So unterscheiden sich Männer und Frauen auf Twitter

#wahlen2019 – der politische Wahlkampf wird zunehmend auf Twitter geführt. Wie aber unterscheidet sich das Verhalten von Frauen und Männern auf Twitter? Die Auswertung zeigt, Männer sind aktiver, Frauen liefern die besseren Inhalte.

Wahlkampf via Twitter – was besonders der amerikanische Präsident prägt, gewinnt auch in der Schweiz an Bedeutung. Rund 36% der Kandidierenden für die Nationalrats- und Ständeratswahlen 2019 betreiben einen Twitter Account. Dieser erlaubt es ihnen, politische Botschaften gratis, schnell und ungefiltert unter die Leute zu bringen.

Tweet von Fabian Molina, SP (15.Oktober 2019)

Ist Twitter gerecht?

In den herkömmlichen Medien werden Frauen nicht nur seltener gezeigt als Männer, sie werden auch oft anders dargestellt (EFK). Durch die direkte Kommunikation zwischen den Kandidierenden und der Bevölkerung, gilt Twitter als gerechter als klassische Medien. Unabhängig von den finanziellen Mitteln, Popularität in den Medien oder politischem Einfluss hat jede*r Kandidierende die Möglichkeit die Microblogging Website zu nutzen. Dieser Meinung ist auch der SVP Nationalrat Claudio Zanetti.

„Es ist nirgends gerechter und sozialer als im Internet, auf Twitter. Das ist ja das Fantastische an diesen neuen Medien.“

Claudio Zanetti – SVP, Quelle: SRF

Es stellt sich jedoch die Frage, ob dies wirklich der Fall ist und Twitter die Geschlechterunterschiede beim virtuellen Wahlkampf vermindert. In diesem Artikel gehe ich deshalb der Frage nach, wie sich die Präsenz und Nutzung von Twitter während dem Wahlkampf 2019 zwischen Frauen und Männern unterscheidet.

Am Wahltag und bei Abstimmungen floriert Twitter

Die untenstehende Grafik zeigt den Anteil Tweets zu den Wahlen 2019 am Gesamtanteil an Tweets zwischen Januar und Oktober 2019. Während die Beiträge zu den Wahlen generell zunehmen, schien der Wahlkampf ab August richtig Fahrt aufzunehmen. Nicht erstaunlich ist, dass die Hashtags zu den Wahlen 2019 bereits im Mai bei den Volksabstimmungen zur Steuerreform und AHV Finanzierung sowie der EU Waffenrichtlinie häufiger eingesetzt wurden. Sachabstimmungen werden von den Parteien und Kandidierenden genutzt, um ihre politischen Positionen zu verbreiten. Am häufigsten twitterten die Kandidierenden am Wahltag, dem 20. Oktober 2019. Die Hashtags wurden dabei hauptsächlich eingesetzt, um die Wahlresultate zu kommunizieren.

Sieht man sich die Grafik getrennt nach Geschlecht an, scheinen die Männer aktiver gewesen zu sein als die weiblichen Kandidatinnen, besonders während der Hauptsaison des Wahlkampfes. So wurden 77% der Wahl-Tweets zwischen August und Mitte Oktober von Männern, und bloss 23% von Frauen gepostet. Auch scheint es, als würden Männer häufiger auf Ereignisse reagieren. So tweeteten sie nicht bloss am Wahltag öfter, sondern bereits während den Abstimmungen im Mai und im Februar. Woran liegt das? Nathalie Giger, Assistenzprofessorin für Politikwissenschaft an der Universität Genf, führt dies darauf zurück, dass Frauen bisher „generell weniger professionell mit Twitter umgehen, d.h. auch weniger Hashtags in ihren Tweets verwenden“. Die professionelle Nutzung von Social Media ist in der Schweiz insgesamt noch nicht ausgeprägt und viele Politiker*innen betreiben ihre Accounts selber. Es ist jedoch möglich, dass dies bei Frauen verstärkt der Fall ist.

Anteil Tweets zu den Wahlen 2019



359’920 Tweets, 29’406 User

Mehr männliche User - aber auch mehr Kandidaten

Von den rund 4600 Kandidierenden für die Nationalrats- und Ständeratswahlen sind rund 36% auf Twitter. Davon sind 64% Männer, diese sind demnach deutlich übervertreten. Weiter erstaunlich ist dies jedoch nicht, da auch im ’Frauenjahr’ 2019 bloss 40,4% Frauen für den National- und Ständerat kandidierten.

Geschlechterverhältnis der Kandidierenden auf Twitter

Wahlen 2019, 1220 User

Den grössten Anteil Kandidierende mit Twitter Profil hat die glp mit 41%. Diese teilen sich auf in 14% Frauen und 27% Männer. Ähnlich sieht es bei der FDP aus. Die 37% Kandidierenden mit einem Twitterprofil bestehen aus 11% Frauen und 26% Männer. Am wenigsten auf Twitter vertreten ist die SVP. Bloss etwa 19% der Kandidierenden haben einen Account und bloss 5% der SVP-Kandiderenden auf Twitter sind Frauen.

Anteil Kandidierende auf Twitter

Wahlen 2019, 3384 Kandidierende

Welche Kandidierenden haben jedoch tatsächlich Erfolg auf Twitter? Um die einflussreichsten User unter den Kandidierenden zu identifizieren wird eine Kombination aus zwei Indikatoren verwendet - die Reaktionen der anderen Benutzer sowie die Anzahl Follower. Als Reaktionen gelten dabei die Likes plus die Retweets, welche die Kandidierenden erhalten.

Popularität der Kandidierenden auf Twitter

165’952 Tweets, 1233 Users

Kandidierende welche viele Follower haben (mehr als 15’000) oder viele Reaktionen auslösen (mehr als 70’000) wurden gekennzeichnet. Zehn Kandidaten erfüllen mindestens eines dieser Kriterien, darunter vier Frauen und sechs Männer. Grössere Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind auf den ersten Blick jedoch nicht erkennbar.

FDP Frauen haben mehr Follower als die Männer

Wie bereits der Zeitverlauf zeigt, twittern die männlichen Kandidierenden generell etwas häufiger. Während Frauen etwa zwei Beiträge pro Tag posten, sind es bei den Männern drei. Dies schlägt sich auch in der Follower-Zahl nieder. So haben die Kandidaten im Schnitt 1739 Follower, die Kandidatinnen mit 1524 Followern rund 200 weniger.

Die grösste Differenz besteht bei den Kandidierenden der SVP. Die Männer haben im Schnitt 2000 Follower mehr als die Frauen. Auch bei den linken Parteien bestehen grössere Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Einzige Ausnahme ist die FDP. Die FPD-Frauen haben fast 600 Follower mehr als die Männer. Grund dafür sind einige Top-Kandidatinnen auf Twitter. So hat beispielsweise Christa Markwalder mit 14’690 Follower die weitaus grösste Gefolgschaft der FDP-Kandidierenden.

Durchschnittliche Anzahl Follower pro Partei

1009 User

Beiträge von Frauen werden deutlich öfter geteilt

Der zweite Popularitäts-Indikator sind die Reaktionen, welche die Kandidierenden erhalten. Bei den Anzahl Likes liegen die Männer vorne, diese erhalten im Schnitt fast 900 Likes, während die Beiträge von Frauen bloss etwa 500 Likes bekommen. Die Währung für Aufmerksamkeit auf Twitter sind jedoch Retweets. Durch geteilte Beiträge können auch User ohne grosses Follower-Netzwerk eine hohe Reichweite erzielen.

Obwohl weniger weibliche Kandidierende auf Twitter sind, diese weniger aktiv sind und generell auch weniger Follower haben, wurden die Beiträge von Frauen erstaunlicherweise im Schnitt doppelt so oft geteilt wie die Beiträge von Männern. Sind die Tweet-Inhalte von Frauen demnach besser? Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass das Teilen von Beiträgen etwas über die Qualität und die Relevanz des Beitrags aussagt - schliesslich erscheint der geteilte Beitrag danach im eigenen Feed. Die Tweets der Frauen scheinen also erfolgreicher zu sein als die der Männer.

Der Tweet von Elena Marti, Grüne (27.Februar 2019) wurde inzwischen fast 1000 mal geteilt.

Linke Frauen vorne

Besonders Beiträge von Kandidierenden der Grünen und SP werden häufig geteilt. Tweets von weiblichen Kandidierenden wurden im Schnitt über 30 mal retweetet. Viel Aufmerksamkeit erhielten die Posts von bisherigen Nationalrätinnen wie Regula Rytz (Grüne) oder Jacqueline Badran (SP), aber auch Beiträge von jüngeren Politikerinnen wie Tamara Funiciello (SP) und Elena Marti (Grüne) erreichten ein grosses Netzwerk. Hinten liegen die Kandidierenden der CVP und SVP. Bei der SVP wurden die Tweets der Männer im Schnitt acht mal, die der Frauen sechsmal geteilt. Am wenigsten Aufmerksamkeit bekamen die Posts der CVP-Kandidatinnen. Diese wurden meist bloss einmal retweetet.

Anzahl Retweets pro Beitrag

1009 User

Männer werden von anderen Männern häufiger getagged

Schliesslich bietet Twitter noch die Möglichkeit andere User in einem Beitrag zu erwähnen - das heisst zu ’taggen’. Auch hier liegen die Männer vorne. Die Kandidaten wurden im Schnitt in 61 Tweets erwähnt, die Kandidatinnen in 43. Es ist hier jedoch anzumerken, dass Nennungen sowohl in einem positiven als auch in einem negativen Zusammenhang möglich sind.

Ein deutliches Muster ist erkennbar, wenn man sich ansieht wer wen erwähnt. Männer taggen andere Männer deutlich häufiger als Frauen. Am deutlichsten tritt dieses Phänomen bei der glp auf. In 81% der Tweets von Kandidaten wurden andere Männer verlinkt, Frauen bloss in 19%. Den besten Ausgleich erreichen die SVP-Männer, diese nannten Frauen in 33% der Tweets mit Erwähnungen, Männer in 67%. Aber auch die weiblichen Kandidatinnen erwähnen vermehrt Männer. Einzig die Grünen Kandidatinnen erreichen den perfekten Ausgleich - Männer und Frauen wurden in Tweets gleichermassen erwähnt.

Wer erwähnt wen?

Partei Männer → Männer Männer → Frauen Frauen → Männer Frauen → Frauen
glp 81 19 69 31
FDP 77 23 57 43
CVP 70 30 55 45
Grüne 70 30 50 50
SP 69 31 51 49
SVP 67 33 71 29
Lesehilfe:
Beispiel glp: In 81% der Tweets der glp-Kandidaten wurden andere Männer erwähnt, in 19% Frauen. In 69% der Tweets von glp-Kandidatinnen wurden Männer erwähnt, in 31% Frauen.

Unterschiede und Möglichkeiten

Frauen sind anders - die Kandidatinnen der Wahlen 2019 posten weniger Beiträge und reagieren nicht so stark auf äussere Ereignisse wie Männer. Zudem haben sie eine kleinere Gefolgschaft und werden nicht so häufig in Beiträgen erwähnt wie die Kandidaten. Frauen scheinen Twitter nicht nur anders zu nutzen als Männer, sie sind auf den ersten Blick auch deutlich weniger erfolgreich auf der Plattform.

Männer sind auch anders - sie nutzen die Mircoblogging Seite aktiver als ihre weiblichen Kolleginnen und unterstützen sich durch Nennungen gegenseitig.

Dennoch sind die Unterschiede innerhalb der Gruppen gross. So gehören einige Tweets von Frauen zu den erfolgreichsten Beiträgen während der Wahlen. Auch werden Beiträge von Frauen viel öfter geteilt als Beiträge von Männern. Die Kandidatinnen scheinen die geringere Follower-Zahl also damit wettzumachen, dass die Tweets durch teilen einem grösseren Publikum zukommen.

Ist Twitter also fairer als die klassischen Medien? Die vorliegenden Ergebnisse geben einen ersten Eindruck darüber, dass die Kommunikation bei Wahlkämpfen auch online sehr vielschichtig und von den Geschlechtern unterschiedlich geprägt ist. Wirklich fairer scheint Twitter nicht zu sein, so bestehen die geschlechterspezifischen Unterschiede auch auf der online Plattform. Während in den herkömmlichen Medien besonders den Parteipräsident/innen eine Plattform gegeben wird, bietet Twitter jedoch auch anderen Personen - wie beispielsweise den Präsident/innen von Jungparteien - die Möglichkeit Aufmerksamkeit zu generieren. Zudem gibt es einige Topkandidatinnen auf Twitter, welche mit ihren Posts ein grosses Netzwerk erreichen können. Durch die richtige Nutzung und die gesellschaftliche Weiterentwicklung könnte die geschlechterspezifische Diskriminierung in den Medien auf Twitter demnach vermindert werden.

Informationen zum Blogbeitrag

Name: Virginia Wenger
Matrikelnummer: 15-102-239
E-Mail: virginia.wenger@uzh.ch

Seminar: Politischer Datenjournalismus (HS 2020)
Leitung: Theresa Gessler, Fabrizio Gilardi, Alexandra Kohler
Abgabedatum: 14. Juni 2020

Anzahl Wörter: 1394

Selbständigkeitserklärung


Methode

Quellen

Für die Analyse wurden die Daten des Digital Democracy Lab verwendet. Die Daten enthalten den Twitter-Stream von mehreren Parteien, Organisationen, Politikern sowie spezifischen Hashtags zu den Nationalrats- und Ständeratswahlen 2019. Die Daten wurden zwischen Januar und Oktober 2019 gesammelt. Insgesamt enthält der Datensatz 29495 Twitter-Accounts. Davon ist in 1220 Accounts das Geschlecht und die Partei angegeben (d.h. Ausschluss von Parteien, Interessengruppen, Personen welche das Geschlecht nicht angeben bzw. Menschen welche sich in den Kategorien «Frau» oder «Mann» nicht repräsentiert sehen). Zudem wurden öffentlich zugängliche Daten vom Bundesamt für Statistik verwendet, welche alle Kandidierenden für den National- und Ständerat inklusive amtlichen Angaben enthalten.

Analyse

Im Artikel sollten Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der politischen Diskussion auf Twitter analysiert werden. Daher wurden bloss Accounts verwendet, bei welchen das Geschlecht angegeben wurde. Für die Auswertung der Daten nach Partei wurden die Kandidierenden der Jungparteien ihren Mutterparteien zugeordnet. Kandidierende der ALG und BastA! wurden den Grünen zugeteilt, die Mitglieder der LDP der FDP, Mitglieder der EVP wurden der CVP und der EDU und Lega der SVP zugeordnet. Die parteispezifischen Werte wurden bloss für die sechs grössten Parteien berechnet. In die Auswertung für die Tabelle mit den Nennungen, wurden bloss Beiträge, welche mindestens eine Nennung enthalten, miteinbezogen.

Den Code zur Analyse und den Grafiken finden Sie hier.