Mit dem Mikroblogging-Dienst Twitter kann ein Nationalrat seine Wähler direkt erreichen. Er muss nicht den Umweg über die traditionellen Medien wie Zeitung, Radio oder TV nehmen. Die Wähler wiederum können auf die Twitter-Nachrichten eines Nationalrates antworten und so entsteht ein Dialog.
Die Twitter-Kommunikation zwischen Nationalräten und Wählern ist noch jung. Sie unterscheidet sich grundsätzlich jedoch nicht von den traditionellen 1:1 Gesprächen zwischen Politikern und Wählern. Statt auf der Strasse, an Wahlkampfveranstaltungen oder an Dorffesten wird nun kurzerhand digital kommuniziert.
Grundsätzlich sind solche 1:1 Gespräche für Nationalräte offensichtlich nach wie vor von hoher Bedeutung. Auf dem Land wohnhafte Nationalräte haben diesen direkten Austausch mit den Wählern tagtäglich – automatisch – da man sich auf dem Land „noch kennt“. Für städtische Politiker sind solche Kontakte in der Anonymität der Stadt schwieriger – dafür nutzen sie Twitter! (Darstellungen 1, 2)
Über die Hälfte der städtisch wohnhaften Nationalräte ist bei Twitter aktiv. Davon wiederum gehören über die Hälfte zu den Viel-Twitterern, welche mehr als drei Tweets pro Woche versenden. Auf dem Land hingegen ist der Mikroblogging-Dienst weniger beliebt: Nur jeder fünfte Nationalrat ist bei Twitter.
Unter den städtischen Twitterern gehören knapp die Hälfte der Nationalräte der Sozialdemokratischen Partei (SP) an. Ausserdem gibt es verhältnismässig viele Grüne unter den städtischen Twitterern. Ein Blick auf die erst kürzlich erstellten Accounts zeigt jedoch, dass immer mehr bürgerliche Politiker Twitter für sich entdecken.
In den Kleinstädten twittern fast die Hälfte der dort wohnhaften Nationalräte. Davon sind die meisten bürgerliche Politiker. Demnach setzen auch Nationalräte aus kleineren Städten auf Twitter und versprechen sich davon einen engeren Kontakt zu ihren Wählern.
Nun stellt sich die Frage, ob diese eben geschilderten Zusammenhänge auch auf einer höheren Ebene zu finden sind. Dazu werden die einzelnen Wahlkreise (Kantone) der Nationalräte untersucht.
Ergebnis: Nationalräte aus mittleren oder grossen Wahlkreisen verwenden eher Twitter als jene aus kleinen Wahlkreisen. So kann die bereits ausgeführte Anonymitäts-These auf diese höhere Ebene angepasst werden. (Darstellungen 3, 4)
Dieser Zusammenhang zwischen Wahlkreisgrösse und Twitter-Affinität ist jeodoch weit weniger gut ersichtlich als der Stadt/Land-Zusammenhang. In kleinen Wahlkreisen twittert gut jeder vierte Nationalrat. In mittleren Wahlkreisen haben knapp die Hälfte aller Nationalräte einen Twitter-Account. Bei grossen und sehr grossen Wahlkreisen nimmt die Zahl der twitternden Nationalräte jedoch wieder ab.
Zusammengefasst kann gesagt werden, dass städtisch (Stadt & Kleinstadt) wohnhafte Nationalräte den Mikrobloggin-Dienst Twitter eher verwenden als ihre Kollegen auf dem Land. Dies würde der beschriebenen Anonymitäts-These entsprechen, dass städtische Nationalräte über den neuen Weg „Twitter“ ihren (potenziellen) Wählern nahe zu sein. Ausserdem gibt es bezüglich der Wahlkreisgrösse und der Twitter-Affinität einen leicht positiven Zusammenhang. Dabei ist die Twitter-Affinität bei mittleren Wahlkreisen am Höchsten und nicht wie vermutet bei den sehr grossen Wahlkreisen.
Vertiefung:
Detaillierte Analyse zur Tweet-Häufigkeit der Nationalräte im Verhältnis zu ihrer Wahlkreisgrösse (Kanton). Die einzelnen Punkte entsprechen den twitternden Nationalräten. Leicht positiver Zusammenhang von blossem Auge ersichtlich. (Darstellung 5)
Methodik:
Twitter-Datensatz zur Verfügung gestellt von Bruno Wüest (IPZ, UZH), Stichtag: 04.03.15 /// „Viel-Twitterer“ = mehr als drei versendete Tweets pro Woche (eigene Einteilung) /// Stadt/Land-Klassifizierung nach Sotomo-Richtlinien von Michael Hermann (Sotomo) /// Tatsächliche Wohnorte der Parlamentarier für Stadt/Land-Einteilung (keine Büros, Sekretariate, Postfächer) /// Einteilung Wahlkreise: Kleiner Wahlkreis (1-4 NR-Sitze), Mittlerer Wahlkreis (5-8 NR-Sitze), Grosser Wahlkreis (9-18 NR-Sitze), Sehr grosser Wahlkreis (19-34 NR-Sitze)
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