Die SVP gewinnt Abstimmungen – und alle helfen mit?

Bei Abstimmungssiegen des rechten Lagers zeigt sich: Wählerstimmen von allen Seiten werden mobilisiert. Die SVP schafft es, parteiübergreifende Themen aufzugreifen und sich gegen die Parolen der anderen Parteien durchzusetzen.

Bereits im Vorfeld zum Abstimmungssonntag im Februar 2014 zeigten Umfrageergebnisse des gfs.bern, dass insbesondere parteiungebundene Wähler die – nach wie vor umstrittene – Masseneinwanderungsinitiative der SVP annehmen würden. Auch innerhalb der Parteien, die eine Nein-Parole herausgaben, erwartete man eine opponierende Minderheit. Das ist kein neues Phänomen.
Vor allem in jüngeren Jahren hat die SVP gezeigt, dass sie, gemeinsam mit anderen, kleineren Rechtsparteien (Lega, SD, EDU, teilweise die damalige FPS), erfolgreich gegen die Parolen aller anderen Parteien antreten können. 2002 konnte sie ihre Goldinitiative zwar nicht durchbringen, doch verhinderte das SVP-Lager erfolgreich den Gegenvorschlag.
Zwei Jahre später entschied das Volk gleich bei drei Vorlagen gemäss der Parole der Rechtsparteien: Im Februar wurde die «Volksinitiative zur Verwahrung gefährlicher Straftäter» angenommen und im September wurden beide Einbürgerungsvorlagen verworfen: Sowohl der «Bundesbeschluss über die ordentliche Einbürgerung sowie über die erleichterte Einbürgerung junger Ausländerinnen und Ausländer der zweiten Generation», als auch jener über den «Bürgerrechtserwerb von Ausländerinnen und Ausländern der dritten Generation».

Bei allen diesen Vorlagen war das SVP-Lager erfolgreich, obwohl die anderen Parteien eine gegensätzliche Parole herausgaben.

Es folgte die Annahme dreier Volksinitiativen: 2008 jene «für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern», 2009 «Gegen den Bau von Minaretten» und 2010 «Für die Ausschaffung krimineller Ausländer». Bei allen diesen Vorlagen war das SVP-Lager erfolgreich, obwohl die anderen Parteien eine gegensätzliche Parole herausgaben. Die SVP erreicht aber bei Nationalratswahlen keinen Wähleranteil, der darauf schliessen liesse, dass Stimmen ausschliesslich von Rechts ausreichen würden, um eine Vorlage für sich zu entscheiden. Woher kommen die anderen Stimmen? Bei welchen Parteien kann die SVP Wähler mobilisieren, sie davon überzeugen, entgegen der Parole der Partei zu stimmen, mit der sie sich eigentlich identifizieren?


Wie setzen sich die Abstimmungssiege der SVP zusammen?

Wenden wir uns zunächst der Frage zu, wie der Abstimmungssieg der rechten Parteien überhaupt zustandekam: Wie setzt sich der Entscheid zusammen? Aus welchen Parteien kamen wieviele Prozent der Stimmen der siegreichen Seite?

Wie setzt sich der Abstimmungssieg der SVP zusammen?
Prozentualer Anteil nach Parteiidentifikation
(eigene Darstellung mit infogr.am)

Basierend auf den standardisierten Nachabstimmungsumfragen VoxIt zeigt obenstehende Grafik pro Vorlage den Anteil der Stimmen, die aus dem Lager der jeweiligen Partei kamen, am gesamten Entscheid zugunsten der SVP. Berücksichtigt wurden stets auch die vielen Befragten, die mit keiner oder mit kleineren Parteien sympathisieren, oder auch solche, die angaben, sich eher mit Personen als mit Parteien zu identifizieren.
Es zeigt sich bei allen Vorlagen, dass insbesondere parteiungebundene Wähler von der SVP in grossem Masse mobilisiert werden können. Zu diesem Schluss kam, im Rahmen des Abstimmungssonntag vom 9. Februar 2014, auch der Politologe Laurent Bernhard, der festhielt, dass die hohe Stimmbeteiligung zu einer ungewöhnlich grossen Mobilisierung von parteiungebundenen Wählern geführt hat und diese tendenziell im Sinne der SVP gestimmt haben.

„[Die hohe Stimmbeteiligung] hat zu einer ungewöhnlich grossen Mobilisierung von parteiungebundenen Wählern geführt, die tendenziell Ja gestimmt haben.“

Allerdings zeigt sich auch, dass traditionellere Gegensätze (z.B. Links-Rechts) die massgebliche Konfliktlinie darstellen können. So bei den Einbürgerungsvorlagen 2004, als es vor allem Stimmende, die sich politisch rechts einstuften, waren, welche die beiden Bundesbeschlüsse deutlich verwarfen. Dies manifestiert sich in der Zusammensetzung des Entscheids nach Parteiidentifikation: SP, Grüne, CVP und FDP machen nur einen marginalen Teil aus bei diesen beiden Vorlagen.

Vier Jahre später stellte das gfs.bern fest: „[Die politische Mitte] nahm das Minarettverbot im Verhältnis zwei zu eins an und verhielt sich damit grundsätzlich anders als bei früheren ausländerpolitischen Abstimmungen.“ Die SVP vermochte nun also insbesondere auch in der Mitte vermehrt zu mobilisieren, wobei sich SP-Anhänger aber nicht verstecken müssen, machen sie doch auch immerhin 8% des JA aus – Effekte wie die Soziale Erwünschtheit lassen hier die Frage offen, ob gerade aus dem linken Lager nicht noch mehr Stimmen gemäss SVP-Parole abgegeben wurden.


Wieviele gingen fremd?

Bleiben wir aber bei den gemessenen Daten und fragen: Wieviele gingen fremd? Dieser Aspekt wird im nachfolgenden Sankey-Diagramm betrachtet: Für jede Partei, und nach Vorlage, wird hier angezeigt, wieviele Prozent gemäss der SVP-Parole gestimmt haben. Beim mouseover wird der entsprechende Wert angezeigt und kann so einerseits pro Partei über die Vorlagen hinweg verglichen werden, andererseits kann auf Vorlagenseite betrachtet werden, von welcher Partei wieviele Prozent (relativ zur Gesamtzahl der Stimmenden dieser Partei) mobilisiert wurden.

Wieviele gingen fremd?
Prozentualer Anteil der Stimmen gemäss SVP-Parole an der Gesamtzahl der Stimmen einer Parteiidentifikation
(eigene Darstellung in R basierend auf Mike Bostock)

Während sich noch einmal die oben angesprochene gesteigerte Mobilisierung bei ausländerkritischen Vorlagen in der politischen Mitte zeigt, wird auch klar, dass es Materien gibt, bei denen die politische Affiliation entweder keine Rolle spielt, oder aber die SVP tatsächlich eine Problematik aufgreift, die der (gesamten?) Bevölkerung wichtig ist: Bei der Unverjährbarkeitsinitiative stimmten von fast jeder Partei über 50 Prozent ihrer Anhänger für die Initiative – trotz gegenläufiger Parole. Lediglich bei den Grünen bleibt der Wert unter der Hälfte, steht aber bei trotzdem beachtlichen 43.24%.

Von den Mitte-Parteien stimmten bei jeder untersuchten Vorlage über 25% ihrer Wähler gemäss SVP-Parole.

Interessanterweise ist es gerade diese Vorlage, bei der im SVP-Lager die grösste Uneinigkeit herrscht, stimmten doch lediglich rund 60 Prozent dafür. Bei den anderen untersuchten Vorlagen liegt der Anteil der parolenkonform Abstimmenden über 80 Prozent. Dieser geringere Anteil zeigt sich auch in der ersten Analyse oben: Bei der Unverjährbarkeitsinitiative machen die Stimmen aus dem SVP-Lager lediglich rund 20 Prozent der JA-Stimmen aus. In etwa denselben Beitrag leisten die Wähler von Seiten der SP und Grünen.


Die SVP ist den anderen Parteien voraus

Die Analyse zeigt, dass von allen Seiten Stimmen ins SVP-Lager gehen. Weniger überraschend zeigt sich sodann, dass die Mitte-Parteien stets einen Beitrag von über 25% ihrer Wähler leisten, während bei den SP- oder Grüne-Anhänger grössere Schwankungen auszumachen sind.

Diese Mobilisierung fremdparteilicher Stimmen lässt sich nicht pauschalisieren. Jede Vorlage wird von der Stimmbürgerschaft aus unterschiedlichen Gründen als wichtig erachtet. Erklärungen entlang der traditionellen Konfliktlinien Stadt-Land oder gar dem Röstigraben greifen zu kurz. Zu beachten sind in einem weiteren Schritt auch die in den Vox-Nachabstimmungsbefragungen ebenfalls erhobenen Motive des Stimmentscheids, oder auch soziodemographische Zusammenstellungen der Fremdgänger.

Auch die verwendeten Daten können nicht für bare Münze genommen werden: Sie können eine gewisse Verzerrung beinhalten, denn auch wenn die Schweizer Bevölkerung unter dem Strich gut widergespiegelt wird, so stimmt beispielsweise die gemessene Stimmbeteiligung selten genau mit der tatsächlichen überein.

Das SVP-Lager erhält Stimmen von allen politischen Seiten und holt insbesondere auch Parteiungebundene ab

Trotz alledem kann geschlossen werden, dass die SVP keine Alleingängerin ist. Das SVP-Lager schafft es, Stimmbürgerinnen und Stimmbürger für ihre Anliegen zu gewinnen, obwohl diese sich eigentlich mit einer anderen Partei identifizieren. Die Vermutung, dass diese eigentlich auch andere Wertvorstellungen haben sollten, liegt nahe.
Die SVP scheint den anderen Parteien etwas vorauszuhaben in Sachen Mobilisierung. Sie spricht Ängste an, die zunächst zwar vielleicht nur vermutet, mit der richtigen Strategie aber auch geschürt werden. Der konkrete Inhalt einer Vorlage muss dabei nicht unbedingt zentral sein. Vielmehr werden mutmassliche Missstände auf (stark vereinfachte) Gründe zurückgeführt, zugänglicher gemacht und von Parteiidentifikationen losgelöst: Die Stimmenden sehen sich vermutlich nicht als Unterstützer der SVP, koppeln diese vielmehr ab von der Vorlage und drücken ihre wahrgenommene Betroffenheit des Problems im entsprechenden Votum an der Urne aus.

Von Chris Goodman
christopher.goodman@uzh.ch

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