Zuspruch zu mehr LGB(T) Rechten: ‚Gender Gap‘ unter dem Regenbogen

Liberales West-, Homophobes Osteuropa. Neue Datenauswertungen von sechs ausgewählten Staaten werfen dieses alte Vorurteil über Bord. Sloweniens Bevölkerung und auch Ungarn zeigen sich für LGB(T)s liberaler als gedacht. Die Differenz zwischen den Geschlechtern ist hingegen wie in Stein gemeißelt: Während Männer mehr Gleichberechtigung für Homosexuelle zwar zunehmend befürworten, kommen sie nur äußerst selten an die höheren Zustimmungswerte ihrer weiblichen Altersgenossen heran. Ebenfalls beeinflussen nationale Policies aus anderen Bereichen auch hier die Meinungsbildung.

Der 26. internationale Tag gegen Homophobie am 17. Mai gibt Anlass, einen datenjournalistischen Blick auf die Entwicklung der LGB(T) Akzeptanz in Europa zu richten. Während Frankreich und die Niederlande in den letzten Jahren die Ehe für Schwule und Lesben öffneten, hinken Deutschland und die Schweiz ihnen hinterher. Die bei uns gängige ‚Eingetragene Partnerschaft‘ versucht ihr nahezukommen. Durch den Widerstand konservativer Kreise bestehen aber immer noch einige Einschränkungen, wie zum Beispiel Nachteile im Adoptionsrecht. Ungarn und Slowenien versperren den Weg zur ‚Ehe für Alle‘ bis auf weiteres von Staats wegen. Beide Länder definieren die Ehe in ihren Verfassungen explizit als Bund zwischen Mann und Frau. Sind Verfassung und Positionen der Regierungen jeweils das Spiegelbild der Meinungen in der Bevölkerung? Demnach müsste die größte LGB(T) Akzeptanz in Frankreich und den Niederlanden liegen. In Ungarn und Slowenien würden die Gesellschaften durch blanke Homophobie auffallen. Die ILGA (International lesbian, gay, bisexual, trans and intersex association) gibt zu dieser Information alljährlich in Europa die sogenannte Regenbogenkarte heraus, welche die nationale politische Situation für LGBTs darstellt. Je höher der in einem Land erreichte Wert, desto besser die juristische Gleichberechtigungssituation Homosexueller gemäß ILGA. Insbesondere die ‚Ehe für Alle‘ vermag die relativ hohen Werte Frankreichs (65%) und der Niederlande (69%) zu erklären. Deutschland und Ungarn folgen mit 56% und 50%. Weit abgeschlagen werden Slowenien (32%) und die Schweiz (28%) auf die unrühmlichen tiefen Plätze verwiesen, während Ungarn besser als erwartet abschneidet.

Die rechtliche Gleichstellung Homosexueller ist nicht überall in Europa gleich.

Die rechtliche Gleichstellung Homosexueller ist nicht überall in Europa gleich.

Wie aber unterscheiden sich nicht nur die Länder in ihrer Politik sondern Frauen und Männer in ihrer Meinung zu gleichen Rechten für die LGB(T) Gemeinschaft? Eine Auswertung des European Social Survey ESS von 2002 bis 2014 klärt diese Fragen. In erster Linie hat das Alter der oder des Befragten einen Einfluss darauf, ob er oder sie eine vollständige Gleichstellung Homosexueller befürwortet oder nicht. 20-Jährige sind hier meist offener als 40- oder 60-Jährige. Dies konnten entsprechende Berechnungen belegen. Besonders hervorstechend ist aber das Unterschied zwischen Männern und Frauen in ihren Antworten auf die Frage: „Befürworten Sie mehr gesellschaftliche Rechte für Schwule und Lesben?“. In nahezu allen drei Generationen und Untersuchungsjahren des ESS zeigen Frauen eine höhere Zustimmung zu mehr rechtlicher Gleichstellung als Männer. Diese Unterschiede sind mit wenigen Ausnahmen stets signifikant. Der schon in vielen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen gefundene robuste Einfluss des Geschlechts auf gesellschaftliche Ansichten kann hier überzeugend bestätigt werden. In der Schweiz, der Niederlande, Deutschland und Ungarn ist der Gender Gap in diesem Bereich statistisch unbestreitbar. In allen Gesellschaften nahm während der letzten 12 Jahre die Akzeptanz von mehr LGB(T) – Rechten zu, lag aber auch schon zu Beginn der Erhebungen auf einem Niveau von über 50%. Den stärksten Zuwachs konnte aber über beide Geschlechter und alle Untersuchungsjahre mit einem Anstieg von ca. 8% aber die Gesellschaft Sloweniens ausweisen.

In Europa ist Ehe nicht gleich Ehe

Auffällig unterschieden sich die Staaten nicht nur in rechtlicher Gleichstellung sondern auch in ihrem Eheverständnis. Frankreich und die Niederlande kennen gleichgeschlechtliche Ehen, Deutschland und die Schweiz die Eingetrage Partnerschaft, Ungarn und Slowenien nichts von beidem. Die sechs Staaten bilden in dieser untersuchung ein Most different design, variieren über ihr Eheverständnis.

Die rechtliche Situation der gleichgeschlechtlichen Ehe in sechs ausgwählten Ländern Europas. (Grün: Gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt, braun: Eingetragene Partnerschaft möglich, rot: keine Form rechtlicher Bindung).

Die rechtliche Situation der gleichgeschlechtlichen Ehe in sechs ausgwählten Ländern Europas. (Grün: Gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt, braun: Eingetragene Partnerschaft möglich, rot: keine Form rechtlicher Bindung).

Exemplarisch wird die Entwicklung der Zustimmungswerte von Männern und Frauen für die Alterskohorte der 20-Jährigen zu mehr LGBT(T)-Rechten visualisiert. Die Kurve für 40- und 60-Jährige verläuft für beide Geschlechter nahezu analog, durch den tendenziell konservativeren Einfluss des Alters jedoch etwas tiefer. Aus diesem Grund wurde für diese Untersuchung das Geschlecht als Untersuchungsvariable gewählt, da der Einfluss des Alters zwar erkennbar, jedoch weniger markant ist. Dargestellt werden im Folgenden die Ergebnisse für Deutschland, Frankreich und Ungarn, da in jedem der drei Länder eine wichtige Policyänderung stattfand, die sich auf den Zuspruch zu LGB(T) Rechten auswirkte. Diese Policyänderungen traten in der Schweiz, Slowenien und den Niederlanden entweder nicht auf, oder hatten keinen größeren Einfluss auf die Ergebnisse.

Mehr Rechte waren nicht immer die ‚Große Liebe‘

In Frankreich scheinen die Proteste für eine ‚Ehe für Alle‘ der letzten Jahre ihr Ziel von mehr LGB(T) Akzeptanz erreicht zu haben. Bevor diese im Jahr 2013 gesetzlich verankert wurde, erlebte der Zuspruch für die Gleichstellung Homosexueller in der französischen Bevölkerung einen Sprung von über 15% nach oben. Dies mag der Politik den entscheidenen Impuls gegeben haben, dem ‚Druck der Straße‘ nachzugeben und die Ehe zu öffnen. Auch wenn sich die Zustimmungswahrscheinlichkeiten zwischen Männern und Frauen nicht immer stark unterscheiden, sind diese mit Ausnahme des Jahres 2006 statistisch signifikant. Auffallend ist aber der Rückgang im Zuspruch zu LGB(T) Rechten im Jahr 2014, also direkt nach der ‚Ehe für Alle‘. Franzosen äußern sich in jüngster Vergangenheit wieder weniger für LGB(T) Gleichberechtigung. Dies kann damit begründet werden, dass sowohl Ehe als auch Adoptionsrechte für Schwule und Lesben geöffnet wurden, und diese Themen für die Masse der Bevölkerung damit an unmittelbarer Salienz verloren haben.

Größter Gender Gap auf Deutscher Seite

Genauso wie in Frankreich zeigen sich auch in Deutschland die Frauen weniger zurückhaltend gegenüber einer stärkeren LGB(T) Gleichberechtigung. Bis 2012 ist dieser Unterschied grafisch sehr deutlich im Bereich zwischen beiden Kurven ablesbar. Nach 2012 muss auch hier ein gesellschaftlicher Rückschritt eingesetzt haben. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern geht die Zustimmung um bis zu 6% zurück. Der hiesige ‚Gender Gap‘ ist in Deutschland ein ungeschriebenes Gesetz: Für jede Alterskohorte in jedem Untersuchungsjahr sind Frauen signifikant LGB(T)-Rechte befürwortender als Männer. Dass die Veränderung der Zustimmunsgwahrscheinlichkeit gerade im Jahr 2014 ausgemacht wird, mag an einem ähnlichen Grund wie in der französischen Gesellschaft liegen. Im Jahr zuvor wurde vom Bundestag die vollständige steuerliche Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften beschlossen, die Vorteile des sogenannten ‚Ehegattensplitting‘ stehen nun auch Schwulen und Lesben zu. Denkbar wäre, dass durch diese Policyänderung die weitere Rechtsgleichheit Homosexueller bei der Bevölkerung an Wichtigkeit eingebüßt hat und diese jetzt die Frage nach weiteren Rechten verneinen.

Im Osten etwas Neues

Der überraschende Außenseiter in dieser Untersuchung kommt aus Ungarn. Abgesehen von einem Tiefpunkt im Jahr 2010 zeigen sich die Ungarn konstant sehr liberal und übertreffen mit ihrer Befürwortung für mehr LGB(T) Rechte die Deutschen leicht, die Franzosen aber deutlich. Katholisch geprägte Länder, welche politische Freiheiten erst seit einer Generation kennen werden oft als homophobe Gesellschaften vorverurteilt. Gerade Ungarn zeigt, dass die Politik aber nicht immer die Meinung der Bevölkerung abbildet. Bis 2010 schienen die Ungarn für immer konservativere Gesellschaftsentwürfe empfänglich, wie an der zwischen 2006 und 2010 fallenden Kurve erkennbar ist und äußerten sich mit geringerer Wahrscheinlichkeit für mehr LGB(T) Rechte als vorher. Nach der Machtergreifung Viktor Orbáns im Jahr 2010 wurden gesellschaftliche Freiheiten weiter als gedacht eingeschränkt und dem Land eine immer konservativere politische Leitlinie aufgezwungen. Diese definiert sich insbesondere durch pro-kirchliche und traditionelle pro-familiäre Werte. Die ungarische Elite scheint offensichtlich mit ihrer harten rechts-konservativen Politik über das Ziel hinaus geschossen zu sein. Die Reaktion zeigt sich klar in den Positionen der Bevölkerung im Bereich gleicher Rechte für Schwule und Lesben. Nach dem Regierungswechsel zur rechten Fidesz reagierte das Volk völlig unerwartet und nicht im Sinne seiner Vertreter mit einem Trendwechsel. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person mehr LGB(T)-Rechte befürwortet, legte nach 2010 einen regelrechten Katapultstart hin und sprang um bis zu 10% nach oben. Erfreulicherweise scheint dem durchschnittlichen Ungarn die Politik der Fidesz in Gesellschaftsfragen zu restriktiv zu sein, weswegen entsprechende Liberalisierungen seit ihrer Wahl umso mehr befürwortet werden.

Am Beispiel der Gesellschaftspolitik zeigt sich deutlich, dass die Meinungen der Bevölkerung nicht das Abbild der Politiker sind, die sie vormals gewählt haben. Mehr noch ist die Bevölkerung, wie insbesondere in Ungarn zu sehen, in der Lage allzu extreme Strömungen wahrzunehmen und diese nicht zu unterstützen. Ob der positive Trend weiter anhält oder die fallende Kurve in Deutschland und Frankreich umgekehrt wurde, wird Anfang des nächsten Jahres der fertige ESS Datensatz 2016 zeigen.



Methodische und Designinformationen zum Blog:

Für jedes der hier besprochenen 6 Länder wurde mittels des ESS Datensatzes für das entsprechende Jahr eine designgewichtete, logistische Regression gerechnet. Aus dieser konnten insbesondere der Einfluss des Alters einer Person auf die abhängige dichotome Variable („Unterstützen Sie mehr Rechte für Schwule und Lesben?“: ja / nein) und der Einfluss des Geschlechts abgelesen werden. Um zu überprüfen, ob der Unterschied zwischen Männern und Frauen nicht nur über den gesamten Datensatz signifikant ist, sondern auch zwischen Männern und Frauen der gleichen Alterskohorte in einem Untersuchungsjahr, wurde eine statistische Simulation angewandt. Zu diesem Zweck wurden jeweils für Männer und Frauen hypothetische Personen mit mittlerer Bildung, politischem Interesse, Religiosität, Links-Rechts-Verortung aus einer mittelgroßen Gemeinde gebildet. Ob zwischen ihnen ein signifikanter Unterschied vorhanden ist, wurde mit einer statistischen Simulation über jeweils 10.000 Ziehungen überprüft. Ingesamt wurden für diese Analyse also 126 Simulationen (6 Länder * 7 Untersuchungsjahre * 3 Alterskohorten) durchgeführt.

Da die Konfidenzintervalle der statitischen Simulationen mitunter sehr klein und nicht immer gut zu erkennen sind, wurden diese zum Zweck einer verbesserten Lesbarkeit nicht in die Grafiken integriert.

Die sechs beschriebenen Länder wurden aufgrund ihrer verschiedenen Ehedefinitionen ausgewählt, um mehr Varianz in der Auswertung zu erhalten. Sie bilden durch ihre unterschiedlichen Ehedefinitionen ein most different design.

Um stärker auf die Policyänderungen eingehen zu können, wurden die 6 Länder bewusst ausgewählt, da ein größeres Sample den Rahmen dieses Beitrags überschritten hätte.

LGB(T): Transgender steht in Klammern, da es mit im LGBT Begriff vorkommt, in der Variable des ESS aber nur nach Gay/Lesbian gefragt wurde.

Ehegattensplitting: Möglichkeit im deutschen Steuerrecht. Erlaubt Ehepartnern und eingetragenen Partnern nicht beide Einkommen separat, sondern zweimal den Durchschnitt beider Einkommen zu versteuern. Durch die deutsche Steuerberechnung ergeben sich so in den meisten Fällen für beide Partner finanzielle Vorteile.

Quellen:

ESS

ILGA

Ehegattensplitting

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