Von Steuern gesteuert

Von Steuern gesteuert

Ihre Füsse werden festgesetzt, neue werden erhoben, alte hinfällig, kurz: im politischen Diskurs sind Steuern ein Dauerbrenner. Nach der Ablehnung zur USR III soll bereits in der Herbstsession 2018 die Steuerreform 17 im Schweizer Parlament beraten werden. Zeit, sich genauer anzuschauen, wer im Schweizer Parlament wie über Steuern spricht – eine Datenanalyse der Parlamentsreden über die vergangenen zwei Dekaden und ein Gespräch mit vier Bundesparlamentariern.

Im Parlament oft diskutiert: Im Archiv des Schweizer Parlamentes finden sich alle Parlamentsreden – auch jene, in welchen Steuern erwähnt werden. Bild: Johanna Burger

Allein bei einer Stichwortsuche im Zeitungsarchiv Factiva ergeben sich 394 Treffer zum Suchbegriff «Steuern» für die beiden Schweizer Tageszeitungen NZZ und Tages Anzeiger – in den vergangenen drei Monaten(!) Im öffentlichen Diskurs ist Fiskalpolitik ein oft behandeltes Thema. Mit der näher rückenden Herbstsession des Schweizer Parlamentes werden die Artikel rund um Steuern wohl noch zunehmen. Denn in der dritten Session dieses Jahres soll über die Neuauflage der vom Volk im November 2017 abgelehnten Unternehmenssteuerreform III beraten werden.

Gefühl oder harte Fakten?

Um die zukünftigen Diskussionen im Parlament zur Steuerpolitik besser einschätzen zu können, ist es von Nutzen, sich vor Augen zu führen, wie über das scheinbar immerwährende Thema in der Vergangenheit im Schweizer Parlament debattiert wurde. Dazu spreche ich mit den vier Parlamentariern Angelo Barrile, Martin Landolt, Mattea Meyer und Werner Hösli. Sie kennen den politischen Alltag in Bern. Aber auch sie können nur Vermutungen darüber anstellen, wie stark die Fiskalpolitik seit 1995 im Parlament behandelt worden ist.  Dafür wissen sie genau, wie ihre jeweilige Partei und sie selber über Steuerpolitik denken und was ihre jeweilig wichtigsten Punkte im Zusammenhang mit Steuerpolitik sind. Die Geschäftsdatenbank des Schweizerischen Bundes, ermöglicht indes eine systematische Analyse des bundespolitischen Diskurses zu Steuern. Aus der Synthese dieser Gespräche und Analysenauswertung ergibt sich, wie gut die Einschätzungen der Politiker mit den Daten zusammenpassen.

Verbale Steuerpolitik seit 1995

„Ich erwarte eigentlich keine Peaks bei der Steuerdiskussion“, meint der Glarner SVP-Ständerat Werner Hösli. Steuern seien ein Dauerthema im Parlament, jedenfalls seit er „dort oben“ sei. Innerhalb eines Politikjahres werde in der Herbstsession jeweils über das Bundesbudget debattiert. Da es dabei aber eher um die Ausgaben des Staates als um dessen Einnahmen gehe, kann sich Hösli auch nicht vorstellen, dass sich grosse Unterschiede in der Häufigkeit, in der über Steuern gesprochen wird, zwischen den einzelnen Sessionen ergeben. Den Annahmen Höslis widerspricht Nationalrat und Parteipräsident der BDP, Martin Landolt. Er kann sich durchaus vorstellen, dass sich im Zeitverlauf Peaks in der Anzahl Wortnennungen in Parlamentsreden feststellen lassen. „Vor nationalen Abstimmungen zum Thema werden Steuern bestimmt häufiger erwähnt“, überlegt er laut. Sonst sei die Erwähnung von Steuern dann wohl ziemlich konstant. Landolt kann sich zudem vorstellen, dass die Intensität von Erwähnungen des Wortes „Steuer“ in letzter Zeit abgenommen hat: „Ich habe den Eindruck, der Wunsch nach Steuersenkungen wird von bürgerlicher Seite nicht mehr so regelmässig angesprochen und verlangt, wie noch vor zehn Jahren“. Angelo Barrile findet, auf das Thema angesprochen, dass in Bundesbern allgemein eher wenig über Steuern gesprochen werde – im Vergleich zum Zürcher Kantonsrat. Dort nahm er von 2010 bis 2015 Einsitz, bevor er in den Nationalrat gewählt wurde.

Ein Blick in die Daten verrät: Landolt liegt mit seinen Annahmen der Realität am nächsten:

 

Grafik 1: Anzahl expliziter Nennungen von „Steuer“ in den Parlamentsreden in den Sessionen nach Parteien. Eigene Darstellung.

 

In Grafik 1 lässt sich erkennen, dass das Wort „Steuer“ nicht in allen Sessionen gleich häufig in deutschsprachigen Parlamentsreden verwendet worden ist. Besonders vor den Abstimmungen zu den Unternehmenssteuerreformen I, II und III (1997, 2007 und 2017) lassen sich Spitzenwerte feststellen (Valda 2017).  In diese Analyse flossen 17’790 deutschsprachigen Parlamentsreden ein. Mittels einer Textanalyse wurde alle Texte eruiert, in welchen das Wort „Steuer“ erwähnt worden ist. In den früheren Jahren war es die FDP, die mit der Häufigkeit der Worterwähnungen obenaus schwang. In letzter Zeit hat die SVP ihre Führungsrolle aber übernommen. Ist für die FDP die Fiskalpolitik also zu einem weniger wichtigen Punkt auf der politischen Agenda geworden? Das wäre wohl ein Fehlschluss. Denn zwischen 1995 und 2017 büsste die FDP sowohl im National- als auch im Ständerat Sitze ein, während die SVP an Parteistärke gewann (von 14.9 auf 26.6 im Nationalrat, Bundesamt für Statistik 2015, ebd. 2016). Das bürgerliche Lager ist nach wie vor jenes, dass am häufigsten über Steuern spricht. Zwischen den einzelnen Sessionen lassen sich zwar Schwankungen feststellen, diese sind aber nicht zyklisch, was die Vermutung Landolts bestätigt; Steuern werden nicht nur in den Herbstsessionen zum vieldiskutierten Thema.

Unterschiede zwischen den Sprachregionen?

Werden auch noch die französischen und italienischen Parlamentsreden, die das Wort „impôt“, respektive „imposta“ enthalten, gesucht, ergibt sich, dass Deutsch deutlich die meistgesprochene Sprache zum Thema ist. Auch wenn die Funde in französischsprachiger Form viel rarer waren (insgesamt 1875 Parlamentstexte), zeichnet sich in Grafik 2 doch ab, dass die Nennungsspitzen zu den selben Zeitpunkten gefunden werden können – wenn auch mit anderer Frequenz.

 

 

Grafik 2: Anzahl expliziter Nennungen von „Steuer“ in Parlamentsreden in den Sessionen nach Sprachregionen. Eigene Darstellung.

Welche Steuerpolitik gehört zu welcher Partei?

Nun interessiert, in welchem Zusammenhang die Parteien denn zu Steuern gesprochen haben. Hierzu werden aus den deutschsprachigen Funden jeweils jene Texte entnommen, die von Mitgliedern jener Parteien stammen, die für die Auswertung von Interesse sind. Hier sind dies die beiden Polparteien, SP und SVP, sowie die BDP – als Vertreterin der Mitteparteien. Bei Häufigkeitsauszählungen der Wörter im unmittelbaren Umfeld des erwähnten Wortes „Steuer“ ergeben sich folgende Top-Zehn (für nähere Informationen hierzu siehe Infobox):

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Grafik 3: Die jeweils zehn am häufigsten genannten Wörter im Zusammenhang mit Steuern in den Parlamentstexten von 1995 bis 2017 der Parteien SP, BDP und SVP (v.o.n.u.). Eigene Darstellung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Während der Bundesrat, Franken und die Schweiz in allen Parteien wohl erwartungsgemäss eine prominente Platzierung bekommen, könnte das Wort „mehr“ auf den ersten Blick erstaunen. Erklären die Politiker jedoch ihre Ansichten zur Fiskalpolitik, erklärt sich der Befund schnell: Wenn Nationalrätin Mattea Meyer die Position der SP zu steuerpolitischen Fragen erklärt, findet sich das Wort bereits in ihrem zweiten Satz: „Wir wollen nicht, dass Renten mehr belastet werden“. Und Werner Hösli sagt, die SVP sei der Meinung, man müsse mehr investieren. Obligatorien scheinen in der SVP allgemein ein oft verwendeter Deutungsrahmen zu sein: Das Verb müssen rangiert auf Platz sechs der häufig verwendeten Worte der SVP im Steuerkontext. Die SP scheint derweil auf die Vorarbeiten in den Kommissionen zu verweisen (Rang sieben). „Wir stehen für eine verantwortungsvolle Finanzpolitik. Wir möchten Steuererhöhungen vermeiden, schliessen sie aber nicht aus“, beschreibt indes BDP-Parteipräsident Landolt seine Fiskalpolitik. Aus der Häufigkeitsauswertung geht zwar nicht das Verantwortungsvolle als Wortnennung hervor, jedoch die Verwendung eines stark vergleichenden Vokabulars (heute, schon bereits, immer, ganz). Hier bildet sich die ausgleichende Rolle der Mitte ab, die versucht, die beiden Polpositionen der Bürgerlichen und der Linken zu vereinen.

Aus der Datenanalyse und den Gesprächen mit den Politikern lässt sich abschliessend festhalten, dass Steuern ein immer wiederkehrendes Thema im politischen Diskurs sind und gerade vor Abstimmungen zum Thema oft in Parlamentsreden erwähnt werden. Der Kontext, in welchem die Parteipolitiker Steuern erwähnen deckt sich dabei stark mit den Positionen, die die Politiker zu steuerpolitischen Themen haben.

Infobox:
Die Parlamentsreden seit 1995  werden vom Schweizer Parlament online in der Geschäftsdatenbank „Curia Vista“ zur Verfügung gestellt (Die Bundesversammlung 2018). Für die Textanalyse dieses Blogbeitrags wurden die Parlamentstexte via eine Programmierschnittstelle (API) heruntergeladen und mittels des Statistikprogramms R in einen Datensatz zusammengefügt. Alle statistischen Auswertungen dieses Blogbeitrags wurden ebenfalls mit Hilfe von R durchgeführt. Die Wörter, die in den Häufigkeitsauszählungen von Grafik 3, analysiert wurden, umfasst die Spanne der 20 dem Wort „Steuer“ vorgängigen und den 20 ihm nachfoldenden Wörtern.

Blogbeitrag von Johanna Burger
Email: johanna.burger@uzh.ch
Dozierende: Prof. Dr. F. Gilardi, Dr. B. Wüest, A. Kohler

 

Literaturverzeichnis:
  • Bundesamt für Statistik (2015): Nationalratswahlen: Stärke der Parteien. Excel-Tabelle (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/politik/wahlen/nationalratswahlen.assetdetail.217191.html [Abgerufen: 27.05.2018]).
  • Bundesamt für Statistik (2016): Ständeratswahlen: Ergebnisse der Kandidierenden Excel-Tabelle (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/politik/wahlen/staenderatswahlen.html [Abgerufen: 27.05.2018]).
  • Die Bundesversammlung – das Schweizer Parlament (2018): Geschäftsdatenbank Curia Vista (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/curia-vista [Abgerufen: 27.05.2018]).
  • Valda, Andreas (2017): „Das Bund kassierte.“ Tages Anzeiger: 12.01.2017.

 

Anhang:

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