Akademiker im Parlament: der Bildungsgraben schliesst sich

Im Vergleich zu den Parlamentswahlen 1999 ist der Anteil von SVP National- und Ständeräten mit einem akademischen Hintergrund von knapp über 30 Prozent auf etwa 40 Prozent gestiegen. Diese Entwicklung ist kein Ausdruck eines allgemeinen Trends zur Akademisierung des Parlaments. Vielmehr deutet sich auf Bundesebene eine Annäherung der Akademiker-Anteile der wichtigsten Parteien an. 

SVP-Kandidaten

Hans-Ueli Vogt (Rechts-Professor), Lukas Reimann (Jurist), Thomas Aeschi (Ökonom) – SVP Kandidaten mit akademischem Hintergrund. Bildquelle: SRF.

„Der neue SVP-Wind weht von den Hochschulen“, hiess es Ende Februar im SRF in einem Beitrag der Sendung 10vor10 zur Nationalrats-Kandidatur von Verleger und Journalist Roger Köppel. Die Wahl belege den Wandel der SVP:

Die Vertreter der SVP, das waren vor nicht allzu langer Zeit vor allem Bauern und Gewerbe-Treibende. Doch nun übernehmen zunehmend jüngere, urbanere und Studierte die Schalthebel der Partei. Der neue Typus des SVP-Politikers ist nicht im familiären Betrieb, sondern an der Uni gross geworden (SRF, Sendung 10vor10 vom 27.2.2015, „Akademiker statt Bauern“)


Der SVP-Wind weht wieder stärker von den Hochschulen 

So neu ist des Typus des SVP-Politikers mit akademischem Hintergrund nicht. 1980 war die SVP mit einem Akademiker-Anteil von 61 Prozent im nationalen Parlament vertreten. Im Zuge des Aufstieg der Partei ging der Anteil der SVP National- und Ständeräte mit akademischem Hintergrund stark zurück. 2000, ein Jahr nachdem die SVP einen „Erdrutsch-Sieg“ erlangt hatte, lag der Akademiker-Anteil nur noch bei knapp über 30 Prozent. Seither ist wieder ein Anstieg zu beobachten.

Anteil gewählte Vertreter mit Universitäts-Abschluss: 1910-2015

  Die SVP-Bundesfraktion besteht aktuell zu etwa 40 Prozent aus Hochschulabsolventen. Im November vergangenen Jahres kündigte SVP Wahlkampfleiter Albert Rösti in einem Interview der SRF-Tagesschau an, dass die SVP ihr ländliches Image loswerden wolle und es Ziel sei, vermehrt auch Akademiker zu mobilisieren. Thomas Milic vom Forschungsinstitut gfs Bern führt die „schleichende Akademisierung der SVP“ auf gestiegene Ansprüche der Partei zurück (siehe SRF-Sendung „Echo der Zeit“ vom 5.7.2014 zum Thema „Die SVP und die Akademikerfrage„). Die SVP wolle nicht mehr nur auf Ausländerpolitik und Europapolitik reduziert werden, sondern sich auch in anderen Themenbereichen profilieren. Hierfür brauche es das entsprechende Fachwissen.

Die verstärkte Ausrichtung der SVP auf Akademiker steht im Gegensatz zu einer Abnahme des Anteils von Hochschulabgängern in der Schweizerischen Bundesversammlung, die sich seit den 80er Jahren sowohl im Nationalrat als auch im Ständerat bemerkbar macht.  

Akademisierung der Schweizerischen Bundesversammlung

 

Der Bildungsgraben schliesst sich 

Vor 15 Jahren stand eine schwach akademisierte SVP den stark akademisierten traditionellen Parteien gegenüber. Diese waren 2000 mit Anteilen von 70-80 Prozent im Parlament vertreten. Der „Bildungsgraben“ im Parlament ist kleiner geworden. Während in der SVP intellektuelle Tendenzen stärker werden, sind die Akademiker-Anteile von SP, CVP und FDP zurückgegangen. Gewählte Vertreter mit akademischem HintergrundUnterschiede zwischen den Parteien bestehen weiterhin. Sie kommen allerdings stärker in einem Graben zwischen BDP und SVP auf der einen, und den Grünen Parteien auf der anderen Seite zum Ausdruck – oder, je nach Sichtweise, in einem Graben zwischen BDP und GLP.

 

Anteil Parlamentarier mit Doktor-Titel oder Universitätsabschluss im Jahr 2015

Mit einem Akademiker-Anteil von über 40 Prozent – Tendenz steigend – ist die SVP heute nicht mehr weit vom Akademisierungs- Niveau der klassischen Parteien (56-61 Prozent) entfernt. Der aktuelle Trend geht in Richtung einer Annäherung der Akademiker-Anteile der wichtigsten Parteien auf Bundesebene. 

Wir können uns darauf einstellen, dass im Wahljahr 2015 Positionen der SVP zunehmend von Hochschulabsolventen formuliert und vertreten werden. Im Februar kommentierte Toni Brunner: 

Jetzt sieht man, dass die SVP intellektuell aufrüstet. Das heisst auch: es wird spannende Auseinandersetzungen geben. Es ist immer schön wenn Professoren nicht auf einer Seite stehen, sondern man sie aufeinander loslassen kann

Daten-Basis

Akademische Titel 1910-2010: 

Andrea Pilotti (2012), „Les parlementaires suisses entre démocratisation et professionnalisation (1910-2010). Biographie collective des élus fédéraux et réformes du Parlement helvétique“, Doktorarbeit, Fakultät für Sozial- und Politikwissenschaften, University of Lausanne and Swiss Elite Database (www.unil.ch/elitessuisses)(2012).

Akademische Titel 2015: 

Parlamentsdienste des Schweizer Parlaments (Stand Mai 2015), Informationen zu den Abgeordneten (Übersicht über alle amtierenden National- und Ständeräte) / Details (Biografie des Abgeordneten Abate Fabio) / Feld: Title.

Universitäts-Abschlüsse der wahlberechtigten Schweizerischen Bevölkerung: 

Befragungs-Daten der Schweizer Wahlstudie Selects (1971-2011) des Forschungsverbunds politikwissenschaftlicher Institute Schweizer Universitäten (FORS)

Autorin: Vanessa Mistric
Blog im Rahmen des Forschungsseminars “Policy Analyse: Politischer Datenjournalismus” (FS15)
Dozenten: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann, Dr. des. Bruno Wüest, Dr. Sarah Bütikofer

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