Eine Emotionsanalyse der Social-Media-Beiträge von Schweizer Politikern und Parteien offenbart eklatante Unterschiede. Was besonders auffällt: SVP-Vertreter bespielen häufig die negativen Gefühle ihres Publikums. «Da steckt System dahinter», sagt Kommunikationsexperte Mark Balsiger.
«Statt die Wirkung der kantonalen Massnahmen abzuwarten, will der Bundesrat mit dem heutigen Vorpreschen erneut die Macht an sich reissen.» Mit diesen Worten bewertete die SVP am 8. Dezember 2020 in einem Facebook-Post die neuen Corona-Regeln, welche der Bundesrat nur wenige Minuten zuvor bekannt gegeben hatte. Sprachanalysen auf Social Media zeigen: Je länger die Corona-Krise andauert, desto ruppiger wird die Sprache einzelner Schweizer Parteien und deren Vertretern gegenüber der Landesregierung, was sich besonders deutlich im rechten Parteienspektrum zeigt. Dies gilt nicht nur für die Zeit während der Coronakrise.
Schaut man sich Daten der vergangenen zweieinhalb Jahre an, zeigen sich Unterschiede und klare Tendenzen in der Sprache je nach Parteizugehörigkeit. Doch was sind die Gründe dafür, und steckt eine Agenda dahinter?
Erste Unterschiede zeigen sich bereits in der Anzahl Posts auf Social Media. Spitzenreiterin der Bundesratsparteien ist die FDP mit 1850 Beiträgen auf Facebook in den vergangenen dreieinhalb Jahren. Das Schlusslicht bilden die Sozialdemokraten mit 1176 Posts im selben Zeitraum.
Gemässigte Mitte, negative Pol-Parteien
Je weiter sich eine Partei von der Mitte entfernt, desto emotionaler wird die Sprache auf Social Media. Nicht nur das: Die beiden Pol-Parteien SVP und SP verwenden eine negativere Sprache als die Mitteparteien FDP, BDP und CVP. Wie sich dies genau äussert, wird später genauer ausgeführt.
Während bei der CVP und der BDP (heute «die Mitte») knapp über einem Viertel aller geposteten Worte eine negative Konnotation zugewiesen werden kann, steigt dieser Anteil bei den Pol-Parteien auf knapp 34 Prozent für die SP und gar auf 38 Prozent für die Schweizerische Volkspartei.
Und auch auf der nächsttieferen Analysestufe, den einzelnen Emotionen, setzt sich der Trend fort. Bei den negativen Empfindungen wie Angst, Ekel, Traurigkeit und Zorn belegen die beiden Schweizer Pol-Parteien immer die ersten beiden Plätze. Exemplarisch zeigen sich diese Unterschiede zu den Mitteparteien beim Gefühl der Angst. Sind es bei der CVP und BDP 16 beziehungsweise 17 Prozent aller Facebook-Posts, bei welchen ein Wort der Emotion Angst zugeordnet werden konnte, verdoppelt sich dieser Anteil bei den Sozialdemokraten und steigt bei der SVP auf beinahe 40 Prozent.
Bei positiven Emotionen wie Vertrauen oder Vorfreude zeigt sich hingegen ein differenzierteres Bild. Zwar ist auch hier der Anteil bei den Pol-Parteien im Vergleich zur CVP und BDP gross, was wiederum die Emotionalität der Sprache belegt. Parteien wie die FDP oder die GLP liegen hier aber auf einem ähnlichen Niveau. Doch nicht nur der Prozentanteil an Posts mit negativen Emotionen ist bei den Pol-Parteien grösser, auch die Intensität ist im Vergleich zu den Mitteparteien stärker. In anderen Worten: Wenn die Emotion Angst einem Post zugeordnet werden kann, sind es beispielsweise bei der BDP im Schnitt 1,22 Worte, welche mit Angst assoziiert werden, wohingegen es bei der SVP deren 1,59 sind.
Köppel spricht über Unterwerfungsvertrag, Candinas über Mineralwasser
Je weiter weg von der Mitte, desto negativer die Sprache: Dieser Trend setzt sich auch auf der Individualebene der Politiker fort. Gleich wie bei den Parteien wurden in der Analyse von Twitterdaten die Anteile der negativen Worte berechnet. Es zeigt sich, dass in den vergangenen zwei Jahren fünf SVP-Politikerinnen oder -Politiker auf den Plätzen eins bis fünf der am negativsten kommunizierenden Politiker stehen.
Der Anteil an negativ konnotierten Worten beläuft sich bei allen fünf SVP-Vertretern auf über 40 Prozent. Spitzenreiter ist Weltwoche-Chef Roger Köppel. Der gemässigtste Politiker, was die Sprache auf Twitter betrifft, ist Martin Candinas von der Partei «die Mitte», der ehemaligen CVP.
Dieser Unterschied lässt sich auch an den exklusiven Themengebieten erkennen, welche die beiden Politiker auszeichnen. Mit Hilfe eines Algorithmus wurden die Wörter für die jeweiligen Politiker berechnet, welche sie im Vergleich zu allen anderen häufiger benutzen. Bei Candinas sind dies lokal geprägte Begriffe wie «Mineralwasser», «Surselva» oder «Disentis». Bei Köppel hingegen sind es kontroverse Themen wie «Zuwanderung», «EU» oder «Klima».
Je negativer, desto mehr Aufmerksamkeit
«Die SVP war und ist die Nein-Sager-Partei der Schweiz», sagt Politikberater und Kampagnenspezialist Mark Balsiger. «Deshalb überraschen mich diese Resultate nicht.» Balsiger nennt als Beispiel die Europapolitik, welche die Partei seit nunmehr 30 Jahren bewirtschaftet. Das kategorische Nein habe im Vergleich mit anderen Parteien automatisch eine negativere Sprache zur Folge.
Gleichzeitig sei es das Ziel der Pol-Parteien und deren Politiker, auf Social Media die grösstmögliche Aufmerksamkeit zu generieren und somit ihr Zielpublikum beziehungsweise ihre Wählerschaft anzusprechen. «Das erreichen sie nun mal durch eine provokative Sprache.» Dies könne man besonders auf Twitter gut beobachten. Diese Plattform habe sich in den vergangenen Jahren zu einem toxischen Kanal entwickelt, auf dem ein Schwarz-Weiss-Denken vorherrsche. «Das kommt den polarisierenden Parteien zugute. Je kontroverser ein Thema oder ein Post, desto grösser ist die Aufmerksamkeit, die sie erhalten», so Balsiger. Deshalb sei die gewählte Sprache kein Zufall. «Das hat System.»
Auch die Daten der Sprachanalyse stützen diese Thesen. Die Tweets der Politiker erhalten signifikant mehr Retweets, wenn die Anzahl an negativen Worten die der positiven übertrifft. So werden positive Tweets von Roger Köppel im Schnitt 63 Mal retweetet. Ist der Post hauptsächlich negativ, steigt die Anzahl an Retweets auf 79.
«Kurzfristig dürfte die Strategie, die grösstmögliche Aufmerksamkeit zu generieren, Erfolg haben», sagt Balsiger. «Ob das Kalkül aber auf längere Sicht aufgeht, und nicht eine gemässigtere und damit auch eine staatstragende Sprache wie diejenige der Mitteparteien besser ist, bleibt offen.»
Daten, Validität und Methoden:
Für diesen Blogbeitrag wurden Facebook-Posts (11909 Beobachtungen vom 1. Januar 2018 bis 1. März 2021) & Twitter-Posts (113481 Beobachtungen vom 1. März 2019 bis 9. März 2021) aller Schweizer Parteien mit Franktionsstärke und deren Politikerinnen und Politiker in deutscher Sprache analysiert. Da sich die Analyse auf deutschsprachige Posts beschränkt, sind die Resultate nicht für das gesamte Schweizer Parlament und Parteien generalisierbar.
Die Facebook-Daten wurden dabei für die Parteien-Analyse, die Twitter-Daten für die Individual-Analyse verwendet. Die Daten stammen vom Digital Democracy Lab. Für die Sentimentanalyse wurde das quanteda-Package in R und das NRC Word-Emotion Association Lexicon verwendent. Das NRC-Lexikon wurde zudem individuell ergänzt, indem Kollokationen und Verneinungen hinzugefügt wurden. Das genaue Vorgehen ist im kommentierten Code beschrieben. Die Ergebnisse der Analyse wurden mit Hilfe von t-Tests auf ihre Signifikanz hin untersucht. Die links-rechts Einteilung der Parteien in den Plots wurde auf Grundlage einer Auswertung von Michael Hermann vorgenommen. Wie genau die Datenaufbereitung, die Analyse und die Plots generiert wurden, wird im kommentierten Code beschrieben.
Um die Ergebnisse der Analyse für die Leserschaft verständlicher zu machen, wurde bewusst darauf verzichtet, die CVP und die BDP als „die Mitte“ zusammenzufassen. Dass es sich mittlerweile um eine Partei handelt, wird jedoch im Text erwähnt.
Annahmen für den Beitrag und die Analyse:
– Konnte eine Emotion einem Post zugeordnet werden, wurde der Beitrag dem Sentiment zugeordnet.
– Je tiefer die Ausschläge bei der Emotionsberechnung der gewichteten Frequencies sind, desto neutraler (emotionsloser) wird die Sprache der jeweiligen Partei bewertet.
– Weitere Annahmen können dem kommentierten Code-File entnommen werden und sind dementsprechend gekennzeichnet.
Bloginformationen
Titel: Die zornigen Posts des Roger Köppel – wie Schweizer Politiker und Parteien auf Social Media kommunizieren
Autor: Tim Naef
Email: tim.naef@uzh.ch
Matrikelnummer: 09-732-082
Abgabedatum: 20. Juni 2021
Vorlesung: Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus (FS2021)
Dozierende: Alexandra Kohler, Theresa Gessler, Bruno Wüest
Anzahl Wörter: 914
Referenzen
Mark Balsiger, M.A
https://www.border-crossing.ch/mark-balsiger/
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