Seit dem 4. März 2014 stimmt der Ständerat elektronisch ab. Folgender Beitrag ist der erste, der die ideologische Positionierung der Ständeräte zeigt. Die Ständeräte sind in den meisten Fällen so positioniert, wie es auf Grund ihrer Parteizugehörigkeit auch hätte erwartet werden können. Macht die elektronische Abstimmungsanlage aus dem Ständerat einen kleinen Nationalrat?
Ein gutes Jahr nach der Einführung des elektonischen Abstimmungssystems können die Ständeräte erstmals mit öffentlichen Daten auf einer Achse positioniert werden. Die Datengrundlage ist mit 22 nicht einstimmigen Schlussabstimmungen noch etwas dünn. Die Analyse zeigt, dass die meisten linken Ständeräte sehr nahe beisammen sind. Die Ungenauigkeit innerhalb dieser Gruppe ist so gross, dass die Unterschiede zufällig sind.
Geschlossene Linke
Unter den Politikern am linken Rand befinden sich untere anderem SP-Präsident Christian Levrat und Gewerkschaftspräsident Paul Rechsteiner. Aber auch die beiden Grünen Ständeräte Luc Recordon aus dem Kanton Waadt und Robert Cramer aus dem Kanton Genf gehören zu den linksten Ständeräten. Nur die beiden SP-Ständeräte Claude Hêche und Pascale Bruderer sind etwas näher zur der Mitte positioniert.
In der Mitte liegen gestreut die FDP, CVP und GLP Ständeräte. Die FDP ist breiter gestreut als die CVP. So liegen am linken Rand der Mitte die FDP Ständeräte Raphaël Comte aus dem Kanton Neuenburg und Joachim Eder aus dem Kanton Zug. Ebenfalls in dieser Gegen auf der Achse ist der GLP Ständerat Markus Stadler aus dem Kanton Uri angesiedelt.
Am rechtesten Rand der Mitte liegt der Parteilose Schaffhauser Ständerat Thomas Minder. Trotz seiner Zugehörigkeit zur SVP-Fraktion, stimmt er eher wie die Mittepolitiker ab. Er liegt am nächsten bei den FDP Ständeräten Hans Hess aus dem Kanton Obwalden und Georges Theiler aus dem Kanton Luzern.
Auf Anfrage meint sein persönlicher Mitarbeiter Claudio Kuster: „Im Ständerat gibt es keine Fraktionen wie im Nationalrat. Es werden nur Gruppierungen gebildet, um die Kommissionssitze proportional aufzuteilen.“ Parteipolitiker wie etwa ein Peter Föhn (SVP) oder Christian Levrat (Präsident SP) müssten sich – im Gegensatz zu Unabhängigen – gegenüber ihrer Partei und Elektorat profilieren und würden eine Vorlage deshalb eher mal in der Schlussabstimmung ablehnen. „Thomas Minder muss das nicht, er nimmt auch zumeist Vorlagen an, hinter denen er ‚bloss‘ zu 70 Prozent steht“, so die Auskunft von Claudio Kuster. Er sei aber sicher am richtigen Ort.
Der Ständerat am rechten Rand ist mit Abstand der Schwyzer SVP Politiker Peter Föhn. Alle anderen vier SVP-Politiker sind ebenfalls klar links angesiedelt. Der Glarner SVP Ständerat Werner Hösli ist der linkste unter den Rechten.
Stimmen die Ständeräte jetzt weniger häufig einstimmig?
Die Parlamentsforscherin Sarah Bütikofer hat sich in ihrer Dissertation mit dem Ständerat befasst. Untersucht hat sie die Legislatur zwischen 2003 und 2007. Sie beschreibt, dass der Ständerat bei Schlussabstimmungen in acht von zehn Fällen einstimmig stimmte. Sie erklärte dies unter anderem mit der Ratskultur, welche im Ständerat vorherrschte. „Mit der beschlossenen Regelung macht es für ein Ständeratsmitglied, das wiedergewählt werden will, künftig aber keinen Sinn mehr, einer Vorlage nur aus Goodwill zuzustimmen.“, schreibt die Politologin in einem Gastbeitrag auf Smartvote. Sie kritisiert darin, dass nur die Schlussabstimmungen veröffentlicht werden und so keine volle Transparenz erreicht wird.
Und tatsächlich haben die Ständeräte seit der Einführung der elektronischen Stimmabgabe nur noch bei jeder zweiten Vorlage einstimmig gestimmt. Vergleicht man die Daten mit früheren Jahren, ist die Sache nicht mehr so eindeutig. 2008 und 2010 waren noch 75 resp. 74 Prozent der Vorlagen in der Schlussabstimmung ohne Gegenstimmen. Im ersten Jahr dieser Legislatur (2012) waren nur noch 60 Prozent der Schlussabstimmungen einstimmig. Im letzten Legislaturjahr waren es noch 47 Prozent. Wie gross der Einfluss des elektronischen Abstimmungssystems ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Es könnte auch an neuen Politikern liegen, die in der letzten Legislatur gewählt wurden, da der Trend bereits 2012 begonnen hat.
Daten: 2003-2007 Bütikofer, 2008-2014 Amtliches Bulletin
2014: Quote seit Einführung elektronische Abstimmung
Wird der Ständerät zu einem kleinen Nationalrat?
Es könnte auch an der neuen Zusammensetzung des Ständerates liegen. So sind in dieser Legislatur mehr Parteien im Ständerat vertreten als es in der Legislaturperiode 2003 bis 2007 der Fall war. 2003 wurden nur Vertreter der vier grossen Bundesratsparteien in die kleine Kammer gewählt. 2011 hingegen wurden zusätzlich Vertreter der Grünen, der GLP, der BDP und der parteilose Thomas Minder gewählt.
Die Konkurrenz im Ständerat hat zugenommen. Früher waren die grossen Parteien unter sich. Der Ständerat war ein homogenes Grüppchen (von mehrheitlich älteren Herren), welche die Ratskultur hochhielt. Heute hat es jedoch viel mehr Berufspolitiker und Personen aus viel mehr Parteien. „Berufspolitiker sehen den Ständerat als ihren nächsten Karriereschritt an und verhalten sich entsprechend“, so Sarah Bütikofer.
Initiativen und Abkommen über den Steuerinformationsaustausch
Im letzten Legislaturjahr wurden einige Initiativen beraten, wie zum Beispiel die Stipendien-, Durchsetzungs- oder Erschaftssteuerinitiative, welche in der Schlussabstimmung alle umstritten waren. Es gab aber auch Gegenstimmen bei Vorlagen, welche nicht mit Sicherheit dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden müssen. Darunter sind Geschäfte wie die Änderung des Kyoto-Protokolls, ein Werbeverbot für Kleinkredite oder ein Kredit für die Forschungsinfrastruktur.
Fast die Hälfte der Geschäfte wurde ohne Gegenstimmen angenommen. Dazu zählen unteren anderem die Vereinbarungen über den Steuerinformationsaustausch oder die Verlängerung der dringlichen Änderung des Asylgesetzes.
Sind die Geschäfte auch im Nationalrat einstimmig?
Von den 20 einstimmigen Abstimmungen hat der Nationalrat 19 Vorlagen ebenfalls behandelt. Nur die Änderung des Geschäftsreglements des Ständerates wurde im Nationalrat nicht behandelt. Sechs Abstimmungen waren in der grossen Kammer ebenfalls einstimmig, darunter zum Beispiel das Geschäft zum Verbot von Al-Qaida und dem „Islamischer Staat“.
Bei fünf Abstimmungen stimmten über 40 Nationalräte nein zur Vorlage. Darunter befinden sich das Geschäft zur härteren Bestrafung des Verkaufs von Bankkundendaten, sowie die Abkommen zum Steuerinformationsaustausch mit den Seychellen, San Marino und Grönland. Das Abkommen mit Andorra hingegen hatte nur 18 Gegenstimmen.
Es gibt auch trotz der Einführung des elektronischen Abstimmungssystems immer noch Vorlagen, wo sich die Kultur des Ständerates sehr stark von der Kultur des Nationalrates unterscheidet. So stiess zum Beispiel die Vorlage zum Europäischen Grenzüberwachungssystem mit 126 zu 64 auf die grösste Opposition im Nationalrat. Eine grosse Opposition, wenn man die Einstimmigkeit in der kleinen Kammer zu diesem Geschäft bedenkt.
Methodik
Zur Berechnung der Positionierung der Ständeräte wurden alle Schlussabstimmung verwendet seit der Einführung der elektronischen Abstimmung vor etwas mehr als einem Jahr. Die Detailabstimmungen, welche ein präziseres Bild ergeben würden, werden geheim gehalten und konnten deshalb nicht berücksichtigt werden.
Veröffentlicht werden jedoch nur die Abstimmungsprotokolle der Schlussabstimmungen. Um mit den Daten rechnen zu können, wurden die Daten mit einem Skript aus den PDFs gelesen und in einer Datenbank gespeichert. Mit den maschinenlesbaren Daten wurde ein 1D-IRT gerechet. Die Item Response Theory (IRT) berechnet aus einem Set von Antworten, die wahrscheinlichste Positionierung.
Insgesamt wurden 42 Schlussabstimmungen verwendet, wovon 20 Einstimmig waren. Auf den ersten Blick sind es wenige Abstimmungen. Das IRT-Modell hat jedoch konvergiert und ist deshalb aussagekräftig.
Mit dem geschätzten Modell ist es auch möglich, Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. So ist zum Beispiel Peter Föhn mit 65 Prozent Wahrscheinlichkeit der rechteste Ständerat. Die Ständeräte am linken Rand haben hingegen alle fast die gleiche Wahrscheinlichkeit der linkste Ständerat resp. die linkste Ständerätin zu sein.
Quote
Als Vergleichsjahr für die Einstimmigkeitsquote wird 2012 verwendet, da Anfang 2013 die elektronische Abstimmung beschlossen wurde und dieser Entscheid 2013 möglicherweise bereits zu Änderungen bei der Schlussabstimmung geführt haben könnte. Politnetz hat bereits im Dezember 2012 die Ständeratsdebatte gefilmt. In dieser Session waren jedoch neun von vierzehn Schlussabstimmungen einstimmig.
Über den Kurs
Dieser Blogbeitrag ist Bestandteil des Forschungsseminars politischer Datenjournalismus am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Der Kurs wird von Professor Fabrizio Gilardi, Bruno Wuest, Michael Hermann und Sarah Bütikofer doziert.
Über den Autor
Benjamin Schlegel studiert im 2. Semester im Master Politikwissenschaften an der Universität Zürich. Er interessiert sich für Schweizer Politik, quantitative Methoden und Datenjournalismus.
Quelle: Bütikofer, Sarah (2014): Das Schweizer Parlament. Eine Institution auf dem Pfad der Moderne. Baden-Baden: Nomos.
Blog: Im Rahmen des Forschungsseminars Policy Analyse: Politischer Datenjournalismus
Dozent: Prof. Fabrizio Gilardi, Michael Hermann, Bruno Wüest und Sarah Bütikofer
Daten: eigene Berechnung / Amtliches Bulletin
Worte: 928 (ohne Box)