stark begrenzte Zahl an Observationen stützen kann. Schon die Tatsache, dass wir über die Äquivalenzeinkommen der Einwohner von Zürich nur für die Jahre 2013 und 2014 verfügten, hat die aus der ökonomischen Perspektive untersuchbaren Wegzüge auf diejenigen der nachfolgenden Jahre beschränkt. Aus Anonymisierungsgründen wurden somit im zweiten Plot selektiv die Gemeinden nicht abgebildet, wenn in der Zeitspanne 2014-2017 weniger als zehn Zuzüge von Zürchern der jeweils spezifischen Äquivalenzeinkommensklasse registriert wurden.

Es ist weiter ein Problem bei der Verbindung des Datensatzes «Finanzen» mit demjenigen «Bevölkerung» eingetreten: Die Identifikationsnummern der Haushalte (Gebäudenummer_EWID) stimmen oft zwischen den zwei Datensätzen nicht überein. Einerseits fehlen viele EWID im Dataset der Bevölkerung, andererseits gibt es in beiden Datensätzen Kombinationen von Gebäudenummern und EWID, die im anderen gar nicht auftreten. Aufgrund dessen war eine präzise Koppelung der einzelnen Einwohner von Zürich (Datensatz Bevölkerung) mit einem bestimmten Äquivalenzeinkommen (Datensatz Finanzen) in vielen Fällen gar nicht möglich. Ich habe mich somit entschieden – um nicht zu viele Observationen zu verlieren – allen Individuen das Medianäquivalenzeinkommen ihres Gebäudes zuzuschreiben.

Quellen:

Bühler, Urs (2018): Zürich Nord ist der Jungbrunnen der Stadt.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-nord-ist-der-jungbrunnen-der-stadt-ld.1403566 [Stand 6.1.2019])

Bundesamt für Statistik (2018): Lebensqualität in den Städten – Taschenstatistik 2018.
(https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/querschnittsthemen/city-statistics.gnpdetail.2018-0412.html [Stand 6.1.2019])

Fritzsche, Daniel (2017): Ältere Leute ziehen aus Zürich weg.
(https://www.nzz.ch/zuerich/aktuell/auszug-der-alten-ld.1338422 [Stand 6.1.2019])

Kohler, Alexandra (2018): Warum die Schweizer Städte wieder jünger werden.
https://www.nzz.ch/schweiz/warum-die-schweizer-staedte-wieder-juenger-werden-ld.1393020 [Stand 6.1.2019])

NZZ (2018): Zürich ist erneut die Stadt mit der zweithöchsten Lebensqualität weltweit.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-ist-erneut-die-stadt-mit-der-zweithoechsten-lebensqualitaet-weltweit-ld.1367627 [Stand 6.1.2019)

Schenker, Rolf (2018): Die Macht der Definition – Vortrag für die Schweizer Statistiktage (28. August 2018).
(https://www.statistiktage.ch/images/pdfs/2018_Konferenzbeitraege/4_2c_schenker_neu.pdf [Stand 6.1.2019])

 

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