Arbeiterpartei wird Cüplipartei – Bauernpartei wird Massenpartei

Warum die Sozialdemokraten zu Cüplisozialisten wurden und aus der Bauernpartei BGB die wählerstärkste SVP wurde. Die Fakten.

Die SVP und die SP sind die beiden wählerstärksten Parteien. Doch das war nicht immer so. Angefangen hat es bereits in den 70er-Jahren. Die eigentliche Trendwende kam in den 90er-Jahren. Da wurde die SP zur attraktivsten Partei für hoch qualifizierte Fachkräfte. Die SVP spielte ihren Trumpf bei den tief qualifizieren Arbeitern und begann die anderen Partei bei diesen Wählern zu überflügeln.

Die Anfänge

1888 wurde die Sozialdemokratische Partei auf nationaler Ebene gegründet. Zu Beginn des 20. Jahrhundert kam es zu vielen Streiks wegen den schlechten Arbeitsbedingungen und Löhnen in den Fabriken. Der Ausbruch des ersten Weltkrieges führte zur Nahrungsmittelknappheit. Davon profitierten die Bauern, welche zu den schärfsten Gegnern der Arbeiterbewegung wurde. Gegen Ende des Weltkrieges schlossen sich die Bauern in Bern zur Bauernpartei zusammen. In dieser Zeit fand auch der Generalstreik statt, welcher von der SP mitorganisiert wurde.

Durch die Proporzwahl wurde die SP 1931 zur stärksten Partei im Nationalrat. Obwohl die Bernische Bauern und Bürgerpartei viel schwächer war, stellten sie zu dieser Zeit bereits einen Bundesrat. Ende 1936 wurde die BGB auf nationaler Ebene gegründet, da sie mit Existenzproblemen zu kämpfen hatte.

Die 70er-Jahre – Schwarzenbach Initiative und Gründung der SVP

Bei der fremdenfeindlichen Schwarzenbach Initiative 1970 kämpfte die SP zusammen mit allen anderen Parteien gegen die Initiative, welche dann auch mit 54% Nein abgelehnt wurde. Die Sozialdemokratische Partei stand auf der Seite der Sieger, der gewerkschaftliche Flügel verlor jedoch an Glaubwürdigkeit.

Die Rezession in den 70er-Jahren war das Ende der blühenden Schweizer Textilindustrie und setzte auch anderen Branchen stark zu. Viele Produktionsstätten wurden ins Ausland verlagert. Verlierer der aufkommenden Globalisierung waren weniger gut qualifizierte Arbeiter und auch die Landwirtschaft. Die gut qualifizierten Fachkräfte profitierten hingegen davon.

Im Herbst 1971 schlossen sich die BGB und die Demokratische Partei (DP) zur SVP zusammen. Zu Beginn war sie noch relativ unbedeutend, doch das begann sich in den 80er-Jahren zu ändern.

Die 80er- und 90er-Jahre – Abstimmung über den UNO-Beitritt und den EWR

1986 wurde in der Schweiz über den Beitritt zur UNO abgestimmt. Die SVP-Kräfte kämpften gegen den Beitritt und gewannen die Abstimmung. Das Entscheidende geschah jedoch 1992. Fast die gesamte Bundesversammlung wollte dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beitreten.

In der Abstimmung kämpfte die SVP als einzige Partei dafür. SP, CVP und FDP setzten sich dafür ein. Bundesrat Adolf Ogi sprach damals vom Trainingslager für den EU-Beitritt. Christoph Blocher nahm diesen Steilpass an. Die Arbeiter hatten Angst vor einer Öffnung der Grenzen mit sinkenden Löhnen und steigender Arbeitslosigkeit. Die Abstimmung führte zu einer Rekordbeteiligung an der Urne von fast 80%. Der Beitritt wurde äusserst knapp abgelehnt. Christoph Blocher ging als Sieger hervor und war auf einen Schlag schweizweit bekannt.

Durch den Abstimmungserfolg gewann die SVP massiv an Wähleranteil. Viele tief qualifizierte begannen die SVP zu wählen und wendeten sich von der SP ab, da sie als Globalisierungsverlierer Angst vor einer Öffnung der Schweiz hatten. Die Bauern wählten die SVP weiterhin, da sie einen protektionistischen Staat bevorzugen, um ihre Produkte teurer verkaufen zu können und nicht von billigen Importprodukten konkurrenziert wurden.

Durch den Aufschwung bei den tief qualifizierten Arbeitern konnte die SVP massiv zulegen und konnte bei den tief qualifizierten bereits 1995 zu den anderen Parteien aufschliessen. Auch bei den Personen mit mittlerer Bildung konnte sie Boden gut machen.

Anders sieht es bei der SP aus. Durch ihre europaöffnende Haltung verlor sie Wähleranteile bei den Arbeitern. Dafür brachte ihr die klare pro-Europa Haltung einen starken Zuwachs von hoch qualifizierten Wählern ein. Diese profitieren von einer Öffnung. Sie Sozialdemokraten wurden damit zur stärksten Partei bei den hoch qualifizierten Arbeitern.

Die 2000er-Jahre – Cüplisozialisten und Initiativsieger

Der Trend setzte sich in den 2000er Jahren fort. Die SVP kämpfte gegen öffnende Vorlagen, so zum Beispiel eine Ausweitung der bilateralen Verträge mit der EU oder gegen die Personenfreizügigkeit. Die SVP lancierte viele Initiativen gegen die Probleme der Globalisierung und gewann auch einige davon. So hatte sie Erfolg mit der Ausschaffungsinitiative oder kürzlich mit der Masseneinwanderungsinitiative, welche die Zuwanderung begrenzen will. Über 60% ihrer Wähler sind deshalb auch tief qualifizierte Arbeiter, welche zu den Globalisierungsverlierern gehören.

Die SP setzte sich für die Personenfreizügigkeit und einen Beitritt zur EU ein. Auch setzte sie sich für Umweltanliegen ein. Mit diesen Themen konnte sie bei den hoch qualifizierten Fachkräften punkten. 2007 war der Anteil der hoch qualifizierten SP-Wähler erstmals höher als der Anteil der tief qualifizierten Wähler. Da die SP immer stärker die hoch qualifizierten Fachkräfte abholt und nicht mehr hauptsächlich die Arbeiter wie früher, hat es ihr auch den Namen Cüplisozialisten eingebracht.

Was die Zukunft erwarten lässt

2011 haben fast 50% der tief qualifizierten Arbeiter die SVP gewählt. Damit wird die Partei ihr Potential bei dieser Wählerschicht vermutlich ausgeschöpft haben. Zudem nimmt der Anteil der tief qualifizierten Stimmberechtigten eher ab. Die SVP möchte bei den nächsten Wahlen deshalb auch bei Akademikern punkten. Dies möchte sie mit einem moderateren Auftreten erreichen ohne aber bei den Position moderater zu werden. Ob diese Strategie gelingt ist offen und wird selbst aus SVP-Kreisen bezweifelt. Wenn die SVP zu extrem werde, würde sie an Glaubwürdigkeit verlieren. Ob die Strategie der SVP aufgeht und ihren Wähleranteil nochmals vergrössern kann oder ob sie ihren Zenit erreicht hat, wird sich im Oktober 2015 zeigen.

Bleibt der Trend erhalten, dass die SP immer besser bei den Wählern mit hoher Bildung punkten kann, sieht ihre Zukunft rosig aus. Denn in Zukunft wird es immer mehr gut gebildete Personen geben, da das Bildungsniveau generell steigt. So können die Sozialdemokraten auch in 20 Jahren noch mit Champagner auf ihren Wahlerfolg anstossen.


Einteilung

Zu den tief qualifizierten Arbeitern zählen alle Personen, welch eine Anlehre oder weniger haben. Zu den hoch qualifizierten gehören alle Personen mit Höherer Fachschule (HF) oder einem Hochschulabschluss. Zu den mittleren gebildeten zählen alle dazwischen (Lehrabschluss bis Matura).

Quellen

SPS: 125 Jahre Sozialdemokratische Partei der Schweiz: Einig – aber nicht einheitlich
SRF: Moderates Auftreten, hart in der Sache: So will die SVP punkten



Autor: Benjamin Schlegel / kontakt@benjaminschlegel.ch / 10-914-786 / Abgabedatum 5.12.2014
Blog: Im Rahmen des Forschungsseminars Policy Analyse: Politischer Datenjournalismus
Dozent: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann und Dr. des. Bruno Wüest
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