Alle reden über die SVP, obwohl ihr niemand folgt

Wie misst man die Relevanz einer Partei auf Twitter? Die Followerzahlen erscheinen nur auf den ersten Blick als eine geeignete Idee dafür. Vielmehr braucht es präzisere Messinstrumente, um zu zeigen, dass eine SVP trotz niedriger Follower- und Tweetzahlen an Relevanz kaum zu überbieten ist.

Auf der Social Media Plattform Twitter folgt kaum jemand der SVP (1662 Follower, Stand: 20.03.2015), den Grünliberalen hingegen wird fast fünfmal mehr gefolgt (9586 Follower, Stand 20.03.2015). Hat die SVP demnach das Digitalzeitalter verpasst? – Keineswegs, denn in den folgenden Berechnungen zeigt sich, dass die Followerzahlen kaum eine Rolle spielen, will man die Relevanz einer Partei auf Twitter messen. Aber wie misst man diese? – Relevant kann eine Partei sein, welche Erwähnung in Tweets anderer findet: Gerade hier erreicht die SVP mit einem Score von 12’753 am zweitmeisten Nennungen (nach der SP mit 19’737). Eine GLP erreicht im Vergleich nur gerade 3’409 Nennungen. Eine weitere Variante, um die Relevanz einer Partei zu messen könnte sein, die Anzahl Retweets im Bezug auf die parteieigenen Tweets zu messen. Auch hier hält die SVP die Spitze: Im Durchschnitt wird jeder Tweet von ihr dreimal retweetet. Bei der GLP sind es ein wenig mehr als zwei Retweets pro eigenem Tweet. Die GLP scheint der SVP auf Twitter demnach doch nicht so überlegen zu sein, wie auf den ersten Blick vielleicht anzunehmen war. Und wie schneiden die anderen Parteien ab?

Nennungen: Die Grünen fallen deutlich ab
Die SP hat in der Schweiz mit Abstand am meisten Follower (14’394) und setzt sich auch bei den Nennungen an die Spitze der Rangliste. Es ist trotzdem erstaunlich, dass die SVP mit fast zehnmal weniger Followern ungefähr zwei Drittel der Anzahl Nennungen der SP erreicht. Es scheint, als würde die SVP ihr Potenzial weitaus besser nutzen. Als Negativbeispiel hingegen können hier die Grünen angesehen werden: Sie haben zwar fast dreimal so viele Follower wie die SVP, wurden jedoch nur 605 Mal in Tweets genannt. Wie bereits erwähnt, schneidet auch eine GLP nicht blendend ab: Sie hat zwar am zweitmeisten Follower, erreicht aber nur den fünften Platz bei den Nennungen. Es gibt demnach starke Hinweise darauf, dass die Followerzahl kein Gradmesser dafür ist, ob über den eigenen Account mehr gesprochen wird als über solche mit weniger Follower: Eine hohe Anzahl Nennungen ist auch mit niedrigen Followerzahlen zu erreichen. Nun ist bei der Messung der Nennungen aber nicht zu sehen, inwiefern es sich um positive oder negative Erwähnungen handelt; stillschweigend wird von einer alten Binsenweisheit ausgegangen: «Jede Presse ist gute Presse». Um jedoch zu messen, ob eine Partei auch Inhalte vermitteln kann, welche auf Twitter ankommen, wird ein anderes Messinstrument benötigt: Der Tweet Impact Factor.


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Retweets: Die CVP setzt auf Masse, eine SVP auf Klasse
Wie bereits erwähnt, wird die Rangliste des Tweet Impact Factor (präzise Erklärung in der Infobox) angeführt von der SVP: Vom Account der wählerstärksten Partei wird zwar kaum ein Tweet abgesendet, dieser indes wird durchschnittlich dreimal retweetet. Gerade hier setzt sich Klasse vor Masse durch, denn auch die GLP und BDP, welche die anderen beiden Podestplätze in dieser Rangliste besetzen, sondern kaum Tweets ab, werden dafür aber durchschnittlich zweimal retweetet. Ganz anders sieht es bei einer CVP aus, welche mit Abstand am meisten Tweets verschickt, diese werden jedoch jeweils kaum mehr als einmal retweetet. Ähnliche Zahlen lassen sich bei der FDP und den Grünen messen, welche zwar weniger tweeten, deren Tweets im Durchschnitt aber auch nur einmal retweetet werden. Besser schneidet hier die SP ab, welche am zweitmeisten tweetet, aber fast anderthalb Retweet pro Tweet erreicht. Der Tweet Impact Factor zeichnet demnach zumindest bei den Schweizer Parteien ein Bild, welches zeigt, dass es wohl nicht so sehr auf die Quantität der Tweets ankommt, sondern vielmehr auf deren Qualität, sofern man denn auf eine weitere Verbreitung der eigenen Tweets hofft.

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Fazit: Retweets und Nennungen über Follower
Es zeigt sich, dass die SVP trotz niedriger Follower- und Tweetzahlen bei den beiden Messungen durchschnittlich am besten abschneidet, also durchaus eine Relevanz auf Twitter besitzt. Naheliegende Gründe dafür könnten sein, dass die SVP als wählerstärkste Partei im Lande eine gewisse Machtstellung innehat, welche sich auch auf Twitter überträgt. Zudem polarisiert die SVP auf und neben Twitter, was jeweils zu zahlreichen Reaktionen führen kann. So gesehen scheint es nicht verwunderlich, dass der SVP zwar kaum gefolgt, aber umso mehr über sie gesprochen wird. Die Relevanz einer Partei lässt sich jedenfalls mit der Messung der Nennungen und dem Tweet Impact Factor eindeutig präziser einschätzen als mit der reinen Angabe von Followerzahlen.

Infobox: Methodik und Datensatz
Nennungen: Für die Ermittlung der Anzahl Nennungen einer Partei wurde der repräsentative Twitterdatensatz von Bruno Wüest verwendet, welcher den Zeitraum zwischen Februar 2007 und Februar 2015 abdeckt. Der Datensatz enthält ausschliesslich «politische Accounts», welche eine Verbindung zur Schweizer Politik haben. Die Ergebnisse der Analyse beziehen sich daher nicht auf ganz Twitter, sondern nur auf Daten aus diesem Datensatz.
Tweet Impact Factor (TIF): Der TIF berechnet sich aus der Gesamtzahl an Retweets, welche ein Account auf sich vereint, durch die Gesamtanzahl Tweets, welche von diesem Account abgesendet wurden. Als Datengrundlage gilt derselbe Datensatz wie oben genannt.

 


 

Autor: Marco Büsch | 09-728-213 | marco.buesch@uzh.ch
Für: Seminar Policy-Analyse: Politischer Datenjournalismus (FS 2015)
Dozenten: Dr. Sarah Bütikofer, Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann und Dr. des. Bruno Wueest.
Abgabedatum: 30.03.2015
Wörter: 859

2 comments

  1. Vielen Dank für den interessanten Artikel. Relevanz von Twitterprofilen zu messen ist ein interessantes Analysefeld. Ich habe einige Fragen und Anmerkungen, insbesondere zu der in dieser Studie verwendeten Methodologie.

    1) Es heißt im Artikel, der Tweet Impact Factor (TIF) werde durch die Rechnung „Anzahl der Retweets / Gesamtzahl der Tweets“ eines Twitterkontos ermittelt. Nehme ich richtig an, dass die „Gesamtzahl der Tweets“ jener Wert ist, der in einem Twitterprofil unter „Tweets“ angegeben wird? Wenn dem so ist, möchte ich argumentieren, dass der TIF nur sehr eingeschränkt ein Gradmesser für die Relevanz oder Reichweite eines Twitternutzers ist. Denn: der TIF ist höher, wenn ein Twitternutzer wenige Tweets mit mehr Retweets auf seinem Konto hat. Es heißt „Klasse statt Masse“. Vernachlässigt wird hierbei erstens, dass ein Twitternutzer meistens dann viele Tweets auf dem Konto hat, wenn dieser häufig auf Fragen und Antworten anderer Twitternutzer reagiert. Solche „Frage-Antwort Ping-Pongs“ bringen keine oder nur wenige Retweets. Im Klartext: Interaktionsfreudigkeit wird beim TIF bestraft, das Konzentrieren auf „Propaganda-Tweets“ (z.B. Sharepics) und die Verweigerung von Dialog hingegen wird belohnt. Im Sinne einer für die Demokratie gewinnbringenden Nutzung von Twitter, ist Dialogbereitschaft jedoch zentral, möchte ich argumentieren. Zweitens, auch ein Retweet wird in dem Konto desjenigen Nutzers, der einen Tweet retweetet, als Tweet gezählt. Für das Retweeten fremder Tweets kann man selbst keine Retweets erhalten. Somit wirkt sich das Nutzen dieser zentralen Funktion von Twitter ebenfalls negativ auf den eigenen TIF aus. Mein Vorschlag wäre, die „Gesamtzahl der Tweets“ im TIF durch „Gesamtzahl der Tweets minus Antworten minus Retweets“ zu ersetzen, um die Aussagekraft des TIF zu erhöhen.

    2) Im Artikel wird erwähnt, dass Nennungen nach dem Motto „Jede Presse ist gute Presse“ bewertet werden. Es wird suggeriert: viele Nennungen sind gut, wenige Nennungen sind schlecht Ich möchte betonen, dass diese Einnahme die Ergebnisse dieser Studie sehr verzerren können. Beispiel: wenn regelmäßig ein Shitstorm über die SVP hineinbricht und sie deshalb oft genannt wird auf Twitter, ist das sicher kein Grund zum Jubeln für die Partei. Oder: wenn es eine Partei zur internen Kommunikationsrichtlinie macht, dass alle Parteipolitiker in ihren Tweets immer das Twitterprofil der eigenen Partei nennen statt die Partei in richtigen Worten zu schreiben (also z.B. „@GrueneCH“ statt „Grüne“), bekommt eine Partei auch viele Nennungen, die aber keine Relevanz im Sinne von öffentlichem Interesse bedeuten.

    3) Ich würde vorschlagen, bei allen Messungen der Studie eine Gewichtung der Ergebnisse durch die Follower-Anzahl vorzunehmen. In der vorliegenden Fassung wird angenommen: 500 Retweets sind mehr, 200 sind weniger. 200 Retweets können aber für ein Twitternutzern mit wenig Followern ganz gut sein, während 500 Retweets für ein Profil mit vielen Followern wenig sein kann.

    Ich freue mich auf einen weiteren Austausch zu diesem Thema.

    Viele Grüße aus Berlin
    Johannes Hillje

    http://www.twitter.com/jhillje
    about.me/johanneshillje

    • Guten Tag Herr Hillje,
      Vielen Dank für Ihr Interesse an meinem Blogbeitrag und Ihre Anmerkungen. Eines möchte ich gleich vorweg anmerken: Es handelt sich bei der Messung der Nennungen usowie dem Tweet Impact Factor um erste Schritte, die relevanz von Twitter-Accounts besser messbar zu machen, einfach aus dem Grund, dass allzu oft die Followerzahlen als Gradmesser genommen werden, welche meines Erachtens aber nicht so viel über die Releavanz aussagen, wie viele meinen. Nun zu Ihren Fragen/Anmerkungen:
      1) Ja, beim TIF wird mit der Anzahl Tweets gerechnet, welche bei einem Twitterprofil unter Tweets angegeben sind. Ihre zwei Verbesserungsvorschläge für den TIF klingen sehr interessant und nützlich, aber gerade bei Ihrem ersten Vorschlag scheint es wohl nicht einfach, herauszufiltern, welche Tweets nun Antworten sind und welche nicht. Die Berücksichtigung Ihrer zwei Vorschläge würde den TIF aber sicher noch verbessern, vielen Dank!
      2) Über „Jede Presse ist gute Presse“ lässt sich wohl immer diskutieren, wobei wohl meistens gilt „Jede Presse ist besser als keine Presse“. Es handelt sich aber natürlich um eine Vereinfachung, jeden Tweet in positiv und negativ einzuteilen dürfte wohl ziemlich schwierig zu bewerkstelligen sein. Das Problem mit den allfälligen internen Kommunikationsrichtlinien lässt sich kaum aus der Welt schaffen, aber in diesem Sinne könnte wohl auch gemessen werden, welche Partei Twitter „besser“ verstanden hat.
      3) Eine Gewichtung wäre tatsächlich sinnvoll und interessanterweise würde gerade beim TIF das Ergebnis zB. bei der SVP und der FDP noch krasser auseinander driften, weil die SVP weniger als ein Drittel der Follower der FDP hat.

      Ich bedanke mich herzlich für Ihre Auseinandersetzung mit meinen Messversuchen und hoffe, meine Antwort konnte Ihnen weiterhelfen.
      Vielen Dank und mit freundlichen Grüssen
      Marco Büsch

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