Politische Ideen und Entscheidungen basieren auf Informationen. Daher gilt: Wer seine Anliegen an die Akteure der Schweizer Legislative bringt, kann die Gesetzgebung beeinflussen. Im heutigen Informations(über)fluss ist Twitter dabei ein wichtiger Kanal geworden. Wer macht dort die Musik, respektive, wen lassen die Parlamentarier ihre Musik machen?
Twitter und die Parteien
Wer sich bei den Parlamentariern Gehör für seine Ansichten und Anliegen verschaffen kann, kann deren Meinungen ändern oder neue Themen in ihr Bewusstsein bringen, und schlussendlich die öffentliche Debatte und Gesetzgebung beeinflussen. Das war schon immer so, aber noch nie war es so einfach. Wo früher persönliche Treffen, Demonstrationen oder klassische Medien der einzige Weg ins Bewusstsein von Parlamentarier war, kann heute ein am Handy eingetippter Satz reichen, um Einfluss zu nehmen.
Seit 10 Jahren gibt es nun Twitter, eine „Miniblog“-Plattform, auf der man kurze Nachrichten in die Welt „zwitschern“ kann. Vor allem in der Politik hat die Bedeutung von Twitter in den letzten Jahren stark zugenommen, und viele Schweizer Parlamentarier nutzen den Dienst um ihre Meinungen kund zu tun.
Jedoch wird auch die andere, oftmals weniger beachtete Seite des Mediums rege genutzt; durch das “followen” lassen sich Informationen direkt aus ausgewählten Quellen auf den Bildschirm holen, in Kurznachrichten, die Interessierte aber oftmals auf ausführlichere Seiten verlinken. Auch Parlamentarier holen sich auf Twitter News, Kommentare und Infos, die dann möglicherweise ihre Entscheidungen zu Gesetzen beeinflussen.
Daher wäre gut zu wissen, bei wem unsere Gesetzmacher mitlesen. Untenstehend finden Sie die Top 30 Accounts, denen die twitternden Parlamentarier der nationalen oder kantonalen Legislative followen, aufgeteilt nach den vier Regierungsparteien (SVP, SP, FDP und CVP).
Für Twitternamen über kursive Namen im Text fahren
Die gemeinsamen Twitteraccounts der Parlamentarier sind meist jene von Gspändli der eigenen Partei – zum Beispiel Nationalratskollegen oder die Parteileitung – und die Accounts der Partei. Die Hälfte bis drei Viertel der Top 30 sind jeweils solche parteiinterne Verbindungen.
Man will aber offenbar auch wissen, was die Exponenten der anderen Parteien gerade treiben; so wird der SP-Bundesrat Alain Berset von mindestens 30% der Mitglieder jeder der grossen Parteien gefollowed, und auch Christophe Darbellay spielt jeweils vorne mit. Besonders gefragte Twitterer sind insbesondere Parteipräsidenten und Bundesräte, zudem wird Christa Markwalder als Nationalratspräsidentin ebenfalls parteiübergreifend gefollowed.
Medien & Neue Informationskanäle
Neben anderen Politikern „abonnieren“ Parlamentarier auch die Medien ihrer Wahl per Twitter. Als einziges Blatt schafft es die NZZ in die Top 30 aller 4 Parteien, bei der weiteren Wahl der traditionellen Medien sind die Parteien uneinig. Nicht ganz unerwartet steht bei der SVP die parteinahe Weltwoche hoch im Kurs, bei der SP die linke Wochenzeitung, während die NZZ als liberales Blatt in der FDP mehr gelesen wird als in allen anderen Parteien. Beliebt sind auch die News von SRF, die 20min und die Sonntagszeitung. Interessanterweise hat es die auflagestärkste Tageszeitung der Schweiz, der Tagesanzeiger, nicht in die Topränge geschafft.
Zusätzlich zu diesen klassischen Printmedien gibt es auf Twitter jedoch noch andere, spezifischere Newsquellen zum politischen Treiben in der Schweiz. Besonders populär sind wahlch15, das Politnetz.ch, eine Plattform für politische Debatten, der offizielle Account vom Schweizer Parlament, wo Abstimmungsresultate und andere Infos aus dem Parlament getweetet werden, und polittweets, eine Seite, die automatisiert die wichtigsten News aus der Politik auswählt und postet. Die FDP liest zudem den Account des RTS-Journalisten Darius Rochebin, der auf Twitter eine Art Presseschau betreibt, insbesondere auch zu internationalen Themen.
Besonders gern wollen Parlamentarier wissen, was über sie und ihr Umfeld so erzählt wird, deswegen sind Politologen ebenfalls hoch im Kurs. In den Toplisten tauchen drei Namen auf: Claude Longchamp, der Abstimmungsanalytiker der SRG und Verwaltungsrat des gfs.bern, Michael Hermann, Politgeographe und Geschäftsleiter von sotomo, und Mark Balsiger, Wahlkampfspezialist und Blogger.
Lobbying
Last but not least verfolgen Parlamentarier auch Interessensgruppen, an denen sich ihre Politik orientiert. Die FDP folgt, wenig überraschend, der Economiesuisse und der Avenir Suisse. Aber auch die CVP zeigt sich wirtschaftsnah und folgt der Economiesuisse.
Wer Twitter wie nutzt
Aus diesen Twitterdaten lässt sich aber weit mehr herauslesen, als ein einfaches Ranking zeigt.
Einerseits lässt sich erahnen, wie nahe sich Parteien stehen (>Grafik 1).
So wird beispielsweise die Nähe zwischen SVP und FDP relativiert; FDPler folgen nämlich öfter Parlamentarier aus der CVP als jenen aus der SVP, und umgekehrt.
Zweitens kann man grosse Unterschiede beim Umgang mit dem neuen Medium feststellen (>Grafik 2).
Es fällt auf, dass die nationalen Parlamentarier weit aktiver sind als jene auf kantonaler Ebene. Ausserdem gibt es Unterschiede zwischen den Parteien: So nutzen rund 23% der SP-Parlamentarier die Plattform, während es bei den anderen drei Parteien nur etwa halb so viele sind.
Die SPler sind ausserdem die fleissigsten Follower; im Schnitt folgen sie 412 Accounts (Grafik 3). Auch hier gibt es aber grosse Unterschiede zwischen nationalen und kantonalen Politikern; erstere followen viel fleissiger als erstere – ausser bei der SVP, wo sie in etwa gleichauf sind.
Die SPler sind also sehr aktive Nutzer von Twitter; sie followed vielen Accounts, reagiert auch oft auf deren Tweets (>mehr) und bilden starke Netzwerke untereinander (>mehr). Das wirkt sich auch auf die Top 30 aus; den Top 12-15 gefolloweden Accounts der SP folgen immer noch gleich viele Prozent wie der Top 1 der SVP (56%). Und da es bei der SP besonders rege Twitter-Aktivität gibt, ist das Angebot für einen twitternden SPler an interessanten anderen SP-Twitterer sehr gross: von allen gefollowten Accounts sind daher 6.3% parteiintern, das ist rund doppelt soviele wie bei den anderen Parteien. In totalen Zahlen aber folgt der durchschnittliche SPler nicht weniger Accounts anderer Parteien als die anderen Parlamentarier (>Grafik 1).
Last but not least lässt sich an der Prominenz der Jungpartei-Accounts erahnen, dass dieses Medium mit der jungen Generation an Politikern erst so richtig ins Rollen kommt (>mehr). Wer also jetzt rechtizeitig seine Präsenz etabliert, kann sich in Zukunft Gehör bei den Parlamentariern sichern.
Aus den verrauchten Hinterzimmern
Tatsächlich zeigt sich also auf Twitter, dass gewisse Personen oder Organisationen von den Parlamentariern vermehrt gelesen werden, und auch, dass die Parteien verschiedene Vorlieben in Sachen Quellen haben. Einige Erkenntnisse entsprechen den Erwartungen (so lesen die SVPler die Weltwoche und die SPler folgen Christian Levrat), es zeigen sich aber auch Strukturen, die so in der nicht-digitalen Welt nicht erkennbar sind. Etwa ist die Sonntagszeitung sehr wichtig, ebenso Internet-basierte Medien wie politnetz.ch; ebenfalls zeigt sich, wie wichtig die Aussagen von Politologen für Politiker sind, insbesondere für die SVP.
Twitter eignet sich hervorragend, um zu bestimmen, wer wieviel Einfluss im Social Medium besitzt – durch Follower-Zahlen, Retweet-Häufigkeiten & Network-Plazierungen. Die Medallie hat jedoch noch eine zweite Seite: Es lässt sich auch herauslesen, wer von wem informiert wird: Wofür interessieren sich bestimmt Nutzer? Und aufgrund von was bilden sich ihre Meinungen? Im Falle der Parlamentarier sind diese Fragen besonders interessant, und die Antworten können durchaus aufschlussreich sein. Was sich früher über traditionelle Medien, Stammbeizen und verrauchten Hinterzimmern abgespielt hat, verschiebt sich nun auf den online Marktplatz der Meinungen – und die entstehenden Einblicke sind vielversprechend. ♦
Daten: Alle Angaben beziehen sich auf Mitglieder der nationalen oder kantonalen Legislative, welche den 4 Regierungsparteien (SVP, SP, FDP, CVP) angehören und einen Twitter-Account betreiben. Die Daten beziehen sich auf 2015, werden aggregiert verwendet und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Autor: Tanja Eder (tanjaeder@outlook.com)
Im Rahmen eines Seminars beim Institut für Politikwissenschaften der UZH bei Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann und Dr. des. Bruno Wüest.