Ihr Kinderlein kommet

Familien sind in der Limmatstadt auf dem Vormarsch. Ein Klischee besagt, dass Ausländer mehr Kinder haben als Schweizer. Sind diese in Zürich also besonders gebärfreudig? Nicht wirklich – eine Analyse zur Familiensituation in Zürich.

Grafik 1: Anteil Kinder in der Stadt Zürich über Zeit

Über eine lange Zeit hinweg blieb der Anteil der 0-14-Jährigen in Zürich konstant bei rund 12%. Seit 2006 ist diesbezüglich ein Wachstum in Zürich zu beobachten – im Jahr 2016 stieg der Anteil der Jüngsten gar über 13%. Dies mag nach wenig klingen, ist angesichts der Stadtgrösse Zürichs aber eine beachtliche Entwicklung. Ist Zürich heute attraktiver für Familien als früher? Diese Annahme scheint vor allem für Schweizer Familien richtig zu sein. Denn betrachtet man die beiden Gruppen unabhängig voneinander, sind beträchtliche Unterschiede über die Zeit zu sehen. Während der Anteil der Schweizer Kinder ab 2000 kontinuierlich steigt, ist bei ausländischen Kindern bis 2006 ein immenser relativer Rückgang zu verzeichnen – seither wächst der ausländische Kinderanteil jedoch ähnlich schnell wie der schweizerische.

Grafik 2: Anteil Kinder in der Stadt Zürich über Zeit (differenziert nach Staatszugehörigkeit)

Aufgepasst auf Einbürgerungseffekte

Einen Teil dieses Unterschieds lässt sich durch Einbürgerungen erklären. Wie ein Bericht der Stadt Zürich zeigt, wurden in der Zeit nach der Jahrtausendwende überproportional viele Personen im Familienverbund, darunter viele Kinder, eingebürgert (Villiger 2011: 11-14). Das sind genau jene Jahre, in welchen der relative Rückgang bei Kindern mit ausländischem Pass besonders stark war und der Anteil von Schweizer Kinder zu wachsen begann. Der Grafik folgend, wechselten eingebürgerte Kinder also von der roten Linie auf die blaue Linie. Es ist daher kein Zufall, dass sich die beiden Linien zu diesem Zeitpunkt voneinander wegbewegten.

Unterschiede auf Kreisebene

Bevor weitere Erklärungen für diese ungleichen Entwicklungen gesucht werden, ist zu berücksichtigen, dass dieses Bild nicht für alle Stadtkreise Bestand hat. In den äusseren Stadtkreisen, Kreise 9 bis 12, waren ausländische Kinder bis in die 2000er-Jahre proportional mehr vertreten – inzwischen überholte aber der Kinderanteil der Schweizer jenen der Ausländer. Noch deutlicher verläuft diese Entwicklung in den Kreisen 3, 4 und 5. Die relative Zahl an ausländischen Familien nahm in diesen Stadtteilen derart ab, dass sich währenddessen ein grösserer Abstand zum schweizerischen Kinderanteil ergab. Anders verhält es sich in den Kreisen 1 und 2 sowie 6 bis 8 vorwiegend in der Stadtmitte. Ausländische Familien waren hier schon immer leicht untervertreten und mit Ausnahme von Kreis 7 blieb dieser Unterschied auch bis heute bestehen.

Grafik 3: Anteil Kinder nach Kreisen und über Zeit (differenziert nach Staatszugehörigkeit)

Steigende Mietpreise – Eine Bürde für ausländische Familien?

Eine naheliegende Erklärung bieten die stetig ansteigenden Mietpreise in Zürich. Eine Publikation zur Erwerbsstruktur der Stadt Zürich zeigt, dass ausländische Arbeitskräfte tendenziell tiefere Löhne haben als Schweizer (Dissler 2006: 16-17). Ausländische Familien dürften deshalb empfindlicher auf Mietpreiserhöhungen reagieren. Ein Wegzug aus der Stadt Zürich wäre für ausländische Familien daher wahrscheinlicher. Wirft man einen genaueren Blick auf die Daten, findet man bei Zuziehenden sowie Wegziehenden ein quasi identisches Bild zu Grafik 2: Der Anteil ausländischer Kinder folgt einer U-Form, während der Anteil Schweizer Kinder beharrlich zunimmt. Damit wird klar, dass der relative Rückgang ausländischer Kinder keine für Zürich spezifische Entwicklung ist und die Mietpreise eine untergeordnete Rolle spielen. Eine veränderte Ab- oder Zuwanderung von Familien scheint nicht stattgefunden zu haben. Vielmehr lohnt es sich, die Zahlen von Zürich in einen breiteren Kontext zu stellen.

Kinderanteil ging schweizweit zurück

Erstens ist in Grafik 4 zu sehen, dass der gesamtschweizerische Kinderanteil deutlich höher ist als jener in den Städten. Dies entspricht in etwa der Erwartung, zumal Städte als weniger attraktiv für Kinder, sprich Familien, gelten. Zweitens verzeichnete jener Anteil während der 2000er-Jahre einen markanten Rückgang von gut 17% auf 15%. Umso erstaunlicher ist es also, dass Zürich seinen Kinderanteil während dieser Zeit konstant halten konnte und seither einen Anstieg erlebte. Basel liefert diesbezüglich einen Vergleichswert zu Zürich. Der Kinderanteil in Basel war in den 2000er-Jahren leicht im Tiefgang und folgte so zu Teilen dem Schweizer Trend – seit 2009 sind Familien aber auch in Basel auf dem Vormarsch. Insgesamt näherten sich der gesamtschweizerische Kinderanteil und jener der Städte Zürich und Basel im Laufe der Zeit an.

Grafik 4: Anteil Kinder in Zürich, Basel und gesamtschweizerisch über Zeit

Ausländische Bevölkerung hat immer weniger Kinder

Noch interessanter wird es, wenn die Kinderanteile wiederum nach Staatsangehlrigkeit aufgeschlüsselt werden. In der schweizweiten Entwicklung ging der relative Kinderanteil insbesondere bei Ausländer zurück, wobei auch hier Einbürgerungseffekte zu Tage treten dürften. Nichtsdestotrotz nähern sich Ausländer diesbezüglich mehr und mehr der Schweizer Bevölkerung an. Während in Basel der ausländische Kinderanteil noch immer höher ist als der schweizerische, hat sich in Zürich ein Wandel vollzogen: Schweizer Kinder sind in Zürich nun auch relativ in der Mehrzahl. Der Vergleich liefert also aufschlussreiche Erkenntnisse. Erstens ist zu sehen, dass Zürich für Familien – insbesondere für Schweizer Familien – attraktiver wurde. Zweitens ist der Kinderanteil von Personen mit ausländischem Pass chronisch tief verglichen mit den Kinderanteilen in Basel und der gesamten Schweiz.

Grafik 5: Anteil Kinder in Zürich, Basel und gesamtschweizerisch über Zeit (differenziert nach Staatszugehörigkeit)

Ausländische Familien bleiben untervertreten

Anhand einer nationalen Familienbefragung zeigt die Publikation Am Puls der Familie auf, inwiefern sich Zürcher Familien von anderen Familien in der Schweiz unterscheiden. Bezüglich der finanziellen Situation sind Zürcher Elternteile deutlich öfters der Meinung, dass es sehr einfach sei, finanziell über die Runden zu kommen. Umgekehrt bewerten verhältnismässig wenige Zürcher Familien ihre finanzielle Situation als schwierig oder sehr schwierig (Rosin 2015: 34). Die Familienstruktur in Zürich scheint also eine andere zu sein – die finanzielle Situation von Stadtzürcher Familien ist generell besser. Dies könnte der Grund sein, weshalb ausländische Familien in Zürich untervertreten sind. Weil Ausländer tendenziell tiefere Einkommen haben, ist die Stadt gerade für Familien weniger attraktiv. Dies wiederspiegelt sich vor allem in den Stadtkreisen 3, 5 und 6, allesamt verhältnismässig teure Wohngegenden, wo der ausländische Kinderanteil tief, der Schweizer Kinderanteil aber hoch ist.

Zürich wird attraktiver für Familien

Erfreulich ist aber, dass der Kinderanteil in Zürich seit einigen Jahren rasant ansteigt. Einerseits lässt sich dies demographisch erklären. Die steigenden Geburtenzahlen beruhen zum Teil darauf, dass die Zahl der gebärfähigen Frauen in Zürich stark gestiegen ist (Schwierz 2015).  Andererseits sind auch stadtpolitische Entwicklungen zu nennen, die sich für Familien positiv auswirken. So hat die Neubautätigkeit, insbesondere im gemeinnützigen Sektor, dazu geführt, dass mehr bezahlbarer Wohnraum für Familien vorhanden ist (Rosin 2016). Zudem wurde das Kinderbetreuungsangebot, mitunter auch subventionierte Betreuungsplätze, kräftig ausgebaut und zählte im Jahr 2016 fast 10’000 Betreuungsplätze (Stadt Zürich 2016: 27). Insgesamt begünstigten diese Entwicklungen die Zunahme von Kindern in der Stadt Zürich.

Informationen zum Blogbeitrag

Verfasser: Raffael von Arx, Matrikelnummer: 13-712-393, Mail: raffael.vonarx@uzh.ch

Abgabe: 17.12.2017

Veranstaltung: Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus, Universität Zürich

Dozierende Personen: Prof. Dr. Fabrizio Gilardi, Dr. des. Bruno Wüest, Alexandra Kohler

Anzahl Wörter: 979

Literatur

Dissler, Marc (2006): (https://www.stadt-zuerich.ch/prd/de/index/statistik/publikationen-angebote/publikationen/Analysen/A_013_2006.html [Stand 12.12.2017]).

Rosin, Klemens (2015): Am Puls der Familie. (https://www.stadt-zuerich.ch/epaper/PRD/SSZ/Analysen/A_003_2015_output/web/flipviewerxpress.html [Stand 09.12.2017]).

Rosin, Klemens (2016): Dem Baby-Boom auf der Spur: Warum leben in Zürich immer mehr kleine Kinder? (https://www.stadt-zuerich.ch/content/prd/de/index/statistik/publikationen-angebote/publikationen/webartikel/2016-03-02_Dem-Baby-Boom-auf-der-Spur.html [Stand 15.12.2017]).

Schwierz, Cornelia (2015): Steigende Geburtenzahlen – Folge der Zuwanderung oder gesellschaftlicher Trend? (https://www.stadt-zuerich.ch/prd/de/index/statistik/publikationen-angebote/publikationen/webartikel/2015-03-26_Steigende-Geburtenzahlen_Folge-der-Zuwanderung-oder-gesellschaftlicher-Trend.html [Stand 11.12.2017]).

Stadt Zürich (2016): Report Kinderbetreuung. Leistungen 2016. (https://www.stadt-zuerich.ch/epaper/sd/soz/kibe_2016_output/web/flipviewerxpress.html [Stand 11.12.2017]).

Villiger, Simon (2011): Zur Zeit / Die neuen Schweizer. (https://www.stadt-zuerich.ch/epaper/PRD/SSZ/ZurZeit/ZUZ_002_2011_output/web/flipviewerxpress.html [Stand 09.12.2017]).

Methodik

Die Kinderanteile, welche differenziert nach Staatsbürgerschaft ausgewiesen sind, wurden wie folgt berechnet:
– Anzahl 0-14-jähriger Einwohner mit Schweizer Pass / Anzahl Einwohner mit Schweizer Pass
– Anzahl 0-14-jährige Einwohner mit ausländischem Pass / Anzahl Einwohner mit ausländischem Pass

Daten

Der Blogbeitrag basiert hauptsächlich auf Daten der Statistik Stadt Zürich, welche im Rahmen einer Kooperation dem Institut für Politikwissenschaft zur Verfügung gestellt wurden. Zusätzliche Daten beruhen auf den folgenden Quellen:

Bundesamt für Statistik (2017): Ständige Wohnbevölkerung nach Zivilstand, Alter, Staatsangehörigkeitskategorie und Geschlecht, 1981-2016. (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/querschnittsthemen/wohlfahrtsmessung/alle-indikatoren/gesellschaft/altersquotient.assetdetail.3222004.html [Stand 01.12.2017]).

Statistisches Amt Basel-Stadt (2017): Wohnbevölkerung nach Alter. (http://www.statistik.bs.ch/zahlen/tabellen/1-bevoelkerung/bestand-struktur.html [Stand 12.12.2017]).

Beitragsbild

Dewanda (2017): Storch mit Baby*Holzstorch*Klapperstorch aus Holz. (https://de.dawanda.com/product/3570846-storch-mit-babyholzstorchklapperstorch-aus-holz [Stand 15.12.2017]).

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