Der Nichtwähler kennt die Kandidaten nicht und verweigert deshalb seine Stimme bei den Nationalratswahlen. Die Nachwahl-Umfragen der letzten fünf Wahlen zeigen, dass durchschnittlich 63 Prozent der Nichtwähler die Unkenntnis der Kandidaten als Grund angeben. Könnte also eine grössere Präsenz der Kandidaten, die Wahlbeteiligung in der Schweiz verbessern? Ganz so einfach ist es leider nicht, denn es gibt noch weitere Gründe, die Nichtwähler angaben.
Seit 1995 spezifiziert die Selects-Nachwahlumfrage die Gründe, weshalb Schweizer nicht an die Urne getreten sind. Sie reichen von politischem Desinteresse und Kompliziertheit der Wahlen, über die Enttäuschung über die Kandidaten, hin zum geringen Einfluss auf die Regierung durch die Wahlen. Die Befragten können für jeden Grund mit korrekt oder nicht korrekt antworten, weshalb es zu Mehrfachnennungen kommt. Es wäre zu erwarten gewesen, dass viele Bürger nicht wählen gehen, weil sie schlicht zu wenig über Politik wissen oder sich nicht interessieren. Auch die Teilnahme an Abstimmungen, statt an Wahlen, könnte ein sehr häufig auftretender Grund sein. Doch die Zahlen zeigen andere Ergebnisse. Seitdem diese Daten erfasst werden,1995, gaben ca. 60 und 61 Prozent der Nichtwähler an, dass sie schlicht und einfach die Kandidaten nicht kennen. Und das bei einem Wahlkampf, der schon ein halbes Jahr im Voraus beginnt. Im Vergleich dazu geben an zweiter Stelle zwischen 45 und 55 Prozent der Nichtwähler an, sie hätten mehr Einfluss durch Abstimmungen. Dass die Wahlen zu kompliziert seien oder, dass man nicht teilnehmen konnte, gaben hingegen nur 30 bis 40 Prozent der Befragten an.
Aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, ist es gerade in der Schweiz interessant die Nichtwähler zu analysieren. Durch eine Struktur der Nichtwähler lassen sich Profile erschliessen. Diese könnten genutzt werden, um konkrete Probleme der Nichtwähler anzugehen und sie zu Wählern zu machen. Es gibt beispielsweise schon die Einteilungen in die Desinteressierten, die gut verdienen und gebildet sind und die Verdrossenen, die aus Unzufriedenheit und Misstrauen in die Institutionen nicht zur Wahlurne gehen. Weiterhin sind die „nur Abstimmenden“, die politische Aktiven und trotzdem Nichtwähler, die sozial isolierten und die Inkompetenten identifiziert wurden. Die Unkenntnis über Kandidaten ist in dieser Gliederung der Nichtwähler-Typen allerdings nicht erwähnt, oder wird gleich gestellt mit politischem Desinteresse. Wenn aber der einzige Grund für die Verweigerung der Stimme ist, dass man die Kandidaten nicht kennt oder zu wenig über Politik weiss, dann ist das eine Sache, die sich aktiv ändern lässt. Und es scheint, als wären die Kandidaten aufmerksam geworden. Denn in den letzten Wahlen sind die Ausgaben für Werbung der Kandidaten in Form von Plakaten und Inseraten enorm gestiegen. Trotz der Anstrengung der Kandidaten, sich zu präsentieren, gab es auch am 18. Oktober 2015 keine positive Veränderung der Wahlbeteiligung.
Wer sind nun die Schweizer, die nicht abstimmen und welche Gründe geben sie an? Die zweite Grafik zeigt, wie sich der Anteil der Gründe für 2007 und 2011 über die Sprachregionen der Schweiz verteilt. Anzumerken ist zunächst, dass sich viele der Gründe kaum über die Sprachregionen hinweg unterscheiden. Es fällt jedoch auf, dass im deutschsprachigen Teil der Schweiz 63 Prozent den Grund angaben, die Kandidaten nicht zu kennen und hingegen nur 46 Prozent der italienischsprachigen Schweizer diesen Grund angaben. Genau so viele und damit überdurchschnittlich viele italienischsprachige Schweizer gaben an, dass sie nicht wählten, weil sie an den Wahlen zum Beispiel krankheits- oder urlaubsbedingt nicht teilnehmen konnten. 2011 schrumpfte dieser Grund auf gewöhnliche 30 Prozent. Die Kandidaten nicht zu kennen gaben 58 Prozent der Nichtwähler an und passten sich damit der französisch- und deutschsprachigen Schweiz an. Zudem scheint im italienischsprachigen Teil der Schweiz die Signifikanz an Abstimmungen zugenommen zu haben, da 2011 knapp 60 Prozent der Wähler angaben, dass sie mehr Einfluss durch Abstimmungen hätten. Das heisst die Mehrheit der Nichtwähler geht lieber bei Abstimmungen an die Urne. Denn dort muss man keine Kandidaten kennen, das tun ca. 60 Prozent der Nichtwähler nämlich nicht, sondern eine Meinung haben. Das zeigt, dass es viele Schweizer gibt, die sich bewusst gegen die Abgabe ihrer Stimme entscheiden, weil sie eben über genug politisches Wissen und Bildung verfügen. Eine Person, die nicht wählen geht, hat nicht zwangsläufig niedrigeres Einkommen, kein politisches Wissen und wenig Bildung. Übrigens sind das alles Faktoren, die mit dem Alter signifikant steigen. Ein 18-Jähriger hat selten schon einen Universitätsabschluss und eine Schweizerin um die 50 weiss heute im Durchschnitt mehr über Politik als sie vor 30 Jahren wusste. Das Alter könnte tatsächlich eine interessante Variable sein. In der folgenden Grafik zeigt sich wieder ein ähnlicher Trend, wie bei der Verteilung über die Sprachregionen.
Viele kennen die Kandidaten nicht und viele errechnen sich mehr Einfluss durch Abstimmungen. Sehr auffällig und in gewisser Weise schockierend ist jedoch Folgendes. Die 18- bis 29-Jährigen gingen 2011 nicht wählen, nicht weil sie keinen Einfluss auf die Regierungsbildung oder weil Wahlen nichts ändern. Nein, drei Viertel der jungen Schweizer gaben als Grund an, die Kandidaten nicht zu kennen. In Zeiten von Social Media sollte es doch möglich sein, dass Kandidaten sich online vernetzen und sich auf Plattformen wie Twitter und Facebook präsentieren. Wenn in der Schweiz wieder eine höhere Wahlbeteiligung erreicht werden will, sollten Kandidaten sich mehr zeigen. Damit ist nicht gemeint, mehr Plakate in der Stadt zu verteilen. Um die junge Generation anzusprechen und zum Wählen zu überzeugen, braucht es wohl etwas mehr Substanz hinter dem freundlichen Zahnpasta-Lächeln.