Über 900 Vorstösse wurden während der laufenden Legislatur vom Kantonsrat Zürich eingereicht. Spitzenreiter ist dabei die SVP, die überraschend oft gemeinsame Sache mit der FDP macht.
Anfang Juni wird der Wädenswiler CVP-Stadtrat Philipp Kutter die Nachfolge von CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer antreten. Dass Kutter den Sprung ins nationale Parlament schaffte, hat er sicher auch seinem Mandat im Zürcher Kantonsrat zu verdanken. Der Kantonsrat ist bekannt als Rekrutierungszentrum des National- und Ständerates. Als Kantonsrat können Politikneulinge ein Netzwerk erarbeiten, ihre Bekanntheit steigern und sich für bestimmte Themen stark machen. Für etliche Kantonsräte war die Arbeit im Parlament daher das Sprungbrett auf die nationale Polit-Bühne.
Die Kantonsräte sitzen aber nicht einfach auf der faulen Haut und warten darauf, höhere politische Ämter übernehmen zu können, sondern wirken aktiv an der kantonalen Gesetzgebung mit. Seit Beginn der Legislatur 2015-2019 haben die Zürcher Parlamentarier so bereits 916 Vorstösse eingereicht, darunter 647 Anfragen, 52 Interpellationen, 44 Motionen, 115 Postulate und 58 parlamentarische Initiativen.
Bei den eingereichten Vorstössen geht es um volksnahe Themen wie um geschlossene Poststellen, den Fluglärm oder den Schiffsfünfliber. Letzterer wurde – auch dank dem Engagement einiger Kantonsräte – nach nur etwas mehr als einem Jahr am 30. März wieder abgeschafft.
Kantonaler Vorstosskönig
Nicht alle Kantonsräte sind gleich begierig darauf, Vorstösse einzureichen. Die Grafik zeigt die Beteiligung der einzelnen Kantonsräte an den eingereichten Vorstössen. Angeführt wird die Vorstossrangliste vom Küsnachter SVP-Kantonsrat Hans-Peter Amrein. Insgesamt fünfzig Vorstösse reichte er in der laufenden Legislatur bereits ein. Das Themengebiet der Vorstösse, die Amrein mitunterzeichnet hat, ist vielfältig. Neben Wirtschafts- und Migrationsfragen beschäftigen ihn auch die Regulierung von Liftanlagen oder Straftaten durch Ärzte.
Überrascht von den Ergebnissen ist Amrein nicht. „Ich sehe es als meine Pflicht als Parlamentarier, auf Missstände aufmerksam zu machen und so öffentlichen Druck auszuüben“, sagt er. Ihm sei es wichtig, ein offenes Ohr für die Anliegen der Bürger zu haben und diese auf der politischen Ebene durchzusetzen. Als wichtigstes parlamentarisches Instrument erachtet Amrein die parlamentarischen Initiativen, die einem Ratsmitglied die Möglichkeit geben, einen eigenständigen Gesetzesvorschlag oder eine Verfassungsänderung einzubringen. Motionen sowie auch Postulate hält Amrein dagegen auch aufgrund der langen Bearbeitungsfristen als wenig zielführend.
Hinter dem Vorstosskönig Amrein belegen der EDU-Kantonsrat Hans Egli aus Steinmaur und CVP-Politiker Josef Wiederkehr aus Dietikon die Ränge zwei und drei. Auffallend ist, dass unter den Top 10 Unterzeichnern kein SP-Politiker zu finden ist, obwohl diese Partei die zweitstärkste Macht im Zürcher Kantonsrat darstellt. Ebenso zeigt sich, dass mit Kathy Steiner (Grüne) und Andreas Hauri (GLP) nur gerade zwei Stadtzürcher Kantonsräte unter den Top 10 Unterzeichnern zu finden sind, die restlichen Politiker stammen alle aus der Agglomeration. Der frisch gebackenen Nationalrat Philipp Kutter (CVP) taucht mit 14 eingereichten Vorstössen nicht auf der Hitliste auf.
Funktionierende Zusammenarbeit
Wie aufgrund der Stärke im Kantonsrat zu erwarten war, führt die SVP die Parteienrangliste der eingereichten Vorstösse an. Die SVP war insgesamt an 371 der 916 Vorstösse mitbeteiligt und liegt somit knapp 10 Prozent über dem aufgrund der Zusammensetzung des Kantonsrats zu erwartenden Wert von 30 Prozent. Hinter der SVP reihen sich die SP mit 251 und die FDP mit 249 Vorstössen in die Rangliste ein.
Die Parteienbeteiligung an den eingereichten Vorstössen entspricht im grossen Ganzen der Parteienstärke im Kantonsrat, wenn auch der Anteil eingereichten Vorstösse für alle Parteien etwas grösser ist als der Anteil an Mitgliedern im Kantonsrat. Im Vergleich zur Parteienstärke am meisten Vorstösse reichten die Grünen ein, mit 10.9 Prozent mehr Vorstössen als zu erwarten wäre. Auch SVP, FDP und GLP stossen mit jeweils knapp 10 Prozent Differenz überproportional oft vor. Am kleinsten ist die Differenz für die CSP, die jedoch auch nur mit einem Mitglied im Kantonsrat vertreten ist.
Da die Vorstösse jeweils von bis zu drei Politikern gemeinsam eingereicht werden können, bietet sich ein Blick auf die überparteiliche Zusammenarbeit an. Die Grafik zeigt den prozentualen Anteil der Parteienkombination an allen eingereichten Vorstössen. Je heller die Farben, desto wahrscheinlicher das auftreten der jeweiligen Kombination. Wenig überraschend zeigt sich, dass ein Vorstoss grösstenteils von Politikern derselben Partei eingereicht wird. So wird ein Vorstoss in rund zehn Prozent der Fälle von mehr als einem SVP-Politiker unterschrieben. Auch die FDP-Politiker neigen dazu, einen Vorstoss gemeinsam mit einem Parteikollegen einzureichen. Die überparteiliche Zusammenarbeit, die zumindest im Bezug auf die von Zürcher Kantonsräten eingereichten Vorstösse am meisten vorkommt, ist die Kooperation zwischen FDP und SVP, die in rund acht Prozent der Fälle auftritt. Die Ergebnisse widersprechen somit scheinbar dem nationalen Trend, laut dem zwischen den beiden Rechtsparteien eine grosse ideologische Lücke klafft. So scheint zumindest im National- und Ständerat der Haussegen zwischen den Parteien des Öfteren schiefzuhängen: Während die FDP der SVP vorwirft, zu stark in den Rechtspopulismus abgedrifted zu sein, kritisiert die SVP die Freisinnigen für ihre Wankelmütigkeit und die Allianzen mit linken Kräften. Besonders was die Masseneinwanderungsinitiative oder die bilateralen Verträge betrifft, gehen die Meinungen der beiden Parteien auseinander. Doch nicht nur Uneinigkeiten bei Sachfragen, auch persönliche Fehden wie etwa zwischen FDP-Präsident Philipp Müller und SVP-Stratege Christoph Blocher belasten die Beziehung. Jüngstes Beispiel persönlicher Abrechnung sind die Facebook-Beiträge des – mittlerweile zurückgetretenen – FDP-Vorstandsmitglieds Beat Schlatter, der die SVP öffentlich als „national-soziale Abschotterpartei mit unglaublich kurzdenkerischem Gedankengut“ bezeichnete.
Dass die Parteien auf kantonaler Ebene trotz der Spannungen zusammenarbeiten, ist ein Zeichen dafür, dass die beiden bürgerlichen Parteien – zumindest was gewisse Fragen betrifft – noch immer auf einer gemeinsamen Linie politisieren und ihre traditionelle Partnerschaft bis zu einem gewissen Grad weiterführen. Besonders in den Bereichen Verkehr, Finanzen und Gesundheit deckt sich die parlamentarische Arbeit der beiden Parteien.
„Die Zusammenarbeit mit der FDP hat sich in letzter Zeit wieder verbessert“, sagt Hans-Peter Amrein. „Die linken Parteien arbeiten jedoch nach wie vor viel kohärenter zusammen als die Bürgerlichen.“ Die Zusammenarbeit mit den Freisinnigen sei für die SVP vor allem aufgrund der breiten politischen Streuung der FDP-Fraktionsmitglieder schwierig.
Trotzdem scheint die Zusammenarbeit der rechten, wie auch der linken Kräfte untereinander zu funktionieren. Die häufigsten Partner der SP sind die GLP, die Grünen oder die EVP. Die SVP arbeitet neben der FDP auch öfters mit der CVP oder der EDU zusammen.
Kaum unheiligen Allianzen
Zur unheiligen Allianz zwischen SP und SVP kommt es dagegen äusserst selten. Einen Vorstoss, bei dem es zur Zusammenarbeit der Parteien kam, betrifft ein Postulat über die Integration von Arbeitslosen in den Arbeitsalltag. Ein anderes Mal zur unheiligen Allianz kam es bei einer Anfrage bezüglich der Schliessung von ZKB-Filialen. Ein klares Muster der Zusammenarbeit zwischen SP und SVP lässt sich nicht erkennen, die regionale Verbundenheit der Politiker scheint jedoch eine Rolle zu spielen. „Dass die überparteiliche Zusammenarbeit vor allem bei regionalen Vorstössen gut klappt, liegt sicher daran, dass Scheulappenpolitik hier weniger Chancen hat“, sagt Amrein. Der SVP-Kantonsrat ist der Meinung, dass gemeinsame Interessen bei Sachfragen über der Parteipolitik stehen sollten. „ Kompromisse sind dabei aber teils nötig, um die stärksten Mitstreiter mit dem meisten Fachwissen mit an Bord zu holen.“
Informationen zum Blogbeitrag
Verfasser: Natalie Wenger | Matrikel Nr: 14-705-206 | natalie.wenger@uzh.ch
Abgabe: 27. Mai 2018
Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus (Frühlingssemester 2018)
Dozierende: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Bruno Wüest und Alexandra Kohler
Wort-Anzahl: 1088
Hinweise zu den Daten und zur Literatur