Ecopop-Faktencheck: Schadet die Zuwanderung in die Schweiz der Umwelt?

Kaum hat das Volk die Masseneinwanderungsinitiative der SVP angenommen, muss sich die Schweiz der nächsten migrationspolitischen Debatte stellen. Der Abstimmungstermin zur Initiative „Stopp der Überbevölkerung“ steht zwar noch nicht fest, die Vorlage erfährt in den Medien aber bereits heute grosse Aufmerksamkeit. Höchste Zeit für einen datenjournalitsischen Faktencheck.

Die Initiative „Stopp der Überbevölkerung“ ist in ihrem Inhalt und ihrer Trägerschaft aussergewöhnlich: Der Verein Ecopop stellt eine krude Mischung aus nationalistisch und ökologisch Motivierten Umweltschützern dar, was eine Verortung im klassischen Links-Rechts-Schema verunmöglicht. Diese ideologische Mischung findet auch im Ziel der Initiative und dessen Ausformulierung ihren Ausdruck. Ecopop will mit der Initiative den natürlichen Lebensraum der Schweiz erhalten, indem das Bevölkerungswachstum eingeschränkt wird:  einerseits durch eine Limitierung der Zuwanderung in die Schweiz, andererseits durch die Förderung von Familienplanung in Entwicklungsländern.

Die Verknüpfung von Umweltschutz mit Migrationsbeschränkung und Entwicklungshilfe ist ungewöhnlich. Ob Umweltschutz als Argument für eine Einwanderungsbeschränkung tatsächlich genutzt werden soll und kann, wird von vielen angezweifelt. Der Faktencheck eines der zentralen Aspekts der Ecopop-Initiative soll diese Frage nun klären.

Ziel der Ecopop-Initiative

Hauptziel der Inititative ist es, die natürlichen Lebensgrundlagen der Schweiz zu erhalten, in dem die Bevölkerungszahl stabilisiert wird. Zu diesem Zweck fordern die Initianten,

  • dass jährlich nicht mehr als 0,2 Prozent der bereits ansässigen ständigen Wohnbevölkerung einwandern dürfen.
  • dass der der Bund mindestens 10 Prozent der Gelder, die in die internationale Entwicklungszusammenarbeit fliessen ,“in Massnahmen zur Förderung der freiwilligen Familienplanung“ investiert.

Das Klima kennt keine Grenzen

Ecopop stützt seine Forderung mit der Behauptung, dass mehr Zuwanderung das Ökosystem Schweiz gefährdet: „Der hohe Bevölkerungsdruck reduziert die Lebensqualität und drängt die Natur an den Rand.“ Ecopop definiert also eine klare ökologische Systemgrenze und setzt diese mit der Landesgrenze der Schweiz gleich. Für die Klimawissenschaften ist das eine nicht haltbare Argumentation. Denn fürs Klima ist es grundsätzlich vernachlässigbar, wo den Klimawandel fördernde Gase ausgestossen werden. Auch ob wir alle global verfügbaren endlichen Ressourcen in der Schweiz oder auf die ganze Welt verteilt konsumieren, spielt eine zu vernachlässigende Rolle.

Ecopop antizipiert die Kritik der Wissenschaft

Ecopop kontert diese Kritik aber mit einer aus umweltwissenschaftlicher Sicht unsauberen Argumentation. Die Initianten behaupten nämlich, dass durch die Zuwanderung in die Schweiz der globale Ressourcenverbrauch, üblicherweise gemessen mit dem  ökologischen Fussabdruck pro Person, durchaus steigt, weil die in die Schweiz Einwandernden von einer höheren Kaufkraft profitieren würden, folglich mehr konsumierten und den niedrigen Fussabdruck pro Kopf in ihrem Herkunftsland mit dem viel höheren der Schweiz eintauschten.

Faktencheck

Folgendes Argument muss also den Faktencheck bestehen:

Die Zuwanderung in die Schweiz erhöht den globalen ökologischen Fussabdruck.

Dieses Argument stützt sich direkt auf die Behauptung, dass die Zuwanderung hauptsächlich auf einer Einwanderung aus Ländern mit einem niedrigeren kaufkraftbereinigten Lohn  basiert. Die wirtschaftliche Ausnahmestellung der Schweiz stützt diese Behauptung wohl. Lohn und Kaufkraft sind jedoch nicht die Indikatoren, die helfen die Umweltbelastung direkt zu messen. Stattdessen bietet sich ein Blick auf den auch von Ecopop zitierten globalen ökologischen Fussabdruck an.

Der ökologische Fussabdruck berechnet, welche Fläche notwendig ist, um den Lebensstil eines Menschen zu ermöglichen. So verbraucht jeder Bewohner der Schweiz 5.02 globale Hektaren pro Jahr. Die gesamte Erde bietet 12 Milliarden globale Hektaren pro Jahr an nutzbarer Fläche. Jedem Menschen stünden somit 1.8 globale Hektaren pro Jahr zu. (Alle Berechnungen basieren auf der Untersuchung des Global Footprint Networks aus dem Jahr 2007, publiziert 2010 im Global Footprint Atlas).

Ziehen in einem Jahr also 100 Menschen aus dem Niger, dessen ökologischer Fussabdruck pro Kopf 2.3 globale Hektaren (gha oder im folgenden der Einfachheit halber Hektaren genannt) beträgt, in die Schweiz, so steigert dies den Hektarenverbrauch, weil diese Menschen neu in der Schweiz mit einem höheren Fussabdruck leben werden.

Wie viele wandern woher in die Schweiz?

In einem ersten Schritt muss überpüft werden, ob Ecopops Annahme, dass der Lebensstil vieler Zuzüger mit deren Umzug in die Schweiz umweltbelastender wird. Kurz: Wie viele der in die Schweiz ziehenden Menschen stammen aus Ländern , deren ökologischer Fussabdruck kleiner ist als derjenige der Schweiz.

Das Bundesamt für Statistik schlüsselt  für das Jahr 2012 die Veränderung der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz nach Herkunfts- und Zielland auf, zeigt also, woher Menschen in die Schweiz  und wohin Menschen aus der Schweiz zogen.

Die folgende Grafik zeigt die Herkunftsländer nach Anteil an der totalen Menge der Zuwanderer sowie ihren jeweiligen ökologischen Fussabdruck im Vergleich zu demjenigen der Schweiz. Um die Ecopop-Argumentation zu verdeutlichen sind die Länder, die das Argument stützen grün eingefärbt (Länder mit niedrigerem Fussabdruck).


Summiert man die Zahl der Einwanderer nach dem Fussabdruck ihres Herkunftslandes zeigt sich, dass Ecopops Behauptung nicht direkt widerlegt werden kann.

Fussabruck des Herkunftslandes Einwanderer
kleiner als CH 50125
grösser als CH 29420
etwa gleich wie die CH 57716

Zwischenfazit: Tatsächlich stammt mehr als ein Drittel aller Einwanderer aus Ländern, deren Fussabdruck niedriger ist als derjenige der Schweiz. Aber etwa zwei Drittel der Einwanderer dürften ihren ökologischen Fussabdruck durch die Wanderung in die Schweiz nicht deutlich verschlechtert haben.

Wie viele wandern aus der Schweiz wohin ?

Für eine komplette Ökobilanz der Migration muss aber auch berücksichtigt werden, dass immer auch Menschen aus der Schweiz in andere Länder auswandern. Wer aus der Schweiz in die USA wandert vergrössert den globalen Fussabdruck, weil der ökologische Fussabdruck eines US-Staatsbürgers 8 gha beträgt. Emigriert hingegen ein Nigerianer zurück in seine Heimat, verkleinert er den globalen Fussabdruck.

Ein Blick auf die Zielländer der aus der Schweiz Auswandernden zeigt, dass auch hier die Rechnung komplex ist. Achtung: Rot eingefärbte Staaten deuten hier auf eine negativen Effekt für den globalen Fussabdruck hin, da der durchschnittliche ökologische Fussabdruck ihrer Staatsbürger über demjenigen der Schweizer liegt.


Auch hier verdeutlichen nackte Zahlen das Bild:

Fussabruck des Ziellandes Anzahl Auswanderer
kleiner als CH 27781
grösser als CH 21662
etwa gleich wie die CH 37932

Zwischenfazit 2: Auswanderer in Niedrigfussabdruckländer und Auswanderer in Hochfussabdruckländer halten sich beinahe die Waage. Es wandern also durchaus auch Menschen wieder in Länder aus, deren ökologischer Fussabdruck, der ja Ecopops eigener Argumentation zufolge an die Höhe des Lohnes gekoppelt ist, niedriger ist als der der Schweiz.


Wie der Blick auf die absoluten Zahlen und der Vergleich mit den Einwanderern in der obigen Grafik zeigt, kann die Auswandererzahl aber vermutlich den Effekt der Einwanderer nicht ausgleichen. Ecopops Behauptung kann (noch) nicht widerlegt werden.

Wie verändert Zu- und Auswanderung in und aus der Schweiz die verbrauchten globalen Hektaren?

Zentral ist nun, wie sich diese Einwanderungs- und Auswanderungszahlen auf die Zahl der globalen Hektaren auswirken. Fügt Auswanderung aus der Schweiz und Einwanderung in die Schweiz dem globalen Hektarenverbrauch weitere Hektaren hinzu?

Ein kurzes Rechenbeispiel: 

Aus dem Iran sind 2012 265 Menschen in die Schweiz eingewandert. Diese 265 verbrauchen neu den durchschnittlichen Schweizer Fussabdruck von 5.02 globalen Hektaren (gha), was total 1330.3 gha ergibt. Zuvor verbrauchten sie den iranischen Fussabdruck von 2.68 gha pro Person, was in der Summe 710.2 gha ergibt. Diese sind von den 1330.3 gha abzuziehen und wir erhalten durch die Einwanderung verursachten zusätzlichen Hektarenverbrauch von 620.1 gha. Jedoch sind 2012 auch 134 Menschen aus der Schweiz in den Iran ausgewandert und haben ihre 5.02 gha pro Kopf gegen die 2.68 gha pro Kopf des Irans getauscht. Statt 672 gha verbrauchen diese 134 Personen jetzt 359.12 gha, sparen also 312.88 gha ein. Die  helvetisch-persischen Migrationsströme hatten 2012 also einen zusätzlichen Hektarenverbrauch von 307.22 globalen Hektaren zur Folge.

Hektarenbilanz für alle Migrationsströme in und aus der Schweiz

Diese Rechnung kann für jeden binationalen Migrationsstrom der Schweiz gemacht werden. Es ergibt sich aus den 200 Migrationsströmen folgende Hektarenbilanz:


Die Migration in und aus der Schweiz hat 2012 also zu einer Steigerung des globalen Hektarenverbrauchs von 30’793.94 Hektaren geführt. Ecopop behält auf den ersten Blick also Recht.

Aber Achtung!

Um die Bedeutung dieser grob 30’000 Hektaren einordnen zu können, müssen wir sie in den ökologischen Fussabdruck pro Kopf umrechen. Hierzu teilen wir die 30’000 Hektaren durch die Schweizer Bevölkerung.

30’000 Hektaren / 8’000’000 Personen= 0.0038 Hektaren pro Person

Zum Vergleich: Ein Dreistündiger Flug schlägt bei manchen Fussabdruckrechnern mit 0.1, bei anderen mit bis zu 0.25  Hektaren pro Person zu Buche.

Fazit

Die mit der Schweiz verknüpften Migrationsströme führen zwar zu einer zusätzlichen Belastung der Umwelt. So erhöhen sie den globalen Hektarenverbrauch um 30’000 Hektaren. Die Ecopop-Argumentation hält daher auf den ersten Blick dem Faktencheck stand. Jedoch ist die zusätzliche Belastung derart klein, dass sie den durchschnittlichen Fussabdruck um bloss 0.0038 Hektaren hebt. Selbst mit einem Kurzstreckenflug übertrifft man diesen Wert um beinahe das Zehnfache.

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