Wer von der Gentrifizierung profitiert – und wer verliert

Die Stadt Zürich hat sich gewandelt. Dies zeigt der Blick in die aufgewerteten Trendquartiere der Kreise 3, 4 und 5. Dort haben vor allem die junge Schweizerische Mittelschicht und Deutsche die Menschen aus dem Balkan abgelöst.

Vom Arbeiterquartier zur trendigen Partymeile: Ecke Langstrasse/Militärstrasse. (Bild: Alessandro Feller)

«Oisi Stadt, oisi Quartier!» Unter diesem Motto zogen am Samstagnachmittag des 18. November 2017 Gegner der Stadtaufwertung durch die Kreise 4 und 5. Die rund 200 Personen demonstrierten gegen die ihrer Meinung nach rasant fortschreitende Aufwertung der ehemaligen «Büezer-Quartiere» der Stadt Zürich. Schuld am Gesichtswandel seien unter anderem bekannte Player aus der Immobilienbranche, welche mit ihren Projekten eine neue Klientel anzulocken versuchten.

Dass eine Veränderung stattgefunden hat, wird bei einem Spaziergang durch die Langstrasse deutlich. Wo vor rund 20 Jahren noch Arbeiterfamilien der unteren Einkommensschicht lebten, geniessen heute sogenannte «Young Urban Professionals» in überteuerten Trendlokalen ihren Quinoa-Salat. Ehemals verruchte Ecken mussten dem Bau der von der SBB finanzierten Europaallee weichen und die Gammelhäuser an der Neufrankengasse wurden geschlossen. Mit der Initiierung des Programms «Langstrasse Plus» wurden Kriminalität, Dreck und der offene Drogenkonsum aus dem Quartier verbannt. Die Prostitution wurde an den Stadtrand nach Altstetten verschoben.

Wiederstand gegen Aufwertung – Verschmiertes Werbeplakat in der Langstrassenunterführung. (Bild: Alessandro Feller)

Die Aufwertung führte dazu, dass die Mieten und der Bodenpreis stiegen und eine neue Anwohnerschaft einzog. Im Gebiet um die Langstrasse hat sich der Bodenpreis in den letzten Jahren fast verdoppelt. Die Stadtaufwertung machte aber nicht nur vor dem Kreis 4 halt. Auch in Sihlfeld im Kreis 3, vor allem in der Nähe des Idaplatzes wurden diverse Immobilien renoviert und die Mietpreise stiegen. Die Anwohnerschaft hat sich dementsprechend gewandelt. Rund um den Platz reiht sich ein trendiges Café an das nächste und auf den Parkbänken schlürft die urbane Mittelschicht ihren Chai Latte. Ein ähnlicher Wandel ist auch in Zürich West zu beobachten. Im früheren Industrie- und Arbeiterquartier mit der ehemals höchsten Ausländerquote, liegt das mittlere steuerbare Einkommen mittlerweile höher als in den Quartieren des Zürichbergs.

Die junge Mittelschicht zieht ein

Wer sind überhaupt die Menschen, die in den aufgewerteten Trendquartieren leben? Und hat sich die Anwohnerschaft wegen der Aufwertung im Verlaufe der Zeit verändert? Um diese Fragen beantworten zu können, lohnt sich ein Blick auf die Verteilung des Alters.

(basierend auf Daten der Statistik Stadt Zürich)

Es ist deutlich erkennbar, dass in allen vier Trendquartieren im Vergleich zu 1993 der Anteil der 30- bis 39-Jährigen stark angestiegen ist, während er für ältere und jüngere Menschen in ihren Zwanzigern abgenommen hat. Die Veränderung des Anteils der Personen in ihren Dreissigern ist im Quartier Escher Wyss im Vergleich zu allen anderen Zürcher Quartier mit einem Anstieg von 14,1 Prozentpunkten am grössten. Während der Anteil der 30- bis 39-Jährigen vor 24 Jahren noch bei knapp 19% lag, ist er bis 2016 auf 33% der gesamten Quartierbevölkerung angestiegen.

Bei den jüngeren Zürchern, denjenigen in ihren Zwanzigern, zeigt sich genau das Gegenteil. Ihr Anteil hat in allen vier Trendquartieren abgenommen. Letztes Jahr war gut ein Fünftel der Bevölkerung an der Langstasse 20 bis 29 Jahre alt, 1993 war noch beinahe jeder Vierte in diesem Alter. Zürichweit ergab sich die diesbezüglich grösste Veränderung im oberen Kreis 5 im Quartier Gewerbeschule. In den 80er Jahren noch das Zentrum der Jugendunruhen mit der grössten Hausbesetzung der Schweizer Geschichte, hat sich auch dieses Quartier gewandelt und blieb nicht von der Aufwertung verschont. Auf dem Bus-Parkplatz am Sihlquai liebäugeln Privatinvestoren mit dem Bau eines Kongresszentrums und die SBB will, quasi vis-à-vis von der Europaalle, weitere Büro- und Wohnhäuser errichten.

Die junge Mittelschicht ist in die Trendquartiere eingezogen und hat die 20- bis 29-Jährigen verdrängt. Letztere mussten ausweichen, zum Beispiel in die Quartiere Schwamendingen-Mitte und Saatlen. Im Kreis 12 ist ihr Anteil an der dortigen Bevölkerung seit 1993 mit 27,5% am stärksten gestiegen. Aber auch Rentner und Teenager sind davon betroffen. Im Quartier Escher Wyss hat der Anteil der über 70-jährigen um 61% abgenommen, der Anteil an Teenagern ist um 57% gesunken und an der Langstrasse wohnten 2016 gar 63,8% weniger Jugendliche als noch vor rund 20 Jahren. Im Vergleich mit den restlichen Stadtquartieren sind es die grössten Veränderungen für diese Alterskohorten.

Weniger Ausländer in den Trendquartieren

An der Ausländerquote lässt sich ebenfalls ablesen, wie sich ein Quartier gewandelt hat. Seit 1993 haben sich bezüglich des Ausländeranteils nicht nur die gesamte Stadt, sondern auch die Quartiere selbst verändert. In der Limmatstadt, wo 2016 ungefähr jeder dritte Bewohner kein Schweizer war, ist der Ausländeranteil über die Jahre kontinuierlich gestiegen. Dies ist auch in der überwiegenden Mehrheit der Quartiere der Fall. Ein anderes Bild zeigt sich in den aufgewerteten Trendquartieren. Dort ist die Ausländerquote im Verlgeich zu 1993 überall gesunken, am stärksten in den Quartieren Gewerbeschule, Escher Wyss und Langstrasse. Während 1993 fast jeder zweite Bewohner des Langstrassenquartiers keinen Schweizer Pass hatte, waren 2016 noch circa 39% ausländischer Nationalität.

(basierend auf Daten der Statistik Stadt Zürich)

Am grössten ist die Differenz im Kreis 5. In den Quartieren Gewerbeschule und Escher Wyss nahm der Ausländeranteil mit 35 beziehungsweise 28% am stärksten ab. Die Langstrasse rangiert auf dem dritten Platz, gefolgt von Wipkingen. Wie in der obenstehenden Grafik ersichtlich ist, nahm die Ausländerquote auch in Sihlfeld ab und zwar um rund 14%. Die ausländische Stadtbevölkerung scheint von den zentralen Trendquartieren also in die Randquartiere ausgewichen zu sein. So hat sich beispielsweise der Ausländeranteil in Leimbach verdoppelt, von 15 auf 31%.

Erstaunlicherweise sind es aber nicht unbedingt die Aussenquartiere hinter dem Käfer- und Zürichberg, welche die grösste Veränderung (Anstieg zwischen 30 und 40%) erfahren haben. Die einkommensstarken Quartiere um das Seebecken und die Quartiere des Zürichbergs weisen einen höheren Anstieg der ausländischen Bevölkerung auf als zum Beispiel Seebach oder Schwamendingen.

(basierend auf Daten der Statistik Stadt Zürich)

Die obige Feststellung kann damit erklärt werden, dass in Saatlen, Schwamendingen-Mitte, Seebach und Oerlikon der Ausländeranteil seit jeher höher ist als im Stadtzentrum. Zudem unterscheidet sich auch die Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung. In den einkommensstarken Quartieren stellen Deutsche, Italiener, Franzosen und Menschen aus dem übrigen Europa die Mehrheit der ausländischen Bevölkerung, während in den Quartieren der Kreise 11 und 12 (mit Ausnahme Oerlikon) Personen aus dem Balkan den Grossteil der ausländischen Bevölkerung bilden.

Deutsche lösen Menschen aus dem Balkan ab

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die Schweizerische Bevölkerung in den Zürcher Trendquartieren zugenommen hat, während wohl vor allem gutverdienende Ausländer in die einkommensstarken Quartiere am Fusse des Zürichbergs gezogen sind. Es stellt sich hier aber auch die Frage, welche Nationalitäten von der Aufwertung der Trendquartiere am direktesten betroffen waren. Ein Blick auf die untenstehenden Grafiken gibt Aufschluss darüber. Abgebildet sind die Anteilsveränderungen an der ausländischen Bevölkerung für die zehn Nationen, welche am stärksten betroffen waren.

(basierend auf Daten der Statistik Stadt Zürich)

Im Langstrassenquartier beispielsweise sind es vor allem Menschen aus dem Balkan und Sri Lanka, Italiener, Asiaten, Spanier und Türken, die von der Aufwertung betroffen waren. 1993 war dort noch rund jeder fünfte Ausländer eine Person aus dem Balkan, 2016 sind es noch 7%. Das entspricht einem Rückgang von rund 15,2 Prozentpunkten oder 65%. Wie in der überwiegenden Mehrheit der Zürcher Quartieren stammen an der Langstrasse die meisten Ausländer aus Deutschland, seit 1993 hat sich ihr Anteil an der ausländischen Bevölkerung um fast 20 Prozentpunkte erhöht.

 

(basierend auf Daten der Statistik Stadt Zürich)

Der Blick in den Kreis 5 zeigt ein ganz ähnliches Muster, wobei die Unterschiede zwischen 1993 und 2016 in Escher Wyss am grössten sind. Auch das Quartier im unteren Kreis 5 ist bei Deutschen beliebt (nur in Fluntern, Oberstrass, Hottingen und Hirslanden leben mehr Deutsche). Im Vergleich zu 1993 ist ihr Anteil um 800% gestiegen, von ursprünglich rund 4 auf 34%. Zugleich ist derjenige von Menschen aus dem Balkan am stärksten gesunken, von knapp 30 auf lediglich 3,5%.

 

Methodische Anmerkungen


Daten: Die in diesem Beitrag verwendeten Daten stammen von der Statistik Stadt Zürich und wurden  für das Forschungsseminar «Politischer Datenjournalismus» zur Verfügung gestellt. Beim Datensatz handelt es sich um eine statistische Gesamterhebung aller in Zürich lebhaften Personen für den Zeitraum von 1993 bis 2016.

Operationalisierung: Die ursprünglich 21 Ausprägungen der Altersvariable (Altersangabe jeweils in Fünferschritten) im Originaldatensatz wurden der Übersicht halber in acht Alteskategorien (Altersangabe jeweils in Zehnerschritten) zusammengefasst. Die Variable «Nationalität» wurde ebenfalls umcodiert. Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien wurden aufgrund neuer Staatenbildungen zur Kategorie «Balkan» zusammengefasst. Des Weiteren wurde für jede Person jeweils diejenige Nationalität als «Herkunftsland» angegeben, welche sie beim ersten Auftreten im Datensatz hatte. Mit anderen Worten bleibt die Nationalität jeder Person über den Untersuchungszeitraum konstant. Damit soll verhindert werden, dass allfällige Einbürgerungen die Anteile der verschiedenen Nationalitäten an der ausländischen Bevölkerung verzerren.

Informationen zum Beitrag


Blogbeitrag im Rahmen des Forschungsseminars «Politischer Datenjournalismus». Eingereicht am 17.12.2017.

Anzahl Worte: ca. 1100

R-Script: hier laden.

Verfasser: Alessandro Feller, Matr. Nr: 11-720-190 | alessandro.feller@uzh.ch

Dozierende: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. des. Bruno Wüest und Alexandra Kohler.

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