Südeuropa nach der Krise: Desillusioniert, aber nicht verzweifelt

Der ökonomische Sturm, der  in den letzten Jahren über Europa gewütet hat, scheint sich langsam aber sicher zu legen. Von Staatsbankrotten ist nicht mehr die Rede, und Sorgenkinder wie Griechenland und Portugal sind wieder in der Lage, am  Finanzmarkt Geld aufzunehmen. Wachstum wird wieder prognostiziert. Doch wie hat die Krise auf die Landschaft in den Köpfen der Europäer gewirkt? Die European Social Survey, welche seit 2002 die Befindlichkeiten der Europäer erfragt, kann auf diese Frage einige Antworten liefern.

Datenjournalismus mag einigen Beobachtern ein neueres Phanomen sein, Wirtschaftsredaktoren entlockt der Begriff jedoch meist nur ein müdes Lächeln: Die Berichterstattung zu wirtschaftlichen Themen ist seit jeher von Zahlen geprägt, von Preisen, makroökonomischen Indikatoren, Wechselkursen und Prozentpunkten. Die Europäische Schuldenkrise ist folglich eines dieser Themen, dass im Bezug auf harte Indikatoren bereits zu Genüge analysiert wurde. Dieser Blogpost befasst  sich deshalb mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Krise. Die European Social Survey bietet dazu eine Ideale Datenquelle: Seit 12 Jahren wird diese Befragung der Bevölkerung alle 2 Jahre durchgeführt, so dass der Zeitraum der Eurokrise bis 2012 erfasst ist, und auch mit der Situation vorher verglichen werden kann. Es geht dabei vor allem um das Bild, welches die Europäer von Wirtschaft und Politik haben.

Es wurden für diese Analyse die Länder ausgewählt, welche von der Krise besonders betroffen waren: die GIIPS (Griechenland, Irland, Portugal und Spanien, Daten für Italien sind leider nicht vorhanden), und auch Krisengewinner Deutschand und die wenig betroffene Schweiz. Die Entwickung der Zufriedenheit mit der Wirtschaftslage des Landes deckt sich mit der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung:

Die Schweiz und Deutschland gehören zu den Ländern, welche trotz Eurokrise gut dastehen, im Falle der Schweiz war die wirtschaftliche Situation auch vor Der Krise einigermassen zufriedenstellend, während sich Deutschland mit einer hohen Arbeitslosigkeit herumschlug und die Deutschen im Schnitt sogar unzufriedener mit der Wirtschaftslage ihres Landes waren als die Bewohner Griechenlands, was heute kaum mehr vorstellbar wäre: Die Deutschen sind so zufrieden mit der Wirtschaft wie seit 10 Jahren nicht mehr, während die Griechen das einen durchschnittlichen Wert von 1,3  auf einer Skala von 0 bis 10 zustande bringen. Während Griechen und Portugiesen bereits vor der Krise nicht besonders zufrieden waren, sieht es nun richtig düster aus. Die grössten Verlierer sind allerdings Spanien und Irland: Während Irland dank eines überdimensionierten Bankensektors vorallem von der Finanzkrise betroffen war, und sich wärend der Eurokrise sogar etwas erholen konnte, sieht man Spanien seinen Immobilienboom und das subsequente Platzen der Blase wunderbar der Zufriedenheit seiner Bürger an.

Solche Umfragewerte decken sich zwar wunderschön mit der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung, sie waren aber ebenfalls zu erwarten. Wie sieht nun aber die Zufiedenheit mit der Regierung, und das Vertrauen in Politische Institutionen wie das nationale Parlament, die EU oder gar die Demokratie aus?

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Zufriedenheit mit der Regierung:

Die Umfrageresultate sind hier etwas dichter beieinander,  und es werden genenerell weniger extreme Durschnittswerte erreicht, aber grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Zufriedenheit mit der Regierung sehr ähnlich wie die Zufriedenheit mit der  Wirtschaftslage verläuft, in der Tat lässt sich ein klarer Zusammenhang finden:

Rplot02

Das Modell bezieht sich auf Länder, und nicht auf Individuen  um den Zusammenhang grafisch besser aufzeigen zu können,  und hat nur bedingte Aussagekraft, da es nur die oben untersuchten Länder beinhaltet, und keine Kontrollvariablen oder geclusterte Standardfehler (wegen der mehrfachen Länderverwendung) aufweist, jedoch lässt ein R2 von 0.86 auf einen starken Zusammenhang schliessen.

Wenn wir uns nun der Frage stellen, ob die EU bei der Bevölkerung an Popularität gewonnen hat, so liefert uns die European Social Survey auch hier Antworten. Die Frage, ob die Europäische Integration schon zu weit fortgeschritten ist oder noch weiter gehen sollte, wird in allen Ländern sehr ähnlich beantwortet, die Krise oder Länderunterschiede scheinen keine signifikante Rolle zu spielen. Während die Mehrheit der Befragten eine neutrale Antwort (Antwortcode 5) abgibt, halten sich Europafreunde und -skeptiker die Waage, und die Krise scheint daran nichts zu ändern. Europa als gesellschaftliches Projekt scheint also nicht gefährdet, auch wenn eher eurosekeptische Länder wie Grossbrittanien (Durchschnittswert  3.9) nach wie vor Ihre Rolle einnehmen. Das selbe gilt auch für die Allgemeine Zufriedenheit mit dem Leben: Zwar sind hier Länderunterschiede klar sichtbar, so sind Schweizer zufriedener als Griechen, doch die Krise brachte auch hier keine signifikante Veränderung. Es kann also festgehalten werden, dass einiges an Vertrauen in die Wirtschaft und Politik abhandengekommen ist, aber die Bürger Südeuropas der Verzweiflung doch noch nicht so nahe sind, wie man dies aufgrund Medienberichten durchaus meinen könnte.

Neu im ESS-Datensatz von 2012 ist auch die Frage, wie wichtig es für die Befragten ist, in einer demokratisch regierten Land zu leben. Da hier leider kein Zeitvergleich möglich ist, können wir nur spekulieren, wie die Situation vor der Krise ausgesehen hat. Doch auch nach der Krise sehen wir, dass die Krise auch den Glauben an die Demokratie nicht bröckeln lässt:

Hier es es wohl vor allem eine historisch gewachsene Einstellung zur Demokratie, welche die Unterschiede in der Beurteilung der Wichtigkeit der Demokratie erklärt, und nicht die mittlerweile scheinbar überwundene Krise. Der hohe Wert, welche die Befragten der Demokratie beimessen, lasst also darauf schliessen, dass die Schuldenkrise, so gravierend deren Folgen auch sein mögen, den Glauben an ein demokratisches Europa nicht nachhaltig untergräbt. Es bleibt zu hoffen, dass mit den sich verbessernden Wirtschaftsindikatoren auch das Vertrauen in die Politik zurückkehrt.

Dieser Blogpost ist Teil des Forschungsseminar „Politischer Datenjournalismus“ and der Universität Zürich, Dozenten sind Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann und Dr. des. Bruno Wüest. Der Post wurde von Nikolai Thelitz (nikolai.thelitz@uzh.ch, Matrikel-Nr.: 09-724-626) verfasst und am 17. Mai 2014 mit einer Länge von 828 Wörtern abgegeben.

Das R-Skript finden Sie hier.

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