Ausländeranteil und Abstimmungsverhalten in migrationspolitischen Fragen

Die Untersuchung von Abstimmungen zu migrationspolitischen Themen während der Periode von 2009 bis 2014 zeigt: Während die Erklärung für das Abstimmungsverhalten der Gemeinden primär in demographischen Faktoren wie der Sprachregion und dem Zentrum-Peripherie Konflikt liegt, besteht auch ein signifikanter Zusammenhang zum Ausländeranteil. Insbesondere die Unterscheidung der Ausländer nach ihren Herkunftsländern wirft neues Licht auf die komplexe Beziehung zwischen Ausländeranteil und Abstimmungsverhalten in  migrationspolitischen Fragen.

Kaum ein Thema polarisiert die Schweizer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten so stark, wie die Migrationspolitik. Die einst bescheidene Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei hat es mit ihrem Einsatz für restriktive migrationspolitische Massnahmen als Zugpferd entsprechend ihrem neuen Namen Schweizerische Volkspartei zur wählerstärksten Partei gebracht. Immer wieder gelingt es der SVP, gegen den Widerstand aller anderen regierungstragenden Parteien, Volksabstimmungen zu ihrem Kernthema zu gewinnen. Die anderen Parteien sind bislang weitgehend vergeblich bemüht, dem Siegeszug ihrer Gegenspieler einen Riegel vorzuschieben. Entsprechend gross ist auch das Interesse daran, worin die Ursachen für diese Abstimmungsergebnisse liegen. Ein häufiger Erklärungsansatz lautet, der Ausländeranteil stehe hinter dem Abstimmungsverhalten. Paradoxerweise wird meist argumentiert, höhere Ausländeranteile führten zu weniger Zustimmung für restriktive Migrationspolitik. Doch diese Erklärung greift zu kurz. Tiefergreifende Analysen wie etwa die Untersuchung von Marko Kovic für den Tagesanzeiger zeigen: Sofern überhaupt eine Beziehung existiert, ist diese relativ komplex. Es lohnt sich ein detaillierter Blick auf das Abstimmungsverhalten und die Ausländeranteile der Schweizer Gemeinden.

Durch Hovern über Gemeinden erscheinen die Gemeindenamen sowie die jeweilige zentrale Variable. Durch Anklicken erscheinen zusätzliche Informationen. Über die Schaltfläche Visible Layers kann eingestellt werden, welche Karte betrachtet werden soll. Es ist nicht empfohlen, gleichzeitig mehr als ein Layer einzuschalten. Über die Suchfunktion kann direkt nach einzelnen Gemeinden gesucht werden. Zu einigen Gemeinden sind aufgrund von Fusionen und Auflösungen sowie den unterschiedlichen und uneinheitlichen Datenquellen leider keine Angaben vorhanden.

Die Interaktiven Karten zeigen die durchschnittliche Zustimmung der Bevölkerung zu restriktiven migrationspolitischen Massnahmen bei Abstimmungen von 2009 bis 2014 auf Gemeindeebene sowie den Ausländeranteil an der Bevölkerung. Die Abbildung des Abstimmungsverhaltens zeigt auf den ersten Blick, dass die französischsprachige Westschweiz und die urbanen Zentren migrationsfreundlicher stimmen. Der Vergleich mit der geografischen Darstellung des Abstimmungsverhaltens bestätigt, dass in diesen Gemeinden die Ausländer auch tendenziell einen grösseren Anteil der Bevölkerung ausmachen. Doch betrachtet man etwa den Kanton Tessin, so sieht das schon deutlich anders aus: Trotz relativ hohen Ausländeranteilen in den meisten Gemeinden, stimmen die Tessiner im schweizerischen Vergleich klar für restriktive Massnahmen in der Migrationspolitik.

Je detaillierter man sich die einzelnen Gemeinden betrachtet, desto mehr Beispiele fallen auf, die der These, „je weniger Ausländer, desto ausländerfeindlicher das Stimmverhalten“ widersprechen. So fällt etwa die Luzerner Gemeinde Sempach auf, die trotz einem relativen niedrigen Ausländeranteil von knapp 7 Prozent merkbar migrationsfreundlicher stimmt als ihre Nachbarn. Ebenso Elfingen im Kanton Aargau oder Regensberg im Norden Zürichs, die bei vergleichbaren Ausländeranteilen deutlich anders abstimmen als die umliegenden Gemeinden. Keine zehn Kilometer nordöstlich von Regensberg aber ganz auf der anderen Seite des Spektrums liegt dagegen die Gemeinde Höri. Trotz dem hohen Ausländeranteil von rund 30 Prozent stimmt sie im Zürcher Vergleich sehr migrationsfeindlich.

Diese Gemeinden unterscheiden sich von ihren Nachbarn durch die Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung. Sempach, Elfingen und Regensberg zeichnen sich aus, durch einen vergleichsmässig hohen Anteil an Ausländern aus wohlhabenderen Herkunftsländern während in Höri ein besonders hoher Anteil an Ausländern aus ärmeren Nationen lebt. Ich ergänze daher meine interaktiven Karten um zwei Darstellungen, welche die ausländische Bevölkerung je nach Herkunftsland in eine von zwei Kategorien unterteilt:

Die Unterscheidung der ausländischen Bevölkerung nach Herkunftsland wirft ein neues Licht auf den Zusammenhang zwischen Ausländeranteil und Abstimmungsverhalten in migrationspolitischen Fragen. Insbesondere entlang den Ufern des Zürichsees zeigt sich dies: Je höher der Anteil an Ausländern aus finanzkräftigen Nationen, desto tiefer die Zustimmung zu restriktiven migrationspolitischen Abstimmungsvorlagen. Eine einfache Korrelationsanalyse zeigt, dass dies tendenziell in der ganzen Schweiz zutrifft:

reiche Länderarme Länder

Ohne Berücksichtigung jeglicher Kontrollvariablen wie Urbanität oder Sprachregion zeigt sich tatsächlich, dass die Zustimmung zu restriktiver Migrationspolitik mit höherem Ausländeranteil tendenziell sinkt. Wichtig ist jedoch vor allem der Vergleich zwischen den Korrelationen der beiden Ausländerkategorien, die noch einmal klar zeigen, dass die Zustimmung zu restriktiver Migrationspolitik vor allem mit höheren Anteilen von Ausländern aus wohlhabenden Nationen sinkt.

Diese Ergebnisse erlauben keine Schlüsse über die ursächliche Wirkung die hinter dem Zusammenhang zwischen Ausländeranteilen und Abstimmungsverhalten zu migrationspolitischen Fragen steht. Sie zeigen jedoch klar und deutlich, dass dieser Zusammen nicht so simpel ist, wie oft angenommen wird. Insbesondere sind Ausländer keine homogene Bevölkerungsgruppe und wer sich mit dem Thema von Ausländeranteilen beschäftigen will, muss dies in Betracht ziehen.

Methodik

Die vorliegende Untersuchung basiert auf einer Vollerhebung der Schweizer Abstimmungsdaten auf Gemeindsebene durch Michael Hermann sowie auf den Angaben des Bundesamtes für Statistik zur Bevölkerungsstruktur der Schweiz und des Eidgenössischen Finanzdepartements zur direkten Bundessteuer. Das Bfs stellt für die Jahre 2010-2013 auf Gemeindsebene die Daten zur Staatszugehörigkeit aller Einwohner zur Verfügung. Im Rahmen der Untersuchung wurden die 50 am häufigsten in der Schweiz vertretenen Nationalitäten erhoben (deren Staatsangehörige 98,7% der Schweizer Bevölkerung ausmachen) und die jeweiligen Nationen nach kaufkraftbereinigtem Bruttoinlandprodukt pro Kopf in wohlhabendere und ärmere Nationen unterteilt. Nation mit einem kaufkraftbereinigtem BIP pro Kopf, das weniger als zwei Drittel des Schweizer BIP pro Kopf ausmacht, wurden als „arm“ eingestuft. Damit gilt Frankreich noch als wohlhabenderer Staat, die südeuropäischen Nationen Spanien, Italien, Griechenland und Portugal gelten jedoch bereits als ärmere Nationen.

So wurde für jede Schweizer Gemeinde der Ausländeranteil an der Bevölkerung berechnet und jeweils nach Wohlstand des Herkunftlandes unterteilt. Danach wurde der Zusammenhang zwischen diesen Indikatoren und dem Abstimmungsverhalten in 5 nationalen Abstimmungen zu migrationspolitischen Themen von 2009 bis 2014 berechnet. (Abstimmungsvorlagen  540, 547, 552.1, 571 und 580). Für die drei Gemeinden des Kanton Glarus wurde ein kantonaler Durchschnitt berechnet, da die Einteilung nach Gemeinden durch die Fusion der Glarner Gemeinden 2011 erschwert wurde.

 

Autor: Dominik Braunschweiger / dominik.braunschweiger@uzh.ch / 09-105-933 / Abgabedatum 17.5.2015

Blogbeitrag Im Rahmen des Forschungsseminars Policy Analyse: Politischer Datenjournalismus

Dozenten: Dr. Sarah Bütikofer, Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann und Dr. des. Bruno Wüest

Daten: Vollerhebung Abstimmungsergebnisse Schweizer Gemeinden, Abstimmungsthemen Rating nach Michael Hermann (aus der Vorlesung: Forschungsseminar Policy-Analyse: Politischer Datenjournalismus), Bundesamt für Statistik.

Wörter: 676

Quellen: Marko Kovic 2.3.2014: „Je weniger Ausländer desot mehr Ja-Stimmen? Wirklich?“  Tagesanzeiger Blog

 

 

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