Spätestens nach dem der amerikanische Präsident das «Muslim Ban»-Dekret unterzeichnet hat, kann gesagt werden, dass Muslime auf der ganzen Welt als Bedrohung wahrgenommen werden. Auch in der Schweiz wird die muslimische Minderheit gerne als eine Gefahr für die Schweizer Identität dargestellt. Deshalb stellt sich die Frage wie die grössten Schweizer Parteien mit dem Thema «Islam» umgehen.
Auf der Parteiebene ist die Devise klar: Man muss das bevorzugte Thema und die entsprechende Meinung dazu stark betonen um sich Wählerstimmen zu sichern. Denn die Wählerschaft neigt dazu die Partei zu wählen, die aufgrund ihres Engagements in einem Politikfeld heraussticht. Wenn einem bestimmten Themenkreis im öffentlichen Diskurs besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, sollte die Partei, die sich diesem Bereich angenommen hat, einen Wahlvorteil geniessen. Dementsprechend priorisieren die Parteien in ihrer Kommunikation die Themen, mit denen sie von der Wählerschaft bereits in Verbindung gebracht werden mit dem Ziel ihre thematische Kompetenz und Assoziierung zu stärken. Im Folgenden wird dieses Parteiverhalten am Beispiel des Islam-Diskurses in der Schweizer Politik näher untersucht. Dafür wurden die Medienmitteilungen und die Parlamentsreden der CVP, der FDP, der Grünen, der SP und der SVP in deutscher Sprache verwendet.
Wann und wie oft äussern sich die Parteien zum Thema «Islam» in ihren Medienmitteilungen?
Medienmitteilungen sind einer der wichtigsten Instrumente der Öffentlichkeitarbeit und stellen ein entscheidendes Bindeglied zwischen Informationsanbietern und -verwertern dar. Sie eignen sich gut um eine Übersicht über die Themenkompetenzzuschreibung und -assoziierung einer Partei zu gewinnen.
Zuerst wurden Begriffe mit Islambezug mithilfe des Macmillian English Dictionary definiert. Dann wurde mit diesen Ausdrücken ein Diktionär generiert und auf Deutsch übersetzt sowie mit Wörtern ergänzt, die in der schweizerischen Politiklandschaft mit dem Islam in Verbindung gebracht werden, wie z. B. Minarettinitiative und Burkaverbot. Die folgende Visualisierung zeigt die Anzahl Nennungen über die Zeit der Begriffe mit Islambezug nach der Anwendung des gebauten Diktionärs auf die Partei-Medienmitteilungen. Für jede Medienmitteilung in dem mindestens einer der Begriffe vorkommt, wurde ein Punkt in der Grafik erstellt. Je öfters die besagten Begriffe verwendet wurden, desto grösser sind die Punkte und je grösser die Punkte sind, umso mehr hat die Medienmitteilung auch mit der Thematik «Islam» zutun.
Auf den ersten Blick kann gesagt werden, dass sich die SVP diesem Themenkomplex angenommen hat. Seitdem die SVP Pressemitteilungen im Internet veröffentlicht, anno 2003, ist der Islam ein Bestandteil ihrer Kommunikationsstrategie. Auffällig sind dabei die Medienmittelungen der SVP, in denen die Begriffe mit Islambezug mindestens 20-mal aufgegriffen wurden. Dies geschah vor allem während der Zeit rund um die Minarettinitiative, 2007 bis 2009 (Sammelbeginn bis Inkrafttreten) und die Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot», 2016 bis 2017 (Sammelbeginn bis Zustandekommen). Die Grünen (GPS) und die CVP waren während dem Minarettstreit aktiver mit dem Islam in ihren Medienmitteilungen beschäftigt als in der Zeit der Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot». Über die Medienmitteilungen der FDP und SP können ab 2010 resp. 2012 Aussagen gemacht werden, weil sie erst ab dieser Zeit begonnen haben Medienmitteilungen im Internet zu veröffentlichen. In den Pressemitteilungen der FDP schien der Islam nicht im Fokus, wurde punktuell jedoch immer wieder genannt. Im Jahre 2017 war die SP mit 15 Gesamtnennungen die zweitaktivste Partei nach der SVP im Islam-Themenbereich.
Wann und wie oft äussern sich die Parteien zum Thema «Islam» in ihren Parlamentsreden?
Da sich die Parlamentsreden durch die Abdeckung des gesamten Spektrums der politischen Debatte auszeichnen, wurden sie der gleichen Analyse unterzogen. So ergibt sich die Möglichkeit, die Untersuchung für Pressemitteilungen mit der Untersuchung von Parlamentsreden der gleichen Partei zu vergleichen. Die folgende Visualisierung zeigt demnach die Anzahl Nennungen nach der Anwendung desselben Diktionärs auf die Parlamentsreden von 2000 bis 2018 auf.
In den Parlamentsreden wurden die Begriffe mit Islambezug generell häufiger verwendet als in den Pressemitteilungen der Parteien. Auch in den Parlamentsreden wurden die generierten Islam-Begriffe insbesondere in der Zeit rund um die prominenten Initiativen mit Islambezug erwähnt. Deshalb verlaufen die Anzahl Nennungen der Parteien auf der Grafik schier synchron zueinander ab. Des Weiteren schien der Islam nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nicht auf dem Radar der grössten Schweizer Parteien gewesen zu sein. Demnach wurde der Islam in den Schweizer Parlamentsreden noch nicht wirklich im Zusammenhang mit dem Thema «Terrorismus» genannt.
Mit welchen Begriffen assoziieren die Parteien das Thema «Islam» am stärksten?
Mit dem Aufkommen rechtspopulistischer Parteien und verstärkter Islamfeindlichkeit in Westeuropa werden Moslems als ethnische und religiöse Aussenseiter stigmatisiert. Nicht selten wird auch hierzulande die muslimische Minderheit als Problem betrachtet. Gewisse Politiker garantieren den Wählern, dass sie gewillt sind konsequent mit dem Problem «Islam» umzugehen und andere plädieren auf das multikulturelle Zusammenleben ohne auf die Ängste der Bevölkerung einzugehen. In welche Gruppe lassen sich die Schweizer Parteien einordnen? Anhand der aus den Parlamentsreden generierten Wordclouds kann herausgelesen werden, mit welchen Begriffen die Parteien den Islam assoziieren. Je grösser die Wörter im Wordcloud abgebildet sind, desto stärker assoziiert die Partei diese mit dem Islam.
Wordcloud Galerie
(Zum Vergrössern bitte klicken)
Keine der Schweizer Parteien war dem Islam gegenüber neutral eingestellt. Ihre Parlamentsreden unterstreichen somit, dass der Islam eine gesellschaftliche Herausforderung darstellt. Insbesondere stärkten die SP und SVP ihre Kompetenz und Assoziierung mit dem Themenkreis «Islam». Die SP brachte den Islam mit Integrationsfragen in Verbindung und sah sich vor allem berufen, den Integrationsprozess zu beschleunigen. Die SVP kommunizierte den Islam eher im Lichte einer (vermeintlich) feindseligen Religion.
Die Wordclouds wurden Ramazan Özgü, Experte im Bereich der interkulturellen Zusammenarbeit, Jurist sowie Moslem, vorgelegt. Zum Wordcloud der SVP meint Özgü: «Nach diesem Wordcloud scheint es mir, dass die SVP sich nicht mit realen Problemen der Gesellschaft befasst. Sie ist an internationalen Konflikten interessiert und versucht diese in die Schweiz zu importieren.»
«Es gibt nur wenige Politiker, die pragmatisch mit dem Islam-Diskurs umgehen»
Ramazan Özgü empfindet die Art und Weise wie sich die Parteien in der Schweiz mit dem Islam auseinandersetzen als problematisch: «Denn auf einer Seite sind Parteien, die das ganze Problem von einer ideologischen Perspektive lösen möchten, und auf der anderen Seite sind Parteien, die voreilig sind. Die ersten wünschen sich eine Schweiz ohne Islam und die letzteren möchten so schnell wie möglich den Islam anerkennen lassen – ohne den Integrationsprozess voranzutreiben.» Es gäbe schon gewisse Politiker, die pragmatisch mit dem Islam-Diskurs umgehen. Nur seien diese in der Minderheit.
«Es braucht ein Umdenken»
Die Anzahl Nennungen der Wörter mit Islambezug deutet darauf hin, dass der Islam als Themenkomplex die Schweizer Parteien beschäftigt. Inwiefern tragen die Parteien zum Dialog bei oder schüren sie eher Ängste? Ob der Dialog, wie er jetzt geführt wird, längerfristig Erfolge erzielen könne, sei fraglich, meint Özgü. Er erklärt: «In der Schweiz werden in politischen Fragen Institutionen resp. Ansprechpartner konsultiert. Deshalb haben Verbände eine enorme Bedeutung. Dasselbe Vorgehen wendet man auch auf die Religionsgemeinschaften an. Und bei Muslimen kann das so nicht funktionieren, weil islamische Dachverbände nicht die Muslime repräsentieren, sondern die Moscheen!» Ein simples Beispiel dafür sei der Umgang mit dem Schwimmunterricht: «Einige Verbände versuchen die Idee, Mädchen aus dem Schwimmunterricht zu dispensieren, durchzusetzen. Aber die Mehrheit der Muslime in der Schweiz hat damit kein Problem. Es braucht ein Umdenken.»
[Anzahl Wörter: 1036 (exkl. Titel, Lead, Zwischentitel, Methodenbox)]
**Im Blogbeitrag wurde für das bessere Leseverständnis die männliche Form benutzt. Selbstverständlich ist hiermit immer auch die weibliche Form gemeint.
Die Medienmitteilungen wurden von den offiziellen Webseiten der Parteien gescraped. Dabei wurden alle verfügbaren Medienmitteilungen bis zum 23.05.2018 berücksichtigt. Bei den Parlamentsreden wurden alle Parlamentsreden ab dem Jahre 2000 bis zum 23.5.2018 ausgewertet. Aus diesen Texten wurde ein Textkorpus erstellt, bei dem es möglich ist, das Datum sowie den Herausgeber zu identifizieren. Dieser Korpus diente als Grundlage für das weitere Vorgehen.
Die für die Analyse verwendeten Parteien wurden wie folgt abgekürzt: die Christlichdemokratische Volkspartei Schweiz (CVP), die FDP.die Liberalen Schweiz (FDP), die Grüne Partei der Schweiz (GPS), die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) und die Schweizerische Volkspartei (SVP).
Validität der Datenauswertung
Allgemein: Damit die Aktualität und die Internationalität des Themenkomplexes «Islam» gewährleistet werden konnte, wurden die Begriffe mit Islambezug mithilfe des Macmillian English Dictionary definiert. Das Macmillan verfügt über Kollokationsboxen mit Listen hochfrequenter Kollokationen, die mit der Sketch-Engine-Software identifiziert werden. Darüber hinaus bietet die Online-Version eine aktuelle Thesaurus-Funktion, die es ermöglicht, Synonyme für beliebige Wörter, Phrasen oder Bedeutungen zu finden. Mit diesen Ergebnissen wurde ein neues Diktionär gebaut und auf Deutsch übersetzt sowie mit Begriffen ergänzt, die in der Schweizer Politik vorkommen wie z. B. Minarettinitiative und Burkaverbot.
Grafik 2: Die Parteien haben zu unterschiedlicher Zeit begonnen Medienmitteilungen im Internet zu veröffentlichen: SVP ab 2003, CVP ab 2009, FDP ab 2010, SP ab 2012 und die Grünen ab 1999 (2 Medienmitteilungen), aber dann vor allem ab 2003.
Grafik 3: Die Unterteilung in Stände- und Nationalrat wurde nicht berücksichtigt und auch auf die Parteistärke innerhalb des Parlaments wurde nicht fokussiert. Diese Unterteilungen waren bezüglich der eigentlichen Aussage des Beitrags nicht von Bedeutung. Die Umbenennung der FDP zu die FDP.Liberalen im Jahre 2009 wurde für die Auswertung einbezogen.
Wordclouds: In den Wordclouds ist zu sehen, welche Wörter stark mit dem Term «Islam» in Verbindung gebracht werden. Dazu wurde für jede einzelne der 5 grössten Parteien der Schweiz eine eigene Wordcloud erstellt. Der R-Befehl findAssocs() aus dem Package tm findet aufgrund der einzelnen Texte die Wörter, welche mit dem Islam in Verbindung gebracht werden. Die Grösse dieser Wörter entspricht dem Wert, wie stark die Wörter assoziiert werden.
Inspirationsquelle resp. Literaturverzeichnis bezügl. Issue Ownership Theory
Petrocik, John R. (1996): ‘Issue Ownership and Presidential Elections, with a 1980 Case Study’, American Journal of Political Science, 40:3, 825–850.
Tresch, A./ J. Lefevere/ S.Walgrave (2018): How parties’ issue emphasis strategies vary across communication channels: The 2009 regional election campaign in Belgium, in: ActaPolitica, January 2018, Volume 53, Issue 1, 25–47.
Tresch, Anke/ J. Lefevere/S. Walgrave (2015): ‘Steal Me If You Can!’ The Impact of Campaign Messages on Associative Issue Ownership.” Party Politics 21 (2): 198–208.
Abbildungsverzeichnis
Beitragsbild und Grafik 1: Eigenes Foto der Autorin. (http://pwiweb.uzh.ch/wordpress/wp-content/uploads/2018/05/BVundKoran.jpg [27.05.2018]).
Grafik 2: Sedef Biçer, Datenquelle: Webseiten der Parteien: «Nennung von Begriffen mit Islambezug in Partei-Medienmitteilungen». (http://pwiweb.uzh.ch/wordpress/wp-content/uploads/2018/05/VeryFinalMedienIslambezug.jpeg [27.05.2018]).
Grafik 3: Sedef Biçer, Datenquelle: Parlamentsreden: «Nennung von Begriffen mit Islambezug in Parlamentsreden». (http://pwiweb.uzh.ch/wordpress/wp-content/uploads/2018/05/VeryFinalGraphSpeeches.jpeg [27.05.2018)].
Wordclouds: Sedef Biçer, Datenquelle: Parlamentsreden:
CVP http://pwiweb.uzh.ch/wordpress/wp-content/uploads/2018/05/CVP_WordcloudMitLogo.001.jpeg;
FDP http://pwiweb.uzh.ch/wordpress/wp-content/uploads/2018/05/FDP_WordcloudMitLogo.001.jpeg.001.jpeg;
GPS http://pwiweb.uzh.ch/wordpress/wp-content/uploads/2018/05/GPS_WordcloudMitLogo.001.jpeg.001.jpeg;
SPS http://pwiweb.uzh.ch/wordpress/wp-content/uploads/2018/05/SPS_WordcloudMitLogo.001.jpeg.001.jpeg;
SVP http://pwiweb.uzh.ch/wordpress/wp-content/uploads/2018/05/SVP_WordcloudMitLogo.001.jpeg.001.jpeg [27.05.2018].
Anmerkungen zum Blogbeitrag:
Titel: Der Islam-Diskurs in der Schweizer Politik
Sedef Biçer (sedef.bicer@uzh.ch)
Forschungsseminar: Politischer Datenjournalismus (FS 2018)
Dozierende: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Bruno Wüest, Alexandra Kohler
Abgabedatum: 27.05.2018
Kommentierte R-Scripts: Webscraper_FDP_MediaReleases; Speeches_Data_Frames_Example_FDP; Medienmitteilungen_Data_Frames_Example_FDP; Combine_DF_and_Plot_Graphs; Speeches_Wordcloud_Example_FDP