Der Bundesrat prüft den Flüchtlingsstatus von über 3000 Eritreer*innen mit dem Ziel mögliche Ausweisungen in die Wege zu leiten. Hier lesen Sie, wie es dazu kam, wie sich die politische Rhetorik von der Realität unterscheidet und wie sich die öffentliche Debatte verändert hat.
Der politische Diskurs über Geflüchtete aus Eritrea wird in der Schweiz von zwei Extrempositionen dominiert. Die eine Seite verweist auf die unklare Menschenrechtslage in Eritrea und möchte die Asylsuchenden besser integrieren. Die andere argumentiert, dass die Flucht vor dem Wehr- und Arbeitsdienst keinen Asylgrund darstellt und die Rückkehr in das ostafrikanische Land prinzipiell zumutbar sei. Angesichts dieser teils polemisch geführten Debatte kommt die Frage auf, wer eigentlich entlang der Fakten argumentiert und wie sich der öffentliche Diskurs entwickelt hat.
SVP greift die Thematik als erste Partei auf
Die Schweizerische Volkspartei hat das Thema 2008 als erste Partei in ihren Communiqués aufgegriffen. Seither hat die SVP mehr Medienmitteilungen mit den Stichworten Eritrea und Eritreer veröffentlicht als alle anderen Parteien zusammen. Auch die Grünen und die CVP äussern sich zum Thema. Abgeschlagen sind hingegen die FDP und die SP, die sich erst spät und zurückhaltend zur Debatte äussern. Ab 2010 hat auch der Bundesrat die Thematik in seinen Medienmitteilungen aufgegriffen. Die SVP hat einen Stein ins Rollen gebracht hat.
Doch wie sieht die Entwicklung der Asylzahlen aus? 2006 wurden zum ersten Mal mehr als 1000 Asylanträge von eritreischen Staatsangehörigen der zweiten Flüchtlingsgruppe gestellt. 2007 führte Eritrea die Asylstatistik der Schweiz zum ersten Mal an, seit 2011 nun durchgehend. Die Zahl der Asylanträge ist allerding seit 2015 gesamthaft rückgängig, auch für Eritreer*innen. Dieser Trend geht laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) voraussichtlich auch 2018 so weiter.
Menschenrechtslage in Eritrea umstritten
Ohne die Menschenrechtslage in Eritrea zu beleuchten, ist die Untersuchung der Thematik weder sinnvoll noch zielführend. Letztere ist schliesslich ausschlaggebend, wenn es um die Entscheidung geht, ob eine Ausweisung grundsätzlich zumutbar ist oder nicht.
Folter, Verschleppungen und sexueller Missbrauch sind laut Amnesty International nach wie vor verbreitete Unterdrückungsmethoden seitens der eritreischen Behörden. Besonders gefährdet seien jene, die geflohen sind um dem Arbeits- und Militärdienst zu entkommen. Deren Verfolgung wird heute durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als politische eingestuft und internationale Gremien haben seit Jahren keinen Zutritt zu den Strafanstalten mehr. Die UNO spricht von Folter und bezeichnet Rückführungen als unsicher.
Andere Stimmen sprechen von Verbesserungen der Lage. So zum Beispiel ein umstrittener Bericht einer dänischen Untersuchungskommission, der ein relativ positives Bild der Lage zeichnet. Die Menschenrechtslage in Eritrea ist demnach umstritten. Eine Mehrheit der Berichte und die Erzählungen von Asylsuchenden zeigen allerdings, dass gerade für junge Geflüchtete eine mehr als heikle Lage vorherrscht. Somit sind Rückführungen nach Eritrea ein Risiko für die betroffenen Personen oder zumindest von einer grossen Ungewissheit über die Zukunft der Menschen begleitet.
Die Debatte in der Schweiz
Seit der Lancierung durch die SVP hat die Debatte an Quantität gewonnen. Parallel dazu nimmt die Anzahl der Asylgesuche ab und die Menschenrechtslage in Eritrea bleibt unklar bis unzumutbar. Die öffentliche Debatte orientiert sich jedoch, wie der folgende Zeitstrahl zeigt, nur bedingt an dieser Realität.
Wie von der Wochenzeitung beschrieben, wird die politische Debatte 2006/2007 vom damaligen Justizminister Christoph Blocher ausgelöst. Seine SVP greift die Thematik entsprechend früh auf. Zusammen mit der CVP, die sich bald schon einbringt, spricht sie von «Massenasylgesuchen» und «asylfremden Motiven». Das bürgerliche Lager beschreibt Geflüchtete, auch aus Eritrea, primär als eine Einheit. Die Grünen bedienen sich ebenfalls eines aggressiven Stils und attackieren die SVP inhaltlich. Dabei framt die Grüne Partei das Thema anders: Sie unterstreicht, dass geflüchtete Eritreer*innen wegen unsicheren Menschenrechtslage aufgenommen werden müssen und kritisieren die Entrechtung von Flüchtlingen. Die Grünen betonen die politischen Rechte der einzelnen geflüchteten Personen.
In den darauffolgenden Jahren verschärft sich die Wortwahl der Debatte: Auf der rechtsbürgerlichen Seite wird vermehrt von „Asylchaos“, „Asylmissbrauch“ und „Schengendebakel“ gesprochen. SVP und CVP fordern eine Beschleunigung der Asylverfahren. Die SVP argumentiert mit dem Volkswillen und spricht sich explizit gegen die Aufnahme von Eritreer*innen aus. Die Thematik der eritreischen Asylsuchenden und die allgemeine Situation im Asylwesen werden für Angriffe auf Bundesrätin Simonetta Sommaruga instrumentalisiert, die laut der SVP durch die Einführung der Kontingente ihr „wahres Gesicht gezeigt“ habe.
Die CVP betont, dass bedrohte Personen trotz der Asylgesetzrevision auch in Zukunft Schutz erhalten werden. Die Grünen hingegen nutzen erneut ein anderes Frame als die bürgerlichen Parteien: Sie sprechen von politisch engagierten Menschen, denen es Schutz zu gewähren gilt und weisen auf Folter in Eritrea hin. Es fällt auf, dass sich die Deutung der Situation im Rahmen der Debatte je nach politischer Ausrichtung unterscheidet. Bei der bürgerlichen Forderung nach Rückführungen wird ignoriert, dass die Menschenrechtslage in Eritrea keine erwiesene Besserung durchgemacht hat und dass Eritrea keine ausgeschafften Personen aufnimmt.
Zwischen 2015 und 2018 wird der Tonfall erneut gehässiger. Die Grünen greifen die SVP direkt an und werfen ihr vor, auf Kosten der Schutzbedürftigen auf Stimmenfang zu gehen und bezeichnen dies als schändlich. Die CVP scheint sich, nach der Wahl von Gerhard Pfister zum neuen Parteipräsidenten 2016, verstärkt mit dem Thema zu beschäftigen: Die Zahl der Communiqués mit dem Stichwort Eritrea steigt leicht an, im Parlament werden zudem themenverwandte Vorstösse eingereicht. Sowohl die SP als auch die FDP beginnen sich in ihren Medienmitteilungen zur Debatte zu äussern. Das Thema ist definitiv im politischen Mainstream angekommen.
Eine emotional geführte Debatte. Illustration in einem Artikel von SVP-Nationalrätin Flückiger-Bäni (2015).
Der Bundesrat verstärkt derweil seine Bemühungen zu Entwicklungszusammenarbeit, primär um Perspektiven zu schaffen. Dabei bleibt die Menschenrechtslage stets ein Thema. So wird beispielsweise der Zugang zu eritreischen Gefängnissen gefordert. Die Reisen von Beamten und Politiker*innen nach Eritrea zeigen, dass die Diskussion an Relevanz gewonnen hat – trotz den sinkenden Flüchtlingszahlen. 2017 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen, dass für gewisse Eritreer*innen die Rückkehr zumutbar sei, 2018 wird die Ausweisung von 3200 Geflüchteten geprüft.
Was bleibt, ist die Unsicherheit
Der Tonfall verschärft sich und die Forderung, Eritreer*innen auszuweisen, wird zur einer alltäglichen politischen Haltung. Während die Debatte immer schärfer wird, kann zur Situation in Eritrea keine eindeutige Aussage gemacht werden. Es scheint klar, dass die Menschenrechtslage mehr als problematisch ist. Die Mehrheit der NGOs und internationalen Akteure sprechen sich deshalb dafür aus, dass Flüchtlinge nicht ausgeschafft werden sollten: Es drohen ihnen Folter, Vergewaltigungen und unerklärtes Verschwinden.
Die politische Debatte hat über die Zeit an Intensität gewonnen. Nicht nur haben die Medienmitteilungen von den Parteien und dem Bundesrat zugenommen, auch ist der Tonfall gehässiger geworden. Die Parteien nutzen die Methode des Framings um ihre Position zu stärken: Die eine Seite spricht von Asylchaos und Dienstverweigerern, die andere von gefolterten politischen Aktivist*innen. Weiter fällt auf, dass die SVP die Debatte seit ihren Anfängen prägt und lediglich in den Grünen einen politischen Gegenspieler gefunden hat. Die CVP ist nachgezogen und über die Zeit sowohl im Tonfall als auch in den Forderungen radikaler geworden. All dies geschieht seit 2015 analog zu einer abnehmenden Zahl von eritreischen Asylgesuchen.
Während die politische Debatte in der Schweiz hochkocht, blieb eines konstant: Eritrea ist ein Staat, der im besten Falle eine unklare Menschenrechtslage aufweist, im schlimmsten Fall foltert, Menschen verschwinden lässt und erzwungene Abtreibungen durchführt. Die Debatte in der Schweiz entfernt sich somit immer mehr vor der Tatsache, dass Eritrea keine Geflüchteten zurücknimmt und die unklare Lage keine Rückschaffungen erlauben.
Datengrundlage und Methodik |
Datenverzeichnis
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FDP Medienmitteilungen (2018). (https://www.fdp.ch/aktuell/medienmitteilungen/ [05.05.2018]).
SP Medienmitteilungen (2018). (https://www.sp-ps.ch/de/medienmitteilungen [05.05.2018]).
SVP Medienmitteilungen (2018). (https://www.svp.ch/news/artikel/medienmitteilungen/ [05.05.2018]).
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