15 Jahre Agrarpolitik: ausser Spesen nichts gewesen?

Das Parlament hat in der Frühjahrssession 2013 die neue Agrarpolitik 2014-2017 gut geheissen. Das Kernstück des neuen Politikrahmens – die Reform der Direktzahlungen – war von heftigen Debatten gezeichnet. Nachdem die AP 14-17 in Kraft getreten ist, beschäftigen sich auch Zeitungen wieder intensiver mit Versatzstücken der Reform. Der grössere Zusammenhang geht dabei oft vergessen – oder wird unterschlagen. Zeit für einen einordnenden Rückblick.

Am vergangenen Mittwoch beantwortete der Bundesrat eine aus europapolitisch einfacheren Zeiten stammende Anfrage des Parlaments zur Öffnung des Milchmarktes gegenüber der EU. Die Antwort steht sinnbildlich für den Zustand der Agrarpolitik. Der Bundesrat erklärte nämlich, dass „150 bis 200 Millionen Franken Wohlfahrtsgewinne für die Konsumenten“ zu erwarten wären, öffnete die Schweiz den Milchmarkt für die EU. Der Milchpreis würde von jetzt 65 Rappen auf bis zu 45 Rappen sinken, Käse und Milch sich dementsprechend verbilligen.

Der Bundesrat erklärte aber auch, dass diese Preissenkungen wohl mit ähnlich hohen Subventionen aufgefangen werden sollten. Um einen Einkommensverlust bei den Bauern zu verhindern, müssten etwa 100 bis 150 Millionen Franken in die Hand genommen werden. Die Verkündung von Wohlfahrtsgewinnen mutet angesichts dieser Zahlen bauernschlau an.

Ein kurzer Rückblick

Das Beispiel zeigt, wie die Agrarpolitik zwischen Interessen des Handels, der Konsumenten, der Bauern und der Umwelt zu vermitteln versucht. Die Grundlage für diese ausgleichende Agrarpolitik bildet ein 1996 vom Schweizer Volk angenommener Verfassungsartikel. Zuvor orientierte sich die Schweizer Landwirtschaft während fast 50 Jahren entlang derselben Leitlinien, die in der Nachkriegszeit formuliert worden waren.

Unter dem Eindruck stetig höherer Kosten einerseits, und einer ziellosen Überproduktion andererseits, versuchte man die Agrarpolitik Ende der 90er Jahre mit der 1999 in Kraft getretenen Agrarpolitik 2002 radikal zu reformieren. Ziel sollte fortan sein, eine Landwirtschaft zu schaffen, die nachhaltig und auf den Markt ausgerichtet produziert und sowohl die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sichert, als auch die natürlichen Lebensgrundlagen erhält, die Kulturlandschaften pflegt und die dezentrale Besiedlung des Landes sichert.

Sprich: Die Agrarpolitik sollte

  • sicherstellen, dass die Landwirte wirtschaftlich nachhaltig produzieren
  • die Nahrungsmittelversorgung sicherstellen
  • Kulturland pflegen und dezentrale Besiedlung sichern

Zum Start der neuen Agrarpolitik 14-17 bietet sich ein kurzer Rückblick auf die vergangenen knapp 15 Jahre Agrarpolitik an. Im jährlich erscheinende Agrarbericht analysiert das Bundesamt für Landwirtschaft die eigene Politik ebenfalls. Jedoch findet der interessierte und informierte Leser darin wenig Selbstkritisches.  Eine – durchaus provokativ kritische – Datenanalyse soll hier den etablierten Agrarbericht hinterfragen.

Eine wirtschaftlichere Landwirtschaft?

Wirtschaftliche Nachhaltigkeit ist in der Schweizer Agrarpolitik ein heikler Begriff. Die Schweizer Landwirtschaft war zu keinem Zeitpunkt der jüngeren Geschichte selbsttragend und immer von Subventionen abhängig. Mit dem Landwirtschaftsgesetz, das den 1996 angenommenen Verfassungsartikel spezifizierte, sollten allerdings Anreize zu einem marktwirtschaftlicheren und an der Nachfrage orientierten Agrarsektor geschaffen werden. Hierzu entkoppelte der Bund die Preis- von der Einkommenspolitik, sprich, er strich Abnahmegarantien und feste Preisvorgaben. Stattdessen band er Direktzahlungen an konkrete Leistungen. So sollten die bestehenden Betriebe auf mehr Wirtschaftlichkeit getrimmt, der Strukturwandel aber zugleich in einem erträglichen Rahmen gehalten werden. Als sozialverträglichen Strukturwandel definierte man eine jährliche  Abnahme der Anzahl Betriebe von maximal 2%.

Wie erfolgreich der Strukturwandel genutzt wurde, um die Landwirtschaft mit der Agrarpolitik auf mehr Wirtschaftlichkeit zu trimmen, deutet die folgende Grafik an.

Während die Anzahl Betriebe, die in der Landwirtschaft Beschäftigten sowie die total bewirtschaftete Nutzfläche (in der Grafik ausgeblendet, weil die Entwicklung deckungsgleich mit der Beschäftigtenzahl verläuft) sanken, nahmen die Direktzahlungen absolut gesehen zu. Das heisst, der immer grösser werdende Subventionstopf wurde auf immer weniger Betriebe und Menschen verteilt.

Die Direktzahlungen pro Betrieb nahmen auch stärker zu als die Nutzfläche pro Hof; ein Wert, der sich aufgrund des Strukturwandels langsam vergrösserte. Das Ziel einer wettbewerbsfähigeren Landwirtschaft besonders fragwürdig erscheinen lässt die Tatsache, dass selbst die produktive Leistung den Direktzahlungen entkoppelt zu sein scheint.

Kurz: Während der Strukturwandel dank den Subventionen in dem vom Bund selbst als sozialverträglich definierten Rahmen gehalten werden konnte, deutet eine erste Datenanalyse noch nicht auf eine wirtschaftlichere Landwirtschaft hin.

Auch ein Blick in die Buchhaltungsergebnisse eines durchschnittlichen Schweizer Landwirtschaftbetriebs ändern diesen Eindruck nicht.

Die von einem Hof erbrachten Rohleistungen, also die Einnahmen, stiegen zwar in den Jahren 2003 bis 2012 von 217’000 Franken auf 259’000. Dabei enthalten sind aber auch die von 47’000 auf 63’000 Franken gestiegenen Direktzahlungen. Das landwirtschaftliche Einkommen, das sich aus den Rohleistungen abzüglich der Fremdkosten ergibt, lag 2012 bei knapp 56’000 Franken – ohne Direktzahlungen hätten die Landwirtschaftsbetriebe also in ihrem Kerngeschäft 7’000 Franken Verlust gemacht. 2003 hatte ein durchschnittlicher Betrieb auch ohne Direktzahlungen noch ein positives Saldo von 8’000 Franken vorgewiesen.

Diese Entwicklung stellt der Agrarpolitik kein gutes Zeugnis aus. Mit dem Strukturwandel sollten eigentlich schwächere Betriebe aus dem Markt ausscheiden. Überleben würden wirtschaftlich stärkere Betriebe, die Statistiken eine positive Tendenz zumindest andeuten. Dies ist aber –  allen politischen Massnahmen (inkl. Direktzahlungen) zum Trotz – nicht der Fall.

Wenig wirtschaftlich, dafür landschaftschützerisch?

Dass die Agrarpolitik das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit des landwirtschaftlichen Sektors zu steigern verfehlt hat, begründen Politiker einerseits mit der Globalisierung, deren Effekt wir hier weder leugnen, noch diskutieren wollen, weil die Agrarpolitik der Schweiz eben solche externen Effekte miteinkalkulieren müsste. Andererseits werden auch die weiteren Ziele, die die Agrarpolitik auch zu verfolgen hat, ins Feld geführt, um das Problem der fehlenden Wirtschaftlichkeit zu erklären. Schliesslich soll die Schweizer Landwirtschaft multifunktional sein und nicht nur wirtschaftlich erfolgreich, sondern auch Kulturland erhalten und die Besiedlung dezentraler Gebiete sichern.

Zu diesem Zweck zahlt der Bund auch beispielsweise für die Bestellung von Weiden an Hanglagen in Berggebieten spezielle Beiträge (Allgemeine Hangbeiträge). Oder, ganz allgemein, sogenannte Flächenbeiträge, die indirekt verhindern sollen, dass Bauern ihr Agrarland umzonen lassen, um es lukrativ als Bauland zu verkaufen.

Wie untauglich diese Massnahmen sind, zeigt der tatsächliche Kulturlandverlust. Die Arealstatistik des Bundes erlaubt für die letzten zwölf Jahre zwar keinen direkten Vergleich. Die letzten erhobenen Daten stammen aus dem Jahr 2004. Der Bund geht aber von einer weiteren Abnahme aus, die auch bereits von Teilergebnissen der Auswertung der jüngsten, noch nicht veröffentlichten Arealstatistik in einzelnen Kantonen bestätigt wird.

Das erstaunt kaum. Gemäss der Direktzahlungsverordnung 2011 erhält ein Bauer für sein bestelltes Land einen Flächenbeitrag von 1020 Franken pro Jahr und Hektar. Ein Blick in Areal- und Bodenpreisstatistik des Kanton Zürichs zeigt, wie mächtig dieser Anreiz in wirtschaftlich prekären Situationen tatsächlich ist: Geroldswil verlor mit knapp 30 Prozent relativ gesehen zwischen 1992 und 2004 am meisten Landwirtschaftsfläche aller Zürcher Gemeinden. 14 Hektaren Landwirtschaftsfläche verschwanden, wovon deren zehn in Siedlungsfläche umgezont wurden. Die 14 Hektaren hatten über den Flächenbeitrag also etwa 14’000 Franken im Jahr eingebracht. Beim Verkauf und der Umzonung in Bauland resultierten aus den 10 Hektaren Siedlungsfläche – bei einem durchschnittlichen Bodenpreis von 600 Franken pro Quadratmeter (1 Hektar = 10’000 Quadratmeter, Preise unterliegen starken Schwankungen, konservative Annahme für das Rechenbeispiel)  – 60 Millionen Franken Einnahmen. Selbst wenn der Bauer beim Landverkauf das Land nicht umzonen konnte und es als Landwirtschaftsland verkaufen musste, konnte er dank einem Bodenpreis von etwa 10 Franken pro  Quadratmeter immer noch ein Vielfaches der Direktzahlungen einnehmen. Die Agrarpolitik war in den vergangenen 15 Jahren folglich wenig schlagkräftig im Kampf gegen Kulturlandverlust.

Fazit

Seit Beginn der „neuen“ Landwirtschaftspolitik 1999 sääte der Bund eifrig aus. 3.5 Milliarden betragen die Ausgaben des Bundes für den ersten Sektor pro Jah.  Viel Geld, das aber keineswegs ausreicht, um die in der Agarpolitik verfolgten Ziele zu erreichen. Einzig ein gemässigter Strukturwandel konnte in den letzten 15 Jahren sichergestellt werden. Die wirtschaftliche Situation  zu verbessern oder Kulturland zu erhalten, war aber mit der verfolgten Strategie kaum möglich: Die Ernte fällt mager aus.

Dass dies an der Verknüpfung wirtschaftlicher mit ökologischer Ziele liegen könnte, mag niemand so recht zugeben. Zwar sollen mit der neuen Agrarpolitik 14-17 die bislang im Giesskannenprinzip ausgeschütteten Flächenbeiträge, die nicht an konkrete gesellschaftliche oder ökologische Leistungen geknüpft waren, durch spezifische Kulturlandschafts- und Ressourceneffizienzbeiträge ersetzt werden. Auch das Gesamtbudget für Direktzahlungen wird sanft geäufnet. Ob dies ausreicht? Angesichts der wirtschaftlich prekären Situation vieler Betriebe und der – wie von der Datenanalyse gezeigt  – bescheidenen bisherigen Erfolge darf dies getrost angezweifelt werden.

P.S. Vielleicht kann aber mit der neuen Agrarpolitik zumindest folgende, eher merkwürdige Entwicklung gestoppt werden.

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