Häufigkeiten und Lieblingsthemen in parlamentarischen Debatten

Zu welche Themen reden die Parteien überdurchschnittlich viel und zu welchen unterdurchschnittlich wenig? Und was sagt die Parteigrösse über die Redfreudigkeit der einzelnen Parteien aus? Eine Untersuchung der letzten beiden Legislaturen (48 & 49) liefert aufschlussreiche Antworten.

 

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Erklärung zur Grafik: Stark über/- unterdurchschnittliche Gesprächsaktivität ist bestimmt durch die Abweichung von mind. 3% vom Gesamtanteil der Redeaktivität der Parteien. Die Reihenfolge innerhalb eines Kästchens ist gleich Reihenfolge der Abweichung: Der Themenbereich mit der grössten Abweichung wird jeweils zuerst aufgeführt.

Erfüllen die Parteien, was sie versprechen?      

Die Grafik zeigt unter anderem, dass einige Parteien ihren Kernthemen auch in den Reden treu bleiben und/oder zu gewissen Themen gar überdurchschnittlich redefreudig sind. Die BDP redete in der Legislatur 49 (2011 – 2015) besonders häufig über das Thema Finanzen. Weit über ihrem Rededurchschnitt lagen die Sozialdemokraten im Thema Soziales, die CVP beim Verkehr, und die SVP im Migrationsthema. So weit so wenig erstaunlich.           

Spannender ist die überdurchschnittliche Redetätigkeit der CVP in Umweltthemen, der FDP in Themenbereich der Landwirtschaft und die Grünen im Bereich „Recht und Ordnung“. Man ist versucht zu sagen, dass diese Parteien ihre Schwerpunkte im Parteiprogramm eigentlich eher in anderen Politikfeldern setzten.

Umgekehrt fällt auf, dass die BDP unterdurchschnittlich über Asylthemen referierte. Auch die Liberalen überraschen: In bloss 11,9% aller finanzpolitischen Themen führte eine FDP-Politikerin oder ein FDP-Politiker das Wort. Mit einem Gesamtanteil von fast 15% aller Reden ist dies erstaunlich wenig. 

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Populäre Themengebiete

Finanzpolitische und wirtschaftliche Themen dominieren die Reden der Politikerinnen und Politiker im Nationalrat mindestens seit dem Jahr 2007. Seit dem Herbst 2008 ist endgültig klar, dass die Finanzkrise nicht auf das Ausland beschränkt ist: Der Nationalrat bewilligte da die Rettung der UBS mit 6 Milliarden Schweizer Franken. Weitere bestimmende Themen der 48. Legislatur waren das Bankgeheimnis, das Doppelbesteuerungsabkommen, oder auch die „Abzocker-Initiative“, welche in der nächsten Legislatur vors Volk kam. Beide Themengebiete konnten auch in der darauffolgenden Legislatur ihre Dominanz ausbauen. Konkret bedeutet dies eine Zunahme der Reden beim Thema Finanzen um 2,1% oder 365 Reden. Der Themenbereich Wirtschaft verzeichnete ein Wachstum von 0.6% oder 137 Voten. 

Erstaunlich wenige Reden im Bereich Soziales, Umwelt und Migration

Sozialpolitische Themen wurden in der vorletzten Legislatur rege besprochen. Jedoch meinte etwa die NZZ zur sozialen Debatte 2007-2011: „Die Bilanz über Sozialpolitische Themen in der 48. Legislatur fällt eher ernüchternd aus“. Demnach attestierte der Journalist nur kleine Fortschritte im Vorankommen in sozialpolitischen Themen. Die Vermutung liegt nahe, dass viele Reden demzufolge nicht zwingend politische Neuerungen mit sich brachten. In den folgenden vier Jahren ist ein grosser Rückgang in der sozialpolitischen Debatte zu erkennen: 351 Voten weniger sind zu verzeichnen.

Eher erstaunlich ist überdies der kleine Anteil von Migrationsthemen in der 48. Legislatur. In der öffentlichen Wahrnehmung sehr präsente Themen, wie die Minarett-Initiative oder die EU- Personenfreizügigkeitsverhandlungen vermochten es offenbar nicht, die Asyldebatte als Topthema im Nationalrat zu klassieren. In den vier Jahren danach wendete sich das Blatt: Die Zunahme der Reden über asylpolitische Themen beträgt fast 400 Voten. Die Masseneinwanderungsinitiative kam mitten in der 49. Legislatur vors Volk, das Themenfeld Asylpolitik war das Wahlkampfthema der Schweizerischen Volkspartei, die Durchsetzungsinitiative wurde initiiert, die Flüchtlingsproblematik begann und der Sorgenbarometer des gfs zeigte die Ausländerfrage als zweitwichtigstes Problem der Bevölkerung an. Trotz all dem wurden vergleichsweise wenige Geschäfte auch in der letzten Legislatur mit thematischem Bezug behandelt. Zahlreiche andere Themengebiete überwiegten weiterhin.

Redefreudigkeit in Abhängigkeit der Parteigrösse

Reden_Parteigrösse

Schaut man auf das Verhältnis zwischen den der Grösse einer Partei und der Anzahl Reden, die dessen Vertreterinnen und Vertreter in der Legislatur 49 (Dezember 2011 – Dezember 2015) im Nationalrat gehalten haben, zeigt sich: Je grösser eine Partei ist, desto mehr Reden hat diese gehalten. Dieser lineare Zusammenhang ist klar zu erkennen.

Redefreudige Sozialdemokraten           

Die einzige Unregelmässigkeit ist bei den Sozialdemokraten zu erkennen. Die SP hielt 41 Sitze in der letzten Legislatur und war somit die zweitgrösste Partei im Nationalrat. 24.5 % aller Reden wurden von Vertreterinnen und Vertretern ihrer Partei gehalten. Die mit 59 Sitzen klar grösste Partei der vergangenen Legislatur – die SVP – hielt 22.2% aller Reden im Grossen Rat. Folglich lässt sich festhalten: Die SP war (und ist immer noch) zwar merklich kleiner als die rechte Polpartei, hat dennoch 1812 Reden mehr gehalten!

Der Einfluss der Parteigrösse

Die Parteigrösse kann nicht nur direkt einen Einfluss auf die Anzahl gehaltener Reden haben, sondern auch indirekt: Die Sitzanzahl einer Partei bestimmt die Grösse der Fraktion. Auf Grund der Fraktionsgrösse werden die Sitze der 12 ständigen Nationalratskommissionen verteilt. Die Kommissionssprecher und auch Mitglieder wiederum, kommen in den Ratsdebatten eher zu Wort, als ihre Nationalratskolleginnen und –Kollegen. Jede Kommission spricht zu jedem von ihnen behandelten Geschäft. So kann die vertiefte Auseinandersetzung mit einem Thema mit den anderen Ratsmitgliedern und der Öffentlichkeit geteilt werden.

Ein weiterer möglicher Einflussfaktor kann das Thema des besprochenen Geschäfts sein. Da die Parteien ihre Kernthemen häufiger bedienen, ist die Redehäufigkeit abhängig von den Themen der Geschäfte. Die Persönlichkeit der einzelnen Nationalrätinnen und Nationalräte muss überdies ebenfalls mit in die Überlegung einbezogen werden. Nicht alle stellen sich gerne und aus Überzeugung ans Rednerpult.

Implikationen für die Zukunft

Seit Oktober letzten Jahres steht fest, dass sich der Graben zwischen den beiden Polparteien ein wenig vergrössert hat: Die SVP darf 65 und die SP 45 Stühle im grossen Ratssaal besetzen. Somit ist hypothetisch anzunehmen, dass die SVP etwas mehr an die lineare Regressionslinie rutscht. Wahrscheinlich ist, dass sie etwas mehr das Wort ergreifen werden. Dasselbe gilt jedoch auch für die SP: Die vier Sitze plus bewirken ebenfalls eher mehr Voten. Somit wird die überproportionale Redefreudigkeit der Linkspartei eher bestehen bleiben.


Daten
Die Hauptanalyseeinheit sind die einzelnen Reden, welche nach einem gewissen Thema klassifiziert wurde. Deshalb fliesst auch der Umstand in die Analyse ein, dass mehrere Reden zum selben Geschäft gehalten werden können. Die Daten wurden von den Parlamentsdiensten des Bundes zur Verfügung gestellt. Die Themenzuweisung zu den Geschäften ist nur für den Zeitraum ab 2007 bis 2015 vorhanden.


Gfs Bern (2015): Die drei grössten Probleme: Arbeitslosigkeit, Ausländer und Altersvorsorge. Credit Suisse Sorgenbarometer. Schlussbericht. (https://www.credit-suisse.com/media/assets/corporate/docs/about-us/responsibility/worry-barometer/schlussbericht-credit-suisse-sorgenbarometer-2015.pdf [Stand 11.04.2016]).

Nuspliger, Niklaus (2011): Sachpolitische Bilanz der ablaufenden Legislatur. Durchzogener Leistungsausweis des 48. Parlaments. NZZ. 10.09.2011. (www.nzz.ch/durchzogener-leistungsausweis-des-48-parlaments-1.12423728 [Stand 11.04.2016]).

Parlamentsdienste des Bundes (2015): Fakten und Zahlen. Die 49. Legislatur. (https://www.parlament.ch/centers/documents/de/Das%20Parlament%20in%20Zahlen_d_07.12.2015.pdf [Stand 11.04.2016]).

Grafiken: 1 -3: Eigene Darstellungen


Autorin: Nicole Bosshard, nicole.bosshard@uzh.ch, s10714483
Veranstaltung: Forschungsseminar der Universität Zürich, Frühlingssemester 2016, Universität Zürich Dozierende: Prof. Dr. F. Gilardi, Dr. M. Hermann, Dr. B. Wüest
Wörter: 878 (exkl. Titel, Lead, Daten, Quellen)
Abgabedatum: 17.04.2015


 

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