Altbauwohnungen sind bei vielen Wohnungssuchenden sehr beliebt und gelten auch bei jungen Menschen oft als hip. Doch wer lebt schlussendlich tatsächlich darin? In Zürich gibt es viele solcher alten Wohngebäude, die auch wesentlich zum heute bekannten Stadtbild beitragen. Ein genauerer Blick auf diese Wohngebäude und deren Bewohner zeigt, dass Altbau in Zürich nicht immer gleich Altbau ist.
Oliver Roos, 06.01.2019
Am Altbau scheiden sich oft die Geister. Für die einen verfügen Wohnungen in solchen Gebäuden über viel mehr Charme und Charakter als jene in irgendeinem Neubau. Mit den hohen Decken, schönen Aussenfassaden und alten, tollen Parketböden entzückt die „Traum-Altbauwohnung“ fast jeden. Sie können aber auch sehr teuer sein und werden somit auch zu einem Statussymbol. In der Altstadt Zürichs steht so auch gut und gerne mal eine schicke Altbauwohnung wegen einer überrissenen Miete für über ein Jahr frei. Des Weiteren sind Altbauwohnungen schlussendlich selten so, wie man es sich ausgemalt hat. So sehen andere in ihnen alles das, was besonders viel Ärger macht und immer mehr Kosten als geplant verursacht.
Doch was ist ein Altbau überhaupt? Jeder scheint eine Vorstellung zu haben, aber dennoch gibt es keine fixe Definition dafür. Laut Baunetz_Wissen_ ist ein Altbau ein Gebäude im letzten Lebensabschnitt seiner Nutzungsdauer. Eine solche liegt bei einem Gebäude bei ca. 80-90 Jahren. Somit begrenze ich meine Altbau-Definition hier auf alle Gebäude die vor 1950 erbaut worden sind, da angenommen werden darf, dass gut 70-jährige Gebäude in ihren letzten Abschnitt eintreten.
Vor allem in Deutschland sind Altbauten populär. Doch wie sieht das in der Schweiz aus? Schaut man sich Zürich an, so stellt man fest, dass sich der öffentliche Diskurs, statt um alte Gebäude, viel mehr um Neubauten dreht. Man diskutiert und streitet gerne über den Bau gemeinnütziger Wohnungen oder ein neues Fussballstadium. Altbauten erhalten dahingegen seltener Aufmerksamkeit, obwohl sie omnipräsent sind. Die Bedeutsamkeit von Altbauten lässt sich gut an der Stadtentwicklung Zürichs beobachten. In der unteren Grafik wird diese veranschaulicht, indem für jedes Jahrzehnt, von 1850 bis heute, der Anteil an Gebäuden, die auch heute noch stehen und bewohnt sind, angezeigt wird.
«Die Stadt ist gebaut.»
Man erkennt rasch, wie sich die Stadt im Laufe ihrer Geschichte langsam um den alten mittelalterlichen Kern herum ausgebreitet hat. Als besonders einflussreiche Etappen der Bautätigkeiten müssen wohl die beiden Eingemeindungen von 1889 und 1934 angesehen werden. Dabei wurden schrittweise die damals noch unabhängigen Ortschaften ausserhalb der Stadt einverleibt und zu neuen Quartieren gemacht. Dies trug schlussendlich auch zu deren raschen Urbanisierung bei. Nach einem weiteren Bauboom in den Nachkriegsjahren, kam es zu Beginn der 80er Jahre langsam zu einer Verlangsamung und Blockierung der Bautätigkeiten. Mit dem bekannten Zitat der ehemaligen Zürcher Stadträtin Ursula Koch vor genau 30 Jahren: „Die Stadt ist gebaut“, legte Zürich den Grundstein für einen Trendwechsel hin zu Verdichtung und Umbau. Diese Aussage zeigt schön, dass bei der verbauten Fläche der Stadt nicht einfach tabula rasa gemacht werden kann. Alte Gebäude verbleiben.
Aufgrund der Verlagerung der Bauentwicklung in die neueren Aussenquartiere, zeigt sich Zürich heute besonders facettenreich und hat viele Gesichter. Ein „altes Zürich“ mit seiner Altstadt und Hochschulen und ein „neues Zürich“ am Stadtrande. Witikon ist dabei das Quartier mit dem jüngsten Altersdurchschnitt seiner Gebäude, gefolgt von Höngg und Affoltern (alles Quartiere der zweiten Eingemeindung 1934).
Nichtsdestotrotz stellt man noch genauer auf der Grafik unten fest, dass doch alle Quartiere alte Gebäude aufweisen. Dass Altbauten mehr als die Hälfte (fast 60%) der in der Stadt bewohnten Gebäude ausmachen, ist doch sehr eindrücklich. Dies ermöglicht es, dass wir Altbauten miteinander vergleichen und uns anschauen können, was für Leute sich entschieden haben, in solchen zu wohnen. Unterscheiden sich diese Bewohner wesentlich von den nicht in Altbau Wohnenden?
Eine Überprüfung aller Zürcher Quartiere scheint zur Veranschaulichung nicht die beste Lösung zu sein um Muster zu erkennen, weshalb ich meinen Blick auf zwei Arten von Stadtteilen werfen werden. Zum einen auf solche, die das „neue“ Zürich repräsentieren und zum andere auf die ältesten Quartiere der Stadt.
Zuhause für tiefe Einkommen
Ob eine Altbauwohnung nun gut renoviert, schick und somit eher reichere Leute anzieht, oder auf Umgangssprache eine „Bruchbude“ ist, lässt sich nicht im Generellen sagen. Es gibt beides. Um dieser Fragen für Zürich nachzugehen, lohnt sich ein Blick auf die Anteile der hohen und tiefen Einkommen in verschiedenen Zürcher Quartieren zu werfen. Dadurch erfährt man mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr über den Ausbaustandard von Altbauwohnungen. So ist zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit eher gering, dass jemand mit hohem Einkommen in einer Wohnung mit heruntergekommenen Ausstattung lebt.
Bei der Betrachtung der guten (zwischen 180’000 und 360’000 CHF) und sehr hohen (mehr als 360’000 CHF) Einkommen fällt gleich ins Auge, dass in den neueren Aussenquartieren (rechte Seite der Grafik) die besser Verdienenden weniger oft im Altbau wohnen. In den Quartieren der Stadtmitte ist dieses Bild nicht so eindeutig. So zieht es in den Quartieren Hochschule, City, Langstrasse und Rathaus die gut Verdienenden tendenziell öfters in ältere Gebäude zum Leben, während auch dort die sehr hohen Einkommen relativ weniger oft in Altbauten zu finden sind. Der Anteil Menschen mit guten Einkommen im City Quartier, welche im Altbau leben, ist gut 10% höher gegenüber den später errichteten Gebäuden. Das könnte dadurch erklärt werden, dass eine Altbauwohnung im Zentrum, in der schönen Altstadt, eher noch als Prestigeobjekt wahrgenommen wird.
Man erkennt weiter, dass es in allen Quartieren, abgesehen von der Langstrasse und dem Rathaus, wo die Mieten wohl allgemein unerschwinglich sind, prozentuell einen höheren Anteil von Menschen niedriger Einkommen in Altbauwohnungen gibt. Dies zeigt, dass Altbauwohnungen mit oft auch veralteten Ausbaustandard in der Regel wohl noch erschwinglicher sind, als solche in neueren Gebäuden. In einer Stadt wie Zürich, mit durchschnittlich hohen Mieten, ist jemand, der auf sein Geld schauen muss, froh um jede derartige Wohnung.
Diese Vermutung bestätigt sich auch bei der Betrachtung der Haushaltstypen. In allen Quartieren (abgesehen von Escher Wyss) gibt es verhältnismässig mehr Wohngemeinschaften, die oft von jungen, noch nicht so gut verdienenden Menschen gebildet werden, in Altbauwohnungen. Dahingegen ziehen Paare ohne Kinder, von denen angenommen werden kann, dass sie finanziell am Besten dastehen, verhältnismässig öfters den Einzug in neuere Gebäude vor.
Mit der voranschreitenden Verdichtung der Stadt und dem Umbau alter Gebäude mahnt sich für die bestehenden Verhältnisse aber eine Entwicklung an. „Zürich darf nicht überall gleich umgebaut und verdichtet werden“, erklärt Stadtforscher Philipp Klaus, „denn Verdichtung bedeutet in der Regel Neubauten und das bedeutet wiederum höhere Mieten.“ Verdichtung stellt somit die Gefahr der Verdrängung für die Bevölkerung in Altbauten dar, die oft noch bezahlbare Mieten haben. Logischerweise können viele Altbauten nicht für immer stehen bleiben. Doch wäre es wichtig, bei der Umgestaltung den sozialen Status eines Quartiers zu berücksichtigen.
Altbau ist trendy
Nicht zuletzt treffen Altbauwohnungen aber auch ein wenig den Nerv der Zeit. Sie stehen in einer Phase, in der sich vor allem jüngere Menschen wieder von der Masse absetzen möchten, für Individualität und heben sich oft von den später so monoton errichteten Blockbauten ab. Dies, und wie oben schon besprochen gemeinhin tiefere Mieten, zieht deshalb auch junge Leute an, wie es in der letzten Grafik verdeutlicht wird. 20 – 29 Jährige sind quartierübergreifend oft in Altbauten zu finden.
Informationen zum Beitrag
Blogbeitrag im Rahmen des Seminars «Politischer Datenjournalismus» (HS 2018)
Eingereicht am 06.01.2018.
Dozierende: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Bruno Wüest, Alexandra Kohler
Titel: „Altbauwohnungen im alten und neuen Zürich. Zwischen Statussymbolen und „Bruchbuden“
Anzahl Wörter (exkl. Lead, Anhänge und Literaturverzeichnis): 1111
Verfasser: Oliver Roos, Matr. Nr. 15-710-890 | oliver.roos@bluewin.ch
Selbstständigkeitserklärung: hier klicken
Daten und Methodische Anmerkungen:
Die für diesen Blog verwendeten Daten wurden vom Amt für Statistik des Kantons Zürich zur Verfügung gestellt. Es wurde hauptsächlich mit dem Gebäudedatensatz gearbeitet, der seit 2008 auf einer jährlichen Basis alle Gebäude der Stadt Zürich mit Gebäudenummer und Baujahr erfasst. Dieser Datensatz wurde durch weitere Variablen aus anderen Datensätzen ergänzt, um Aussagen über die Bevölkerung und deren Einkommen machen zu können. Mittels der Gebäudenummern, zum Beispiel, konnte für jedes Gebäude auch ein Quartier zugeteilt werden
Aus dem Finanzdatensatz kam das Haushaltsäquivalenzeinkommen, welches berechnet wird durch die Summe aller Einkommen eines Haushalts geteilt durch die Haushaltsäquivalenzpersonen (Kinder zählen nur proportional und nicht ganz), hinzu. Diese Variable wurde in vier grobe Kategorien eingeteilt – tiefes Einkommen, mittleres Einkommen, gutes und sehr hohes Einkommen – um die Visualisierungen übersichtlicher zu machen. Sowohl die Haushaltstypen als auch die Altersgruppen aus dem Bevölkerungsdatensatz wurde zur besseren Übersicht in grössere Kategorien umcodiert. Es muss zudem angemerkt werden, dass nicht alle Personen in diesem Datensatz auch eine Gebäudenummer zugeteilt hatten, weshalb sie der Untersuchung entfielen.
Um einschätzen zu können, ob beispielsweise besonders viele Reiche in Altbauten leben, wurde in allen dies betreffenden Grafiken als Vergleichsmöglichkeit auch der Anteil für alle anderen Gebäude, die nicht Altbau sind, hinzugefügt.
Der Beitrag kommt bezüglich Validität dadurch an seine Grenzen, dass er nur einen kleinen Einblick gibt und keine generell gültigen Zusammenhänge machen kann. Es muss betont werden, dass es sich bei der Datenauswertung um rein deskriptive Statistik handelt.
Zur besseren Veranschaulichung und auch hinsichtlich der Machbarkeit wurde eine Auswahl getroffen. So ist unter anderem auch die Wahl der Quartiere entscheidend für die getroffenen Aussagen und kann auch nicht mit völliger Sicherheit repräsentativ für alle „neuen“ Quartiere stehen. Es wurde allerdings versucht, mit Escher-Wyss als modernes Trendquartier, Höngg als Ort für Familien und Schwamendingen als Quartier mit hohem Ausländeranteil ein möglichst vielfältiges Bild des „neuen“ Zürichs wiederzugeben.
Alle präsentierten Visualisierungen für diesen Blogbeitrag wurden mit RStudio erstellt. Für die Einsicht ins R-Script: hier klicken.
Folgende Quellen wurden für den Beitrag benutzt:
- Albrecht, Philipp (Tagesanzeiger) (2011): Die Altstadtwohnung, die niemand will. (https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Witikon-ist-kein-Boom-Quartier-mehr/story/17647724 [04.01.2019]).
- Baunetz_Wissen_ (2008): Was ist ein Altbau? (https://www.baunetzwissen.de/altbau/fachwissen/baualtersstufen/was-ist-ein-altbau-650028 [30.12.2018]).
- Kohler, Alexandra (NZZ) (2016): Neuzuzüger bevorzugen diese Zürcher Quartiere. (https://www.nzz.ch/zuerich/zuercher-strassen/in-den-strassen-von-zuerich-neuzuzueger-in-zuerich-bevorzugen-diese-quartiere-ld.8353 [05.01.2019]).
- Lau, Thomas (2012): Kleine Geschichte Zürichs. Friedrich Pustet Verlag, Regensburg.
- Rohrer, Jürg (Tagesanzeiger) (2017): „Witikon ist kein Boom-Quartier mehr“. (https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Witikon-ist-kein-Boom-Quartier-mehr/story/17647724 [02.01.2019]).
- Salm, Karin (Hochparterre) (2018): Träf und prophetisch: «Die Stadt ist gebaut.» (https://www.hochparterre.ch/nachrichten/planung-staedtebau/blog/post/detail/traef-und-prophetisch-die-stadt-ist-gebaut/1521191057/ [04.01.2019]).
- Schumacher, Claudia (Zeit-Online) (2018): Altbauwohnungen: Abreißen! Neu bauen! (https://www.zeit.de/2018/29/altbauwohnungen-neubau-vorliebe-deutschland [04.01.2019]).