Bis zur Mittelschicht wählt der eingebürgerte Schweizer vorzugsweise SP

Der grosse Unterschied zwischen den gebürtigen und den eingebürgerten Schweizern besteht darin, dass das Einkommen bei der Wahl der SP bei den eingebürgten Schweizern seit 1995 bis 2011 einen wichtigen erklärenden Faktor darstellt. Die SP wird bei den gebürtigen Schweizern nicht, wie oft zu lesen, vorrangig von der sogenannten Mittelschicht gewählt, sondern die Wahrscheinlichkeit der SP-Wahl ist bei allen Einkommensstufen der Wähler mehr oder weniger gleich hoch.

Der Effekt des Einkommens auf das Wahlverhalten hat sich über die Jahre kaum verändert. Auch Die Einkommensungleichheit in der Schweiz ist seit 1998 weitgehend stabil geblieben. Die Partei, die bei der Wahl bei allen Schweizern (sowohl bei den eingebürgerten als auch bei den gebürtigen) eine Auswirkung des Einkommens vorweist, ist kaum überraschend die „Wirtschaftspartei“ FDP. Die FDP zählt zu der Lieblingspartei der Schweizer Oberschicht.
Von 1995 bis 2011 wählte die Unterschicht der eingebürgerten Schweizer vorrangig die Sozialdemokratische Partei. Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Arbeitsmigranten ihrer „Arbeiterpartei“ über die Jahre treu geblieben sind. Die Oberschicht der eingebürgerten Schweizer, beispielsweise Spezialisten aus dem Ausland oder auch Steuermigranten, ist genau wie bei den gebürtigen Schweizern politisch eher rechts angesiedelt. Sie bevorzugte bei den Wahlen 2011 die SVP oder die FDP. Bei den gebürtigen Schweizern sind, ausser bei der FDP, keine Auswirkungen des Einkommens auf das Wahlverhalten ersichtlich.

Die folgende Grafik zeigt nun die Wahlwahrscheinlichkeiten der eingebürgerten Schweizer und gebürtigen Schweizer in Abhängigkeit vom Einkommen im Wahljahr 2011.

Grafik 1: Der Einkommenseffekt auf die Wahlwahrscheinlichkeit der einzelnen Parteien 2011

In der Grafik ist der starke Zusammenhang zwischen dem Einkommen und dem Wahlverhalten bei den SP- und den FDP-Wählern deutlich zu sehen. Allerdings hat das Einkommen bei allen Schweizern bei der Wahl der FDP eine grosse Auswirkung. Die eingebürgerten Schweizer mit einem tiefen Einkommen wählen mit einer viel höheren Wahrscheinlichkeit die Sozialdemokratische Partei als eingebürgerte Schweizer mit hohem Einkommen. Dieses Wahlverhalten überrascht nicht gross, es erstaunt vielmehr, dass bei den gebürtigen Schweizern kein Zusammenhang zwischen dem Einkommen und der Wahl der SP besteht.

In den Jahren von 1995 bis 2011 ist diese Struktur des Einkommenseinflusses auf das Wählen der einzelnen Parteien mehr oder weniger konstant geblieben. Gleichwohl ist bei den eingebürgerten Schweizern und bei den gebürtigen Schweizern in den Jahren 1999, 2003, 2007 bei allen Einkommensstufen die Erstarkung der SVP nach der EWR-Abstimmung von 1999 nachvollziehbar. CVP und SVP haben sich in all den Jahren bei allen Schweizern „paralell zum Einkommen“ entwicklet, deshalb zeigt die CVP im Vergleich mit der SVP in Abhängigkeit des Einkommens keine signifikanten Werte auf.

Die nachfolgende Grafik zeigt die Wahlwahrscheinlichkeiten der eingebürgerten Schweizer und gebürtigen Schweizer in Abhängigkeit vom Einkommen im Wahljahr 1995.

Grafik 2: Der Einkommenseffekt auf die Wahlwahrscheinlichkeit der einzelnen Parteien 1995

Der Vergleich von 1995 und 2011 zeigt nun für alle Schweizer deutlich das Aufstreben der Schweizerischen Volkspartei. Dennoch hat die SP 2011 bei eingebürgerten Schweizern mit einem Monatseinkommen zwischen 2’000 Fr. bis fast 6’000 Fr. immer noch eine höhere Wahlwahrscheinlichkeit als die SVP. Folglich trifft das Phänomen, dass die Bevölkerung mit unterdurchschnittlichem Einkommen vorrangig SVP wählt, bei den eingebürgerten Schweizern bis 2011 nicht zu. Bei einer Analyse der Wahlergebnisse von 2015, bei der die SVP als Gewinner hervorgingen, würde dies vermutlich anders aussehen. Bei den gebürtigen Schweizern weist die SVP 2011 bei allen Einkommensstufen mit Abstand die höchste Wahlwahrscheinlichkeit auf.

Wenn allerdings der Effekt der Bildung auf das Wahlverhalten untersucht wird, verhält sich dieser klassisch: die Wahlwahrscheinlichkeit der SP nimmt bei allen Schweizern mit höherer Ausbildung mehr oder weniger stetig zu. Dies ist wiederum ein Beispiel dafür, dass die oftmals instinktive hergestellte „Gleichsetzung“ von Einkommen und Bildung mit Vorsicht zu geniessen ist. Bei den eingebürgerten Schweizern besteht also nicht nur bei der Wahl der „Wirtschaftspartei“ ein Zusammenhang mit der Einkommenshöhe, sondern auch bei der Wahl der Sozialdemokratischen Partei.

 


Daten: SELECTS 1995-2011 Anzahl gebürtige befragte Schweizer: 15’137
Anzahl eingebürgerte befragte Schweizer: 1’846, Daten gewichtet

Methode: Für die Grafiken wurde mit den gewichteten Daten eine multinomiale Regression durchgeführt.

Autorin: Marina Abbas | marina.abbas@uzh.ch| 12-739-330
Veranstaltung: Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus (Herbstsemester 2015)
Dozierende: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann und Dr. des. Bruno Wüest
Abgabedatum: 6. 12. 2015
Wörter: 693 (exkl. Infobox)

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