Alles nur Corona? – Tweets der Parlamentsmitglieder zum Klima und zur Gleichstellung im Shutdown

Klima- und Gleichstellungsthemen bescherten den Frauen und den grünen Parteien bei der Wahl im Herbst historische Sitzgewinne. Verloren diese Themen wegen der Coronakrise an Wichtigkeit? Dieser Beitrag untersucht alle deutschsprachigen Tweets der Parlamentarier*innen der ersten fünf Monate dieses Jahres. Soviel sei vorweggenommen: Im Shutdown wurde mehr getweetet – aber nicht nur über Corona.

Anfang 2020 wurden erste Berichte über ein ansteckendes Virus publik, das in der chinesischen Stadt Wuhan Menschen tötet. Spätestens seitdem der Bundesrat am 13. und 16. März zu dessen Eindämmung Schulen und Geschäfte schloss, den Shutdown verordnete, schien man diesem Virus nicht mehr aus dem Weg gehen zu können. Physisch nicht, und medial erst recht nicht. Am 11. Mai wurden die Massnahmen wieder gelockert, Schulen und Geschäfte durften, mit Auflagen, wieder öffnen.
Verschiedene Interessengruppen befürchteten schon früh, dass die durch das Virus ausgelöste Krankheit, COVID-19, alle anderen Themen verdrängen würde, vor allem die Klima- und Gleichstellungsfragen [1], [2]. Schaut man sich die Berichterstattung in den klassischen Medien an, bekommt man tatsächlich den Eindruck das sei so.
Doch wie verhält es sich mit den Tweets der Parlamentsmitglieder? Um diese Frage zu klären vergleicht dieser Beitrag 13’812 deutschsprachige Tweets der Stände- und Nationalrät*innen, die vor und während dem Shutdown abgesetzt wurden. Die Tweets werden dazu anhand von Schlüsselworten den Themen Gleichstellung, Klima und eben Corona zugeordnet. Der Ausdruck Pandemie zeigt beispielsweise an, dass es sich um einen Tweet zu Corona handelt, #equalpayday lässt entsprechend auf einen Tweet zur Gleichstellung schliessen. Die entsprechenden Schlüsselworte werden, in mehreren Schritten, den Tweets entnommen. Mehr zum Zeitrahmen und den Schlüsselworten findet sich in der Box Daten, Validität und Methoden am Ende dieses Beitrags.

Es wurde mehr getweetet – aber nicht nur über Corona

Schaut man sich die Anzahl der Tweets während des Shutdowns an stellt man fest, dass die Parlamentarier*innen während des Shutdowns wöchentlich 326 mehr Tweets absetzten als in den Wochen davor. Das sind beinahe zwei Drittel mehr Tweets (+66%). Obwohl während des Shutdowns viel über Corona getwittert wurde, gingen das Gleichstellungs- und Klimathema wenigstens zahlenmässig nicht unter. Zur Gleichstellung wurden während des Shutdowns zwar weniger Tweets abgesetzt (-2.7 Tweets pro Woche, oder -21%), dafür wurde zum Klima beinahe anderthalb Mal so viel getwittert als in den Wochen davor (+11.8 Tweets, oder +44%).

Anzahl Tweets pro Woche (Quelle: Twitter)

Die Parteien akzentuieren sich in Klimathemen, unklares Bild bei der Gleichstellung

Hatten die Parlamentarier also ganz einfach mehr Zeit zum Twittern? Haben Parteien das Corona-Thema genutzt, um Ihre eigene Agenda zu verfolgen oder um Themen, die ihnen bis zum Shutdown fremd waren, zu besetzen?
Betrachtet man zu welchem Anteil die Parlamentarier*innen der verschiedenen Parteien zu den Themen Gleichstellung und Klima twitterten, zeigt sich ein zwiespältiges Bild. Zum Klima, naturgemäss ein Thema der grünen Parteien, twitterten die Ratsmitglieder der GPS und GLP im Shutdown deutlich mehr, während die restlichen Parteien weniger, oder im Fall der SP, ungefähr gleichviele Tweets absetzten. Das deutet darauf hin, dass die grünen Parteien Ihre Kernthemen intensiver bewirtschafteten, während die restlichen nicht versuchten, sich das Klimathema einzuverleiben.
Bei den Tweets zur Gleichstellung, einem Thema der SP und GPS, ist das Bild nicht so eindeutig. Die SP steigerte zwar ihren Anteil an allen Gleichstellungs-Tweets, die GPS aber nicht. Dafür legten die liberalen Parteien FDP und GLP anteilsmässig zu. In absoluten Tweets sind die Unterschiede allerdings bescheiden. Die GLP twitterte insgesamt vier Tweets mehr, die FDP gar nur drei mehr.
Zusammenfassend kann also nicht behauptet werden, dass die Parteien versuchten sich andere Themen einzuverleiben. Im Gegenteil, die Tendenz zeigt in Richtung Verfestigen der parteilichen Kernthemen.

Gleichstellung: Anteile und absolute Zahlen Tweets, vor und während des Shutdowns, nach Partei (Quelle: Twitter)

Klima: Anteile und absolute Zahlen Tweets, vor und während des Shutdowns, nach Partei (Quelle: Twitter)

Klima- und Gleichstellungstweets – die Corona und Massnahmen des Bundesrats im Fokus

Wenden wir uns dem Inhalt der Tweets zu. Für die folgenden Analysen wurden die je 500 häufigsten Ausdrücke vor und während des Shutdowns analysiert, die Grafik unten zeigt die Ergebnisse in einer Wordcloud.

Häufigste Worte in Gleichstellungs- und Klima-Tweets. Vor- und während des Shutdowns (Quelle: Twitter)

Jeder siebte Tweet während der Shutdown-Zeit zum Klima (16%) bzw. der Gleichstellung (13%) wurden mit dem Corona-Thema verbunden. Das spiegelt sich auch in der Wortwahl der Tweets wieder. Während der Shutdown‑Zeit waren Worte, die den mit dem Ausdruck corona oder #corona beginnen (z.B. #Coronavirus oder Corona-Millionen) das zweithäufigste genannte Wort in den Tweets zur Gleichstellung, hinter Frauen. In Tweets zum Klima machten die Corona-Ausdrücke immerhin das vierthäufigst verwendete Wort aus. Das ist beachtlich, stellen Tweets die sich auf Corona und gleichzeitig auf eines der beiden Themen beziehen, doch nur einen Siebtel der jeweiligen Tweets.
Thematisch verschob sich der Fokus hin zu den Corona-Massnahmen des Bundesrats. Der Ausdruck Bundesrat beispielsweise schaffte während des Shutdowns den Sprung vom 123. häufigsten Wort auf den 44. Platz in Gleichstellungs-Tweets, und in Tweets zum Klima den Sprung vom 74. auf den 8. Platz. Bei den Tweets zur Gleichstellung änderte sich der Schwerpunkt von Arbeit und Rente (arbeit und überbrückungsleistung) hin zur Kinderbetreuung (kitas). Auch das ist ein Bezug auf bundesrätliche Massnahmen, da Kitas im Zuge des Shutdowns geschlossen wurden.
Einen Wandel des Fokus ist auch in den Tweets zum Klimawandel zu beobachten. Hier wurden die Ausdrücke zur Landwirtschaft (landwirtschaft, bäuerliche) weniger wichtig, dafür nahmen Ausdrücke die den Flugverkehr thematisieren zu (luftfahrt, swiss). Hintergrund für diese Veränderung dürfte die Dringliche Änderung des Luftfahrtgesetzes angesichts der COVID-19-Krise gewesen sein, die die grünen und linken Parteien gerne an Bedingungen hinsichtlich der Klimaziele geknüpft gesehen hätten [3], [4].

Veränderung der Worthäufigkeit der Gleichstellungs-Tweets. (Quelle: Twitter)
[Corona* = Ausdrücke, die mit „Corona“ oder „#Corona“ beginnen]

Veränderung der Worthäufigkeit der Klima-Tweets. (Quelle: Twitter)
[Corona* = Ausdrücke, die mit „Corona“ oder „#Corona“ beginnen]

Fazit: In den Tweets der Parlamentsmitglieder ist die Klima- und Gleichstellungsdebatte quicklebendig

Zumindest in den Tweets der Parlamentarier*innen ist also kein Verdrängen des Klima- und Gleichstellungsthemas festzustellen. Es wird zu beiden Themen etwa gleich viel, oder sogar mehr getwittert. Die Anteile der Parteien an beiden Themen bleiben weitgehend unverändert – beim Klimathema schärfen die grünen Parteien ihr Profil sogar. Wir können uns also auf spannende Debatten freuen!


Daten, Validität und Methoden

Zeitrahmen:
Vor-Shutdownzeit: Kalenderwoche 2 – 10 (2020-01-06 bis 2020-03-08)
Shutdownzeit: Kalenderwoche 11 – 19 (2020-03-09 bis 2020-05-10)

Tweets:
Die Tweets wurden am 03.06.2020 heruntergeladen.
Für die Textuntersuchung werden nur deutschsprachige Tweets verwendet.

Tweets der Parlametarier der Parteien BDP, Basta! und EVP werden nicht berücksichtigt.

Schlüsselworte & Themenzuordnung:
Enthält ein Tweet ein Schlüsselwort, wird es dem entsprechendem Thema zugeordnet (gezählt). Enthält der Tweet Schlüsselworte mehrerer Themen, wird der Tweet mehrfach den Themen zugeordnet.
Die Schlüsselworte werden mach Möglichkeit so klar definiert, dass nur die entsprechenden Tweets erfasst werden. So kann der Ausdruck Frau durchaus das Gleichstellungsthema anzeigen, ist aber auch eine häufige Anrede. In diesem Fall wird Frau nicht als relevantes Schlüsselwort ausgewählt.
Schlüsselworte werden (in mehreren Durchgängen) den Tweets entnommen. Dazu werden die Texte in Worte unterteilt und aus diesen die Schlüsselworte ausgewählt.

Textaufbereitung:
Stopwörter (z.B. der, und), Zahlen (z.B. 13.06, 7up) und die Namen anderer Twitterer (z.B. @andrisilbi_) werden entfernt.

Hashtags (#) werden beibehalten.

Code & Reproduktionsdatensatz:
Den Link zum kommentierten Code inklusive den Schlüsselworten finden Sie hier
.
Den Link zum Reproduktionsdatensatz finden Sie hier.

Bloginformationen
Titel: Alles nur noch Corona?
Tweets der Parlamentsmitglieder zum Klima und zur Gleichstellung im Shutdown.
Autor: Markus Rottmann
Email: markus.rottmann@uzh.ch
Matrikelnummer: 97-919-294
Abgabedatum: 14.06.2020
Vorlesung: Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus (FS20)
Dozierende: Dr. Theresa Gessler, Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Alexandra Kohler
Anzahl Worte: 951 (exkl. Titel, Lead,  Anhänge und Referenzen)

Selbstständigkeitserklärung (Link)

Referenzen
[1] Tagesanzeiger, 2020-03-08, https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/revolutionaer-dumm/story/25392058
[2] NZZ, 2020-03-04, https://www.nzz.ch/zuerich/die-provokation-ist-durchsichtig-doch-sie-gelingt-spalier-stehende-klimademonstrierende-steuern-die-debatte-im-zuercher-rathaus-ld.1544528
[3] Parlament, 2020-04-29, https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20200039
[4] GPS, 2020-04-07, https://gruene.ch/medienmitteilungen/gemeinsame-medienmitteilung-offener-brief-an-den-bundesrat-kein-sonderstatus-fuer-den-flugverkehr“>

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