Auf zu neuen Ufern – hat Migrationspolitik ausgedient?

Migrationspolitik dominiert den politischen Diskurs der Gegenwart. Von Ausländern, Flüchtlingen und Migranten ist die Rede. Und nun? Die Zuwanderung nimmt stark ab, die Flüchtlingszahlen sind rückläufig und die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative dürfte bald in Kraft treten. Kommen nun wieder andere Themen zur Sprache?

Die Zahl der Personen, die in der Schweiz Asyl beantragen, hat in den letzten 10 Jahren stark zugenommen. Gewaltsame Ausbrüche im Zuge des Arabischen Frühlings sowie die wachsende Zahl an Flüchtlingen aus Eritrea waren primär ausschlaggebend dafür. Im Jahr 2011 zählte die Schweiz erstmals seit den Jugoslawienkriegen der 90er-Jahre wieder über 20’000 Asylgesuche. Aufgrund des langanhaltenden Bürgerkrieges in Syrien stieg die Zahl der Flüchtlinge stetig an und erreichte im Jahr 2015 einen Wert von beinahe 40’000. Seither nimmt diese Zahl wieder stark ab.

Kommen mehr Flüchtlinge, ist die SVP zur Stelle

Angesichts von Grafik 1 ist wenig überraschend, dass die SVP diejenige Partei ist, welche das Thema Asyl während dieser Zeit am meisten bewirtschaftete. Bemerkenswert ist dennoch, dass der Anteil der SVP-Pressemitteilungen über Asyl und Flüchtlinge mit der reellen Entwicklung Schritt hält. Bei den anderen Parteien ist ein ähnlicher Trend vorhanden, allerdings auf einem deutlich tieferen Niveau. Inmitten der europäischen Flüchtlingskrise kletterte das Asyl-Thema bei allen Parteien über die 10%-Marke hinaus. Den Höchstwert setzte die SVP im Jahr 2016 mit 40% aller Pressemitteilungen. Dies zeigt eindrücklich auf, wie wichtig dieses Thema für die SVP ist. Seitdem die Zahl der Asylsuchenden wieder zurückgeht, wird das Thema vonseiten der Parteien auch weniger beackert. Zwar sind die Zahlen von 2018 mit Vorsicht zu geniessen, eine Abschwächung der Asyldebatte scheint aber Tatsache zu sein.

Grafik 1: Thema Asyl und Flüchtlinge


Reformdrang im Asylbereich

Verantwortlich für diese Entwicklung ist allerdings nicht die Zahl der Asylgesuche selbst, sondern vielmehr der politische Prozess, der dahinter steckt. In der untersuchten Zeitspanne wurden einige Asylgesetzreformen verabschiedet. Über zwei davon befand das Schweizer Stimmvolk. Die erste Vorlage lag im Jahr 2013 vor und beinhaltete eine Verschärfung des Asylgesetzes. So wurde etwa das Botschaftsasyl abgeschafft. Linke Parteien sowie NGOs bekämpften die Reform. Arg in Bedrängnis kam die Reform allerdings nie – über 3/4 der Stimmbürger hiessen die Vorlage gut. Wie die Daten zeigen, hatte das absehbare und klare Votum keine nennenswerte Zunahme der Pressemitteilungen über Asyl zur Folge. Etwas konfliktiver verlief das zweite Referendum im Jahr 2016. Trotz regem Widerstand der SVP kam auch diese Vorlage durch. Eine Zweidrittelmehrheit sprach sich für eine Beschleunigung der Asylverfahren aus. Der auffallend hohe Anteil von 40% der SVP-Pressemitteilungen über Asyl und Flüchtlinge kommt also nicht von ungefähr. Denn eine Reihe von SVP-Pressemitteilungen hatten einen direkten Bezug zur Nein-Kampagne.

Zuwanderung ist in aller Munde

Da Asylsuchende nur einen kleinen Teil Zuwanderung ausmachen, lohnt es sich den Blick etwas zu weiten. Die meisten Zuwanderer kommen aus dem EU-Raum in die Schweiz – seit 2002 ist das entsprechende Personenfreizügigkeitsabkommen in Kraft. Der Wanderungssaldo der Schweiz, sprich Zuzüge minus Wegzüge, pendelte sich in den letzten fünf Jahren bei etwa 70’000 ein – einzig im Jahr 2017 ist ein nennenswerter Rückgang zu verzeichnen. Über Vor- und Nachteile der Personenfreizügigkeit streiten sich die politische Linke und Rechte oft und gerne. Zum Gegenstand wurde diese im Zuge der Masseneinwanderungsinitiative und der Ecopop-Initiative im Jahr 2013. Die Annahme der ersteren sah Neuverhandlungen der bilateralen Verträge mit der EU vor. Weil sich die Verhandlungen schwieriger gestalteten als erwartet, zog sich die Umsetzung der Initiative über Jahre hin. Eine Lösung, die auch von der EU gebilligt wird, wurde erst im Jahr 2016 vom Parlament beschlossen. Der «Inländervorrang light» ist das Resultat einer Mitte-Links-Koalition und entspricht nicht dem Gusto der SVP. Dies deutet sich auch in den Daten an: Die SVP-Pressemitteilungen über Ausländer und Einwanderung bzw. Zuwanderung weilten bis 2016 auf einem sehr hohen Niveau. Auch die CVP und FDP behandelten das Thema vorrangig, wohingegen die SP und die Grünen sich deutlich weniger dazu äusserten.

Grafik 2: Thema Ausländer und Einwanderung/Zuwanderung


Reformstau in der Sozialpolitik

In Europa machen viele Politikwissenschaftler die Beobachtung, dass kulturelle Präferenzen höher gewichtet werden als wirtschaftliche. Migrationspolitik spielt demnach für viele Wähler eine grössere Rolle als etwa sozialpolitische Themen. Die Daten aus Grafik 3 sprechen für diese These. Pressemitteilungen, die von unsicheren Renten oder steigenden Krankenkassenprämien handeln, kommen relativ gesehen weniger vor. Bei beiden Themen ist allerdings ein Aufwärtstrend festzustellen. Im Falle der Rentenpolitik hat das Parlament seit geraumer Zeit einen Reformstau zu verantworten. Das jüngste Ereignis bildet die Rentenreform 2020, welche vom Stimmvolk im Jahr 2017 versenkt wurde. Die hohe Medienpräsenz sowie der parteiübergreifende Konsens, dass Handlungsbedarf besteht, lässt den Anteil der Pressemitteilungen zur AHV und Pension seit 2015 aber steigen. Gerade die Mitteparteien CVP und FDP, deren Stimmen für den Erfolg einer Reform entscheidend sind, zeigen sich hier federführend. Zum anderen sind die Krankenkassenprämien zu nennen, die Jahr für Jahr kontinuierlich steigen und für viele Schweizer Haushalte eine finanzielle Belastung darstellen. Auch hier deuten die jüngsten Entwicklungen der Daten darauf hin,  dass dieses Thema wieder mehr Gewicht erhalten wird. Dies gilt zumindest für die CVP und SP. Denn sowohl die CVP als auch die SP beabsichtigen, eine Volksinitiative zu lancieren. Beide haben zum Ziel, die Kosten des Gesundheitssystems massgeblich zu dämpfen. Hinzu sind zwei weitere Initiativen in der Pipeline, die das Krankenkassensystem reformieren wollen. Einen Mangel an Lösungsvorschlägen scheint es in Zukunft also keinen zu geben.

Grafik 3: Themen Rente und Krankenkassenprämien


Kultur ist Trumpf – doch wie lange noch?

In Grafik 4 sind die Durchschnittswerte aller Parteien nach Thema abgebildet. Die Hochkonjunktur der Migrationspolitik scheint vorbei zu sein. Parallel dazu werden sozialpolitische Themen wieder relevanter. Die Rentenpolitik erzielt im noch jungen Jahr 2018 gar den höchsten Wert. Jede Partei hat ihre Kernthemen, mit welchen sie politisiert und Wahlkampf betreibt. Während die SVP ihren Aufstieg insbesondere ihrer Migrationspolitik zu verdanken hat, ist die Linke eher darauf bedacht, soziale Gerechtigkeit zu schaffen oder etwa den Umweltschutz auszubauen. Abhängig davon, wie sich Gesellschaft und Wirtschaft eines Landes entwickeln, verstärkt oder mindert sich das Gewicht dieser Kernthemen. Die Textanalysen untermauern diesen Befund. Die SVP wird weiterhin versuchen, aus der Migrationspolitik Kapital zu schlagen. Die anderen Parteien hingegen wenden sich vermehrt davon ab. Dabei ist die Sozialpolitik ein Politikbereich von vielen, der davon profitieren könnte.

Grafik 4: Alle Themen zusammengefasst


Informationen zum Blogbeitrag

Verfasser: Raffael von Arx, Matrikelnummer: 13-712-393, Mail: raffael.vonarx@uzh.ch

Abgabe: 27.05.2019

Veranstaltung: Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus, Universität Zürich

Dozierende Personen: Dr. des. Bruno Wüest, Alexandra Kohler

Anzahl Wörter: 973

Daten

Die Pressemitteilungen der Parteien wurden mittels Web Scraping gesammelt. Die Bearbeitung dieser grossen Datenmenge mithilfe von R Studio ermöglichte es, gezielt nach Stichworten zu suchen und diese auszuwerten. Zusätzliche Daten basieren auf den folgenden Quellen:

Bundesamt für Statistik (2017): Ein- und Auswanderung der ständigen Wohnbevölkerung nach Staatsangehörigkeit, 2002-2016.

Bundesamt für Statistik (2018): Asylgesuche nach Nationen (1986 bis 2018)

Asylgesuche im Jahr 2018: Diese Zahl beruht auf einer eigenen Hochrechung basierend auf Zahlen des ersten Quartals.

Literatur

Admin (2013): Dringliche Änderungen des Asylgesetzes.  (https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/abstimmungen/2013-06-090.html [Stand 26.05.2018]).

Admin (2016): Änderung des Asylgesetzes für beschleunigte Asylverfahren.(https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/abstimmungen/aenderung-asylgesetz-beschleunigte-asylverfahren.html [Stand 26.05.2018]).

Admin (2017): Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer / Bundesgesetz über die Reform der Altersvorsorge 2020. (https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/abstimmungen/20170924/reform-altersvorsorge-2020.html [Stand 26.05.2018]).

Admin (2017): Portal Statistik der obligatorischen Krankenversicherung. (https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/service/zahlen-fakten/statistiken-zur-krankenversicherung/statistik-der-obligatorischen-krankenversicherung/Portal-statistik-der-obligatorischen-krankenversicherung.exturl.html/aHR0cDovL3d3dy5iYWctYW53LmFkbWluLmNoLzIwMTZfdGFnbG/FiLzIwMTZfc3RhdG9rcC9wb3J0YWxfZGUucGhwP3A9dmlld18x/OGMtMyZtYXA9YWJzJmxhbmc9ZGU=.html [Stand 26.05.2018]).

Admin (2017): Umsetzung des Verfassungsartikels zur Zuwanderung. (https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/themen/fza_schweiz-eu-efta/umsetzung_vb_zuwanderung.html [Stand 26.05.2018]).

Admin (2018): Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG). (https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995092/history.html [Stand 26.05.2018]).

Admin (2018): Im Sammelstadium. (https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis_1_3_1_1.html [Stand 26.05.2018]).

Fenazzi, Sonia – Swissinfo (2018): Die Schweiz im Fieber der Volksinitiativen.(https://www.swissinfo.ch/ger/direktedemokratie/krankenkassen-und-praemienlast_die-schweiz-im-fieber-der-volksinitiativen/44136570 [Stand 26.05.2018]).

Beitragsbild

Projekt MiKo-MYK (2017): Presse/Aktuelles. (http://www.miko-myk.de/presse-aktuelles/articles/fachtagung-2017-gewalt-in-engen-sozialen-beziehungen-im-kontext-migration.html [Stand 27.05.2018]).

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