Was macht eine Volkspartei aus? Wer erfüllt die Kriterien am besten? Eine Analyse der Daten zu Parteienbindungen bei Volksentscheiden zeigt, welche Partei ihre Anhängerschaft wie gut für ihre Anliegen gewinnen kann. Weiter wird aufgezeigt, welche Parteien wie viel zu Gewinnen bei Volksabstimmungen beitragen. Untersucht wurden dazu die Vox-Umfragedaten (Kriesi et al. 2016) zu Volksabstimmungen auf Bundesebene für die Jahre 2009 bis 2014.
Im Datenblog des Tages-Anzeigers (2016) wurde die BDP als die wahre Volkspartei gefeiert. Eine Analyse der Parteiparolen und der Ergebnisse bei Volksentscheiden konnte zeigen, dass die Parolen der BDP prozentual am meisten mit den Resultaten der Volksentscheide übereinstimmen. Aber kann die BDP auch in anderen wichtigen Punkten, die eine Volkspartei erfüllen sollte, mithalten? Die folgenden Analysen sollen aufzeigen, wie gut es den Parteien gelungen ist, ihre Anhängerschaft beim Stimmentscheid zu beeinflussen und wie viel die einzelnen Parteien zu Siegen in Volksabstimmungen beigetragen haben. Schwingt auch hier die BDP obenaus?
Betrachtet man in Abbildung 1 die jährlichen Durchschnittswerte der Anhängerschaft, die identisch mit den Parolen ihrer Partei gestimmt hat, ist auszumachen, dass sich vor allem die Grünen mit konstant hohen Werten auf ihre Anhänger verlassen konnten. Das gegenteilige Bild zeigt sich für die FDP und die CVP. Sie konnten ihre Anhängerschaft mit den Parolen weniger überzeugen, als dies den Grünen und der SP gelang. Für die SVP, die BDP und die GLP zeigt sich kein eindeutiger Trend. Auffällig ist die generell hohe Parteidisziplin der Anhängerschaft für das Jahr 2011. Dieses markante Ergebnis geht daraus hervor, dass in diesem Jahr nur gerade eine einzige Vorlage auf Bundesebene vors Volk kam – die Volksinitiative „Für den Schutz vor Waffengewalt“. Im Jahr 2012 wurden dann die Parteiparolen vor allem von der Anhängerschaft der bürgerlichen Parteien unterdurchschnittlich befolgt. Danach konnten die Stimmbürger aber wieder zunehmend von den Parteien beeinflusst werden. Am geringsten gelang dies der SVP. Der BDP gelang es erst ab dem Jahr 2013, mit ihren Parolen grössere Anteile ihrer Anhängerschaft zu überzeugen.
Um eine Aussage treffen zu können, welche Parteien viel oder wenig zu Gewinnen bei Abstimmungen beitragen, genügt eine prozentuale Betrachtung der Parteidisziplin der Stimmbürger allerdings nicht. Es muss vor allem berücksichtigt werden, wie oft Abstimmungen im Sinne einer Partei ausgehen und mit wie vielen Stimmen ihre Anhängerschaft dazu beigetragen hat. Für Abbildung 2 wurde anhand dieser zwei Kriterien für verschiedene Parteien der durchschnittliche jährliche Einfluss auf Abstimmungen berechnet. Das Vorgehen bei der Berechnung ist unten in der Infobox beschrieben.
Ausser im Jahr 2011, in dem nur eine Vorlage auf Bundesebene vors Volk kam, vermögen die Anhänger der SP, der FDP und der SVP stets den grössten Einfluss auf Abstimmungen auszuüben. Parteien mit kleinerer Anhängerschaft wie die Grünen, die GLP und die BDP haben kaum Einfluss auf Abstimmungen, während sich der Einfluss der CVP kontinuierlich zwischen dem der grösseren und der kleineren Parteien bewegt. Woran liegt das?
Tabelle 1 zeigt, wie sich der Wert für den Einfluss auf Abstimmungen zusammensetzt. Während die SP und die SVP dank vielen Stimmen ihrer grossen Anhängerschaft einen grossen Einfluss hat, gelingt dies der FDP vor allem dank den 70.6 % gewonnenen Abstimmungen. Bemerkenswert ist die Grösse der Anhängerschaft der SVP. Trotz einer geringen Parteidisziplin (Abbildung 1 und Tabelle 1) kann sie im Vergleich zu anderen Parteien immer noch mit einer hohen Anzahl Stimmen aus ihrer Anhängerschaft rechnen und kann so ihren Einfluss trotz einer geringen Anzahl an Abstimmungsgewinnen und tiefer Parteidisziplin halten.
Für die BDP und die GLP wird ihre kleine Anhängerschaft zum Verhängnis. Auch wenn sie mit 74.0 respektive 71.4 % die meisten Abstimmungen gewonnen haben, ist ihr Einfluss auf Abstimmungen sehr gering.
Die Anteile an befragten Personen im Datensatz, die sich mit der SP (16.7 %) oder der SVP (12.59 %) identifizieren, lassen vermuten, dass dieser Datensatz verzerrt ist. In Nationalratswahlen ist die SVP seit 2003 klar stärkste Partei und ist hier im Vergleich mit der SP klar untervertreten. In einem weniger verzerrten Sample hätte sich die SVP sehr wahrscheinlich mit dem höchsten Einfluss auf Abstimmungen an die Spitze der Rangliste gesetzt. Klar ersichtlich ist, dass die Stimmbürger ohne Parteipräferenz mit durchschnittlich über 27 % der Gewinnerstimmen einen grossen Einfluss auf Abstimmungen ausüben.
Partei- präferenz |
Einfluss auf Abst. |
Einfluss bei Gewinnen |
Gewonnene Abst. (%) |
Mobilisie- rung (%) |
Parteidis- ziplin (%) |
Anteil in Daten (%) |
|
---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | SP | 12.56 | 21.98 | 57.14 (28/49) | 73.20 | 71.67 | 16.67 |
2. | FDP | 11.03 | 15.62 | 70.59 (36/51) | 66.04 | 64.16 | 13.18 |
3. | SVP | 9.82 | 17.89 | 54.90 (28/51) | 67.15 | 60.38 | 12.59 |
4. | CVP | 6.17 | 9.07 | 68.00 (34/50) | 68.14 | 63.83 | 7.31 |
5. | GLP | 2.59 | 3.63 | 71.43 (35/49) | 80.47 | 68.68 | 2.44 |
6. | Grüne | 2.53 | 4.60 | 55.10 (27/49) | 77.25 | 75.59 | 3.28 |
7. | BDP | 1.62 | 2.19 | 74.00 (37/50) | 74.97 | 66.82 | 1.55 |
8. | EVP | 0.43 | 0.78 | 55.10 (27/49) | 74.07 | 61.46 | 0.67 |
9. | PdA | 0.18 | 0.37 | 46.88 (15/32) | 61.06 | 71.09 | 0.23 |
Keine Partei | 27.18 | 55.78 | 33.08 | ||||
Mehrere Parteien | 7.79 | 75.52 | 6.61 | ||||
Andere Partei | 1.83 | 57.65 | 2.39 |
Während der Periode von 2009 bis 2014 fassten die einflussreichen Polparteien SP und SVP in nur gerade sieben von 51 Abstimmungen die gleiche Parole. Unter diesen Umständen, in denen eher selten unheilige Allianzen zwischen den Polparteien geschmiedet werden und sich die Parteien über Vorlagen selten einig sind, erhöht sich der Einfluss der Anhängerschaft der kleineren Mitteparteien erheblich. Da eine Polpartei alleine zu wenig Stimmen aus ihrer Anhängerschaft für einen Abstimmungsgewinn generieren kann, ist sie auf die Stimmen aus der Mitte und der Stimmbürgerschaft ohne Parteiidentifizierung angewiesen. Indem die kleineren Parteien die nötigen Mehrheiten schaffen, kommt ihnen also doch eine einflussreiche Rolle zu. Ist die Anhängerschaft dieser Parteien allerdings sehr klein, sodass es für das Abstimmungsergebnis nicht relevant ist, ob sie für oder gegen eine Vorlage stimmt, hat sie eigentlich keinen Einfluss auf die Abstimmungen. Dieser Punkt wurde hier für die Berechnung des Einflusses auf Abstimmungen aber vernachlässigt.
Obwohl die Parolen der BDP im Untersuchungszeitraum am meisten mit den Abstimmungsergebnissen übereinstimmen, kann sie nicht als Volkspartei bezeichnet werden. Sie vertritt bei Abstimmungen zwar häufig eine Mehrheit der abstimmenden Bürger, doch wechseln diese Mehrheiten stets ihre Zusammensetzung. Die BDP vertritt also nicht ständig dieselbe Stimmbürgerschaft, sondern über die Zeit gesehen nur den Teil der Stimmbürger, der stets im Sinne der BDP abstimmt – und der ist nicht so gross. Viel eher bedeutet das gute Abschneiden der BDP mit ihren Parolen, dass sie die Mittepartei schlechthin ist. Dies deshalb, weil es einer Partei, die sich in der Mitte positioniert, am häufigsten möglich ist, als mehrheitsbildende Partei zu einem für sie positiven Abstimmungsergebnis beizutragen. Für das Prädikat „Volkspartei“ besitzt die BDP aber eine deutlich zu kleine Anhängerschaft. Da der hier verwendete Datensatz vermutlich verzerrt ist, scheint mir dank ihrer grossen Anhängerschaft noch immer die SVP die wahre Volkspartei zu sein.
Für die Berechnungen wurden die Daten der Vox-Umfragen (Kriesi et al. 2016) verwendet. Es flossen für die Jahre 2009 bis 2014 total 51 Abstimmungen und 72’930 Beobachtungen in die Berechnungen ein. Für das Jahr 2009 wurden pro Abstimmung jeweils mindestens 1’000 Personen befragt. Ab dem Jahr 2010 waren es mindestens 1’500 Personen. Fehlende Parolenangaben für die GLP wurden anhand des Parolenspiegels der GLP Schweiz (2016) ergänzt. Fehlende Angaben zu Parolen der PdA wurden nicht ergänzt.
Für die Berechnungen der Parteidisziplin der Anhängerschaft in Abbildung 1 wurden nur Personen angeschaut, die sich mit einer Partei identifizieren. Gab eine Partei zu einer Vorlage keine Parole oder „Stimmfreigabe“ bekannt, wurde die Vorlage für diese Partei nicht in die Berechnungen mitaufgenommen.
Der in Abbildung 2 aufgeführte Einfluss auf Abstimmungen wurde anhand des durchschnittlichen Anteils der Stimmen der Anhängerschaft einer Partei an der gesamten Anzahl Gewinnerstimmen berechnet. Für eine Verliererpartei wird dieser Anteil für diese Abstimmung mit null gewertet. Hat eine Partei keine Parole oder „Stimmfreigabe“ beschlossen, wird diese Abstimmung für diese Partei nicht berücksichtigt.
GLP Schweiz (2016): Parolenspiegel Grünliberale Schweiz. (www.grunliberale.ch/dms/schweiz/de/doku/politischearbeit/Parolenspiegel_D_20160701.pdf [22.11.2016])
Kriesi, Hanspeter, Brunner, Matthias und Lorétan, François (2016): Standardisierte Umfragen VoxIt 1981-2014 [Dataset]. Université de Genève – Faculté des Sciences da la Société – SdS – Département de science politique et relations internationales, Universität Zürich, Philosophische Fakultät – Institut für Politikwissenschaften – IPZ – Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft, FORS – Centre de compétences suisse en sciences sociales. Distributed by FORS, Lausanne.
Tages-Anzeiger (2016): Das ist die wahre Volkspartei. (http://blog.tagesanzeiger.ch/datenblog/index.php/12021/welche-partei-ist-am-erfolgreichsten-bei-volksabstimmungen [22.11.2016])
Rolf Badat
E-Mail: rolfbadat@bluewin.ch
Matrikelnummer: 07-743-289
Abgabedatum: 18.12.2016
Modul: Forschungsseminar Politischer Datenjournalismus, HS 2016
Dozierende: Prof. Dr. F. Gilardi, Dr. M. Hermann, Dr. des. B. Wüest
Anzahl Worte: 1085