Bevorzugen Herr und Frau Schweizer männliche Politiker?

Bei den letzten Nationalratswahlen vom Oktober 2015 wählten die Stimmbürger der Schweiz insgesamt 64 Frauen in den Nationalrat. Dies entspricht einem Anteil von 32% der Sitze. Zugleich war dies der bisher grösste Anteil von Frauen im Nationalrat seit der Einführung des Frauenstimmrechts.1 Dennoch bleibt dieser Prozentsatz weit hinter dem Anteil der Frauen an der Gesamtbevölkerung der Schweiz. Dieser liegt bei 50,5%2 und damit 18.5% höher als im Nationalrat. Doch wie kommt diese Diskrepanz zustande? Hat das Schweizer Wahlvolk eine Präferenz für männliche Politiker? Oder gibt es andere Gründe für diese Unterrepräsentation der Frauen?

Abschiedsrede von Bundesraetin Micheline Calmy-Rey am Mittwoch, 14. Dezember 2011, im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/POOL/Lukas Lehmann)

Abschiedsrede von Bundesraetin Micheline Calmy-Rey im Nationalrat. (KEYSTONE/POOL/Lukas Lehmann)

Die Unterrepräsentation der Frauen in der Schweizer Politik ist ein ernstzunehmendes Problem für die Demokratie in der Schweiz. Laut Nationalrätin Kathrin Bertschy schaffen es Frauenthemen oft nicht auf die politische Agenda. Es komme sogar vor, dass Politikerinnen aus Karrieregründen davon abgeraten wird sich Frauenthemen anzunehmen3. Wenn aber die Anliegen von Frauen im Parlament aufgrund der Unterrepräsentation wenig Beachtung finden, so unterminiert dies die Legitimation des politischen Systems. Eine bessere Vertretung von Frauen im Parlament scheint daher angezeigt.

Ob eine proportionale Vertretung zustande kommt ist vom Wahlentscheid der Bürger, beziehungsweise davon wie sie diesen treffen, abhängig. Geht man von der Annahme aus, dass die Wähler jene Kandidaten wählen, denen sie die grösste Qualifikation für das Amt zusprechen, dann sollte bei der Wahl zweier aus Sicht der Wählenden gleich qualifizierter Kandidaten unterschiedlichen Geschlechts nur dann eine klare Präferenz zu Gunsten des einen ergeben, wenn die Wähler Politiker eines bestimmten Geschlechts grundsätzlich bevorzugen. Eine von FORS im Jahr 2015 durchgeführte Umfrage sammelte unter anderem zu diesem Sachverhalt Daten8. Die Analyse dieser Daten offenbart ein erstaunliches Ergebnis.

Bevorzugen die Schweizer männliche Politiker?

Auf die Frage, ob der/die Befragte sich bei zwei gleich gut qualifizierten Kandidaten unterschiedlichen Geschlechts für den Mann oder die Frau entscheiden würden, sprach sich eine Mehrheit (61%) der Befragten für die Kandidatin aus.maenner-und-frauen Diese Präferenz für die Kandidatin ist allerdings stark vom Geschlecht der befragten Person abhängig. Bei den Frauen ist eine hohe Präferenz (73%) für die Kandidatin zu erkennen, während es sich bei den Männern mit 54% Präferenz für den Kandidaten deutlich ausgewogener verhält. Männliche Wähler scheinen sich entweder nicht des tiefen Prozentsatzes weiblicher Parlamentarier bewusst zu sein, oder die Diskrepanz zwischen dem Bevölkerungsanteil der Frauen und ihrer Vertretung im Nationalrat nicht als Problem zu empfinden. Bei den Frauen hingehen scheint ein deutliches Bedürfnis nach einer stärkeren Vertretung von Frauen im schweizerischen Parlament zu bestehen.

altersgruppenEin anderer Faktor neben dem Geschlecht der Befragten, der die Präferenz für die Kandidatin, bzw den Kandidaten beeinflusst, ist das Alter der Befragten. Die stärkste Präferenz für die Kandidatin haben hierbei die 50-69 Jährigen. Dies überrascht wenig, ist dies doch die Generation, welche während der Einführung des Frauenstimmrechts aufwucht. Etwas überraschend ist jedoch, dass die 18-29 Jährigen offenbar die geringste Präferenz für die weibliche Kandidatin aufweisen. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die jüngste Wählergeneration das Thema Frauen-förderung als weniger dringlich erachtet als dies ihre Eltern und Grosseltern tun.

waehler-der-parteien

Betrachtet man stattdessen, welcher Partei die Befragten nahe stehen, so findet man für die Anhänger fast aller Parteien eine Präferenz für die gleich qualifizierte Kandidatin. Einzig die Anhänger der SVP haben eine Präferenz für den männlichen Kandidaten. Offenbar herrscht unter ihnen ein konservativeres Frauenbild vor als unter den Anhängern der anderen Volksparteien.

Unabhängig vom Frauenbild kann eine Person die Wahlquote weiblicher Kandidaten aber nur dann beeinflussen, wenn sie tatsächlich wählen geht. Wenn unter jenen, die bei gleicher Qualifikation eine Präferenz für den männlichen Kandidaten haben ein sehr hoher Anteil wählen geht so könnte dies erklären, wie trotz tendenzieller Favorisierung der Kandidatin unter Wahlberechtigten mehr Kandidaten gewählt werden. Eine Untersuchung der Daten unterstützt diese Erklärung jedoch nicht. Die Präferenz für die Kandidatin ist unter Wählern mit 62% sogar leicht höher als unter Nichtwählern (60%).

teilnahme-an-der-wahlGrosse Unterschied zwischen Wählern und nicht Wählenden scheint es also in dieser Hinsicht, zumindest was die Wahlen von 2015 betrifft, nicht gegeben zu haben. Bei beiden Gruppen herrscht bei gleicher Qualifikation eine klare Favorisierung der Kandidatin vor. Wie wirkte sich diese Favorisierung nun auf die Wahlchancen der Kandidatinnen aus?

Trotz dieser scheinbar vorhanden Präferenz hatten Kandidatinnen für den Nationalrat keine höhere Wahlchance, als ihre männlichen Konkurrenten. Bei den Wahlen von 2015 kandidierten 2480 Männer und 1308 Frauen für den Nationalrat.4 Dies entspricht einem Frauenanteil unter den Kandidierenden von 34,5%. Damit es trotz dieses tiefen Anteils zu einer dem Bevölkerungsanteil der Frauen in der Schweiz entsprechenden Repräsentation von 50% kommt, wäre bei den Wahlen ein unter den Stimmbürgern weit verbreitetes Kumulieren und Panaschieren zugunsten der Kandidatinnen notwendig. Der Anteil gewählter Kandidatinnen zeigt aber, dass es über die Gesamtbevölkerung hinweg betrachtet ein solches Wahlverhalten nicht gab. Mit 32% der Sitze im Nationalrat liegt der Anteil erfolgreich kandidierender Frauen sogar leicht unter den bei einem geschlechterblinden Wahlverhalten zu erwarteten 34,5%. Die in der Umfrage durch die Befragten genannte Bevorzugung von Frauen gleicher Qualifikation, resultierte für die Kandidatinnen offenbar nicht in besseren Wahlchancen.

Werden Frauen als weniger qualifiziert erachtet?

Eine Erklärung für diesen Gegensatz könnte sein, dass die in der Umfrage Befragten lediglich aufgrund von sozialem Druck eine Präferenz für die gleich qualifizierte Kandidatin angaben, in Wirklichkeit aber männliche Kandidaten bevorzugen. Eine andere Erklärung wäre jedoch, dass die Schweizer Wähler Kandidatinnen tendenziell als weniger qualifiziert erachten. Indizien dafür finden sich selbst im Parlament. So wurde beispielsweise berichtet, dass laut der SP-Nationalrätin Min Li Marti ein Ratskollege ihr geraten hatte, bei einem komplizierten Thema ihren Mann zu fragen.5 Auch von der Presse wird die Qualifikation weiblicher Poliktiker nicht immer wahrgenommen. Laut Nationalrätin Christa Markwalder wird bei Frauen oftmals nicht auf die politische Leistung sondern auf Äusserlichkeiten fokussiert.5 Und CVP-Ständerätin Brigitte Häberli wurde mit der Anektote zitiert, dass sie früher in der Presse teilweise auf ihre Tätigkeit als Blockflötenlehrerin reduziert wurde.6

Auch wenn sexistische Vorurteile die Wahrnehmung der Qualifikation weiblicher Kandidaten in der Bevölkerung beeinträchtigen und so ihre Wahlchancen negativ beeinflussen können, so bleibt das wohl grösste Hindernis für eine proporzionale Vertretung der Frauen im Parlament die im Vergleich zu den Männern tiefe Anzahl von Kandidatinnen auf den Wahllisten der Parteien. Die Gründe für diese tiefe Listenquote sind keine institutionellen Schranken sondern ein verglichen mit den Männern geringerer Anteil von Frauen, die bereit sind, sich zur Wahl aufstellen zu lassen.7 Die Nationalrätin Regine Sauter liess hierzu in der Presse verlauten, dass sich die Frauen manchmal selber im Weg stünden und sich trotz offener Türen in der Politik eine solche Aufgabe nicht zutrauen.6 Strebt man eine proporzionale Vertretung der Frauen an, müsste folglich vor allem an dieser Stelle der Hebel angesetzt und potenzielle Politikerinnen zur Kandidatur motiviert werden.

_______________________________________________________________________________________________________________

1 Parlamentsdienste (2016): Zahlen zu den Ratsmitgliedern. (https://www.parlament.ch/de/%C3%BCber-das-parlament/fakten-und-zahlen/zahlen-ratsmitglieder [15.12.2016])

2 Bundesamt für Statistik (2016): Bevölkerung. (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung.html [15.12.2016])

3 Blick (2016): Nationalrätin Kathrin Bertschy zur Sexismusdebatte. (http://www.blick.ch/news/politik/nationalraetin-kathrin-bertschy-zur-sexismus-debatte-woelfe-sind-wichtiger-als-ermordete-frauen-id5616898.html [15.12.2016])

4 Bundesamt für Statistik (2016): STAT-TAB – Die interaktive Datenbank des BFS. (https://www.pxweb.bfs.admin.ch/default.aspx?px_language=de [15.12.2016])

5 Blick (2016): Die Sexismusdebatte – Wir werden täglich angemacht. (http://www.blick.ch/news/politik/die-sexismus-debatte-wir-werden-taeglich-angemacht-id5612266.html [15.12.2016])

6 Neue Zürcher Zeitung (2016): Sexismus unter der Bundeskuppel. (http://www.nzz.ch/schweiz/aktuelle-themen/sexismus-unter-der-bundeskuppel-die-hand-des-pultnachbars-auf-dem-knie-ld.123324 [15.12.2016])

7 Gilardi, Fabrizio (2015): Die Temporäre Bedeutung von Vorbildern für die politische Vertretung von Frauen. (http://www.fabriziogilardi.org/blog/files/die-temporare-bedeutung-von-vorbildern-fur-die-politische-vertretung-von-frauen.html [15.12.2016])

 8 FORS (2016): The Swiss Electoral Study – Selects. (http://forscenter.ch/en/our-surveys/selects/ [15.12.2016])

 

____________________________________________________________________________________________________________

Autor: Tariq Rizvi,  Email: t.s.rizvi@gmail.com,  Matrikelnummer: 99-055-030

Dozenten: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann, Dr. Des. Bruno Wüest

Abgabedatum: 18.12.2016,  Anzahl Worte (ohne Lead): 988 Wörter

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .