Immer noch sitzen mehr Männer als Frauen im Deutschen Bundestag. Gerade bei konservativen Parteien, wie CDU/CSU und AfD ist das der Fall. Das schlägt sich auch im Abstimmungsverhalten der weiblichen und männlichen Abgeordneten nieder. Besonders in den mittleren Altersgruppen scheint der Gender Gap am deutlichsten zu sein.
Dass der Gender Gap im Deutschen Bundestag immer noch Thema ist, zeigen die Berichterstattungen Ende September und Anfang Oktober nach der letzten Bundestagswahl in der deutschen Presse. Vom SPIEGEL über die tagesschau bis hin zur Süddeutschen Zeitung (SZ) wurde von der Unterrepräsentanz der weiblichen Politikerinnen berichtet.
Doch wie sieht es beim Abstimmungsverhalten der Parteien aus? Wie stimmen Frauen und Männer innerhalb der Parteien ab? Gibt es einen Unterschied in verschiedenen Altersklassen? Und hängt dies vielleicht sogar mit bestimmten Themen zusammen?
Innerhalb der Parteien scheint der Gender Gap bei Abgeordneten mittleren Alters immer noch deutlich größer zu sein als bei jungen Abgeordneten. Und: progressive Parteien scheinen ihn fast gänzlich überwunden zu haben – zumindest in der Altersgruppe der 51-65-Jährigen.
Männer dominieren in konservativen Parteien
Das zeigt die Auswertung von über 421 Abstimmungen in den Wahlperioden 18 und 19 über alle deutschen Parteien hinweg. Die verwendeten Abstimmungen stammen von wahlbilanz.de, einer Datenwebsite, die die Rohdaten der Abstimmungen des Deutschen Bundestages zu allen aktuellen Legislaturperioden sammelt. Zusammen mit dem legislatoR-Datensatz wurde ein neuer Datensatz zum Abstimmungsverhalten aller männlichen und weiblichen Politiker:innen zwischen November 2013 und April 2021 erstellt. Berücksichtigt werden nur „ja“ und „nein“-Stimmen der Abgeordneten pro Partei.
Die folgende Abbildung zeigt zunächst den Anteil weiblicher und männlicher Abgeordneten nach Parteien. Hier fällt sofort auf, dass der Gender Gap in konservativen Parteien deutlich größer als in liberalen Parteien ist. Gerade bei Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE ist der Gender Gap sogar gänzlich gedreht: Hier stimmen mehr Frauen als Männer ab. Ein entscheidender Grund dafür ist, dass konservative Parteien deutlich häufiger patriarchalischer aufgebaut sind und generell weniger Frauen in Parteien aufnehmen. Dies zeigt auch die Bewerbung um den CDU-Vorsitz, bei dem sogar die Kandidatur einer Frau verhindert worden war. Eine weitere Erklärung für den Gender Gap zwischen Parteien könnte auch sein, dass Frauen eher liberale Ansichten und Positionen vertreten und damit vorwiegend progressiven Parteien beitreten.
Frauen sind mit zunehmendem Alter in konservativen Parteien unterrepräsentiert
Schaut man sich den Anteil an weiblichen Abgeordneten nach Altersgruppen an, wird das Bild noch klarer. Über alle Altersgruppen hinweg ist ein deutlicher Gender Gap zu sehen. In der jüngsten Altersgruppe ist ein Unterschied von 40 Prozent zu erkennen. Dieser steigt in der Altersgruppe 35-51 auf 44 Prozent an. Damit ist der Gender Gap in dieser Altersgruppe am größten. In der Altersgruppe 51-65 sinkt er kurzzeitig auf 28 Prozent, während er bei den über 66-Jährigen wieder auf 40 Prozent steigt. Damit scheint der Gender Gap im mittleren Alter am größten zu sein.
Aber ist dieser Trend auch über alle Parteien hinweg gleich? Bei der Alternative für Deutschland (AfD) ist der Gender Gap über alle Altersgruppen hinweg sehr groß und besonders in der Altersklasse 51-65 am deutlichsten sichtbar. Das Gleiche gilt auch für die Christlich-Demokratische Union (CDU/CSU). Auch hier scheint der Gender Gap mit mittlerem Alter deutlich zuzunehmen.
Betrachtet man aber liberale und insbesondere Parteien links der Mitte, scheint ein Gender Gap kaum vorhanden zu sein. Bei DIE LINKE hat sich der Trend in der Altersgruppe 51-65 sogar gänzlich gedreht – hier stimmen deutlich mehr Frauen als Männer ab. Einen ähnlichen aber nicht ganz so großen Trend findet man auch bei den Grünen.
Parteien stimmen bei Ethikfragen ohne Fraktionszwang trotzdem nach Parteilinie ab
Ist dieser Unterschied zwischen linken und rechten Parteien auch bei bestimmten Themenabstimmungen zu finden? Fest steht, dass Parteien auch bei Themen ohne Fraktionszwang eher nach Parteilinie abstimmen. Einzige Ausnahmen sind hier beispielsweise die FDP bei der Aufhebung des Werbeverbots bei Schwangerschaftsabbrüchen oder die CDU/CSU bei der Ehe für alle. Bei der FDP haben mehr Männer (8,67 Prozent) als Frauen für die Aufhebung des Werbeverbots gestimmt. Während AfD und FDP bei der Abstimmung für die Ehe für alle nicht im Bundestag vertreten waren, haben in der konservativen CDU/CSU fast 32 Prozent der Frauen trotzdem mit „ja“ gestimmt. AfD und CDU/CSU sind bei der Aufhebung des Werbeverbots bei Schwangerschaftsabbrüchen mit null Prozent vertreten, da diese konservativen Parteien deutlich nur mit „nein“ gestimmt haben. Das gilt auch für den größten Anteil in der SPD.
Parteien sind Gatekeeper
Doch warum scheinen liberale Parteien dem Gender Gap besser entgegenzuwirken als konservative Parteien? Und warum schlägt sich das ausgerechnet in Abstimmungen zu Ethikfragen am meisten nieder? Lisa Hempe von der Nichtregierungsorganisation Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) und Cécile Weidhofer vom Helene Weber Kolleg (HWK) fordern im Interview mit der SZ-nahen „jetzt“, dass Parteien dabei mehr Verantwortung übernehmen müssen: „Die Parteien sind Gatekeeper. Sie entscheiden: Möchte ich eine Frau aufstellen, und auf welchem Listenplatz tue ich das?“ Parteien, wie beispielsweise die Grünen, die eine interne Quotenregelung haben, schneiden deshalb deutlich besser ab.
Konservative Parteien legen beispielsweise bei Abstimmungen, wie der Ehe für alle, zunächst einen größeren Fokus auf das traditionelle Familienbild, während progressive Parteien, wie die Grünen oder SPD, schon lange für eine Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Paare plädieren. Das Gleiche gilt auch für das Thema Abtreibung, da konservative Parteien öfter argumentieren, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht mit ihren christlichen Werten vereinbar seien.
Ist Parteienengagement für viele junge Politiker:innen nicht mehr attraktiv?
Auch in den verschiedenen Altersgruppen ist deutlich zu erkennen, dass bei jüngeren Abgeordneten weiterhin ein Gender Gap besteht. Generell sind junge Politiker:innen immer noch deutlich unterrepräsentiert. Woran liegt das? Zum einen gibt es mittlerweile zahlreiche andere Möglichkeiten, um sich politisch zu engagieren. Nicht nur NGOs, Social Media oder Bewegungen auf der Straße, wie Fridays for Future, haben das möglich gemacht. Manchmal erhalten junge Menschen dort mehr Gehör für ihr Engagement.
Zum anderen sind die Babyboomer ein ausschlaggebender Punkt, wie die „jetzt“ passend formuliert: Sie kleben an ihren Bundestagssitzen. Wie diese Analyse bereits gezeigt hat, findet sich der größte Anteil an Politiker:innen in fast jeder Partei zwischen Anfang 40 und 65 wieder, während der Anteil an jungen Politiker:innen auch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung stetig zu niedrig ist. Neben dem Konkurrenzkampf um Listenplätze wirken Parteien auf junge Menschen auch insgesamt einfach immer weniger attraktiv. Gerade die alten Volksparteien tun sich schwer jüngere und vor allem weibliche Generationen anzuwerben – ein echtes Nachwuchsproblem. Und das, obwohl die Jugend Deutschlands immer politischer wird.
Daten & Methoden
Grundlage für den verwendeten Datensatz sind Daten der Website wahlbilanz.de und dem legislatoR-Datensatz. Die Erstellung des Datensatzes und der Grafiken wurden mit dem Statistikprogramm R vorgenommen. Der Begriff „Gender Gap“ definiert hier die Unterrepräsentanz von Frauen im Deutschen Bundestag. Für die Altersgruppen wurde für jede:n Abgeordnete:n das Alter aus dem Geburtsdatum bestimmt und daraus vier Altersklassen (18-34, 35-50, 51-65, 66+) geschaffen. Das Abstimmungsverhalten wurde aus „ja“ und „nein“ -Stimmen bestimmt. Enthaltungen und nicht abgegebene Stimmen wurden nicht berücksichtigt. Der Code ist hier einsehbar.
Quellen
Tagesschau, 02.10.2021,
https://www.tagesschau.de/inland/btw21/bundestag-frauen-101.html
jetzt, 24.09.2021,
https://www.jetzt.de/politik/bundestagswahl-2021-wie-viele-frauen-gleichberechtigung
SPIEGEL, 28.09.2021,
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/mehr-frauen-im-bundestag-datenanalyse-zur-wahl-a-7066aef1-7c10-4a6b-b4aa-89f65e9d98ae
SZ, 26.10.2021,
https://www.sueddeutsche.de/politik/bundestag-frauen-1.5449443
jetzt, 29.05.2017,
https://www.jetzt.de/crowdspondent/warum-sitzen-so-wenig-junge-politiker-im-bundestag
Wahlbilanz.de, 29.11.2021,
https://wahlbilanz.de/abstimmungen/
LegislatoR, 06.12.2021,
https://github.com/saschagobel/legislatoR
Informationen zum Blog
Autorin: Livia Hofmann, livia.hofmann@uzh.ch
Titel: Alt und konservativ oder jung und liberal? Wie der Gender Gap das Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag bestimmt
Modul: Vorbereitung zum Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus (HS21)
Dozierende: Alexandra Kohler, Theresa Gessler, Fabrizio Gilardi
Abgabedatum: 31.12.2021
Anzahl Wörter: 993