Diesen Sommer und Herbst berät das Schweizer Parlament über die Errichtung einer nationalen Menschenrechtsinstitution. Es wäre ein weiterer Schritt in Richtung Anerkennung der Menschenrechte, den die meisten europäischen Staaten schon lange gegangen sind. Zeit sich anzuschauen, wie das Parlament bisher über Menschenrechte debattiert hat.
Am 13. Juni 2021 hat das Schweizer Stimmvolk das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) mit fast 57% angenommen. Doch das Anti-Terror-Gesetz, wie es umgangssprachlich genannt wird, gilt unter Rechtsfachleuten als umstritten, wie ein offener Brief zeigt. Das PMT sei nicht vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), wird darin moniert. Das geplante Gesetz untergrabe das Recht jedes Menschen auf Freiheit und Sicherheit, da Menschen, die keine konkrete Straftat begangen haben, durch dieses Gesetz in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden können. Der vom Bundesrat und dem Parlament gutgeheissene und direktdemokratisch gefasste Beschluss könnte also eine Menschenrechtsverletzung darstellen.
Nur wenige Parlamentsgeschäfte behandeln das Thema Menschenrechte
Es ist nicht das erste Mal, dass die direkte Demokratie in der Schweiz mit den Menschenrechten in Konflikt gerät. So trat die Schweiz zum Beispiel 1963 dem Europarat bei, jedoch nicht der EMRK, da diese die politische Gleichstellung der Geschlechter forderte, was bis 1971 mit der Annahme des Frauenstimmrechts an der direkten Demokratie scheiterte. Die Ratifizierung der EMRK holte die Schweiz 1972 nach. Ein weiteres Beispiel ist die 2018 vom Stimmvolk abgelehnte Selbstbestimmungsinitiative der SVP, die direktdemokratische Entscheide über das Völkerrecht stellen wollte, aus Angst, dass eine «fremde» Rechtsgrundlage die Gesetzgebung der Schweiz massgeblich beeinflussen könnte. Die Annahme der Initiative hätte indes eine Schwächung der Menschenrechte bedeutet. In den Parlamentsdebatten werden die Menschenrechte allerdings selten thematisiert. Nur in einem kleinen Teil der Parlamentsgeschäfte kam das Thema Menschenrechte während der letzten 20 Jahre überhaupt vor. Im Durchschnitt machen die Geschäfte, in deren Debatten die Menschenrechte erwähnt werden, etwas über 5 Prozent aus, wobei sich kein Trend über die Zeit hinweg feststellen lässt.
Parteien sprechen unterschiedlich oft über Menschenrechte
Die Menschenrechte werden also nur in einigen wenigen Debatten genannt. Wie oft Abgeordnete über Menschenrechte sprechen, hängt auch von ihrer Partei und dem besprochenen Geschäft ab, wie ein Blick auf eine Auswahl von Debatten zeigt, die die Menschenrechte thematisieren. Bei der Selbstbestimmungsinitiative war es vor allem die SP, die sich um die Einhaltung der Menschenrechte sorgte, sollte die Initiative angenommen werden. Die FDP ging nur am Rande auf die Menschenrechte ein, für sie standen internationale und bilaterale Übereinkommen, die durch die Initiative gefährdet gewesen wären, im Zentrum. Abgeordnete der SVP beschäftigten sich in der Debatte vor allem damit, auf die Fremdheit des Völkerrechts hinzuweisen. Ausserdem entkräftigten sie den Vorwurf der SP, indem sie einwarfen, die Schweizer Verfassung sei bereits menschenrechtskonform.
2013 bis 2014 diskutierte das Schweizer Parlament über das ausgehandelte Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China. Es ging in der Debatte vor allem darum, ob es eine Nachverhandlung bezüglich der Menschenrechtstandards geben soll, wie es die SP forderte. Während Abgeordnete der SVP in den Debatten vermehrt die ausgehandelten Verträge lobten, setzten sich Abgeordnete der SP, CVP und FDP eher mit dem Streitpunkt Menschenrechte auseinander. Grüne Abgeordnete äusserten sich wenig zum Freihandelsabkommen, es drehten sich all ihre Beiträge um die Nachverhandlung der Menschenrechte. Die Nachverhandlungen wurden trotz eifriger Debatte am Ende in beiden Räten abgelehnt.
In der Debatte um die Modernisierung des Aktienrechts von 2018 bis 2020 ging es darum, die zuvor angenommene Abzocker-Initiative umzusetzen, Gleichstellung in obersten Kader voranzutreiben, gewisse Prozesse zu vereinfachen und die Firmen zu mehr Transparenz bezüglich ihrer Rohstoffe zu verpflichten und damit Menschenrechtsstandards durchzusetzen. Durch die vielen Themen fiel die Debatte um Menschenrechte relativ gesehen kleiner aus. Trotzdem lässt sich auch hier erkennen, dass vor allem die linken Parteien die Menschenrechte in die Debatte miteinbeziehen.
Bei der Konzernverantwortungsinitiative, welche ab 2018 in den Räten diskutiert wurde, wurden zwei gegensätzliche Standpunkte verhandelt: Die Einhaltung der Menschenrechte einerseits und die Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer Firmen, sollte die Initiative angenommen werden, andererseits. Während die grünen Parteien, die SP und die CVP und BDP einen abgeschwächten Gegenvorschlag ausarbeiteten, der am Ende scheiterte, stellte sich die SVP gegen die Initiative und die Gegenvorschläge. Abgeordnete der FDP plädierten für einen weitaus schwächeren Gegenvorschlag. Auch bei dieser Debatte sind deutliche Unterschiede erkennbar, wie oft sich Parlamentsabgeordnete verschiedener Parteien auf die Menschenrechte beziehen. Ein Blick auf die Wortwahl der deutschsprachigen Abgeordneten verdeutlicht die Positionen der verschiedenen Parteien.
Die linken Parteien betonen Menschenrechtsverletzungen in der Debatte
Vor allem die Schlüsselworte der SP, der SVP und die der grünen Parteien sind aufschlussreich. So ging es der SVP in der Debatte darum, dass durch das neue Gesetz eine Beweisumkehr seitens der Unternehmen vollbracht werden müsste. Diese Beweisumkehrlast schwächt laut der SVP kleine und mittlere Unternehmen. Auch war es der SVP ein Dorn im Auge, dass Unternehmen für die Vergehen ihrer Lieferanten haften müssen. Laut der SP ist Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen eine Selbstverständlichkeit, auch für multinationale Konzerne. Sie betonte, dass Konzerne wie Glencore Menschen schaden und deshalb zur Verantwortung gezogen werden sollten. Die Initiative würde helfen, Menschenrechtsstandards durchzusetzen. Ähnlich klang es bei den grünen Parteien: Die Grünliberalen meinten, dass Menschenrechte und Umweltschutz international von Schweizer Unternehmen anerkannt werden müssen. Laut den Grünen tragen globale Unternehmen auch global Verantwortung. Ausserdem meinten die Grünen, dass es nicht sein kann, dass Schweizer Unternehmen Kinder im Ausland für sich arbeiten lassen. Sie monierten, dass der indirekte Gegenvorschlag zur Initiative keine konkreten Massnahmen gegen Kinderarbeit beinhalte.
Während die Geltung der Menschenrechte per se nicht umstritten ist im Schweizer Parlament, sind Auslegung und Stand der Menschenrechte durchaus ein Streitpunkt. Muss sich der Souverän bei der Gesetzgebung an die Menschenrechte halten? Ab Sommer 2021 wird diese Debatte eine neue Dimension erhalten: In der Sommersession 2021 hat der Ständerat dem Aufbau einer nationale Menschenrechtsinstitution (NMRI) zugestimmt, in der darauffolgenden Herbstsession wird der Nationalrat darüber debattieren, ob die Schweiz eine NMRI aufbauen soll. NMRIs informieren und dokumentieren, forschen und beraten zu Menschenrechtsthemen, ausserdem fördern sie den internationalen Austausch. Die Schweiz ist eines der letzten Länder Europas, das keine NMRI besitzt. Es wird spannend bleiben, inwieweit sich die Schweizer Politik zu den Menschenrechten bekennen wird.
Informationen zum Blogbeitrag
Verfasserin: Felicia Mändli
Matrikel Nr.: 15-734-460
Kontakt: felicia.maendli@uzh.ch
Abgabedatum: 20.06.2021
Anzahl Worte: 1008
Modul: Forschungsseminar «Politischer Datenjournalismus» (FS 2021)
Verantwortliche: Theresa Gessler, Bruno Wüest, Alexandra Kohler
Selbständigkeitserklärung
Quellen
Die Daten stammen aus dem swissparl-Package.
Zumbach, David (2020). swissparl: Interface to the Webservices of the Swiss Parliament. R package version 0.2.1.
Die Konstruktion des Datensatzes mit dem Package kann hier eingesehen werden.
Menschenrechte als Suchbegriff (Dictionary)
Die Analyse basiert auf einem selbst konstruierten Wörterbuch zum Thema Menschenrechte. Die interne Validierung des Dictionary kann hier eingesehen werden.
Analyse
Für die Analyse wurden nur nationale Parteien der Deutsch- und Nordwestschweiz verwendet.
Aus Gründen der Darstellung und der Aussagekraft wurden die Daten der Parteien CVP und BDP sowie die der beiden grünen Parteien GPS und glp jeweils für die Analyse zusammengenommen. Dies, weil die BDP und die glp zu den einzelnen Geschäften jeweils nur sehr wenige Wortmeldungen beitrugen.
Für die Analyse der Schlüsselwörter wurden zudem nur die Wortmeldungen der Deutsch sprechenden Abgeordneten verwendet.
Die ganze Analyse kann hier eingesehen werden.