In der Debatte rund um die Öffnung der Schweiz gegen aussen spielt die Asylfrage eine grosse Rolle. Oft wird behauptet, die Schweiz trage eine viel zu grosse Last an Asylanträgen. Die Gegenseite kontert mit dem Hinweis auf absolute Zahlen und weist auf deren vergleichsweise tiefen Werte hin. Ein Vergleich vorhandener Daten von 1995 bis 2013 zeigt, dass die Schweiz gewichtet nach Wirtschaftskraft und Bevölkerungsgrösse tatsächlich europäischer Durchschnitt in Sachen Asylanträge ist – und nicht der Asylhafen Europas.
Es ist ein Bonmot, das jedem bekannt ist, der sich mit Statistiken auseinandersetzt: Mit Zahlen wird gelogen. Das stimmt nicht wirklich. Aber ein bisschen schon. Gehen wir davon aus, dass Daten gemäss wissenschaftlichen Standards erfasst werden, dann werden die Zahlen am Ende nicht lügen. Das, was wir dann irgendwo in einer Tabelle wiederfinden, hat einen wahrheitsgetreuen Ursprung. Die Frage ist, was mit diesen Zahlen gemacht wird. Eine Selektion der Zahlen findet statt, gewisse Faktoren werden beleuchtet, andere nicht. Man kann Zahlen graphisch so darstellen, dass eine Story erzählt wird, und im nächsten Schritt dieselben Zahlen so aufbereiten, dass etwas ganz anderes übrig bleibt. Sauber mit Zahlen arbeiten heisst, die Darstellung der Zahlen derart transparent zu gestalten, dass diese kritisiert werden kann.
Die Asylzahlen der Schweiz sind Daten, mit denen oben genanntes Spiel oft betrieben wird. Erfasst werden sie vom Bundesamt für Migration, wir können davon ausgehen, dass sie nicht verfälscht werden. Doch in der politischen Aufarbeitung der Daten werden ganz unterschiedliche Schlüsse gezogen: Für die einen „läuft der Asylbereich aus dem Ruder“, für die anderen „kann von einer Flutwelle nicht die Rede sein“. Aus den exakt selben Zahlen werden sich diametral entgegenstehende Aussagen abgeleitet. Wer hat Recht?
Betrachten wir als erstes die Anzahl Asylanträge in der Schweiz verglichen mit anderen europäischen Ländern. Aus oben stehender Grafik, welche nur die absoluten Fallzahlen der EU27-Staaten sowie der Schweiz, Norwegen und Island beinhaltet, wird zweierlei klar: Die Schweiz ist europaweit nicht Klassenbeste in Sachen Asylanträge (aber auch nicht die Schlechteste) und die Schweiz macht den Trend der ansteigenden Fallzahlen ab 2006 nicht mit. Das Dublin-Verfahren, an dem sich die Schweiz seit 2008 beteiligt, dürfte dafür sorgen, dass die Schweiz vom europaweiten Anstieg ab 2006 wenig spürt. Asylsuchende, die die Hauptmigrationswege nutzen und in Griechenland, Italien, Spanien oder Malta erstmals erfasst werden, stellen in diesen Ländern ihr Asylgesuch. Wird das Gesuch dort abgelehnt lohnt sich ein weiteres Asylgesuch in der Schweiz kaum, da dieses mit Verweis auf das bereits abgeschlossene Verfahren im vorhergehenden Land abgelehnt werden sollte.
Fakt ist (wie von links moniert), dass die Schweiz als Binnenland verglichen mit anderen Ländern europaweit nicht die meisten Asylanträge bearbeitet. Von rechts wird darauf oft entgegnet, dass das zwar stimme, der Vergleich aber wenig Sinn mache. Denn es sei klar, dass die Schweiz mit Ländern wie Deutschland oder Frankreich nicht mithalten könne. Schliesslich sei die Schweiz viel kleiner und überhaupt bearbeite sie im Vergleich der Länder pro 1000 Einwohner sogar sehr viele Asylanträge. Stimmt das?
Ja, es stimmt. Geschlagen wird die Schweiz 2013 nur von Schweden und Malta, welche pro 1000 Einwohner mehr Asylanträge bearbeiten als die Schweiz. Auch im Rückblick gibt die Schweiz keine schlechte Figur ab, gehört eher zu den Ländern, welche pro 1000 Einwohner viele Asylanträge bearbeiten. Ist die Schweiz nun der Asylhafen Europas, welcher eine vergleichsweise zu hohe Asyllast trägt? Die Frage muss gestellt werden, ob ein Vergleich der Anzahl Anträge pro 1000 Einwohner viel sinnvoller ist als der Vergleich der absoluten Zahlen. Ein Beispiel: Griechenland und Belgien haben beide ungefähr 11 Millionen Einwohner. Doch würde es wohl niemanden in den Sinn kommen, die zwei Länder gleichzustellen. Das Bruttoinlandprodukt von Belgien bewegt sich 2013 bei ungefähr 381 Milliarden Euro, während dasjenige von Griechenland rund 200 Milliarden Euro tiefer ist. Vergleichbare Länder mit ähnlichen Voraussetzungen, Flüchtlinge aufzunehmen? Kaum. Unterstrichen wird dies auch von der aktuellen Praxis der Schweiz, Dublin-Fälle (also Menschen, die vor dem Asylantrag in der Schweiz bereits einen Antrag in Griechenland stellten) nicht zurück nach Griechenland zu schicken.
Ein Vorschlag, der von der deutschen FDP in der Europa-Politik forciert wird, setzt die Anzahl Asylanträge mit der Bevölkerungsgrösse und der Wirtschaftsstärke eines Landes in Relation. Ein System, das in Deutschland unter dem Namen Königsteiner Schlüssel bereits angewendet wird – auch in Asylfragen. Der Vorschlag ist folgendermassen: Der BIP-Anteil eines Landes am Gesamt-Europa-BIP wird mit zwei multipliziert. Dazu gerechnet wird der Bevölkerungsanteil eines Landes an der Gesamtbevölkerung. Dieser Prozentsatz wird durch drei geteilt, daraus ergibt sich wie viele Asylanträge die einzelnen Länder von allen Asylanträge in Europa bearbeiten sollten. Ein Prinzip, dass die Asyllast der einzelnen Länder fairer verteilen soll als das Jetzige, in welchem die Asyllast primär über geographische Gegebenheiten verteilt wird.
Die Zahlen sind eindeutig: Berechnet man für die 30 berücksichtigten Länder ihren jeweiligen Anteil an Asylanträgen gemäss dem Königsteiner Schlüssel und vergleicht man diesen Sollwert mit dem tatsächlichen Wert, dann ist die Schweiz biederer Durchschnitt. Ihre Abweichung vom Sollwert ist über die Jahre hinweg minim (mit der Ausnahme von 2000), sie macht nicht mehr und nicht weniger als ihr zusteht. Es sind Länder entlang der Hauptmigrationsrouten wie Spanien oder Griechenland, die verglichen mit der Situation bei einer Verteilung nach Königsberger Schlüssel aktuell viel zu stark belastet werden (Länder mit einem positiven Wert bearbeiteten mehr Asylanträge als ihnen gemäss dem Schlüssel zugeteilt worden wären). Länder wie Island (fernab der Migrationsrouten) oder Holland bilden den Abschluss der Liste. Sie nehmen viel weniger Asylanträge entgegen als ihnen gemäss ihrer Bevölkerungszahl und ihrem BIP zustehen würde.
Schön zurecht gelegt können die Daten allen recht geben. Der Vergleich der absoluten Zahlen zeigt, dass die Schweiz nur Durchschnitt ist, während ein Vergleich der Zahlen pro 1000 Einwohner den Eindruck hinterlässt, dass die Schweiz ganz vorne mit dabei ist. Die Frage ist, welche Kontextfaktoren man politisch und ökonomisch wichtig findet und entsprechend in den Vergleich miteinbezieht. Die im Königsberger Schlüssel vorgeschlagenen Faktoren erscheinen intuitiv sinnvoll, die Anwendung des Schlüssels ist sowohl in der Praxis erprobt wie auch nicht übermässig komplex. Würden Asylanträge gemäss diesem System verteilt, dann hätte die Schweiz keinerlei Grund, sich als Asylhafen Europas zu sehen, welcher überrannt wird.
BIP ist unbrauchbar als Vergleichszahl > siehe ua. Peter Arbenz.
Spielt Geld (BIP) eine Rolle wohin Flüchtlinge gehen?
Die einzige allgemein anerkannte Vergleichszahl ist pro Bevölkerung.
Auch zB. die Landfläche (Bevölkerungsdichte) ist nur beschränkt sinnvoll da diese um nicht bewohnbare Zonen adjustiert werden müsste, zB. alpine Zonen wobei die CH unter dieser Masszahl top wäre.
Seit 1991 ist die CH absolut top in den Asylzahlen / Bevölkerung BEI gleichzeitigem riesigen Bevölkerungswachstum das in der OECD mit am höchsten ist und wird nur von Schweden über diese gesamte Zeit übertroffen und in einzelnen Jahren von ein, zwei anderen Staaten.