Was Tweets über journalistische Inhalte aussagen

In der Schweiz wird Twitter von der breiten Bevölkerung zwar eher weniger genutzt. Doch zwei Berufsgruppen, die relativ häufig twittern sind PolitikerInnen und JournalistInnen. Da die öffentliche Diskussion in letzter Zeit auch die Qualität des Journalismus in der Schweiz betraf und JournalistInnen eine nicht unerhebliche Rolle in der öffentlichen Meinungsbildung haben, ist es spannend, herauszufinden, über welche Themen JournalistInnen in ihrem Alltag twittern, da angenommen werden kann, dass diese Themen in der Folge auch höhere journalistische Aufmerksamkeit geniessen.

 


Eine statistische Analyse von Tweets aller JournalistInnen, die in diversen reichweitestarken Zeitungen der Schweiz (20 Minuten, Blick, NZZ, Die Suedostschweiz, Tagesanzeiger, Aargauer Zeitung, Berner Zeitung, Watson, Luzerner Zeitung, BAZ, St. Galler Tagblatt, WOZ und Weltwoche) für Wirtschaftsnachrichten, nationale und internationale Ressorts sowie in der Chefredaktion tätig sind, führt zu relativ klar abgegrenzten Themen, die in der oben abgebildeten interaktiven Grafik auch über die Zeit verfolgt werden können. Wenn sich ein Thema über der horizontalen, schwarz gestrichelten Linie befindet, bedeutet dies, dass das Thema von den JournalistInnen überdurchschnittlich oft auf Twitter behandelt wurde. Diese Themen können dann in einer sogenannten „Word Cloud“ oder Wortwolke dargestellt werden:

Wortwolke Thema Russland / Ukrainekrise. Grösse der Wörter entspricht Wahrscheinlichkeit des Vorkommens in diesem Thema. Wörter sind in ihrer Stammform und ohne Umlaute.

Ein Thema, das durch die Analysemethode gefunden wurde, hat mit Putin, Russland und Krieg zu tun. Die grösse der Wörter steht für die Höhe der Wahrscheinlichkeit, dass ein Wort im jeweiligen Thema vorkommt. Das Wort „Ukraine“ kommt mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit diesem Thema vor. Deshalb kann aus der Wortwolke gefolgert werden, dass es sich hier unter anderem um Tweets im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise 2014 handelt. Im obigen Zeitverlauf wird dies verifiziert: Das Thema wurde von den JournalistInnen auf Twitter überdurchschnittlich oft behandelt zwischen Ende 2013 und Anfangs 2015. Analog sind alle anderen im Zeitverlauf dargestellten Themen relativ klar an aktuelle Events gegliedert. Es wird hier darauf verzichtet, alle Wortwolken zu diesen Themen darzustellen. Die Wortwolken für die restlichen Themen können mit folgenden Links abgerufen werden: DSI / Umsetzung MEI, US-Wahlen 2016EU in der Krise: Flüchtlingskrise / Terrorismus / GriechenlandkriseTürkei / Erdogan / Syrien, Beziehung Schweiz – EU.

Doch die zeitlichen Verläufe und Wortwolken der Themen sind nicht die einzige Möglichkeit, wie diese Daten dargestellt werden können. Besonders im Lichte der aktuellen Diskussionen um Journalismusqualität (siehe z.B. die Lancierung des Crowdfundings der Republik am 26. April 2017) ist es besonders spannend zu sehen, über welche Themen die JournalistInnen verschiedener Zeitungen auf Twitter diskutieren. Denn man kann annehmen, dass dies teils auch die Themen sind, mit denen sich die JournalistInnen auch im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit vermehrt beschäftigen. Trotzdem muss die folgende Analyse mit sehr viel Vorsicht genossen werden, denn Tweets von JournalistInnen können natürlich nicht mit den redaktionellen Inhalten, die von denselben JournalistInnen erstellt werden, gleichgesetzt werden.

Um ihre Funktion als Wachhunde der Gesellschaft wahrzunehmen, sollten JournalistInnen in der Lage sein, möglichst sachlich und differenziert über relevante politische Themen sowohl im internationalen als auch im nationalen Kontext zu berichten und zu diskutieren. Ein seit längerer Zeit relevantes Thema ist die Flüchtlingskrise und die damit verbundene humanitäre Katastrophe im Mittelmeerraum. Die Wortwolke zu diesem Thema sieht folgendermassen aus:

Wortwolke Thema „Flüchtlingskrise in Europa“.

Die Wörter „Flüchtling“ und „Europa“ haben die grösste Wahrscheinlichkeit, in diesem Thema vorzukommen.  Es kommen nur sehr wenige Namen oder Wörter vor, die nicht direkt im Zusammenhang mit dem Thema stehen. Es sieht deshalb danach aus, dass dieses Thema relativ sachlich behandelt wurde. Die folgende Darstellung zeigt, wie oft dieses Thema von JournalistInnen der verschiedenen Zeitungen auf Twitter behandelt wurde:

Relative Anteile des Themas „Flüchtlingskrise“ nach Zeitungen. Journalisten der Zeitungen mit grünen Balken haben überdurchschnittlich, die mit roten Balken unterdurchschnittlich viel über das Thema getwittert. Die schwarzen Balken zeigen an, dass in etwa durchschnittlich über die Flüchtlingskrise getwittert wurde.

Die JournalistInnen der Wochenzeitung WOZ, der NZZ und des Tagesanzeigers haben das Thema „Flüchtlingskrise“ auf Twitter besonders intensiv behandelt. Allerdings muss mit Bezug auf den Zeitverlauf (erste, interaktive Darstellung im Artikel, grüne Linie) darauf hingewiesen werden, dass dieses Thema ab anfangs 2016 unterdurchschnittlich oft behandelt wurde auf Twitter, obwohl es in der Realität nicht an Relevanz verloren hat.

In Bezug auf die Schweiz sind beispielsweise Wahlen ein relevantes Thema. Da Wahlen in der Schweiz relativ stark personenbezogen sind, ist es wichtig, dass die Zeitungen auch über die PolitikerInnen berichten, die weniger stark mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. Folgende Wortwolke repräsentiert das Thema Wahlen in der Schweiz:

Wortwolke zum Thema „Wahlen in der Schweiz“

Auffällig ist, dass das Wort „SVP“ mit Abstand am wahrscheinlichsten in diesem Thema vorkommt. Einige Politiker sind auch repräsentiert: Roger Köppel, Guy Parmelin, Oskar Freysinger, Didier Burkhalter und Christoph Blocher sind einige davon. Guy Parmelin und Didier Burkhalter wurden wahrscheinlich vor allem im Zusammenhang mit ihren Ämtern als Bundesräte erwähnt. Aber die anderen oben genannten Politiker sind erstens alle aus der SVP und zweitens alles relativ umstrittene Persönlichkeiten. Es gibt also eine gewisse Verzerrung der Tweets über die Wahlen in der Schweiz in Richtung der SVP und ihrer aufmerksamkeitsstärksten Exponenten. Aufgeschlüsselt nach Zeitungen ergibt sich folgendes Bild:

Relative Anteile des Themas „Wahlen in der Schweiz“ nach Zeitungen.

JournalistInnen der Weltwoche, des St. Galler Tagblatts, des Tagesanzeigers und der Südostschweiz twittern besonders oft über die Wahlen in der Schweiz und erwähnen dabei oft die SVP und ihre Vertreter. Bei Watson ist dies am seltensten der Fall.

Politik und Gesellschaft sind komplex und für wenige gesellschaftliche und politische Probleme gibt es eine einfache Lösung. Es ist deshalb wichtig, dass gute JournalistInnen komplexe Probleme zwar erklären und einordnen, aber nicht grundsätzlich einfache Lösungen präsentieren. Folgende Wortwolke impliziert aber, dass einige JournalistInnen auf Twitter durchaus genau dies tun:

Wortwolke zum Thema „Vereinfachung komplexer Sachverhalte“

Das Wort „einfach“ kommt sogar mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit in diesem Thema vor. Andere Worte sind „falsch“, „richtig“, „klar“, „recht“ und „finden“. Das Thema ist folgendermassen auf die Zeitungen verteilt:

Relative Anteile des Themas „Vereinfachung komplexer Sachverhalte“ nach Zeitungen

JournalistInnen der Weltwoche twittern mit Abstand am meisten über einfache Lösungen, gefolgt von JournalistInnen der Basler Zeitung und der Südostschweiz.

Einige der JournalistInnen twittern übrigens (selbstverständlich) auch über private Dinge, wie z.B. Fussball:

Wortwolke zum Thema „Fussball“

Darunter scheinen besonders viele Fans des FC Basel und des FC Luzern zu sein. Dies zeigt sich auch daran, dass das Thema bei Tweets von JournalistInnen der Luzerner Zeitung besonders wichtig zu sein scheint:

Relative Anteile des Themas „Fussball“ nach Zeitungen

Darauf folgen JournalistInnen von Watson und dem Blick. Besonders selten über Fussball twittern die JournalistInnen der beiden Wochenzeitungen Weltwoche und WOZ.

 

Methodische Informationen:

Moderne statistische Analysemodelle erlauben es, Texte so zu analysieren, dass Themen, die in diesen Texten vorkommen, herausgefiltert werden können. Das Prinzip dahinter ist, dass möglichst alle Wörter, die zwar für die Syntax eines Textes wichtig sind, aber nicht auf die Thematik eines Textes hinweisen, sogenannte Stoppwörter, herausgelöscht werden. Übrig bleibt nur noch die Wörter, die etwas mit der Thematik des Textes zu tun haben. Diese werden zusätzlich automatisch in ihre Stammformen umgewandelt und Umlaute werden entfernt, damit z.B. „Initiative“ und „Initiativen“ als dasselbe Wort gezählt werden. Nun kann anhand eines statistischen Modells berechnet werden, welche Wörter in den Texten besonders oft miteinander auftreten. Diese Wortgruppen repräsentieren dann oft Themen, die in den Texten vorkommen.

Diese Methode kann, in etwas abgewandelter Form, auch auf Tweets angewendet werden. Das wurde schon mit Politikern und anderen öffentlichen Personen gemacht – aber noch nie mit JournalistInnen. In diesem Artikel wurden alle JournalistInnen durchsucht, die in der Chefredaktion, der nationalen und internationalen Nachrichtenredaktion und der Wirtschaftsredaktion von allen reichweitenstarken Zeitungen und Wochenzeitungen der Schweiz tätig sind. Bei Watson konnte diese Unterscheidung nicht gemacht werden, da im Impressum auf der Website gar nicht unterschieden wird zwischen unterschiedlichen Ressorts. Folgende Zeitungen wurden dabei beachtet: 20 Minuten, Blick, NZZ, Die Suedostschweiz, Tagesanzeiger, Aargauer Zeitung, Berner Zeitung, Watson, Luzerner Zeitung, BAZ, St. Galler Tagblatt, WOZ und Weltwoche. Es wurden alle Journalisten und Journalistinnen aus den erwähnten Ressorts (wenn möglich) erhoben, die schon mindestens 50 Beiträge auf ihrem Twitter-Account haben.

Informationen zum Blogbeitrag:

Verfasser: David Krähenbühl, Matr. Nr: 12-709-135 | david.kraehenbuehl@uzh.ch

Abgabe am 28.05.2017 im Rahmen des Forschungsseminars Politischer Datenjournalismus (Frühlingssemester 2017)

Dozierende: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. Michael Hermann, Dr. des. Bruno Wüest, Dr. Sarah Bütikofer

Wort-Anzahl: 974

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