In der Schweiz finden jedes Jahr durchschnittlich 35’000 Einbürgerungen statt. Im Jahre 2013 waren in der Schweiz 745’000 eingebürgerte Schweizer wohnhaft. Diese können alle wählen und abstimmen, nur weiss man erstaunlich wenig darüber, wo sie politisch stehen. Stehen sie eher links oder sind sie eher rechts? Diese Untersuchung zeigt: Sie positionieren sich anders als der durchschnittliche Schweizer, aber mit dem Alter nähern sie sich an.
Mitte November titelten zahlreiche Schweizer Zeitungen «SP bei eingebürgerten Schweizern hoch im Kurs» (TA-Online), «Eingebürgerte wählen linker als andere Schweizer» ( Blick.ch) und «Migranten in der Schweiz wählen SP – oder SVP» (20min-Online) und bezogen sich dabei auf einen Artikel, welcher in der «Schweiz am Sonntag» erschienen war («So wählen eingebürgerte Schweizer» vom 16.11.14). Inhalt des Artikels war eine Untersuchung des Politologen Oliver Strijbis, in welcher er unter anderem zum Ergebnis gekommen ist, dass Schweizer mit Migrationshintergrund überproportional oft die SP wählen. Nun war in den Zeitungsartikeln und -titeln vielfach die Rede von «eingebürgerten Schweizern», Strijbis untersuchte jedoch in erster Linie die «Schweizer mit Migrationshintergrund». Dies ist eine wichtige Unterscheidung, denn einen Migrationshintergrund hat in der Schweiz jeder dritte Bürger im Alter über 15 Jahren (siehe BfS), von diesen waren im Jahre 2013 jedoch nur 745’000 eingebürgert. Die Frage der genannten Zeitungsartikel, ob die eingebürgerten Schweizer nun linker sind, bleibt daher weitestgehend unbeantwortet. Die folgende Untersuchung hat diese Thematik weiter aufgegriffen, wobei zusätzlich untersucht wurde, ob sich die eingebürgerten Schweizer über alle Alterskategorien, Bildungsstufen und Konfessionsgrenzen hinweg gleich positionieren, oder ob es auch hier Unterschiede gibt. Und tatsächlich: Es gibt sie. Längst nicht jede Gruppe von eingebürgerten Schweizern positioniert sich selbst linker als die gebürtigen Schweizer.
Mythos der rechten Eingebürgerten
Seit Jahren hält sich die Vermutung, dass Eingebürgerte vielleicht rechter wählen könnten, weil sie sich umso stärker von den ausländischen Bürgern abgrenzen wollen. Im erwähnten Artikel der «Schweiz am Sonntag» widerspricht Strijbis jedoch diesem «Mythos», denn das Gegenteil sei wahr: «Viele Migranten werden eher linker, weil sie sich zu einer Outgroup zählen.»
Dies scheint zu stimmen, wie einer ersten Grafik zu entnehmen ist. Im Zuge der Nachbefragung der Wahlstudie Selects wurde in den Wahljahren zwischen 1995 und 2011 gefragt, wie sie sich die Befragten selbst auf einer Links-Rechts Skala von null («links») bis zehn («rechts») einordnen würden. Die gebürtigen Schweizer positionieren sich demnach im Durchschnitt als «Mitte Rechts», während sich die Eingebürgerten durchschnittlich eher als «Mitte Links» sehen.
Nun lässt sich aber aus dieser ersten Grafik kaum mehr herauslesen, als wie sich der eingebürgerte Befragte durchschnittlich politisch positioniert. Dies lässt den Fehlschluss zu, dass es sich bei eingebürgerten Schweizern um eine homogene Masse handelt. Dem ist nicht so: In den folgenden zwei Grafiken werden die eingebürgerten Schweizer deshalb nochmals genauer unter die Lupe genommen und in der einen Grafik nach Alter und Bildungsstufe unterteilt und in einer zweiten Grafik nach der Konfession. Dabei wird ein heterogeneres Bild der Selbstpositionierung der eingebürgerten Schweizer gezeichnet, denn nicht alle Eingebürgerten positionieren sich gleich links. Manche positionieren sich gar rechter als die gebürtigen Schweizer.
Alte Eingebürgerte mit hohem Abschluss sind am Rechtesten
Es ist ein bekanntes und gut dokumentiertes Phänomen der Wahlforschung: Ältere Menschen wählen im Durchschnitt konservativer als die jüngeren Mitmenschen. Sie bevorzugen eher den Status-Quo und stehen Veränderungen meist skeptisch gegenüber. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich in der folgenden Grafik ein «Rechtsrutsch» mit dem Alter feststellen lässt, sei es nun bei den gebürtigen oder eingebürgerten Schweizer. Trotzdem positionieren sich die Eingebürgerten auch nach Alter und Bildungsstufe unterteilt meist linker als ihre gebürtigen Schweizer Pendants. Es gibt jedoch einzelne Ausnahmen.
Kategorisierung nach BildungstufenDie Befragten wurden je nach angegebenem höchsten Bildungsabschluss in eine der drei Kategorien eingeteilt. Im Folgenden eine Auflistung, welcher Bildungsabschluss welcher Kategorie angehört (Abschlüsse mit zu kleiner Fallzahl wurden nicht berücksichtigt).
Primarstufe: Primarschule, Obligatorische Oberstufe
Sekundarstufe: Gymnasium, Fachmittelschule, Berufliche Grundbildung (Lehre)
Tertiärstufe: Universität, Fachhochschule, Höhere Berufsbildung
Die Befragten, welche als höchste Ausbildung die Primarstufe angegeben haben, positionierten sich ein wenig rechter als der Schweizer Durchschnitt. Bei den 35-49jährigen Schweizern sieht man zudem ein überraschendes Bild: Die Eingebürgerten positionieren sich hier durchschnittlich rechter (5.07) als die gebürtigen Schweizer (4.78). Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Schweizer mit niedrigem Bildungsniveau ohnehin unter einem starken Konkurrenzdruck vonseiten der Migranten spüren und die Eingebürgerten sich zusätzlich abzugrenzen versuchen. Der ungewöhnliche Wert könnte aber auch Ergebnis einer Verzerrung sein, welche von einer zu niedrigen Fallzahl bei den Eingebürgerten herrührt. Dasselbe könnte für den Wert der 24-34jährigen eingebürgerten Schweizer gelten, welche mit 4.13 eine ausserordentlich linke Selbstpositionierung angaben, jedoch bei einer Fallzahl von nur 16. Um sicherere Ergebnisse zu erzielen, müsste hier weitere Forschung mit einer deutlich höheren Fallzahl betrieben werden.
Bei den Befragten mit der Sekundarstufe als höchste Bildung lässt sich beobachten, dass sich die Eingebürgerten in jungen Jahren noch deutlich linker positionieren als die gebürtigen Schweizer, jedoch mit dem Alter eine stetige Annäherung geschieht. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich die eingebürgerten Schweizer mit den Jahren stärker integrieren und so die politischen Haltungen immer kongruenter werden.
Es ist ein bekanntes Bild, dass Bürger mit tertiärer Bildung als höchster Bildungsstufe häufig ein liberaleres Weltbild als ihre Mitbürger haben. Nicht überraschend, dass sie sich über alle Altersklassen hinweg linker positionieren als ihre gleichaltrigen Pendants. Überraschend hingegen ist, wie sich die eingebürgerten ab dem 50. Lebensjahr deutlich rechter positionieren als die gebürtigen Schweizer. Dieses Ergebnis würde die Hypothese widerlegen, wonach die Eingebürgerten sich grundsätzlich linker positionieren als die gebürtigen Schweizer. Eine plausible Erklärung dafür lässt sich jedoch nicht bieten, ausser dass es sich um ein Problem der Aggregation der Tertiärstufe handeln könnte: Absolventen einer höheren Fachschule positionieren sich im Durchschnitt deutlich rechter als Absolventen einer Fachhochschule oder einer Universität. Da die Gruppe mit einem Abschluss an einer höheren Fachschule bei den eingebürgerten Schweizern überproportional häufig vertreten ist, kann es zu Verzerrungen kommen. Die Ergebnisse sind daher mit Vorsicht zu geniessen.
Eingebürgert oder nicht: Katholiken sind rechter
Teilt man die befragten Schweizer nach Konfessionen auf, so werden die Erwartungen erfüllt: Konfessionslose positionieren sich durchschnittlich linker als die gläubigen Mitbürger, während sich bei den religiösen Bürgern die Katholiken deutlich am rechtesten positionieren.
Interessant ist, dass sich über alle Kategorien hinweg die Eingebürgerten linker positionieren als die gebürtigen Schweizer, ausser bei den Katholiken, bei welchen es kaum einen Unterschied macht, ob der Befragte eingebürgert ist oder nicht. Grund dafür könnte sein, dass der Katholizismus weltweit als ähnlich konservativ gilt und sich daher keine grossen Unterschiede ausmachen lassen.
Eingebürgerte sind nicht immer linker
Will man die eingangs gestellte Frage beantworten, ob eingebürgerte Schweizer linker sind als gebürtige Schweizer, so scheint die beste Antwort ein Ja mit Vorbehalten, denn: Abgesehen von eventuellen Problemen bezüglich einer schwierigen Aggregation oder zu niedrigen Fallzahlen lässt sich trotzdem die Aussage treffen, dass eingebürgerte Schweizer mit dem Alter konservativer werden und sich in ihrer Positionierung den gebürtigen Schweizern deutlich annähern, zumal sich die katholischen eingebürgerten Schweizern grundsätzlich schon kaum unterscheiden von den gebürtigen Schweizer Katholiken. Es lässt sich festhalten: Je jünger die Eingebürgerten, desto linker, je älter, desto angepasster.
Autor: Marco Büsch | 09-728-213 | marco.buesch@uzh.ch
Für: Seminar Policy-Analyse: Politischer Datenjournalismus (HS 2014)
Dozenten: Dr. Sarah Bütikofer, Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann und Dr. des. Bruno Wueest.
Abgabedatum: 07.12.2014
Wörter: 1035