Die Kooperationsbereitschaft im Schweizer Parlament verändert sich. Wie eine Inhaltsanalyse der deutschsprachigen Reden im Schweizer Parlament aufzeigt, gibt es klare Unterschiede zwischen den beiden Räten. Während sich die Parteien im Nationalrat auf einem ähnlichen Niveau befinden, geben sich im Ständerat die SVP-Parlamentarier viel kooperativer als ihre Gegenspieler von der SP. Stark abgenommen hat im Ständerat die Kooperationsbereitschaft der CVP.
Wortmeldungen im Parlament sind in einer Demokratie ein wichtiges Instrument, um Positionen kund zu tun, die Gegnerschaft von den eigenen Argumenten zu überzeugen und mit den Wählerinnen und Wählern zu kommunizieren. Parlamentsreden ergeben jedoch nicht nur Aufschluss über politische Inhalte, sondern sagen auch einiges über die Einstellungen und Werte der jeweiligen Votanten aus.
Mit der Messung der Kooperationsbereitschaft über ein so genanntes Kooperationswörterbuch lässt sich die Einstellung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier zu Kooperation messen. Der so entstandene Kooperationsindex zeigt, dass sich bezüglich der Kooperationsbereitschaft einiges getan hat in den letzten 20 Jahren.
Messung der Kooperationsbereitschaft
Kooperationsbereitschaft definiere ich im vorliegenden Beitrag über die Verwendung von Kooperationswörtern in Reden von Parlamentarierinnen und Parlamentariern im National- und Ständerat. Die Kooperationswörter stammen aus dem von Soziologen entwickelten Lasswell Value Dictionary.
Der Lasswell Value Dictionary besteht aus 60 Kategorien und basiert auf der Arbeit von Lasswell und Kaplan (1963). Er dient der Inhaltsanalyse von politischen Texten und erlaubt es, verschiedene politische Werthaltungen zu messen. Er ist in 8 Hauptkategorien aufgeteilt, wovon Kooperation in die Hauptkategorie Macht fällt (Namenwirth und Weber 1987: 40). Für den vorliegenden Beitrag habe ich die weiterentwickelte Version des Lasswell Value Dictionary verwendet, deren englischsprachige Version 120 Kooperationswörter umfasst (Lasswell Value Dictionary 1998).
Diese Kooperationswörter habe ich auf Deutsch übersetzt, wodurch ein deutschsprachiges Kooperationswörterbuch mit 230 Wörtern entstanden ist. Dieses Kooperationswörterbuch habe ich auf sämtliche deutschsprachigen Parlamentsreden der 45. bis zur 49. Legislaturperiode (1995 bis 2015) angewendet. Daraus entstanden ist ein Index der Kooperationsbereitschaft, welcher die Anzahl Kooperationswörter pro 100 verwendeter Wörter in einer Rede angibt.
So sind Reden von Parlamentarierinnen und Parlamentariern in der Bundesversammlung (welche jedoch nur selten zusammentritt) von der höchsten Kooperationsbereitschaft geprägt (gemessen an der Anzahl Kooperationswörter pro 100 verwendeten Wörtern), gefolgt von Reden im Ständerat und jenen im Nationalrat. Diese Unterschiede sind konstant und zeigen keine Überlappungen. Die Kooperationsbereitschaft ist bei den wenigen Reden in der Bundesversammlung knapp höher als im oft als konzilianter und sachlicher wahrgenommen Ständerat. Im Nationalrat hingegen herrscht eine konstant geringere Kooperationsbereitschaft.
Hohe Kooperationsbereitschaft bei der SVP, niedrige bei der SP
Im Nationalrat zeigt sich, dass sich die Parteien in ihrer Kooperationsbereitschaft einander angenähert haben. Hier bestehen heute im Gegensatz zu den 90er Jahren nur noch geringe Unterschiede. Es fällt hingegen auf, dass die beiden Neugründungen BDP und GLP heute eine geringere Kooperationsbereitschaft zeigen als noch in der Legislaturperiode zuvor. Ebenfalls scheint sich die Grüne Partei von einer wenig kooperativen Protestpartei hin zu einer konzilianteren, etablierten Partei entwickelt zu haben.
Im Ständerat zeigen sich weit grössere Unterschiede als im Nationalrat. Die kleine Kammer scheint ihrem Ruf als «chambre de réflexion» gerecht zu werden, da die Kooperationsbereitschaft konstant und über alle Parteien hinweg grösser ist als in der grossen Kammer.
Die Kooperationsbereitschaft in den Parteien hat sich im Ständerat stark verändert. Die geringste Kooperationsbereitschaft findet sich heute in der Fraktion der SP. Nur knapp darüber liegt die CVP, welche lange Zeit am ehesten zur Kooperation bereit war. In den letzten 20 Jahren konnten SVP und FDP deutlich zulegen, sodass die SVP heute Spitzenreiter bei der Kooperationsbereitschaft im Ständerat ist.
Kooperationsbereitschaft: Eine Frage des Erfolges?
Für die unterschiedliche Kooperationsbereitschaft kommen verschiedene Gründe in Frage: Einerseits könnte der persönliche Erfolg der Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Parlamentsabstimmungen (sprich das Resultat entspricht dem Abstimmungsverhalten) eine Rolle spielen oder die Stärke der Partei. Andererseits könnte auch der Frauenanteil oder Erfolg, bzw. Misserfolg einer Partei bei den Wahlen ausschlaggebend sein.
Ich habe diese Erklärungsmechanismen getestet. Die Resultate zeigen, dass der Erfolg in Parlamentsabstimmungen keine Rolle spielt (dort sind vielmehr die Mitteparteien durchs Band erfolgreicher als die Polparteien). Ebenfalls keine Rolle spielen der Frauenanteil einer Partei (Frauen sind ungefähr gleich kooperationsbereit wie Männer) oder der Erfolg bzw. Misserfolg einer Partei bei den Wahlen.
Der einzige statistisch signifikante Erklärungsmechanismus ist die Stärke der Partei. Je höher der Wähleranteil, desto höher die Kooperationsbereitschaft. Wie man untenstehender Grafik entnehmen kann, ist der Effekt jedoch relativ gering.
Bedeutet Kooperationsbereitschaft auch Kooperation? Was ist mit den Romands?
Zusammenfassend lässt die vorliegende Untersuchung die folgenden Schlüsse zu:
- Im Ständerat wird seinem Ruf als «chambre de réflexion» gerecht. In der kleinen Kammer geben sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier deutlich kooperationsbereiter als in der grossen Kammer.
- Es bestehen grosse Unterschiede zwischen dem National- und dem Ständerat. Im Nationalrat hat sich die Kooperationsbereitschaft der grossen Parteien einander angeglichen, während die neuen Parteien BDP und GLP an Kooperationsbereitschaft eingebüsst haben. Im Ständerat hingegen hat die Kooperationsbereitschaft der SVP und der FDP zugenommen, während vor allem diejenige der CVP nachgelassen hat.
- Die Unterschiede in der Kooperationsbereitschaft in den Parteien lassen sich ein Stück weit durch ihre Stärke bei den Wahlen erklären. Grosse, etablierte Parteien können sich kooperativer geben als kleine, welche zudem mehr um ihre Profilierung bemüht sind.
Um mögliche Erklärungsmechanismen aufzuspüren, sollten zwei Punkte eingehender untersucht werden:
- Ob mit einer höheren Kooperationsbereitschaft auch effektive Kooperation einhergeht. Nach dem Motto: «who talks the talk must walk the walk» muss sich zeigen, ob kooperationsbereitere Parlamentarierinnen und Parlamentarier auch wirklich zu mehr Kooperation Hand bieten oder ob ihre Worte nur mehr Schall und Rauch sind.
- Wie die Verhältnisse jenseits des Rösti- und des Polentagrabens aussehen, bleibt mit dieser Untersuchung ungeklärt. Eine sprachliche Anpassung des Kooperationswörterbuchs und dessen Anwendung auf die französisch- und italienischsprachigen Ratsmitglieder wäre jedoch wünschenswert und sicherlich erkenntnisreich.
Literaturverzeichnis
Lasswell, Harold Dwight und Kaplan, Abraham (1963): Power and society. A framework for political inquiry. New Haven: Yale University Press.
Lasswell Value Dictionary (1998): Power Cooperation Dataset. (http://www.wjh.harvard.edu/~inquirer/homecat.htm [Stand: 12-Apr-16]).
Namenwirth, Joseph Zvi und Weber, Robert Philip (1987): Classification and Interpretation in Content Analysis: The Lasswell Value Dictionary. In: Namenwirth, Joseph und Weber, Robert (Hrsg.): Dynamics of culture. Boston. Allen and Unwin: 27–53.
Disclaimer
Von Robin Gut / robin.gut@uzh.ch / 09-720-095
Dieser Blogbeitrag ist im Rahmen eines Forschungsseminars am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich im Herbstsemester 2015 entstanden: Politischer Datenjournalismus bei Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann und Dr. des. Bruno Wüest.
Abgabedatum: 17.04.2016
Anzahl Wörter ohne Lead: ca. 900 Wörter
Titelbild: www.dayasriolk.top