Der sozial-konservative Untergangskurs des neuen CVP-Präsidenten

Im Zuge der fortschreitenden Säkularisierung, Globalisierung und Individualisierung scheinen konservative Werte zunehmend wieder en vogue zu werden. Von diesem Trend hin zu konservativen Werten versucht auch der neu gewählte CVP-Präsident, Gerhard Pfister, zu profitieren. Pfister plant der CVP ein sozial-konservatives Profil zu verpassen und hofft so bei seiner potenziellen Klientel zu punkten. Doch trifft Pfister mit der sozial-konservativen Leitkultur den aktuellen Zeitgeist der CVP-Stammwählerschaft?

Die CVP (Christlichdemokratische Volkspartei) befindet sich mit 11.6 Prozent der Wählerstimmen (Gesamtschweizerische Parteistärke bei den Nationalratswahlen 2015) auf einem historischen Tiefstand. In den letzten fünfzig Jahren hat die CVP ihren Wähleranteil von bis zu diesem Zeitpunkt stabilen gut 20 Prozent nahezu halbiert (2015: 11.6 Prozent). Dieser Abwärtstrend setzt sich auch in den kantonalen Wahlen fort: Die Verluste in den traditionellen CVP-Hochburgen der Inner- und Ostschweiz prognostizierten ein düsteres Zukunftsszenario.

 

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Parteistärke der CVP (Nationalratswahlen: 1979-2015)

 

Der anhaltende Wählerverlust seit den 1980er-Jahren kann auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden: Zum einen durch die Auflösung des katholischen Milieus aufgrund der fortschreitenden Säkularisierung und Individualisierung und zum anderen hat die CVP als Mittepartei in jüngster Zeit starke Konkurrenz durch die BDP (Bürgerlich-Demokratische Partei) und GLP (Grünliberale Partei) erhalten. Diese Erosion der traditionellen Kernwählerschaft war wiederum eine zentrale Voraussetzung für den Aufstieg der SVP (Schweizerische Volkspartei), welcher es gelang einen Teil der konservativen CVP-Wählerschaft an sich zu binden. (Milic und Vatter 2015: 245-246).

Dennoch ist die CVP noch immer eine der stärksten Parteien im Ständerat und bei politischen Entscheidungen stellt sie oft das entscheidende Zünglein an der Waage dar. Um die Talfahrt stoppen zu können, muss sich die CVP von der nichtssagenden und diffusen »Zentrumsrhetorik « verabschieden und ihre Position als Mittelstands- und Familienpartei festigen.

Die sozial-konservative Kurskorrektur des CVP-Präsidenten

Diese Entwicklungen stellen den neu gewählten CVP-Präsidenten und Zuger Nationalrat Gerhard Pfister, der dem rechten Flügel der CVP zuzuordnen ist, vor gewaltige Herausforderungen. Es gilt die CVP vor ihrem Untergang zu bewahren, indem Pfister der CVP ein sozial-konservatives Profil vorgibt.

»Liberal wollen heute alle sein, das ist an sich löblich. In ihrem Kern aber ist die CVP nicht liberal, sondern konservativ-sozial.«

Die Pläne, die Pfister vorlegt, sprechen eine deutliche Sprache: Im Fokus stehen eine bewahrende Gesellschaftspolitik auf Basis christlich-konservativer Werte, eine restriktive Aussenpolitik (Allianzpartner der SVP) und eine soziale Marktwirtschaft.

Basierend auf Pfisters Plänen wurden die drei folgenden Variablen ausgewählt um die Interessen der CVP-Wählerschaft zu illustrieren: »Modernität versus Schutz der Traditionen«, »Öffnung versus Abschottung« und »Staatseingriff in die Wirtschaft versus Wirtschaftswettbewerb«. Diese drei Variablen spiegeln die Veränderungen wider, welche die neu gewählte CVP-Spitze anstrebt.

 

 

Einstellungen der CVP-Wählerschaft

Werden die drei Abbildungen (»Modernität versus Schutz der Traditionen«, »Öffnung versus Abschottung« und »Staatseingriff in die Wirtschaft versus Wirtschaftswettbewerb«) betrachtet, erscheint der CVP-Wähler beziehungsweise die CVP-Wählerin keinen besonderen Schutz der Traditionen zu wünschen, in der Öffnungs-Abschottungsdebatte befürworten sie einen Mittelweg und hinsichtlich des wirtschaftlichen Kontextes befürworten sie eine liberale Lösung.

Die Einstellungen der CVP-Wählerschaft bleibt – trotz einigen Veränderungen – relativ stabil. Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die Basis stets in Richtung Mitte tendiert und somit einen gemässigten Weg anstrebt.

Die Gesinnung der CVP-Wählerschaft deckt sich in vielen Belangen mit den Einstellungen der Wählerschaft der Freisinnig-Demokratischen Partei / Die Liberalen (FDP) und übernimmt so eine Mittelposition zwischen den Wählerschaften der beiden Pol-Parteien Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Sozialdemokratische Partei (SP).

Die präsentierten Befunde ermöglichen eine differenzierte Antwort auf die Frage, ob die Kurskorrektur des neu gewählten CVP-Präsidenten die Interessen der Basis widerspiegelt. Das Programm von Gerhard Pfister entspricht weder in den wirtschaftlichen Belangen dem der durchschnittlichen CVP-Wählerschaft noch scheinen der Schutz der Traditionen und eine Abschottung der Schweiz à la SVP von der Basis gewünscht zu werden.

 

 

Sozial-konservativer Richtungswechsel stöss bei Alt und Jung auf Ablehnung

Werden die Einstellungen der CVP-Wählerschaft sortiert nach Altersgruppen analysiert, lässt sich feststellen, dass sich die jungen CVP-Wähler und -Wählerinnen grundsätzlich eine modernere Schweiz wünschen als der Rest der CVP-Wählerschaft. Auffallend ist, dass in den Belangen »Öffnung versus Abschottung« und »Staatseingriff in die Wirtschaft versus Wirtschaftswettbewerb« die verschiedenen Generationen eine ähnliche Einstellung vertreten. Pfister scheint somit mit seiner sozial-konservativen Leitkultur weder bei der jungen noch der alten CVP-Basis wirklich zu punkten.

Polarisierung der Parteispitze

Die Devise – Kurskorrektur statt Kurshalten – des neu gewählten CVP-Präsidenten, Gerhard Pfister, scheint auf wenig Gegenliebe bei seiner potenziellen Wählerschaft zu stossen.  Weder seine bewahrende Gesellschaftspolitik auf Basis christlich-konservativer Werte noch seine restriktive Aussenpolitik und soziale Wirtschaftspolitik finden einen grossen Anklang bei der CVP-Basis. Alles in allem kann festhalten werden, dass sich die Parteispitze immer stärker zu polarisieren scheint, während die Basis eine viel gemässigtere Einstellung vertritt.

 

 

 

 

Anmerkungen

Die Analysen stützen sich auf die Vox-Nachabstimmungserhebung (Individualdaten) für die Jahre 1988-2014, welche die Online-Datenbank Swiss Foundation for Research in Social Sciences (kurz: FORS) zur Verfügung stellt.

Die Daten werden seit 1977 nach jeder Volksabstimmung in der Schweiz in einer Telefonbefragung einige Wochen nach der jeweiligen nationalen Abstimmung erhoben. Dabei wird ein repräsentatives Sample von ungefähr 1000 stimmberechtigten Personen zu ihrem Abstimmungsverhalten befragt.

  • Modernität versus Schutz der Traditionen:
    Ich möchte Ihnen jetzt einige Fragen zu verschiedenen Aspekten der schweizerischen Gesellschaft stellen. Bitte sagen Sie mir, was Sie sich für die Schweiz wünschen. Wenn Sie mit dem ersten Teil der Vorgabe übereinstimmen, wählen Sie die Zahl 1 oder nahe bei 1. Wenn Sie mit dem zweiten Teil der Vorgabe übereinstimmen, wählen Sie die Zahl 7 oder eine Zahl nahe bei 7.
    Möchten Sie…
    Eine Schweiz, die modern ist, oder eine Schweiz, die ihre Traditionen schützt“
  • Öffnung versus Abschottung:
    „Ich möchte Ihnen jetzt einige Fragen zu verschiedenen Aspekten der schweizerischen Gesellschaft stellen. Bitte sagen Sie mir, was Sie sich für die Schweiz wünschen. Wenn Sie mit dem ersten Teil der Vorgabe übereinstimmen, wählen Sie die Zahl 1 oder nahe bei 1. Wenn Sie mit dem zweiten Teil der Vorgabe übereinstimmen, wählen Sie die Zahl 7 oder eine Zahl nahe bei 7.
    Möchten Sie…
    Eine Schweiz, die sich vermehrt nach aussen öffnet, oder eine Schweiz, die sich vermehrt verschliesst? 
  • Staatseingriff in die Wirtschaft / Wirtschaftswettbewerb :
    „Ich möchte Ihnen jetzt einige Fragen zu verschiedenen Aspekten der schweizerischen Gesellschaft stellen. Bitte sagen Sie mir, was Sie sich für die Schweiz wünschen. Wenn Sie mit dem ersten Teil der Vorgabe übereinstimmen, wählen Sie die Zahl 1 oder nahe bei 1. Wenn Sie mit dem zweiten Teil der Vorgabe übereinstimmen, wählen Sie die Zahl 7 oder eine Zahl nahe bei 7.
    Möchten Sie…
    Eine Schweiz mit mehr Staatseingriffen in die Wirtschaft, oder eine Schweiz mit mehr Wettbewerb auf dem Markt? 

 

Literaturverzeichnis

Bühlmann, Marc und Gerber, Marlène (2015): Von der Unterschichtspartei zur Partei des gehobenen Mittelstands? Stabilität und Wandel der Wählerschaften der Sozialdemokraten und anderer grosser Schweizer Parteien zwischen 1971 und 2011. In: Freitag, Markus und Vatter, Adrian (Hrsg.): Wahlen und Wählerschaft in der Schweiz. Zürich: Neue Züricher Zeitung, 71-94.

Gmür, Heidi und Hehli, Simon (2016): CVP-Präsident Gerhard Pfister. »Muslime gehören zur Schweiz – der Islam nicht«. Neue Züricher Zeitung, 08.10.2016. (http://www.nzz.ch/schweiz/aktuelle-themen/cvp-praesident-gerhard-pfister-muslime-gehoeren-zur-schweiz-der-islam-nicht-ld.121012 [Stand 24.11.2016]).

Milic, Thomas und Vatter, Adrian (2015): Die Braut, die sich nicht traut. Chancen und Risiken der Kooperation von BDP und CVP auf der Basis ihrer Wählerschaft. In: Freitag, Markus und Vatter, Adrian (Hrsg.): Wahlen und Wählerschaft in der Schweiz. Zürich: Neue Züricher Zeitung, 245-272.

Pfister, Gerard (2016): Rede Gerhard Pfister Sommerparteitag. 23.8.2016. (http://www.infosperber.ch/data/attachements/Rede%20Gerhard%20Pfister%20Parteitag.pdf [Stand 24.11.2016]).

Senti, Martin (2016): Stabwechsel bei der CVP. Das C in der Mottenkiste. Neue Züricher Zeitung, 22.04.2016. (http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/stabwechsel-bei-der-cvp-das-c-in-der-mottenkiste-ld.15558 [Stand 24.11.2016]).

 

 

Catherine Ammann
E-Mail: catherine.ammannn@uzh.ch

Daten: BfS und VoxIt

Forschungsseminar: Politischer Datenjournalismus (HS 2016)
Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann und Dr. des. Bruno Wüest

Anzahl Worte (exkl. Lead und Anmerkungen): ca. 700 Wörter

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