Die allgemeine öffentliche Verwaltung in der Schweiz wuchs in den vergangenen Jahren überproportional. Steckt hinter diesem Wachstum eine rasant expandierende Bürokratie oder ein reales Bedürfnis nach staatlichen Dienstleistungen?
Im Februar 2015 präsentierte der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse an der Jahresmedienkonferenz ein kontroverses Forderungspapier. Unter dem Schock der Aufhebung des Euromindestkurses identifizierte der Wirtschaftsdachverband fünf Handlungsfelder, in welchen die Politik aktiv werden müsse, sofern die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Schweiz gesichert werden wolle. Unter anderem verlangten sie angesichts der wirtschaftlichen Lage eine Effizienzsteigerung der öffentlichen Verwaltung. Sie kritisierten, dass im Vergleich zum wirtschaftlichen Wachstum überdurchschnittlich viele Verwaltungsstellen geschaffen wurden. Zur Umsetzung einer Effizienzsteigerung forderten sie drastische Massnahmen: „In der öffentlichen Verwaltung sollte per sofort ein globaler Personalstopp gelten.“
Doch sind die Vorwürfe der Economiesuisse berechtigt? Wie stark wuchs die Beschäftigung in der allgemeinen Verwaltung in der Schweiz in den vergangenen Jahren? Auskunft geben die Daten der Beschäftigungsstatistik BESTA des Bundesamts für Statistik.
Ein Blick auf die Grafik zeigt, dass die Beschäftigung in privaten Wirtschaftsbereichen wie dem Handel, der Herstellung von Waren oder der Gastronomie seit 1991 sank. Deutlich sichtbar ist auch das starke Personalwachstum der staatlichen und staatsnahen Sektoren wie dem Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen. Das gleiche Bild ist in der öffentlichen Verwaltung zu sehen: 1991 beschäftigte die Verwaltung bei Bund, Kantonen und Gemeinden Personal um Umfang von 133‘000 Vollzeitstellen. Bis 2014 stieg diese Zahl auf mehr als 187‘000 Vollzeitäquivalente.
Die Entwicklung der Anzahl Vollzeitäquivalente zeigt seit 1991 ein Wachstum von 33 Prozent in der allgemeinen Verwaltung auf. Die Beschäftigung in der Gesamtwirtschaft wuchs im gleichen Zeitraum um 12 Prozent. Die Kritik von Economiesuisse scheint auf den ersten Blick berechtigt, wird aber relativiert, wenn man berücksichtigt, dass die Beschäftigung im gesamten Dienstleistungssektor – welchem auch die Verwaltung angehört – mit 23 Prozent deutlich stärker stieg als in der Gesamtwirtschaft.
Der Stellenrückgang im Jahr 2007 kann auf einen Personalabbau im Militärdepartement, Externalisierungen staatlicher Aktivitäten und Budgetkürzungen zurückgeführt werden. Der Ausreisser im Jahr 2000 ist eine Folge der Massnahmen zum Schutz vor dem Millenium-Bug. Zu diesem Schluss kommt Christophe Koller, Verwaltungsspezialist bei der Universität Lausanne in seinem „Profil des Personals der öffentlichen Hand“ (veröffentlicht im „Handbuch der öffentlichen Verwaltung in der Schweiz“). Koller ist verantwortlich für die Datenbank BADAC über die Verwaltungen der Schweizer Kantone und Städte.
Verwaltungswachstum als Folge des wirtschaftlichen Erfolgs?
Doch wie ist diese Entwicklung allgemein zu interpretieren? „Insgesamt ist es so, dass wirtschaftliches Wachstum auch zunehmende Anforderungen an den Staat mitbringt“, kommentiert Fritz Sager, Professor der Politikwissenschaft am Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern auf Anfrage. Zum gleichen Schluss kommt die Konjunkturforschungsstelle KOF: das allgemeine Wachstum der Staats- und staatsnahen Sektoren in der Schweiz ist grösstenteils eine Folge des wirtschaftlichen Erfolgs.
Die wachsende Population, die demografische Alterung und das zunehmende Vermögen dürften den Hauptteil der Expansion im Gesundheitsbereich erklären. Das Bevölkerungswachstum und der Wandel hin zu einer Wissensökonomie sind Gründe für das starke Wachstum des Bildungswesens. Aber inwiefern können diese strukturellen Erklärungen auch für die Expansion der öffentlichen Verwaltung herangezogen werden?
Die Beantwortung dieser Frage ist schwierig. Daten zur öffentlichen Verwaltung in der Schweiz werden in unterschiedlichen Statistiken gemessen. Ein aufschlussreicher Vergleich wird dadurch beinahe unmöglich. Eine Möglichkeit, das Wachstum der Verwaltung zu analysieren, ist, die institutionellen Ebenen zu unterscheiden. Vergleicht man die allgemeinen Verwaltungsausgaben und die Gesamtausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden, ergibt sich folgendes Bild:
Ein Vergleich zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden zeigt, dass sich die Ausgaben für die allgemeine öffentliche Verwaltung beim Bund seit 1990 verdreifachten. Bei den Kantonen stiegen sie im gleichen Zeitraum um 130 Prozent und bei den Gemeinden um 40 Prozent. Aus der letzten Grafik geht hervor, dass die Ausgaben für die Bundesverwaltung im Vergleich zu den gesamten Bundesausgaben überdurchschnittlich stark anstiegen, während der Anteil der Verwaltungsausgaben bei Kantonen und Gemeinden ungefähr konstant blieb.
Aufgabentransfer durch Verwaltungsreformen
Die Economiesuisse sieht den „zunehmenden Regulierungseifer“ als eine der Hauptursachen für das starke Wachstum der Verwaltungsausgaben des Bundes. Für Christophe Koller hat diese Entwicklung wenig mit einem angeblichen Regulierungseifer zu tun, wie er auf Anfrage bestätigt. „Vielmehr widerspiegelt sie die Folgen der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung, der bilateralen Abkommen mit der EU und der starken Immigration.“
Deutlich sichtbar sind die Folgen der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung (NFA). Die NFA war ein grosses Reformvorhaben, das am 1. Januar 2008 in Kraft trat. Eines ihrer Ziele war eine verbesserte Zusammenarbeit unter den Kantonen wie auch zwischen dem Bund und den Kantonen. Verschiedene Aufgaben in den Bereichen Bildung, Verkehr und Umwelt, die zuvor von Bund und Kantonen gemeinsam ausgeführt wurden, sind durch die NFA kantonalisiert worden. „Dies entlastet den Bund, der sich vermehrt auf seine Kernkompetenzen konzentrieren kann“, verkündete der damalige Finanzminister Hans-Rudolf Merz. Die Entlastung der Bundesverwaltung und die Stärkung der Kantone wird in der Grafik ab 2008 deutlich.
Das geringste Ausgabenwachstum für die Verwaltung scheinen die Gemeinden aufzuweisen. Sie haben die Ausgaben für die Verwaltung in den vergangenen Jahren mehrheitlich konstant gehalten. Gemäss aktuellen Zahlen der Statistik der Unternehmensstruktur (STATENT) wurde in den letzten zehn Jahren im Grossteil aller Gemeinden Personal reduziert. Alleine Berner und Zürcher Gemeinden haben seit 2001 Personal im Umfang von 14’000 Vollzeitstellen abgebaut. Der Trend zur Kantonalisierung zeigt sich auch hier: „Generell findet ein Aufgabentransfer von unten nach oben statt. Gemeinden sind von ihren Aufgaben überfordert und delegieren sie an die nächsthöhere Ebene. Oft werden sie wie im Falle der KESB und RAV regionalisiert“, erklärt Fritz Sager.
Fazit
Die Analyse ergibt, dass es sich beim Verwaltungswachstum keinesfalls nur um eine unbegründet ausufernde Bürokratie handelt. Besonders das Wachstum im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen wird angetrieben durch den Erfolg der Schweizer Wirtschaft. Auch die Beschäftigung in der allgemeinen öffentlichen Verwaltung stieg beträchtlich, doch der Vergleich mit dem tertiären Sektor und die wachsenden Anforderungen an den Staat relativieren das Bild. Verwaltungsreformen wie die NFA führten zwar zu einer Umstrukturierung der Aufgabenbereiche innerhalb der verschiedenen institutionellen Ebenen. Dennoch darf angesichts der Zahlen bezweifelt werden, ob sie längerfristig auch zu „mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit in Regierung und Verwaltung beitragen“, wie dies von Merz 2007 angepriesen wurde.
Definition „Öffentliche Verwaltung“
Die Grafiken zur Beschäftigung wurde mit Daten aus der Beschäftigungsstatistik BESTA erstellt. Dort umfasst die Kategorie O84 „Öffentliche Verwaltung“ allgemeine „Tätigkeiten staatlicher Natur, die normalerweise von der öffentlichen Verwaltung ausgeführt werden.“ Dazu gehören das Erlassen und die juristische Auslegung von Gesetzen, die Verwaltung von Programmen, Gesetzgebungstätigkeiten, Steuerverwaltung, Verteidigung, öffentliche Sicherheit und Ordnung, Einwanderungsdienste, auswärtige Angelegenheiten, die Verwaltung von Regierungsprogrammen, die gesetzliche Sozialversicherung sowie die Verwaltung des Bildungssystems. Nicht aber die eigentliche Erziehungs- und Unterrichtstätigkeiten oder Tätigkeiten im Gesundheits- und Sozialwesen.
Die Daten für die Grafiken zu den Ausgaben stammen aus der öffentlichen Finanzrechnung (GFS-Modell). Die jährlichen Ausgaben nach Funktionen erlauben einen Vergleich der Ausgaben für die allgemeine öffentliche Verwaltung. Die Kategorie 701 „Allgemeine öffentliche Verwaltung“ umfasst die Legislative, Exekutive, Finanz- und Steuerverwaltung, auswärtige Angelegenheiten, wirtschaftliche Auslandhilfe, allgemeine Dienste, Forschung und Entwicklung im Bereich der öffentlichen Verwaltung sowie Schulden- und Zinsendienste. Nicht miteinbezogen sind Verteidigung, öffentliche Ordnung und Sicherheit sowie das Gesundheits- und Sozialwesen.
Autor: Pascal Burkhard
Blog im Rahmen des Forschungsseminars „Policy Analyse: Politischer Datenjournalismus“ (FS15)
Dozent: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann, Dr. des. Bruno Wüest, Dr. Sarah Bütikofer
Worte: 988