Der «Blick» schreibt über Netflix-Serien, die NZZ über Home-Office – so haben Deutschschweizer Medien über das Coronavirus berichtet

2020 dominierte das Coronavirus nicht nur unseren Alltag, sondern auch die Schlagzeilen. Eine Analyse von Artikeln zeigt nun, wie ausgewählte Deutschschweizer Medien über die Pandemie berichtet haben.

Die neusten Fallzahlen, unzählige Pressekonferenzen des Bundesrates oder die aktuellsten Studien zum Virus: Im letzten Jahr schrieben Schweizer Journalist*innen zigtausende Artikel zu einem grossen Thema, der Corona-Pandemie. Damit stiessen sie auf viele Abnehmer*innen, denn die Zugriffszahlen auf den Webseiten der Medien schnellten in die Höhe. Das Informationsbedürfnis in der Bevölkerung war riesig.

Doch wie sieht der Blick hinter die Schlagzeilen aus? Wie genau haben die Zeitungen und Online-Medien über das Coronavirus geschrieben? Was stand für die Journalist*innen bei der «Neuen Zürcher Zeitung», beim «Tages-Anzeiger» oder beim «Blick» im Fokus? Und überhaupt: Wie viele Artikel über Corona sind eigentlich erschienen?

Corona-Begriffe dominieren die Berichterstattung im ganzen Jahr 2020

Antworten auf diese Fragen liefert eine Auswertung von über 330’000 Artikel, die im letzten Jahr in Deutschschweizer Medien veröffentlicht wurden. Die verwendeten Artikel stammen aus der Schweizer Mediendatenbank (SMD); ein Archiv, das Texte aus Medien digital aufbewahrt. Mit diesen Text-Daten lässt sich zeigen, wie ein bestimmtes Medium über Corona berichtet hat.

Die folgende Abbildung zeigt die durchschnittliche Häufigkeit von Corona-Begriffen in Deutschschweizer Medien für das vergangene Jahr. Auffallend: Besonders die erste Corona-Welle im März und April 2020 schlägt sich in der Verwendung von Wörtern wie «Coronavirus», «Pandemie» oder «Lockdown» nieder.

Unmittelbar nach dem Lockdown vom 16. März 2020 betrug der durchschnittliche Anteil von Corona-Begriffen pro Artikel am Tag mehr als zwei Prozent. Das Thema dominierte die Berichterstattung. Erst mit dem Rückgang der Fallzahlen im Mai nahm die Salienz des Themas ab; es wurden leicht weniger Corona-Begriffe benutzt.

Im Sommer zeigte sich ein ähnliches Bild: Corona-Wörter waren mit einem durchschnittlichen Anteil von über einem Prozent zwar immer noch stark in den Medien vertreten, aber sie wurden nicht mehr so oft verwendet wie im März oder April.

Ab Oktober verwendeten Deutschschweizer Medien wieder häufiger Corona-Begriffe; zur gleichen Zeit rollte die zweite Welle an. Bis zum Shutdown, der am 29. Oktober in Kraft trat, stieg der Anteil im Schnitt auf etwa zwei Prozent und erreichte damit fast das gleiche Niveau wie unmittelbar nach dem ersten Lockdown im Frühling. Corona war also wieder in aller Munde. Danach nahm die Salienz zwar wieder etwas ab, aber kurz vor Jahresende stieg der Anteil von Corona-Begriffen wieder auf etwa zwei Prozent an.

Das SRF hat am meisten Corona-Begriffe verwendet, die «Wochenzeitung» am wenigsten

Klar ist also, dass die Corona-Pandemie die Schlagzeilen im letzten Jahr dominierte – und das fast durchgehend. Bei welchen Medien waren Corona-Begriffe aber am meisten in Gebrauch? Und wo am wenigsten? Die nächste Grafik zeigt, wie gross der Anteil von Corona-Wörtern in den Artikeln von Deutschschweizer Medien ist, und zwar aufgeschlüsselt nach der durchschnittlichen Häufigkeit pro 1000 Wörter.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass srf.ch mit fast 17 von 1000 Wörtern am häufigsten Corona-Begriffe benutzt hat. In anderen Worten: Von allen 1000 Wörter, die das SRF in Beiträgen publiziert hat, sind knapp 17 Begriffe wie «Corona-Test», «FFP-Maske» oder «Impfung». Dass das SRF zuvorderst ist, kommt nicht ganz überraschend: Als konzessionierter Sender hat SRF einen gesetzlichen Auftrag, die Bevölkerung zu informieren. So hat das SRF beispielsweise regelmässig die neusten Fallzahlen als News-Meldung publiziert.

Am zweithäufigsten hat der Internetauftritt von «20 Minuten» über Corona berichtet. Dort sind es nicht ganz 15 Corona-Begriffe pro 1000 Wörter. Zum Vergleich: Dieser Blogbeitrag umfasst 1000 Wörter. Auch die Printausgabe von «20 Minuten», swissinfo.ch, die «Basler-Zeitung» und das Boulevard-Blatt «Blick» haben oft Corona-Begriffe benutzt. Am unteren Ende der Skala befinden sich vier Wochen-Zeitschriften, darunter der «SonntagsBlick» und die «Weltwoche». Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass Wochen-Zeitungen eher Hintergründiges liefern und somit auch weniger Schlagwörter wie «Corona-Regel» verwenden.

Wie haben ausgewählte Medien über Corona geschrieben?

Kein Medium konnte sich 2020 also vom Coronavirus entziehen. Doch wie haben sich die Medien in ihrer Corona-Berichterstattung unterschieden? Welche Wörter benutzt die NZZ, wenn sie über Corona-Begriffe schreibt? Und welche das SRF oder der «Blick»? Mit einer Keyness-Analyse wurde untersucht, welche aussagekräftigen Wörter am häufigsten von einem bestimmten Medium im Vergleich zu den anderen Medien verwendet werden. Man könnte dabei auch von typischen Wörtern sprechen.

Die folgenden Balkendiagramme zeigen die typischsten Wörter im Corona-Kontext von «Blick», NZZ, SRF, «Tages-Anzeiger» und «20 Minuten» an. Diese Titel gehören zu den reichweitenstärksten Medien in der Deutschschweiz und sind unterschiedlich positioniert. Nicht zuletzt darum eignen sie sich gut, um zu vergleichen, wie sich die Corona-Berichterstattung unterscheidet. Als Wert, wie typisch ein Wort für ein Medium ist, dient das Chi-Quadrat-Assoziationsmass.

Beim «Blick» fällt auf, wie stark der Fokus auf Unterhaltungs- und Sportthemen ist, selbst im Kontext von Corona. Wörter wie «Soundtrack», «Netflix-Serie» und «Nati» zeigen das sehr deutlich. Bemerkenswert ist aber auch, dass der «Blick» trotz seiner Boulevard-Prägung auch über Ungerechtigkeiten schreibt.

Das Wirtschaftsblatt NZZ hat seine Lieblingsthemen: Zuvorderst ist das Kürzel für «Milliarden», dann kommt «Home-Office». Allein diese zwei typischen Wörter zeigen, dass die NZZ in ihrer Corona-Berichterstattung einen Fokus auf die Wirtschaft legt. Im Vergleich zu anderen Medien sind auch Begriffe wie «Wissenschafter», «Analytiker» und «amerikanisch» typisch für die NZZ – das unterstreicht ihr Selbstbildnis als ausführlich berichtende und international ausgerichtete Zeitung.

Die Keyness-Analyse beim SRF zeigt, dass der Sender im Kontext von Corona vor allem über die neusten Fallzahlen vom BAG berichtet oder einen Liveticker zu Pressekonferenzen der Behörden führt. Angesichts der bereits angesprochenen gesetzlichen Vorgaben ist das nicht weiter erstaunlich.

«Triemli», «Rickli» und «Fehr» sind die drei typischsten Wörter, die der «Tages-Anzeiger» im Corona-Kontext publiziert hat – ein Name eines Zürcher Spitals und zwei Nachnamen von Zürcher Politiker*innen also. «Stadtpolizei» und «Zürcherinnen» ergänzen diese Liste und beweisen damit, dass der «Tages-Anzeiger» das lokale Geschehen in Zürich vergleichsweise stark abdeckt. Wörter wie «Wuhan», «US-Präsident» und «Clubs» zeigen ausserdem, dass internationale und kulturelle Themen ebenfalls Eingang in die Corona-Berichterstattung finden.

Am typischsten für die Corona-Berichterstattung von «20 Minuten» sind Wörter wie «Video», «Instagram» und «Tipps». Das zeigt, dass bei der Gratiszeitung Formate wie Video und Social Media auch im Kontext von Corona wichtig sind – zumindest wichtiger als bei anderen Medien. Bemerkenswerterweise taucht «Zürich liefert» bei den typischsten Wörter auf, obwohl der Begriff auf eine Lieferdienst-Übersichtskarte des «Tages-Anzeigers» zurückgeht.

Das vergangene Jahr stand ganz im Zeichen von Corona. Spätestens seit dem Lockdown waren die Zeitungen gefüllt mit Corona-Begriffen. Die grössten Unterschiede zeigen sich jedoch erst, wenn man den Kontext der Corona-Wörter einbezieht.

Daten und Methode
Die verwendeten Daten stammen aus der Schweizer Mediendatenbank (SMD) und wurden im Rahmen des Forschungsseminars vom Digital Democracy Lab der Universität Zürich zur Verfügung gestellt. Die Berechnungen und Erstellung der Grafiken wurden im Statistikprogramm R vorgenommen. Der Code kann hier eingesehen werden.

Für die Analyse wurden sogenannte Stoppwörter aus dem Datensatz entfernt. Stoppwörter sind Begriffe, die häufig in Texten verwendet werden, aber keine Schlüsse über den Inhalt des Textes zulassen. (Beispiele für Stoppwörter sind: «aber», «einige», «dieser», usw.) Die Liste der Stoppwörter wurde bei der Erstellung der Keyness-Analyse manuell erweitert. Dabei wurden beispielsweise Namen von Medienschaffenden, die fälschlicherweise im Text waren, entfernt. Auch Wörter, die ein Medium immer im Kontext von Corona verwendete (z.B. in einer Infobox für Hilfsangebote), wurden so entfernt. Anschliessend wurde ein umfangreiches Dictionary erstellt, das die verwendeten Corona-Wörter wie «Corona-Test», «Impfung» oder «Pandemie» umfasst. Sowohl dieses Dictionary mit den Corona-Wörtern als auch die ganze Liste der Stoppwörter können im R-Code eingesehen werden. Für die ersten beiden Grafiken wurden die relativen Häufigkeiten ermittelt, d.h. die Analysen wurden immer im Vergleich zu der Gesamtanzahl Wörter im Datensatz durchgeführt.

Informationen zum Blogbeitrag
Autor: Jonathan Progin, 16-703-209, jonathan.progin@uzh.ch
Modul: Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus
Dozierende: Theresa Gessler, Bruno Wüest, Alexandra Kohler
Abgabedatum: 20.06.2021
Anzahl Worte: 998
Selbständigkeitserklärung

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