Das Schweizer Parlament im Brennpunkt, Teil 1

Das Eidgenössische Parlament stellt im Rahmen von OpenData viele Informationen zu den legislativen Geschäften zur Verfügung. Die Datenbank ist gross. Dieser Beitrag geht in einem ersten Schritt analytisch auf die gesichteten Daten ein und vermittelt einen Überblick über die Geschäfte des Parlamentes.

Der Zweck des Bundesgesetzes über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (BGÖ) vom 17. Dezember 2004 ist, die Transparenz über den Auftrag, die Organisation und die Tätigkeit der Verwaltung zu fördern. Das Gesetz gilt sowohl für die Bundesverwaltung als auch für das Parlament. Ausgenommen sind neben Ausnahmefällen (div. Verfahren, Rechts- oder Amtshilfe etc.) nur noch die Nationalbank sowie die Eidgenössische Bankenkommission.

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Foto: Peter Mosimann, www.parlament.ch

Die Parlamentsdienste stellen die Geschäfte im Rahmen des Öffentlichkeitsprinzips digital zur Verfügung. Die Daten reichen bis ins Jahr 1973 zurück, werden jedoch erst ab 1990 systematischer erfasst. Umfangreich sind die Daten momentan ab dem Jahr 2001 – hier finden sich ca. 24’000 Geschäfte von total 32’650. Unter den Daten finden sich lustige, spannende, als auch kuriose Geschäfte des Schweizer Parlamentes (siehe z.B. Rahmenkredit zur Sicherung [sic!] eines ausreichenden Bestandes an Hochseeschiffen unter Schweizer Flagge). Die Resultate dieser Untersuchung sind grundsätzlich nichts neues, neu daran ist die Herangehensweise und die Datenmenge: Mit HTTP Get Paramter wurden 32’650 Geschäfte heruntergeladen, die 121 Sessionen, 25 Jahre und 13 Legislaturen umfassen. Im noch nicht veröffentlichten zweiten Teil werden die Daten dann substantieller aufbereitet und interpretiert.

Das Parlament ist die Vertretung des Volkes und hauptsächlich der Gesetzesgebung verschrieben. Stimmt das? Ist das Parlament tatsächlich ein Milizparlament und was kann über die Instrumente, die Themen und die Arbeitsweise der Legislative gesagt werden?

Das Parlament und seine Instrumente 

Nicht überraschend benutzen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier vorzugsweise die Interpellation – nämlich 7’831 mal seit 1992. Etwas weniger, aber im Vergleich zu den anderen Instrumenten immer noch sehr häufig, wird die Motion genutzt (7’117). Bereits deutlich abgeschlagen folgt die Fragestunde, das Postulat und, ohne auf alle Geschäfte einzugehen, zum Schluss die Empfehlung mit 139 Anwendungen. Die folgende Grafik verdeutlicht die verschiedenen Instrumente nach deren Anwendungshäufigkeit.



Quelle: Parlamentsdienste der Bundesversammlung, Bern. Abrufdatum: 31.3.2014
Für Interaktivität die einzelnen Instrumente anklicken.
Für eine direkte Gegenüberstellung aller Geschäfte, hier klicken.

Der Gebrauch der Motion wiederspiegelt den Einfluss des Parlaments auf die Gesetzgebung. Mit dieser werden verbindliche Aufträge zur Neuerung oder zur Veränderung der Gesetzgebung erteilt. Das bedeutet nichts anderes, als dass auch mit den neuen Daten die Gesetzgebung des Parlamentes als zentrale Funktion bestätigt werden kann.

Das «Milizparlament» als Fiktion

Interessant wird es, wenn man die landläufige Vorstellung des schweizerischen Parlaments als Milizparlament mit einbezieht: Offiziell gehen National- und Ständeräte zivilberuflichen Tätigkeiten nach und üben ihren Auftrag nebenamtlich aus. Eine politikwissenschaftliche Umfrage aus dem Jahr 1990 zeigt aber, dass das Milizparlament längst nur noch in den Köpfen exisitert, nicht aber in der Realität: Nur sechs Prozent sind Milizparlamentarier, d.h. jene, die weniger als ein Drittel ihres Zeitbudgets für ihren Auftrag verwenden – und das im Jahre 1990! Im Jahre 1994 wurden noch total 783 Geschäfte behandelt, zehn Jahre später sind es bereits 1’529. Und im Vergleich zu 1994 ist es 2013 zu einer Verdreifachung der Geschäfte gekommen (2’329 Geschäfte).

«Wenn Unternehmer oder engagierte Gewerbetreibende im Parlament zunehmend fehlen, gehe der wesentliche Vorteil des Milizsystems verloren: nämlich dessen Kapazität, verschiedene Lebensrealitäten in den politischen Prozess zu integrieren.» TagesAnzeiger [1]

Die Daten zeigen klar, dass man kaum mehr von einem Milizparlament sprechen kann. Die von Wolf Linder konstatierte Idee, «dass damit eine besondere Unabhängigkeit und Volksverbundheit der Parlamentarier verbunden sei», sollte demnach tunlichst verworfen werden.

Themen, die unsere Parlamentarier beschäftigen

Was sind die wichtigsten Themen des Parlaments? Wie die untenstehende Grafik zeigt, entwickeln sich die Themen relativ unterschiedlich über die Zeit. Die Abnahme der Themen im Jahr 2014, liegt wie bei der Instrumenten-Grafik daran, dass im laufenden Jahr erst eine Session stattgefunden hat.



Quelle: Parlamentsdienste der Bundesversammlung, Bern. Abrufdatum: 31.3.2014
Instrumente anklicken für Interaktivität (dieselben Daten in einer anderen Darstellungsform siehe hier)

Es wird es spannend, wenn man sich einzelne Themen genauer anschaut. Als Beispiel dient die Aussenpolitik: Konnte das Parlament in den siebziger Jahren und zu Beginn der neunziger Jahre noch kaum Einfluss auf die Aussenpolitik ausüben, zeigt sich in den Daten ab 2001 eine Steigerung der aussenpolitischen Geschäfte. Der Grund des ursprünglich beschränkten Handlungsspielraums lässt sich auf darauf zurückführen, dass das Parlament bei Staatsverträgen sowohl rechtlich als auch politisch einzig und allein zu Zustimmung/Ablehnung abgestraft war. Erst 1992 wurden in beiden Kammern aussenpolitische Kommissionen eingesetzt. Deren Versuch bereits in frühen Phasen Einfluss auf die Aussenpolitik zu nehmen (und überhaupt Einfluss auszuüben), zeigt sich auch im Anstieg der aussenpolitischen Geschäften ab 2001 (für eine isolierte Darstellung der aussenpolitischen Geschäften in obenstehender Grafik „Aussenpolitik“ doppelklicken).

Die Volksvertretung als Forum der Nation?

Abschliessend fragt sich, wie lange sich das Parlament mit seinen Geschäften auseinandersetzt. Je länger ein Geschäft offen (nicht erledigt) ist, desto weniger Platz hat es für neue Geschäfte. D.h. je länger die Dauer desto weniger Raum ist vorhanden um auf die aktuellen Bedürfnisse und Sorgen der Bevölkerung einzugehen.
Wie die nachfolgende Grafik zeigt, spricht die Analyse über 24’053 Geschäfte eine deutliche Sprache. Im Durchschnitt sind Parlamentsgeschäfte innerhalb von wenigen Sessionen erledigt:

Parlamentsgeschäfte nach Sessionen, Durchschnitt

Parlamentsdienste der Bundesversammlung, Bern. Abrufdatum: 31.3.2014

Wenig überraschend sind die Instrumente, welche in weniger als einer Session abgeschlossen werden. Auch das beliebteste Instrument, die Interpellation wird mehr oder weniger in einem Jahr abgehandelt. Interessant ist, dass die Motion mehr als ein Jahr benötigt. Also das Instrument, dass den eigentlichen Kompetenzbereich des Parlamentes betrifft. Auch nicht selbstverständlich ist, dass Geschäfte des Bundesrates im Durchschnitt innerhalb von vier Sessionen erledigt werden. Lösen diese Geschäfte doch eine Reihe von Verfahrensschritten aus. Einzig die Standesinitiative braucht im Durchschnitt fast drei Jahre von der Einreichung bis sie ad acta gelegt wird, dies hängt einerseits mit dem Verfahren des Vorstosses ab, andererseits aber auch, dass Standesinitiativen immer wieder politisch stark umstrittene Themen aufgreifen (z.B. die Revision des Krankenversicherungsgesetz).

Zumindest theoretisch ist dem Parlament aber die Möglichkeit gegeben, aktuelle Bedürfnisse aus der Bevölkerung aufzugreifen, ob dies auch in der Praxis gegeben ist, wird im nächsten Blog behandelt. Dieser zweite Teil folgt am 17. Mai 2014 und geht unter anderem der Frage nach, welche politischen Kräfte die parlamentarischen Geschäfte initiieren und wer damit besonders erfolgreich ist. Zum Schluss ein Satz des Politikwissenschaftlers Wolf Linder, der durch die Daten gestützt wird:

«Das Parlament ist ein öffentliches Gremium, das laufend neue Ereignisse aus dem gesellschaftlichen Alltag herausgreift, politisch thematisiert und definiert, kommentiert und bewertet.» [Linder 2005: 212]

 

Alle Daten wurden mit dem Programm R gescraped und bearbeitet.

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