Die vermeintliche Andersartigkeit der Eingebürgerten

Die Diskussion um Einbürgerungen ist in der Schweiz ein brisantes Thema. Vertreter von rechts fordern eine Verschärfung und eine Umstrukturierung des bisherigen Einbürgerungsgesetzes, um eine ausufernde Einbürgerungspolitik zu verhindern. Neusten Auswertungen zeigen allerdings, dass sich eingebürgerte Schweizer kaum von den gebürtigen Schweizern unterscheiden. Die beiden Gruppen teilen die gleichen Wertvorstellungen – einzig bei der Chancengleichheit von Ausländern und Schweizern sind Unterschiede zu erkennen.

In der Schweiz wird das Thema Einbürgerung seit Jahren kontrovers diskutiert und die Meinungen dazu gehen weit auseinander. Obwohl die Schweiz eines der härtesten Einbürgerungsverfahren der Welt hat, fordern vor allem rechts-orientierte Politiker und Bürger eine restriktivere Einbürgerungspolitik. Die SVP will die Einbürgerung für Kriminelle und sogenannte Sozialabzocker erschweren, wie auch für Personen, deren Sprach- und Staatskenntnisse mangelhaft sind. Die Rede ist von Sozialstaatsabzockern, Kriminellen, schlecht integrierten Personen – kurz von Menschen, die nicht die Schweizer Wertvorstellungen vertreten.
Die Daten der Wahlstudie Selects zeigen jetzt aber ein ganz anderes Bild auf: Eingebürgerte Schweizer unterscheiden sich kaum von den gebürtigen Schweizern. Sie teilen die gleiche Meinung, wenn es um nukleare Energie, tiefere Steuern, höhere Steuern auf hohes Einkommen und den EU-Beitritt geht. Die Prozentsätze zwischen den beiden Gruppen variieren nur minim. Dementsprechend gleich sehen die Werteprofile der beiden Gruppen aus.

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Der Schweizer Urnengänger 2011 war gegen nukleare Energie, gegen die Chancengleichheit von Ausländern, für höhere Steuern bei hohem Einkommen, gegen allgemeine tiefere Steuern und gegen den EU-Beitritt. Dabei spielte es keine Rolle, ob man den roten Pass schon seit Geburt hat oder nicht. Bei einer Thematik findet man allerdings starke Unterschiede über die Zeit: Bei der Meinung zur Chancengleichheit von Ausländern und Schweizern.

Bei der Chancengleichheit sind gebürtige Schweizer konservativer

Beim Thema Chancengleichheit für Ausländer und Schweizer sind die eingebürgerten Schweizer seit jeher liberaler. Seit 1995 stehen eingebürgerte Schweizer stärker für die Chancengleichheit ein als gebürtige Schweizer. Während die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen 1995 noch sehr deutlich waren, lässt sich in den letzten Jahren aber eine Annäherung erkennen. Das liegt vor allem daran, dass die gebürtigen Schweizer wieder vermehrt für die Chancengleichheit einstehen.
Bei der Datenerhebung wurden die Befragten aufgefordert, sich auf einer Skala von 1 bis 5 einzustufen. 1 bedeutet, dass man für die volle Chancengleichheit zwischen Ausländern und Schweizern ist, während 6 für bessere Chancen für Schweizer steht.

Die Grafik zeigt einen deutlichen Rückgang bei den Befürwortern der Chancengleichheit bis zum Jahre 1999. Der Rückgang der Zustimmung ist bei beiden Gruppen gleich, auch hier unterscheiden sich die eingebürgerten Schweizer nicht von den gebürtigen Schweizern. Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden. Allerding fällt dieser Rückgang genau mit dem Aufstieg der Schweizerischen Volkspartei SVP zusammen. Die SVP ist seit 1999 die stimmenstärkste Partei der Schweiz und hat vor allem mit ihrer Kampagne gegen den EWR-Beitritt 1992 stark an Wählern gewonnen. Die SVP steht aktiv dafür ein, dass die Chancen für die Schweizer besser sind als für Ausländer. Der Rückgang in der Zustimmung zur Chancengleichheit liegt wahrscheinlich beim starken Aufstieg der SVP zu dieser Zeit.
Ab dem Jahre 1999 stieg die Zustimmung zur Chancengleichheit zwischen Ausländern und Schweizern allerding wieder erheblich. Erst seit 2007 stagniert die Kurve bei beiden Gruppen. Dies ist auf die weltweite Wirtschaftskrise und die darauffolgende Eurokrise zurückzuführen, die in vielen Ländern zu Unsicherheit führte. In Zeiten der Krise fokussieren sich die Bürger eines Landes vermehrt auf die eigenen Rechte und weniger auf die der Ausländer.

Es kann davon ausgegangen werden, dass die beiden Kurve in den nächsten Jahren (weiter) sinken werden. Grund dafür ist die momentane Flüchtlingskrise, die anhaltende Wirtschaftskrise und die Angst vor Terrorismus, die alle dazu beitragen, dass die Chancengleichheit zwischen Ausländern und Schweizern nicht weiter vorangetrieben wird.

Veränderte öffentliche Meinung zum EU-Beitritt der Schweiz

Am stärksten hat sich die öffentliche Meinung bei beiden Gruppen zur Thematik des EU-Beitrittes verändert. Während 1995 noch 75% der eingebürgerten Schweizer für einen EU-Beitritt einstanden, waren es 2011 nur noch knapp 24%. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den gebürtigen Schweizern, wobei diese nie so deutliche für den EU-Beitritt einstanden wie die Eingebürgerten. 1995 unterstützen 60% den EU-Beitritt, 2011 war die Zahl nur noch bei 18%. Während im Jahre 1995 die Meinung zum EU-Beitritt noch davon abhing, ob man ein eingebürgerter Schweizer ist oder ein Gebürtiger, so spielt dieser Faktor 2011 kaum mehr eine Rolle. Der Schweizer Bürger, ob eingebürgert oder gebürtig, steht 2011 ganz klar gegen einen EU-Beitritt.

Die Resultate überraschen weniger, da sich die Stimmung gegenüber der EU seit der Eurokrise stark verändert hat. Ein EU-Beitritt scheint heute längst nicht mehr so attraktiv wie noch vor 20 Jahren. Weiter erstaunt es auch nicht, dass die eingebürgerten Schweizer eher für einen EU-Beitritt stimmen würden. Rund die Hälfte aller eingebürgerten Schweizer 2011 stammen aus EU-Ländern. Bei einer Zustimmung von 24% lässt es sich allerdings darauf schliessen, dass sogar eingebürgerte EU-Bürger heute gegen einen Unions-Beitritt sind.
Diese Zahlen werden in den nächsten Jahren wohl noch weiter sinken, da die Stimmung gegenüber der EU durch die Euro- und Flüchtlingskrise weiterhin angespannt ist.

Überraschende Übereinstimmung zwischen den Eingebürgerten und den Schweizern

Die Auswertung der Daten zeigt klar auf, wie ähnlich sich die eingebürgerten und die gebürtigen Schweizer in ihren Wertvorstellungen sind. Über die Zeit haben sich die Einstellungen der beiden Gruppen immer weiter angenähert. Während 1995 die Unterschiede in den Werteprofil noch deutlicher waren, sind heute kaum noch Unterschiede zwischen den beiden Gruppen zu erkennen.
Es erscheint ausserdem sehr einseitig, die Wertevorstellungen eines eingebürgerten Schweizers lediglich mit seinem Migrationshintergrund erklären zu wollen. Genau wie bei jedem anderen Bürger erklären auch bei einem eingebürgerten Schweizer mehrere Faktoren die Wertevorstellungen und denn damit zusammenhängenden Wahlentscheid.

 

Methodenteil
Der Datensatz hat 22‘396 gebürtige Schweizer/innen und 3‘081 eingebürgerte Schweizer/innen erfasst. Die Resultate der Analyse sind alle gewichtet. Erfasst wurden nur Themen, die seit 1995 durchgehend erhoben wurden – also in den Jahren 1995, 1999, 2003, 2007 und 2011. Das ergibt folgende Themen: höhere Steuern, Steuern auf hohes Einkommen, die Position zum EU-Beitritt, Chancengleichheit für Ausländer und die Position zur nuklearen Energie.
Anhand der Kontrollvariablen Alter, Bildung, Geschlecht und der Links-Rechts Einordnung wurde eine Regression aufgestellt, die untersuchen sollte, wie signifikant der Faktor der Einbürgerung ist.

Quellen
Bundesamt für Statistik (2015): Migration und Integration – Indikatoren.
Brönnimann, Christian (2014): Die neuen Einbürgerungsregeln treten definitiv in Kraft. Tagesanzeiger (http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Die-neuen-Einbuergerungsregeln-treten-definitiv-in-Kraft/story/26550624?track [30.11.2015]).

Autorin: Nina Bader
nina.bader@uzh.ch
10-723-153
Abgabetermin: 06.12.2015
Dozenten: Bruno Wüest, Michael Hermann, Fabrizio Gilardi
Anzahl Wörter: 852

 

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