Über Klima und Terrorismus spricht man im Parlament vor allem auf französisch

Die globale Erderwärmung und extremistische Attentate gehören zu den Herausforderungen unserer Zeit. Sie beschäftigen auch die Schweizer Legislative. Während dort generell Optimismus herrscht, erwähnen die Romands diese Themen öfter als die Deutschschweizer*innen.

Ausserhalb des Schweizer Machtzentrums ist die Klimadebatte entbrannt. Wie verhält es sich im Inneren? Bild: Tagesanzeiger/Beat Mathys

Mit einem medienwirksamen Knall war er da: Der internationale Terrorismus beschäftigt seit dem Attentat auf die New Yorker Zwillingstürme und das Pentagon die Staatsführer*innen. Die Frage, wie am besten damit umzugehen ist, gehört zu den grossen Herausforderungen der bisherigen ersten zwei Dekaden dieses Jahrhunderts.

Der globalen Erderwärmung hingegen wurde nur schleichend mehr Aufmerksamkeit zuteil, obwohl die Bedrohung der Menschen durch mehrere, dicht aufeinander folgende Hitzewellen sowie Jahrhundertfluten deutlich grösser sein dürfte, als durch Terrorismus. Auch der Umgang mit dem Klimawandel gehört zu den grossen Streitpunkten unserer Zeit.

An Gesprächsstoff für parlamentarische Debatten mangelt es wirklich nicht. Zwischen 2000 und 2020 machten terroristische Attentate und vom Klimawandel verursachte Ereignisse regelmässig Schlagzeilen. Doch wie und wann wurde im Schweizer Parlament daüber gesprochen? Sieht man deswegen der Zukunft eher ängstlich oder zuversichtlich entgegen? Ein Blick in sämtliche Debattentexte des Schweizer National- und Ständerats zwischen 1999 und 2020 zeigt, dass sich eine optimistische Sichtweise gehalten hat.

Aus der obigen Grafik geht hervor, dass der Gebrauch optimistischer Wörter die pessimistischen Ausdrücke schon 1999 überstiegen hat. Man schlägt sich tapfer in den beiden Kammern, denn es gab in den letzten 20 Jahren keinen Moment des überwiegenden Pessimismus‘.

Den Deutschschweizer*innen hat erst die Klimabewegung richtig Dampf gemacht

Anhand dieses deutlichen Optimismus‘ könnte man sich fragen, ob die Politiker*innen vielleicht eine Strategie des Verdrängens verfolgen. Deshalb schauen wir nun in denselben Daten, wann wie häufig über das Klima gesprochen wurde. In der nachfolgenden Grafik ist der allgemeine Verlauf im ganzen Schweizer Parlament dargestellt.

Vorab muss noch erwähnt werden, dass direkte Vergleiche zwischen zwei Sprachen mit Vorsicht zu geniessen sind. Die Grafiken sind eine erste Beschreibung dessen, was man aus den Daten herauslesen kann. Sie beinhalten jedoch keine vollkommene Objektivität, zum einen, weil verschiedene Sprachen verschiedene kulturelle Interpretationsspielräume darstellen, und zum anderen, weil die Autorin Deutsch als Muttersprache hat, und deshalb Französisch aus einer fremdsprachigen Perspektive versteht.

(Mit einem Klick auf „Grafik wechseln“ erscheint die Abbildung nach französischer und deutscher Schweiz aufgeschlüsselt.)

In der ersten Darstellung fällt auf, welchen Einfluss die weltweiten Klimademonstrationen gehabt haben, die auch in der Schweiz stattfanden. Manche nennen das Jahr 2019 gar „das Jahr, in dem die Welt vom Klimawandel wachgerüttelt wurde“. In der Abbildung bestätigt sich das anhand eines sprunghaften Anstiegs. Offenbar war diese Klimabewegung nötig, um dem Thema wieder die Aufmerksamkeit von 2010 einzubringen.

Ausserdem ist zu erwähnen, dass der Hitzesommer 2003 nicht direkt zu einem Höhepunkt geführt hat. Es wurde erst ein Jahr darauf zunehmend über das Klima gesprochen. Dagegen sind in den Jahren 2010, 2015 und 2017 jeweils Peaks zu finden, die mit den Hitzewellen übereinstimmen.

In der zweiten Grafik wird ersichtlich, wieviel präsenter das Thema Klimawandel bei den Romands ist. Es kommen viel mehr Höhepunkte vor und 2019 war nicht das erste Mal, dass der Anteil klimaverwandter Ausdrücke in den Texten der Westschweizer Politiker*innen fast 10 Prozent erreichte. Hingegen ist man in der Deutschschweiz offenbar erst dann richtig aufgewacht. Es gibt zuvor keinen vergleichbaren Sprung in ihren Klima-Erwähnungen.

Auch Terrorismus wird westlich des Röstigrabens öfter erwähnt

Und wie verhält es sich mit Terrorismus? In den nachfolgenden beiden Grafiken wurde wieder dieselbe Logik angewandt, wie beim Klima. (Wiederum kann zwischen den Grafiken hin- und hergesprungen werden, mit einem Klick auf den blauen Knopf.)

Als Erstes muss festgestellt werden, dass prozentual weniger oft über das Thema Terrorismus gesprochen wird, als über das Klima. Während sich die Anteile der deutsch- und französischsprachigen Schweizer*innen in punkto Terrorismus in einem Wertebereich zwischen knapp 2.5 und 6.5% bewegen, handelt es sich beim Klima um einen Wertebereich von knapp 4.5 bis 9.5%.

Die allgemeine Grafik zu Terrorismus-verwandten Wörtern offenbart Erwartetes sowie Überraschendes. Die Terroranschläge am 11. September 2001 haben das Parlament dazu veranlasst, deutlich mehr über das Thema zu sprechen, als zuvor. Nie wieder erreichte die allgemeine Terrorismusdebatte eine solche Kumulation wie im Jahr 2001.

Was überrascht, ist der Höhepunkt im Jahr 2008 in welchem sich keine medienwirksamen terroristischen Zwischenfälle in Europa oder den USA ereigneten. Im November 2008 gab es schwere Attentate in Mumbai, es ist jedoch nicht offensichtlich, dass dieser Höhepunkt damit zu tun haben könnte. Noch überraschender ist, dass die Attentate auf das Satiremagazin Charlie Hébdo nicht zu deutlich mehr Terrorismusdebatten im Parlament geführt hat. Aufgrund kultureller Nähe hätte man da eine stärkere Steigerung bei den Romands erwarten können.

In der zweiten Darstellung zeigt sich wiederum ein generell höherer Anteil von Terrorismus-Begriffen bei den Politiker*innen der Romandie. Als der Anschlag auf Charlie Hébdo geschah, gleichten sich die Trends kurz an, nur um dann wieder auseinander zu gehen. Was überdies auffällt, ist der Sprung in der Terrorismusdebatte bei den Romands im Jahr 2019. Dann legte der Bundesrat dem National- und Ständerat das „Terrorismus Gesetz“ vor. Dies scheint die Deutschschweizer Parlamentarier*innen nicht im selben Masse beschäftigt zu haben.

Die Einstellung der Romands verändert sich so wie die Klimadebatte

Abschliessend stellt sich die Frage, ob sich die Einstellungen der Politiker*innen ähnlich entwickelt haben, wie die Intensität der Klima- und Terrorismusdebatten. Wenn man einen thematischen Zusammenhang vermutet, würde man auch erwarten, dass sich die Höhepunkte mehrheitlich decken, und dass die Trends ähnlich verlaufen. Das bedeutet konkret, dass bei einer Steigung im Optimismus und Pessimismus-Verlauf auch eine Steigung im Klima- und Terrorismus-Verlauf vorkommen sollte.

Insgesamt vermögen die Pessimismus- und Optimismus-Wörter einen grösseren Anteil an Parlamentstexten (bis zu 40%) einzufangen, als die spezifischeren Terrorismus- und Klima-Begriffe. Deshalb unterscheiden sich auch die drei y-Achsen in den folgenden Grafiken. Für uns ist jedoch bloss der jeweilige Linienverlauf relevant.

Die Trends von Optimismus, Pessimismus und von der Klimadebatte decken sich erstaunlich genau. Dies kann nicht auf identische Wörter zurückgeführt werden, da die Begriffe strikt getrennt wurden. Offensichtlich haben sich die optimistische und pessimistische Einstellung sowie die Klimadebatte bei den Romands über die Jahre ähnlich entwickelt. Eine weiterführende Analyse könnte dem Thema nachgehen, ob das bedeutet, dass zwar die Intensität wechselt, jedoch nicht die optimistischen und pessimistischen Akteure. Es wäre denkbar, dass sich die Einstellung nach Partei verändert.

Die Deutschschweizer*innen lassen sich nicht beeinflussen

Im Kontrast zu den verblüffenden Ergebnissen bei den Romands lässt sich keine solche Ähnlichkeit bei den deutschsprachigen Politiker*innen feststellen. Zwar gibt es einige sich überschneidende Höhepunkte, allerdings gehen die Trends oft auseinander; wenn bei Pessimismus oder Optimismus eine Steigung vorkommt, fällt die Linie der Klima- oder der Terrorismusdebatte und umgekehrt.

Abschliessend ergibt sich ein Bild von einem allgemein optimistisch eingestellten Parlament, in dem mehr über den Klimawandel als über den Terrorismus gesprochen wird. Während die Romands diese Themen nicht nur öfter ansprechen, sondern sich auch scheinbar mehr aus der Ruhe bringen lassen als ihre Deutschschweizer Kolleg*innen, überwiegt nichtsdestotrotz der Optimismus, auch „ännet em Röschtigrabe“.

Informationen zum Blogbeitrag: Über Klima und Terrorismus wird im Parlament vor allem auf französisch gesprochen

Autor: Viviane Vogel, 16-406-571, viviane.vogel@uzh.ch

Modul: Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus

Betreuer: Theresa Gessler, Alexandra Kohler, Bruno Wüest

Abgabedatum: 20. Juni 2021

Anzahl Wörter: 1093

Selbständigkeitserklärung


Dahal, Biraj, Kumar, Sathish A. P. & Li, Zhenlong (2019): Topic modeling and sentiment analysis of global climate change tweets. Social Network Analysis and Mining , 9(24), p. 1-20.

European Bank/Bennett, Vanora (2019): „2019, the year the world woke up to climate change“. [https://www.ebrd.com/news/2019/2019-the-year-the-world-woke-up-to-climate-change.html (Stand:17.06.2021)].

Fadel, Ibrahim A. & Öz, Cemil (2020): A Sentiment Analysis Model for Terrorist Attacks Reviews on Twitter. Sakarya University Journal of Sciences , 24(6), p. 1294-1302.

LeDevoir (2019): „Petit lexique des changements climatiques|LeDevoir“. [https://www.ledevoir.com/societe/environnement/567958/petit-lexique-des-changements-climatiques (Stand: 19.06.2021)].

Mansour, Samah (2018): Social Media Analysis of User’s Responses to Terrorism Using Sentiment Analysis and Text Mining. Procedia Computer Science , 140, p. 95-103.

NZZ/Hermann, Jonas (2021): „Hochwasser in Deutschland: Die schlimmste Flut seit 60 Jahren“. [https://www.nzz.ch/international/deutschland-das-schlimmste-hochwasser-seit-60-jahren-ld.1636244?reduced=true (Stand: 17.08.2021)].

Schweizer Parlament (2019): „Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus. Bundesgesetz|Geschäft|Das Schweizer Parlament“. [https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20190032 (Stand: 19.06.2021)].

SRF News (2021): „Auf einen Blick – Das Terrorismus-Gesetz kurz erklärt – News – SRF“. [https://www.srf.ch/news/abstimmungen-13-juni-2021/terrorismus-gesetz/auf-einen-blick-das-terrorismus-gesetz-kurz-erklaert (Stand: 19.06.2021)].

Swissinfo/Keystone, SDA (2019): „Die Jahrhundert-Hitzewellen 2003 und 2015 – SWI swissinfo.ch“. [https://www.swissinfo.ch/ger/die-jahrhundert-hitzewellen-2003-und-2015/45055548 (Stand: 19.06.2021)].

Tagesanzeiger/Häne, Stefan (2020): „Neues CO2-Gesetz beschlossen – Das Parlament treibt den Klimaschutz sehr wohl voran |Tagesanzeiger“. [https://www.tagesanzeiger.ch/das-parlament-treibt-den-klimaschutz-sehr-wohl-voran-743189367337 (Stand: 19.06.2021)] (Grafik).

Datenbeschaffung

Die Daten stammen vom Digital Democracy Lab.

Wörterbücher

Für den Blogbeitrag wurden 4 Wörterbücher erstellt, mittels derer die Einstellungen Pessimismus, Optimismus sowie die Themen Klima, Terrorismus ermittelt wurden. Die Textanalyse eignet sich sehr gut für das Messen von latenten Variablen wie Optimismus und Pessimismus, da niedergeschriebene Texte vertrauenswürdiger sind (weil normalerweise unverändert) als subjektive Erinnerungen, die in einen laufenden Deutungsprozess eingebunden sind. Allerdings steht und fällt die gesamte Analyse mit den Wörterbüchern. Bei der Zuordnung von Begriffen wurde mit OpenThesaurus sowie Duden gearbeitet. Wörter wurden dem Pessimismus zugeordnet, wenn sie in folgende Unterkategorien fielen:

Kampf

Überforderung

Scheitern

Verlust

Krise

Problem

Gefahr

Dunkel

Unmöglich

Misstrauen

Hoffnungslos

Dem Optimismus wurden Begriffe folgender Kategorien zugeordnet:

Herausforderung

Meistern

Hoffnung

Möglichkeit

Verbesserung

Hell

Zukunft

Bewahren

Beim Tokenisieren wurden ausserdem die jeweils negativen Versionen dieser Wörter (bei Hoffnung zum Beispiel: „…keine Hoffnung…“, was sonst als optimistisch gezählt worden wäre) verändert, indem der Leerschlag entfernt wurde. So wurde aus „…keine Hoffnung…“ keinehoffnung , was dann nicht mehr mit „hoffnung“ gefunden wurde. Dies wurde für diejenigen Wörter unternommen, die tatsächlich auch im Corpus vorkamen. Um die entsprechenden fanzösischen Begriffe beizufügen, wurde die Übersetzungssoftware DeepL verwendet, sowie französische Synonymwörterbücher und themenspezifische Vokabellisten. Zusätzlich wurden einige Sentiment-Analysen zu Rate gezogen, um die terroristischen und Klima-verwandten Begriffe damit abzugleichen (Fadel & Öz, 2020; Mansour, 2018; Dahal, Kumar & Li, 2019; LeDevoir, 2019). Bei einer Analyse von eher subjektiven Variablen wie Pessimismus und Optimismus gibt es keinen natürlichen Schlusspunkt in der Optimierung. Man könnte die Inter-Coder Reliabilität noch verbessern und noch genauer bestimmen, welche Wortfamilie inwiefern inkludiert werden soll. Gemessen am verfügbaren Zeitrahmen und den Ressourcen für diesen Blogbeitrag wurde jedoch bereits ein erheblicher Zeitaufwand betrieben um die Wörterbücher zu optimieren. Für die Klima- und Terrorismus Dictionaries wurden die Begriffe so spezifisch wie möglich gehalten, und das Stemming einzelner Wörter minimiert, da dies die Gefahr erhöhte, unbeabsichtigte Begriffe als Klima/Terrorismus mitzuzählen. Dank dem kwic Befehl konnte durchgehend kontrolliert werden, dass der Kontext der Begriffe mehrheitlich passend ist. Es wurde ausserdem darauf geachtet, dass keine Begriffe doppelt vorkommen, und dass Wörter, die auf deutsch und französisch gleich geschrieben werden, auf irgendeine Weise unterscheidbar wurden.

R Code

Der vollständige Code inklusive der Wörterbücher kann hier eingesehen werden.

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